Berge in (Stahl)fesseln
Der Klettersteig-Boom - alpine Plage oder touristischer Segen?
Allein im letzten LdB wurden vier neue Klettersteige vorgestellt - Ausdruck eines aktuellen Trends: In Österreichs Bergen werken fleißige Felsenarchitekten an der Stahlseilinflation. Droht die „Viaferrata-Mania“?
Experten wie die Autoren der beiden neuesten Klettersteigführer, Kurt Schall und Axel Jentzsch-Rabl, schätzen die Gesamtzahl der österreichischen Klettersteige mittlerweile auf 100 bis 200, zu denen jährlich bis zu 10 neue kommen. Die genaue Anzahl hängt in erster Linie von der Definition ab, was als „richtiger“, großteils oder durchgehend mit Stahlseilen abgesicherter Klettersteig bzw. nur als mit ein paar Drahtseilen gesicherter Wanderweg gilt.
Tendenz steigend
Die Zeiten, in denen man „Eisenwege“ fast ausschließlich mit den berühmten „vie ferrate“ in den Dolomiten assoziierte, sind jedenfalls längst vorbei. Punkto Anzahl, Länge und Schwierigkeit der Klettersteige haben die nördlicheren Ostalpen mit den Dolomitengruppen gleichgezogen, und ein „Johann“ durch die Dachstein-Südwand oder die „Seewand“ über dem Hallstättersee haben heute mindestens den gleichen Nimbus wie früher Tomaselli- oder Costantini-Steig.
Der zunehmende Drang, Berge und Felsen auch bei uns zu verdrahten, hat mehrere Gründe. Da ist einmal der wirtschaftliche Aspekt - Touristiker, Schutzhütten, Hotels, Fremdenverkehrsgemeinden und Seilbahnen erwarten sich mehr Besucher, wenn Klettersteige in der Nähe action versprechen. Dazu kommt die wachsende Popularität der Eisenrouten, die im Vergleich zum alpinen Klettern ein unbeschwerteres Bergerlebnis versprechen. Auch der menschliche „Trieb“ zum Erschließen mag eine Rolle spielen und liefert eine Teilerklärung, warum die alpinen Vereine beim Bau der meisten Klettersteige die Initiative ergriffen haben.
Übererschließung?
In einer Zeit, in der es für ursprüngliche Naturlandschaften immer enger wird, geraten sich Naturschutz als Bewahrer dieser Natur(t)räume und Eisenweg-Protagonisten als Teil der Tourismusindustrie zwangsläufig in die Haare. Auf der einen Seite das wirtschaftliche Interesse und die immer größer werdende Lust am luftigen Steigen, beides gepaart mit einem Zeitgeist, der nach trendigen Freizeitaktivitäten verlangt. Auf der anderen Seite der Naturschutzgedanke, der nicht jeden alpinen Winkel dem Tourismus geopfert sehen will. Prominentes Beispiel für diese klassische Konfliktsituation ist der stark frequentierte „Königsjodler“ am Hochkönig, der vor einigen Jahren trotz massiver Bedenken der Naturschutzbehörde mitten im heutigen Europaschutzgebiet Kalkhochalpen (natura 2000) gebaut wurde.
Wenn schon die strengen Regelungen eines Naturschutzgebietes nicht (immer) greifen, zählen schwache Argumente wie „Landschaftsverschandelung“ durch die eisernen Steige oder die Zerstörung klassischer „Kletterrouten von historischem Wert“ noch weniger. Zu Recht, denn die Drahtseile sind selbst für falkenäugigste Touristen nur mit Ferngläsern zu erspähen, und die historische Preußroute am Donnerkogel aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg, die vom Gosaukamm-Klettersteig zugebügelt wurde, hat in den letzten 90 Jahren vermutlich keine 20 alpinen Kletterer erlebt. Wenn nicht gerade echte alpine „classics“ wie die Däumlingkante im Gosaukamm oder die Dülferrouten im Wilden Kaiser (Buhl bewahre!) in extreme „Sportklettersteige“ verwandelt werden, wird Nostalgie gegen die „modernen Zeiten“ keine Chance haben.
„Philosophischer background“
Klettersteige bieten vielen Menschen eine neue Erlebnisdimension am Berg, sind Ersatz fürs alpine Klettern, vermitteln angesichts von Stahlseil und Trittstiften (richtigerweise) das Gefühl von mehr Sicherheit und spiegeln damit auch das moderne Streben nach immer mehr Sicherheit wieder. In Zeiten einer angeblich gefährlicher werdenden Welt bezeichnet Kurt Schall diesen Trend im Vorwort eines Klettersteigführers als „evolutionäre Grundausstattung der Menschheit“. Mag sein.
Trotzdem muß nicht unbedingt auf jeden ostalpinen Zapfen ein versicherter Kletterweg führen, trotzdem sollte bei der Planung von Eisenwegen die Naturbelastung durch den (Massen)tourismus nicht ignoriert werden. Sollte. Denn 200 oder von mir aus 400 österreichische „vie ferrate“ sind super. Aber 3000 machen die Alpen zum „Funpark“.
Bei aller Skepsis gegenüber einem allzu maßlosen Klettersteig-Boom halte ich es aber trotzdem mit einem prominenten Bergsteiger, der gesagt haben soll, er könne gar nicht gegen Klettersteige argumentieren, weil er dort so viele glückliche Menschen getroffen habe.
© Edi Koblmüller, 06.06.2006 Aus Land der Berge, Heft 04/2006
Der Klettersteig-Boom - alpine Plage oder touristischer Segen?
Allein im letzten LdB wurden vier neue Klettersteige vorgestellt - Ausdruck eines aktuellen Trends: In Österreichs Bergen werken fleißige Felsenarchitekten an der Stahlseilinflation. Droht die „Viaferrata-Mania“?
Experten wie die Autoren der beiden neuesten Klettersteigführer, Kurt Schall und Axel Jentzsch-Rabl, schätzen die Gesamtzahl der österreichischen Klettersteige mittlerweile auf 100 bis 200, zu denen jährlich bis zu 10 neue kommen. Die genaue Anzahl hängt in erster Linie von der Definition ab, was als „richtiger“, großteils oder durchgehend mit Stahlseilen abgesicherter Klettersteig bzw. nur als mit ein paar Drahtseilen gesicherter Wanderweg gilt.
Tendenz steigend
Die Zeiten, in denen man „Eisenwege“ fast ausschließlich mit den berühmten „vie ferrate“ in den Dolomiten assoziierte, sind jedenfalls längst vorbei. Punkto Anzahl, Länge und Schwierigkeit der Klettersteige haben die nördlicheren Ostalpen mit den Dolomitengruppen gleichgezogen, und ein „Johann“ durch die Dachstein-Südwand oder die „Seewand“ über dem Hallstättersee haben heute mindestens den gleichen Nimbus wie früher Tomaselli- oder Costantini-Steig.
Der zunehmende Drang, Berge und Felsen auch bei uns zu verdrahten, hat mehrere Gründe. Da ist einmal der wirtschaftliche Aspekt - Touristiker, Schutzhütten, Hotels, Fremdenverkehrsgemeinden und Seilbahnen erwarten sich mehr Besucher, wenn Klettersteige in der Nähe action versprechen. Dazu kommt die wachsende Popularität der Eisenrouten, die im Vergleich zum alpinen Klettern ein unbeschwerteres Bergerlebnis versprechen. Auch der menschliche „Trieb“ zum Erschließen mag eine Rolle spielen und liefert eine Teilerklärung, warum die alpinen Vereine beim Bau der meisten Klettersteige die Initiative ergriffen haben.
Übererschließung?
In einer Zeit, in der es für ursprüngliche Naturlandschaften immer enger wird, geraten sich Naturschutz als Bewahrer dieser Natur(t)räume und Eisenweg-Protagonisten als Teil der Tourismusindustrie zwangsläufig in die Haare. Auf der einen Seite das wirtschaftliche Interesse und die immer größer werdende Lust am luftigen Steigen, beides gepaart mit einem Zeitgeist, der nach trendigen Freizeitaktivitäten verlangt. Auf der anderen Seite der Naturschutzgedanke, der nicht jeden alpinen Winkel dem Tourismus geopfert sehen will. Prominentes Beispiel für diese klassische Konfliktsituation ist der stark frequentierte „Königsjodler“ am Hochkönig, der vor einigen Jahren trotz massiver Bedenken der Naturschutzbehörde mitten im heutigen Europaschutzgebiet Kalkhochalpen (natura 2000) gebaut wurde.
Wenn schon die strengen Regelungen eines Naturschutzgebietes nicht (immer) greifen, zählen schwache Argumente wie „Landschaftsverschandelung“ durch die eisernen Steige oder die Zerstörung klassischer „Kletterrouten von historischem Wert“ noch weniger. Zu Recht, denn die Drahtseile sind selbst für falkenäugigste Touristen nur mit Ferngläsern zu erspähen, und die historische Preußroute am Donnerkogel aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg, die vom Gosaukamm-Klettersteig zugebügelt wurde, hat in den letzten 90 Jahren vermutlich keine 20 alpinen Kletterer erlebt. Wenn nicht gerade echte alpine „classics“ wie die Däumlingkante im Gosaukamm oder die Dülferrouten im Wilden Kaiser (Buhl bewahre!) in extreme „Sportklettersteige“ verwandelt werden, wird Nostalgie gegen die „modernen Zeiten“ keine Chance haben.
„Philosophischer background“
Klettersteige bieten vielen Menschen eine neue Erlebnisdimension am Berg, sind Ersatz fürs alpine Klettern, vermitteln angesichts von Stahlseil und Trittstiften (richtigerweise) das Gefühl von mehr Sicherheit und spiegeln damit auch das moderne Streben nach immer mehr Sicherheit wieder. In Zeiten einer angeblich gefährlicher werdenden Welt bezeichnet Kurt Schall diesen Trend im Vorwort eines Klettersteigführers als „evolutionäre Grundausstattung der Menschheit“. Mag sein.
Trotzdem muß nicht unbedingt auf jeden ostalpinen Zapfen ein versicherter Kletterweg führen, trotzdem sollte bei der Planung von Eisenwegen die Naturbelastung durch den (Massen)tourismus nicht ignoriert werden. Sollte. Denn 200 oder von mir aus 400 österreichische „vie ferrate“ sind super. Aber 3000 machen die Alpen zum „Funpark“.
Bei aller Skepsis gegenüber einem allzu maßlosen Klettersteig-Boom halte ich es aber trotzdem mit einem prominenten Bergsteiger, der gesagt haben soll, er könne gar nicht gegen Klettersteige argumentieren, weil er dort so viele glückliche Menschen getroffen habe.
© Edi Koblmüller, 06.06.2006 Aus Land der Berge, Heft 04/2006
Kommentar