Guten Morgen,
Ich war am Samstag bei einem Vortrag:
Wenn das Handicap kein Hindernis ist. Nich Behinderte und Behinderte klettern gemeinsam. Dabei war eine Blinde Frau-eine Kletterin.
Klettern im Dunkeln – Judith Faltl im Porträt
Ohne gegenseitiges Vertrauen ist das Erklimmen einer steilen Wand in einer Seilschaft nicht möglich. Jeder Kletterer muss sich beim Aufstieg darauf verlassen, dass sein Partner ihn sichert – und ihn hält, falls er fällt. Am Klettern mag Judith Faltl gerade dieses Vertrauen.
Schon als Kind hatte Judith Faltl ein besonderes Verhältnis zu den Bergen. "Mit meinen Eltern sind wir immer von Nürnberg in die Alpen gefahren", berichtet die 34-Jährige, die heute als Software-Entwicklerin in München arbeitet. Damals bekam das Mädchen aus dem Flachland gar nicht genug davon, die warmen Felsen zu ertasten, ihre Struktur zu fühlen – an manchen Stellen rau und rissig, an anderen glatt und samtig-warm wie ein Kindergesicht. Wandern stand auf dem Ferienprogramm, die Gipfel auf direktem Weg zu erklimmen – darauf kam Judith Faltl gar nicht. Das lag ja auch nicht unbedingt nahe, denn sie sah fast nichts und erblindete vor 13 Jahren vollständig.
Erst vor acht Jahren wurde Judith Faltl vom "Klettervirus" infiziert. Die junge Frau war neu in München und wurde auf einen Schnuppertag des Vereins IG Klettern aufmerksam, mit dem viel versprechenden Motto: "Klettern im Dunkeln". Der Probetag für Sehende und Nicht-Sehende machte ihr so viel Spaß, dass sie seither zwei Mal die Woche an der Kletterwand trainiert. Jedes Wochenende geht es in die Berge. "Ich weiß nicht, ob ich noch ohne Klettern leben könnte, aber schwer würde es mir schon fallen", sagt Judith und lacht.
Was sie am Klettern reizt? "Die Bewegung in der Natur, das Sporttreiben im Team", sagt sie spontan. Aber gehört denn nicht noch mehr dazu? Ist es nicht ein besonderer Nervenkitzel, einen Berg zu erklimmen, während der Abgrund unter einem klafft? "Ich klettere nicht, weil ich die Gefahr suche", sagt die Bergsteigerin. Beim Klettern sei sie sehr auf Sicherheit bedacht. "Natürlich bin ich schon mal drei, vier Meter ins Seil gestürzt, aber ich habe mich nie verletzt." Mulmig sei ihr schon manchmal, gibt sie freimütig zu: "Ich sehe zwar nichts, aber durch die Stimmen der Kletterpartner unten höre ich schon, in welcher Höhe ich mich befinde."
Mehr Kraft notwendig
Im Training an der Kletterwand ist es gar kein Problem, dass Judith nichts sieht. "Ich ziehe den freien Arm oder das freie Bein im Halbkreis über die Wand und merke mir so alle Griffe und Tritte, die da sind." In der Natur gestaltet sich die Sache etwas schwieriger, weil dort die Griffe versteckter sind. So muss sie sich in der Wand die nächste Felsspalte ertasten, was etwas länger dauert und entsprechend mehr Kraft kostet. Ihr Kletterpartner Holger Ingerfeld hilft dann durch Zurufe.
"Mir hat Judith ganz neue Perspektiven aufs Klettern eröffnet", sagt Holger Ingerfeld. "Sie erlebt die Natur viel intensiver, durchs Hören, Riechen und Tasten. Ihre Sinne sind geschärft." Wenn das Kletterteam nach einem anstrengenden Aufstieg oben auf einem Felsen sitzt, lässt Judith sich manchmal von Holger die Aussicht beschreiben. Doch viel wichtiger als die Aussicht ist die Innensicht: In Gedanken geht Judith den Weg noch einmal – mit all den Anstrengungen und Glücksmomenten. Enttäuscht ist sie zuweilen, wenn es auf dem Gipfel zu laut ist. "Mir fällt zum Beispiel Autolärm auf, den Sehende gar nicht wahrnehmen, etwa von einer Autobahn im Tal. Mich stört dieser Lärm total", erzählt Judith.
Ihre höchsten Berge waren bisher der "Weissmies" und das "allalinhorn" (in den Walliser Alpen, Schweiz) – beide sind über 4000 Meter hoch. Judith kann sich vorstellen, dass es noch höher hinausgeht, auf 5000, 6000 Meter. Gerne würde sie einmal außerhalb von Europa klettern, vielleicht in Argentinien. Doch der Mount Everest, den der Amerikaner Erik Weihenmayer im Mai 2001 als erster blinder Mensch erklommen hat, ist kein Fernziel oder Lebenstraum. "Auf so einen Aufstieg müsste ich mich ja zwei, drei Jahre vorbereiten, mir Sponsoren suchen und vorübergehend aus dem Beruf aussteigen." Außerdem komme es ihr nicht darauf an, Gipfel zu sammeln wie ein Jäger Trophäen. "Viel wichtiger ist das Gemeinschaftserlebnis. Ich genieße es, wenn Menschen beim Klettern dabei sind, die mir etwas bedeuten."
Überzeugung und Leidenschaft
Holger Ingerfeld möchte nach drei Jahren des gemeinsamen Kletterns seine Partnerin Judith Faltl nicht mehr missen. "Ich lasse mich lieber von ihr sichern als von so manchem Sehenden, weil sie viel konzentrierter ist", sagt er. Und: "Wir führen am Berg sehr intensive Gespräche, da geht es nicht nur ums Klettern." Ihm imponiert, mit welcher Überzeugung und Leidenschaft Judith an Dinge herangeht. Mittlerweile ist die schlanke Sportlerin mit den dunklen, langen Haaren sogar die erste blinde Klettertrainerin in Deutschland. Auch im Leben jenseits der Berge übernimmt sie Verantwortung und sucht die Herausforderung. Judith Faltl ist Landesvorsitzende des Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbundes.
"Ich setze mich gern für Menschen mit einer Behinderung ein, die sich selbst nicht so gut vertreten können", sagt sie. Im Moment regt sie besonders die Streichung des Blindengelds im Bundesland Niedersachsen auf. Dort wurde die Unterstützung, unter anderem für Fahrten zum Arbeitsplatz und Hilfe im Haushalt, bereits abgeschafft – der Staat muss sparen.
"Damit wird gehandicapten Menschen das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben geraubt", empört sich Judith. "Sie werden zu Bittstellern und Sozialhilfeempfängern gemacht. Und das ein Jahr nach dem Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderung! Wird dann morgen das Kindergeld gestrichen, werden übermorgen die Altenheime abgeschafft?" Kämpferisch ist Judith Faltl. In diesem Moment traut man ihr zu, jeden Gipfel zu erklimmen.
Unglaublich und faszinierend was Menschen leisten können, trotz ihrer Behinderung.
Liebe Grüße Wolfi
Ich war am Samstag bei einem Vortrag:
Wenn das Handicap kein Hindernis ist. Nich Behinderte und Behinderte klettern gemeinsam. Dabei war eine Blinde Frau-eine Kletterin.
Klettern im Dunkeln – Judith Faltl im Porträt
Ohne gegenseitiges Vertrauen ist das Erklimmen einer steilen Wand in einer Seilschaft nicht möglich. Jeder Kletterer muss sich beim Aufstieg darauf verlassen, dass sein Partner ihn sichert – und ihn hält, falls er fällt. Am Klettern mag Judith Faltl gerade dieses Vertrauen.
Schon als Kind hatte Judith Faltl ein besonderes Verhältnis zu den Bergen. "Mit meinen Eltern sind wir immer von Nürnberg in die Alpen gefahren", berichtet die 34-Jährige, die heute als Software-Entwicklerin in München arbeitet. Damals bekam das Mädchen aus dem Flachland gar nicht genug davon, die warmen Felsen zu ertasten, ihre Struktur zu fühlen – an manchen Stellen rau und rissig, an anderen glatt und samtig-warm wie ein Kindergesicht. Wandern stand auf dem Ferienprogramm, die Gipfel auf direktem Weg zu erklimmen – darauf kam Judith Faltl gar nicht. Das lag ja auch nicht unbedingt nahe, denn sie sah fast nichts und erblindete vor 13 Jahren vollständig.
Erst vor acht Jahren wurde Judith Faltl vom "Klettervirus" infiziert. Die junge Frau war neu in München und wurde auf einen Schnuppertag des Vereins IG Klettern aufmerksam, mit dem viel versprechenden Motto: "Klettern im Dunkeln". Der Probetag für Sehende und Nicht-Sehende machte ihr so viel Spaß, dass sie seither zwei Mal die Woche an der Kletterwand trainiert. Jedes Wochenende geht es in die Berge. "Ich weiß nicht, ob ich noch ohne Klettern leben könnte, aber schwer würde es mir schon fallen", sagt Judith und lacht.
Was sie am Klettern reizt? "Die Bewegung in der Natur, das Sporttreiben im Team", sagt sie spontan. Aber gehört denn nicht noch mehr dazu? Ist es nicht ein besonderer Nervenkitzel, einen Berg zu erklimmen, während der Abgrund unter einem klafft? "Ich klettere nicht, weil ich die Gefahr suche", sagt die Bergsteigerin. Beim Klettern sei sie sehr auf Sicherheit bedacht. "Natürlich bin ich schon mal drei, vier Meter ins Seil gestürzt, aber ich habe mich nie verletzt." Mulmig sei ihr schon manchmal, gibt sie freimütig zu: "Ich sehe zwar nichts, aber durch die Stimmen der Kletterpartner unten höre ich schon, in welcher Höhe ich mich befinde."
Mehr Kraft notwendig
Im Training an der Kletterwand ist es gar kein Problem, dass Judith nichts sieht. "Ich ziehe den freien Arm oder das freie Bein im Halbkreis über die Wand und merke mir so alle Griffe und Tritte, die da sind." In der Natur gestaltet sich die Sache etwas schwieriger, weil dort die Griffe versteckter sind. So muss sie sich in der Wand die nächste Felsspalte ertasten, was etwas länger dauert und entsprechend mehr Kraft kostet. Ihr Kletterpartner Holger Ingerfeld hilft dann durch Zurufe.
"Mir hat Judith ganz neue Perspektiven aufs Klettern eröffnet", sagt Holger Ingerfeld. "Sie erlebt die Natur viel intensiver, durchs Hören, Riechen und Tasten. Ihre Sinne sind geschärft." Wenn das Kletterteam nach einem anstrengenden Aufstieg oben auf einem Felsen sitzt, lässt Judith sich manchmal von Holger die Aussicht beschreiben. Doch viel wichtiger als die Aussicht ist die Innensicht: In Gedanken geht Judith den Weg noch einmal – mit all den Anstrengungen und Glücksmomenten. Enttäuscht ist sie zuweilen, wenn es auf dem Gipfel zu laut ist. "Mir fällt zum Beispiel Autolärm auf, den Sehende gar nicht wahrnehmen, etwa von einer Autobahn im Tal. Mich stört dieser Lärm total", erzählt Judith.
Ihre höchsten Berge waren bisher der "Weissmies" und das "allalinhorn" (in den Walliser Alpen, Schweiz) – beide sind über 4000 Meter hoch. Judith kann sich vorstellen, dass es noch höher hinausgeht, auf 5000, 6000 Meter. Gerne würde sie einmal außerhalb von Europa klettern, vielleicht in Argentinien. Doch der Mount Everest, den der Amerikaner Erik Weihenmayer im Mai 2001 als erster blinder Mensch erklommen hat, ist kein Fernziel oder Lebenstraum. "Auf so einen Aufstieg müsste ich mich ja zwei, drei Jahre vorbereiten, mir Sponsoren suchen und vorübergehend aus dem Beruf aussteigen." Außerdem komme es ihr nicht darauf an, Gipfel zu sammeln wie ein Jäger Trophäen. "Viel wichtiger ist das Gemeinschaftserlebnis. Ich genieße es, wenn Menschen beim Klettern dabei sind, die mir etwas bedeuten."
Überzeugung und Leidenschaft
Holger Ingerfeld möchte nach drei Jahren des gemeinsamen Kletterns seine Partnerin Judith Faltl nicht mehr missen. "Ich lasse mich lieber von ihr sichern als von so manchem Sehenden, weil sie viel konzentrierter ist", sagt er. Und: "Wir führen am Berg sehr intensive Gespräche, da geht es nicht nur ums Klettern." Ihm imponiert, mit welcher Überzeugung und Leidenschaft Judith an Dinge herangeht. Mittlerweile ist die schlanke Sportlerin mit den dunklen, langen Haaren sogar die erste blinde Klettertrainerin in Deutschland. Auch im Leben jenseits der Berge übernimmt sie Verantwortung und sucht die Herausforderung. Judith Faltl ist Landesvorsitzende des Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbundes.
"Ich setze mich gern für Menschen mit einer Behinderung ein, die sich selbst nicht so gut vertreten können", sagt sie. Im Moment regt sie besonders die Streichung des Blindengelds im Bundesland Niedersachsen auf. Dort wurde die Unterstützung, unter anderem für Fahrten zum Arbeitsplatz und Hilfe im Haushalt, bereits abgeschafft – der Staat muss sparen.
"Damit wird gehandicapten Menschen das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben geraubt", empört sich Judith. "Sie werden zu Bittstellern und Sozialhilfeempfängern gemacht. Und das ein Jahr nach dem Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderung! Wird dann morgen das Kindergeld gestrichen, werden übermorgen die Altenheime abgeschafft?" Kämpferisch ist Judith Faltl. In diesem Moment traut man ihr zu, jeden Gipfel zu erklimmen.
Unglaublich und faszinierend was Menschen leisten können, trotz ihrer Behinderung.
Liebe Grüße Wolfi
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