Quelle: http://www.nzz.ch/2007/06/21/to/articleF9Y1V.html und und http://www.uelisteck.ch/
«Unsere Gesellschaft verurteilt Risikobereitschaft»
Der Spitzenalpinist Ueli Steck nach dem Absturz an der Annapurna-Südwand über Meilensteine, Scheitern und Angstzustände
Ueli Steck gehört zu den weltbesten Alpinisten. Im Frühjahr schaffte er die erste Alleinbegehung der Pumori-Westwand in Nepal. Kurz darauf stürzte er am Achttausender Annapurna (8091 m) ab, als er als erster Alpinist die Südwand allein und ohne Sauerstoff bezwingen wollte. Im Gespräch mit Jacqueline Schwerzmann äussert sich der Berner zur Risikobereitschaft und zu den Angstzuständen, die er nach seinem Absturz erlebte.
Herr Steck, Sie sind bekannt für Ihre Risikobereitschaft. War diese an der Annapurna-Südwand einfach zu gross?
Ueli Steck: Nein. Mein Absturz war Pech. So etwas kann einem auch in den Alpen passieren. Ich hatte die Wand wochenlang beobachtet und war im unteren Teil sogar geklettert. Es gab nie Steinschlag; das Lawinenrisiko war grösser, doch als ich einstieg, waren die Verhältnisse ideal.
«Es wäre machbar gewesen»
Kaum mit der Kletterei begonnen, schon vom Stein getroffen; war das ein Wink des Schicksals, dass Ihr Projekt zu gefährlich war?
Grundsätzlich kann man sich als Laie ohne alpine Kenntnisse und ohne am Ort selber gewesen zu sein, kein richtiges Urteil darüber bilden, ob eine Wand zu gefährlich ist oder nicht. Ich habe die Vorhaben sorgfältig vorbereitet. Es war nicht mein Ziel, den Schwierigkeitsgrad im Himalaja-Klettern allein durch Erhöhung des Risikos anzuheben. Es wäre meines Erachtens machbar gewesen, die Route an der Annapurna-Südwand als Erster zu vollenden, die die Franzosen Pierre Beguin und Christophe Lafaille 1992 ohne Erfolg versucht hatten. Ich habe im Gegensatz zu den Franzosen auch den Frühling für meine Expedition gewählt, weil dann das Lawinenrisiko kleiner ist als im Herbst.
Die Wand ist also nicht zu schwer, um sie allein zu klettern?
Wenn ich an einem Achttausender allein unterwegs bin, nehme ich nicht einfach so ein grösseres Risiko auf mich. Gefährlich wird Bergsteigen, wenn man am Limit ist, egal wo. Wer allein geht, verringert sogar das Risiko, weil er schneller unterwegs und damit weniger lang den objektiven Gefahren - Lawinen, Steinschlag - ausgesetzt ist. Mit zunehmender Erfahrung steigen zudem die Sicherheitsreserven. Die Eigernordwand bin ich erstmals im Dezember 2004 solo geklettert. Damals brauchte ich dafür 12 Stunden und hatte ein 60 Meter langes Seil dabei, um mich in schwierigen Passagen selber zu sichern, 10 Express und 4 Camelots. Bei meiner letzten Begehung im Februar, als ich den Geschwindigkeitsrekord auf 3 Stunden und 54 Minuten senkte, hatte ich nur ein 30 Meter langes Seil dabei, 5 Express und einen Camelot. Ich war aber sicherer unterwegs als bei der ersten Kletterei in diesem Gelände, trotz weniger Material. Ich hatte jederzeit die Reserven, wieder heil hinunterzukommen.
Objektive Gefahren, etwa ein Steinschlag, lassen sich aber nicht «wegtrainieren».
Nein, das gehört zum Bergsteigen. Aber dieses Risiko ist für alle gleich. Es ist sogar für eine Zweierseilschaft grösser, weil sie länger in der Wand und damit länger dem Risiko ausgesetzt ist. Wenn eine Passage gefährlich ist, sichere ich mich zudem selber.
Warum aber das Solo-Gehen? Sie könnten doch auch mit einem Partner klettern.
Ich glaube, jeder gute Bergsteiger hat in seinem Leben die Phase des Solo-Gehens. Es ist das Ausloten der eigenen Grenzen, das einen dabei reizt. Ich weiss: Das, was ich schaffe, habe ich ganz allein geschafft. Falls sich ein Projekt aber besser mit einem Partner realisieren lässt, gehe ich nicht allein. Es ist nur nicht so einfach, jemanden zu finden, der bereit ist, sich genau gleich bedingungslos einem Ziel zu verschreiben.
Alpinistische Meilensteine
Was hat Sie an der Annapurna-Südwand gereizt?
Wer heute im Bergsteigen weiterkommen und zur internationalen Spitze gehören will, der muss Dinge wagen, die noch nicht gemacht wurden. Das sind heute nun einmal Projekte an den grossen Himalaja-Wänden. Hier geht die Entwicklung ab, nicht an den tieferen Bergen. An den 6000ern, zum Beispiel den Trango-Towers in Pakistan, den höchsten Felsen der Welt, klettert man heute schon im zehnten Schwierigkeitsgrad. Wenn ich dort eine Erstbegehung klettere, ist dies kein alpinistischer Meilenstein mehr.
Was sind denn alpinistische Meilensteine?
Tonangebend im Alpinismus sind heute die Osteuropäer. Sie wagen Grenzen zu sprengen. Am Achttausender Broad Peak (8097 m) zum Beispiel eröffneten die Kasachen Denis Urubko und Sergei Samoiloff eine neue direkte Route durch die Südwand. Eindrücklich für mich war aber auch die neue 4100 Meter lange Route, die Steve House und Vince Anderson im Jahr 2005 in der Rupal-Wand am Nanga Parbat (8125 m) eröffnet haben und wofür sie mit dem Bergsteigerpreis «Piolet d'Or» ausgezeichnet wurden. Beide Expeditionen sind für mich Massstäbe, weil sie in «sauberem» Alpinstil zustande kamen, ohne Zuhilfenahme von Hilfsmitteln wie Fixseilen oder Bohrmaschinen und ohne dass etwas in der Wand zurückgelassen wurde. Das sind die heutigen Spitzenleistungen im Alpinismus. Das vergisst man in der Schweiz gerne. Hierzulande ist man schnell der Lokalheld, aber das reicht nicht.
Die Rupal-Route war technisch einfacher als das, was Sie an der Annapurna versuchten. Dafür werden Sie auch immer wieder kritisiert, dass Sie zu viel Risiko auf sich nehmen.
Ich möchte Grenzen sprengen und orientiere mich an der Weltelite. Um dort zu bestehen, braucht es eine Risikobereitschaft. Unsere Gesellschaft verurteilt Risikofreudigkeit, dessen bin ich mir bewusst. Man wird sofort als Spinner abgetan, als jemand, der leichtfertig sein Leben aufs Spiel setzt. Doch hätte es keine «Spinner» gegeben, die Gefährliches wagten, hätte es zum Beispiel auch die grossen Entdeckungen früherer Jahrhunderte nicht gegeben. Die damaligen Entdecker begaben sich in eine Risikozone, in der sie umkommen konnten. Ich will nicht behaupten, dass Bergsteigen der Gesellschaft gleichermassen neue Horizonte eröffnet, aber es wird hier auch eine derartige Risikobereitschaft vorausgesetzt. Doch alles, was eine gewisse Gefährlichkeitsstufe hat, wird von unserer Gesellschaft negativ bewertet. Das bekomme ich zu spüren. Zudem gibt es einen grossen Unterschied zwischen Risikobereitschaft und Leichtfertigkeit.
«Ich versuche das Risiko zu minimieren»
Das müssen Sie näher ausführen.
Ich tue alles, um das Risiko zu minimieren, und bereite mich schrittweise und seriös vor. Vor der Annapurna habe ich andere hohe Nordwände im Himalaja bestiegen, mich daran gewöhnt, mehrere Tage allein in einer schwierigen Wand zu verbringen, etwa als ich «The Young Spider», Route am Eiger, im Winter bei bis zu minus 25 Grad solo kletterte. Diese Route war technisch äusserst anspruchsvoll, und es hätte niemand vorher gedacht, dass man diese Route in einem Zug durchklettern kann. Der Eiger-Speedrekord im Februar zeigte mir schliesslich, dass ich körperlich und mental in Bestform für die Annapurna bin. Der Achttausender war für mich somit der logische nächste Entwicklungsschritt.
Sie haben eine Partnerin, Eltern, Geschwister. Nehmen Sie auf diese keine Rücksicht?
An der Annapurna wäre ich nicht eingestiegen, wenn ich es nicht für vertretbar erachtet hätte, gerade auch meiner Partnerin gegenüber. Ich wäre durchaus bereit gewesen, Nein zu sagen, wenn es zu gefährlich gewesen wäre - Erwartungsdruck von aussen hin oder her. Aber es waren optimale Bedingungen, das Wetter war nach meinem Absturz eine Woche lang schön. Im Übrigen bin ich auch schon umgekehrt. Im Jahr 2005 wollte ich nach dem Cholatse und Tawoche in einer Trilogie eine dritte grosse Wand meistern, die Ama Dablam (6814 m). Die Verhältnisse waren aber zu schlecht.
Wie verarbeiten Sie das erste grosse Scheitern Ihrer alpinistischen Karriere an der Annapurna?
Das Erlebte war eine grosse Enttäuschung. Doch wer auf hohem Niveau Sport treibt, muss lernen, Niederlagen zu akzeptieren. Ich habe für dieses Projekt viel Zeit und Geld investiert. Ich trainierte Ausdauer nach genauen Trainingsplänen meines Sponsors Suunto und brachte es auf einen Ruhepuls zwischen 36 und 38 Schlägen. Ich war möglicherweise in der Form meines Lebens - und es hat nicht geklappt. Wenn du allein unterwegs bist, kannst du die Enttäuschung mit niemandem teilen. Im Jahr 2003 am Jannu (7710 m) kam ich auch nicht auf den Gipfel. Damals waren aber noch andere Bergsteiger mit dabei, das war weniger schlimm.
Sie haben vor Ihrem Scheitern an der Annapurna- Südwand eine neue eindrückliche Solo-Begehung am Siebentausender Pumori geschafft.
Im Jahr 2001 habe ich diese Westwand-Route mit Ueli Bühler eröffnet, im Alpinstil. Damals war dies mein Limit, wir brauchten für die Besteigung 54 Stunden. Jetzt gehe ich diese Route zur Akklimatisation in 24 Stunden rauf und runter. Ich hatte einzig ein 50-Meter-Seil dabei, eine Eisschraube und einen Haken. Sichern musste ich keinen Meter, obwohl es Fels im vierten und fünften Schwierigkeitsgrad war. Dieser Siebentausender ist die höchste Solo-Tour, die ich bisher geschafft habe.
Sie sind offenbar sehr höhentauglich. Wären die 14 Achttausender für Sie ein Ziel?
Nein, ich bin kein Gipfelsammler. Das ist nichts für mich.
«Ich erlebte Angstzustände wie noch nie»
Ein Absturz ist ein einschneidendes Erlebnis. Beeinträchtigt es das Vertrauen in Ihre Fähigkeiten?
An der Annapurna-Südwand erlebte ich intensive Angstzustände wie noch nie. Ich hatte Angst, etwas gebrochen zu haben. Angst, in eine Gletscherspalte zu fallen; ich hatte keine Orientierung mehr, weil der Nebel so dicht war. In meinen Kursen sage ich Managern immer, sie sollen sich in Drucksituationen aufs Wesentliche konzentrieren. Nicht alle Probleme auf einmal angehen, das überfordert. Dieses Rezept musste ich nun selber anwenden. Als ich es schaffte, mich auf ein Problem, die Überwindung der ersten grossen Gletscherspalte, zu konzentrieren, ging es mit jedem Schritt besser. Dass ich an den Sturz selber keine Erinnerung mehr habe, stört mich nicht. Im Gegenteil, ich bin froh darüber, dass ich nicht alles weiss. Ich weiss nicht, ob ich von nun an stärker Angst haben werde. Das wird man sehen. In nächster Zeit werde ich ohnehin vor allem Fels klettern und dort ein neues Erfolgserlebnis anstreben.
Vom Verkäufer zum Profibergsteiger
she./jam. Ueli Steck wurde 1976 im Emmental geboren und bildete sich in der Folge zum Zimmermann und Sportartikelverkäufer aus. Er war in Jugendjahren ein talentierter Eishockeyspieler, später auch Mitglied des Junioren-Nationalteams Klettern. Das britische Magazin «Climb» kürte Steck zum besten Bergsteiger Europas, zudem war er im Jahr 2005 für den renommierten Bergsteigerpreis «Piolet d'Or» nominiert. Der Berner, der zu den weltbesten Alpinisten gehört, ist bekannt für seine anspruchsvollen Solo-Touren im Fels und in kombiniertem Gelände.
Sein jüngstes Vorhaben führte Ueli Steck zusammen mit dem Fotografen und Bergführer Robert Bösch nach Nepal, wo er einmal mehr vorhatte, die alpinistischen Grenzen auszuloten. Akribisch und während Monaten bereitete der Berner das anspruchsvolle Vorhaben vor, unter anderem mit Eisfallklettern in Pontresina (vgl. Bild). Robert Bösch, der das Projekt fotografisch festhielt, begleitete Steck bis zum Einstieg in die Annapurna-Südwand, die dieser im Alpinstil - ohne künstlichen Sauerstoff - bezwingen wollte.
Kurz nach dem Einstieg in wenig steilem Firngelände wurde der 31-Jährige von einem herunterfallenden Stein mit voller Wucht am Kopf getroffen und verlor für kurze Zeit das Bewusstsein. Zuvor hatte noch kaum je ein Alpinist eine so anspruchsvolle, kombinierte Himalaja-Wand mit schwieriger Felskletterei auf einer Höhe von über 7000 m und auf einer neuen Route versucht. Es wäre eine der wenigen heute noch möglichen alpinistischen Pionierleistungen an Achttausendern gewesen.
Quelle: http://www.nzz.ch/2007/06/21/to/articleF9Y1V.html
und
und http://www.uelisteck.ch/
«Unsere Gesellschaft verurteilt Risikobereitschaft»
Der Spitzenalpinist Ueli Steck nach dem Absturz an der Annapurna-Südwand über Meilensteine, Scheitern und Angstzustände
Ueli Steck gehört zu den weltbesten Alpinisten. Im Frühjahr schaffte er die erste Alleinbegehung der Pumori-Westwand in Nepal. Kurz darauf stürzte er am Achttausender Annapurna (8091 m) ab, als er als erster Alpinist die Südwand allein und ohne Sauerstoff bezwingen wollte. Im Gespräch mit Jacqueline Schwerzmann äussert sich der Berner zur Risikobereitschaft und zu den Angstzuständen, die er nach seinem Absturz erlebte.
Herr Steck, Sie sind bekannt für Ihre Risikobereitschaft. War diese an der Annapurna-Südwand einfach zu gross?
Ueli Steck: Nein. Mein Absturz war Pech. So etwas kann einem auch in den Alpen passieren. Ich hatte die Wand wochenlang beobachtet und war im unteren Teil sogar geklettert. Es gab nie Steinschlag; das Lawinenrisiko war grösser, doch als ich einstieg, waren die Verhältnisse ideal.
«Es wäre machbar gewesen»
Kaum mit der Kletterei begonnen, schon vom Stein getroffen; war das ein Wink des Schicksals, dass Ihr Projekt zu gefährlich war?
Grundsätzlich kann man sich als Laie ohne alpine Kenntnisse und ohne am Ort selber gewesen zu sein, kein richtiges Urteil darüber bilden, ob eine Wand zu gefährlich ist oder nicht. Ich habe die Vorhaben sorgfältig vorbereitet. Es war nicht mein Ziel, den Schwierigkeitsgrad im Himalaja-Klettern allein durch Erhöhung des Risikos anzuheben. Es wäre meines Erachtens machbar gewesen, die Route an der Annapurna-Südwand als Erster zu vollenden, die die Franzosen Pierre Beguin und Christophe Lafaille 1992 ohne Erfolg versucht hatten. Ich habe im Gegensatz zu den Franzosen auch den Frühling für meine Expedition gewählt, weil dann das Lawinenrisiko kleiner ist als im Herbst.
Die Wand ist also nicht zu schwer, um sie allein zu klettern?
Wenn ich an einem Achttausender allein unterwegs bin, nehme ich nicht einfach so ein grösseres Risiko auf mich. Gefährlich wird Bergsteigen, wenn man am Limit ist, egal wo. Wer allein geht, verringert sogar das Risiko, weil er schneller unterwegs und damit weniger lang den objektiven Gefahren - Lawinen, Steinschlag - ausgesetzt ist. Mit zunehmender Erfahrung steigen zudem die Sicherheitsreserven. Die Eigernordwand bin ich erstmals im Dezember 2004 solo geklettert. Damals brauchte ich dafür 12 Stunden und hatte ein 60 Meter langes Seil dabei, um mich in schwierigen Passagen selber zu sichern, 10 Express und 4 Camelots. Bei meiner letzten Begehung im Februar, als ich den Geschwindigkeitsrekord auf 3 Stunden und 54 Minuten senkte, hatte ich nur ein 30 Meter langes Seil dabei, 5 Express und einen Camelot. Ich war aber sicherer unterwegs als bei der ersten Kletterei in diesem Gelände, trotz weniger Material. Ich hatte jederzeit die Reserven, wieder heil hinunterzukommen.
Objektive Gefahren, etwa ein Steinschlag, lassen sich aber nicht «wegtrainieren».
Nein, das gehört zum Bergsteigen. Aber dieses Risiko ist für alle gleich. Es ist sogar für eine Zweierseilschaft grösser, weil sie länger in der Wand und damit länger dem Risiko ausgesetzt ist. Wenn eine Passage gefährlich ist, sichere ich mich zudem selber.
Warum aber das Solo-Gehen? Sie könnten doch auch mit einem Partner klettern.
Ich glaube, jeder gute Bergsteiger hat in seinem Leben die Phase des Solo-Gehens. Es ist das Ausloten der eigenen Grenzen, das einen dabei reizt. Ich weiss: Das, was ich schaffe, habe ich ganz allein geschafft. Falls sich ein Projekt aber besser mit einem Partner realisieren lässt, gehe ich nicht allein. Es ist nur nicht so einfach, jemanden zu finden, der bereit ist, sich genau gleich bedingungslos einem Ziel zu verschreiben.
Alpinistische Meilensteine
Was hat Sie an der Annapurna-Südwand gereizt?
Wer heute im Bergsteigen weiterkommen und zur internationalen Spitze gehören will, der muss Dinge wagen, die noch nicht gemacht wurden. Das sind heute nun einmal Projekte an den grossen Himalaja-Wänden. Hier geht die Entwicklung ab, nicht an den tieferen Bergen. An den 6000ern, zum Beispiel den Trango-Towers in Pakistan, den höchsten Felsen der Welt, klettert man heute schon im zehnten Schwierigkeitsgrad. Wenn ich dort eine Erstbegehung klettere, ist dies kein alpinistischer Meilenstein mehr.
Was sind denn alpinistische Meilensteine?
Tonangebend im Alpinismus sind heute die Osteuropäer. Sie wagen Grenzen zu sprengen. Am Achttausender Broad Peak (8097 m) zum Beispiel eröffneten die Kasachen Denis Urubko und Sergei Samoiloff eine neue direkte Route durch die Südwand. Eindrücklich für mich war aber auch die neue 4100 Meter lange Route, die Steve House und Vince Anderson im Jahr 2005 in der Rupal-Wand am Nanga Parbat (8125 m) eröffnet haben und wofür sie mit dem Bergsteigerpreis «Piolet d'Or» ausgezeichnet wurden. Beide Expeditionen sind für mich Massstäbe, weil sie in «sauberem» Alpinstil zustande kamen, ohne Zuhilfenahme von Hilfsmitteln wie Fixseilen oder Bohrmaschinen und ohne dass etwas in der Wand zurückgelassen wurde. Das sind die heutigen Spitzenleistungen im Alpinismus. Das vergisst man in der Schweiz gerne. Hierzulande ist man schnell der Lokalheld, aber das reicht nicht.
Die Rupal-Route war technisch einfacher als das, was Sie an der Annapurna versuchten. Dafür werden Sie auch immer wieder kritisiert, dass Sie zu viel Risiko auf sich nehmen.
Ich möchte Grenzen sprengen und orientiere mich an der Weltelite. Um dort zu bestehen, braucht es eine Risikobereitschaft. Unsere Gesellschaft verurteilt Risikofreudigkeit, dessen bin ich mir bewusst. Man wird sofort als Spinner abgetan, als jemand, der leichtfertig sein Leben aufs Spiel setzt. Doch hätte es keine «Spinner» gegeben, die Gefährliches wagten, hätte es zum Beispiel auch die grossen Entdeckungen früherer Jahrhunderte nicht gegeben. Die damaligen Entdecker begaben sich in eine Risikozone, in der sie umkommen konnten. Ich will nicht behaupten, dass Bergsteigen der Gesellschaft gleichermassen neue Horizonte eröffnet, aber es wird hier auch eine derartige Risikobereitschaft vorausgesetzt. Doch alles, was eine gewisse Gefährlichkeitsstufe hat, wird von unserer Gesellschaft negativ bewertet. Das bekomme ich zu spüren. Zudem gibt es einen grossen Unterschied zwischen Risikobereitschaft und Leichtfertigkeit.
«Ich versuche das Risiko zu minimieren»
Das müssen Sie näher ausführen.
Ich tue alles, um das Risiko zu minimieren, und bereite mich schrittweise und seriös vor. Vor der Annapurna habe ich andere hohe Nordwände im Himalaja bestiegen, mich daran gewöhnt, mehrere Tage allein in einer schwierigen Wand zu verbringen, etwa als ich «The Young Spider», Route am Eiger, im Winter bei bis zu minus 25 Grad solo kletterte. Diese Route war technisch äusserst anspruchsvoll, und es hätte niemand vorher gedacht, dass man diese Route in einem Zug durchklettern kann. Der Eiger-Speedrekord im Februar zeigte mir schliesslich, dass ich körperlich und mental in Bestform für die Annapurna bin. Der Achttausender war für mich somit der logische nächste Entwicklungsschritt.
Sie haben eine Partnerin, Eltern, Geschwister. Nehmen Sie auf diese keine Rücksicht?
An der Annapurna wäre ich nicht eingestiegen, wenn ich es nicht für vertretbar erachtet hätte, gerade auch meiner Partnerin gegenüber. Ich wäre durchaus bereit gewesen, Nein zu sagen, wenn es zu gefährlich gewesen wäre - Erwartungsdruck von aussen hin oder her. Aber es waren optimale Bedingungen, das Wetter war nach meinem Absturz eine Woche lang schön. Im Übrigen bin ich auch schon umgekehrt. Im Jahr 2005 wollte ich nach dem Cholatse und Tawoche in einer Trilogie eine dritte grosse Wand meistern, die Ama Dablam (6814 m). Die Verhältnisse waren aber zu schlecht.
Wie verarbeiten Sie das erste grosse Scheitern Ihrer alpinistischen Karriere an der Annapurna?
Das Erlebte war eine grosse Enttäuschung. Doch wer auf hohem Niveau Sport treibt, muss lernen, Niederlagen zu akzeptieren. Ich habe für dieses Projekt viel Zeit und Geld investiert. Ich trainierte Ausdauer nach genauen Trainingsplänen meines Sponsors Suunto und brachte es auf einen Ruhepuls zwischen 36 und 38 Schlägen. Ich war möglicherweise in der Form meines Lebens - und es hat nicht geklappt. Wenn du allein unterwegs bist, kannst du die Enttäuschung mit niemandem teilen. Im Jahr 2003 am Jannu (7710 m) kam ich auch nicht auf den Gipfel. Damals waren aber noch andere Bergsteiger mit dabei, das war weniger schlimm.
Sie haben vor Ihrem Scheitern an der Annapurna- Südwand eine neue eindrückliche Solo-Begehung am Siebentausender Pumori geschafft.
Im Jahr 2001 habe ich diese Westwand-Route mit Ueli Bühler eröffnet, im Alpinstil. Damals war dies mein Limit, wir brauchten für die Besteigung 54 Stunden. Jetzt gehe ich diese Route zur Akklimatisation in 24 Stunden rauf und runter. Ich hatte einzig ein 50-Meter-Seil dabei, eine Eisschraube und einen Haken. Sichern musste ich keinen Meter, obwohl es Fels im vierten und fünften Schwierigkeitsgrad war. Dieser Siebentausender ist die höchste Solo-Tour, die ich bisher geschafft habe.
Sie sind offenbar sehr höhentauglich. Wären die 14 Achttausender für Sie ein Ziel?
Nein, ich bin kein Gipfelsammler. Das ist nichts für mich.
«Ich erlebte Angstzustände wie noch nie»
Ein Absturz ist ein einschneidendes Erlebnis. Beeinträchtigt es das Vertrauen in Ihre Fähigkeiten?
An der Annapurna-Südwand erlebte ich intensive Angstzustände wie noch nie. Ich hatte Angst, etwas gebrochen zu haben. Angst, in eine Gletscherspalte zu fallen; ich hatte keine Orientierung mehr, weil der Nebel so dicht war. In meinen Kursen sage ich Managern immer, sie sollen sich in Drucksituationen aufs Wesentliche konzentrieren. Nicht alle Probleme auf einmal angehen, das überfordert. Dieses Rezept musste ich nun selber anwenden. Als ich es schaffte, mich auf ein Problem, die Überwindung der ersten grossen Gletscherspalte, zu konzentrieren, ging es mit jedem Schritt besser. Dass ich an den Sturz selber keine Erinnerung mehr habe, stört mich nicht. Im Gegenteil, ich bin froh darüber, dass ich nicht alles weiss. Ich weiss nicht, ob ich von nun an stärker Angst haben werde. Das wird man sehen. In nächster Zeit werde ich ohnehin vor allem Fels klettern und dort ein neues Erfolgserlebnis anstreben.
Vom Verkäufer zum Profibergsteiger
she./jam. Ueli Steck wurde 1976 im Emmental geboren und bildete sich in der Folge zum Zimmermann und Sportartikelverkäufer aus. Er war in Jugendjahren ein talentierter Eishockeyspieler, später auch Mitglied des Junioren-Nationalteams Klettern. Das britische Magazin «Climb» kürte Steck zum besten Bergsteiger Europas, zudem war er im Jahr 2005 für den renommierten Bergsteigerpreis «Piolet d'Or» nominiert. Der Berner, der zu den weltbesten Alpinisten gehört, ist bekannt für seine anspruchsvollen Solo-Touren im Fels und in kombiniertem Gelände.
Sein jüngstes Vorhaben führte Ueli Steck zusammen mit dem Fotografen und Bergführer Robert Bösch nach Nepal, wo er einmal mehr vorhatte, die alpinistischen Grenzen auszuloten. Akribisch und während Monaten bereitete der Berner das anspruchsvolle Vorhaben vor, unter anderem mit Eisfallklettern in Pontresina (vgl. Bild). Robert Bösch, der das Projekt fotografisch festhielt, begleitete Steck bis zum Einstieg in die Annapurna-Südwand, die dieser im Alpinstil - ohne künstlichen Sauerstoff - bezwingen wollte.
Kurz nach dem Einstieg in wenig steilem Firngelände wurde der 31-Jährige von einem herunterfallenden Stein mit voller Wucht am Kopf getroffen und verlor für kurze Zeit das Bewusstsein. Zuvor hatte noch kaum je ein Alpinist eine so anspruchsvolle, kombinierte Himalaja-Wand mit schwieriger Felskletterei auf einer Höhe von über 7000 m und auf einer neuen Route versucht. Es wäre eine der wenigen heute noch möglichen alpinistischen Pionierleistungen an Achttausendern gewesen.
Quelle: http://www.nzz.ch/2007/06/21/to/articleF9Y1V.html
und
und http://www.uelisteck.ch/
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