Touren auf Klettersteigen werden immer populärer. Doch viele Sportler wagen sich dabei an Schwierigkeitsgrade, die ihre Fähigkeiten übersteigen. Die Unfallzahl steigt - und Bergführer kritisieren eine enorme Leichtfertigkeit im Umgang mit tödlichen Risiken.
Da steht man nun. Angehängt am Drahtseil, die Füße auf einem Eisenstift. Und nichts geht mehr. Nicht vor, nicht zurück. Überholen ausgeschlossen. Stau am Fels. Die einen, ebenfalls am Drahtseil hängend, werden ungeduldig, die anderen nervös. So fühlt es sich also an, wenn man eine Trendsportart betreibt.
Klettersteiggeher brauchen Geduld. Hunderttausende suchen die Herausforderung in der senkrechten, mit Stahl, Draht und Eisen durchbohrten Wand. Darunter einige, die dort nicht hingehören. "Es ist dramatisch, was sich da abspielt", sagt der staatlich geprüfte Berg- und Skiführer Franz Schmaus. Sein Schatz an Beispielen ist groß. "Wo soll ich anfangen?", fragt er. Der 61-Jährige leitet interne Fortbildungskurse für Bergschulen und setzt sich seit langem mit dem Klettersteiggehen und dessen Entwicklung auseinander.
Diese Entwicklung ist eindeutig: Es werden immer mehr. Mehr Steige, mehr Menschen und mehr Unfälle. In der Unfallstatistik des Deutschen Alpenvereins (DAV) zum Jahr 2011 ist die Rede von "alarmierenden Zahlen". Demnach hat sich die Meldequote (in der Statistik werden nur Unfälle von Mitgliedern erfasst, die ins Verhältnis zur Mitgliederzahl gesetzt werden) seit 2006 verdoppelt, seit 2002 nahezu verdreifacht. In absoluten Zahlen heißt das: 2002 gab es 19 Fälle, bei denen Klettersteiggeher gerettet werden mussten, 2011 waren es 50. Auch wenn diese Daten weniger schockierend klingen mögen und der Anstieg angesichts der steigenden Beliebtheit logisch erscheint - der DAV ist alarmiert: "Es ist die Disziplin, die wir am sorgenvollsten betrachten", sagt Sprecher Thomas Bucher.
Plötzlich geht es weder vor noch zurück
Ein genauer Blick in die Statistik beunruhigt. Bei der Mehrheit der Notfälle handelt es sich um "Blockierungen": Klettersteiggeher geraten in Panik, kommen nicht mehr weiter. Die Bergrettung muss eingreifen. Zeichen von Überforderung? "Ganz klar", betont Bucher. Laut Statistik zeigen derartige Notsituationen: "Klettersteiggeher sind den Gesamtanforderungen des angestrebten Klettersteigs zunehmend nicht gewachsen."
Auffällig dabei: Nicht Anfänger kommen am häufigsten in die Situation der Blockierung, sondern solche mit 10 bis 30 Touren. "Am Anfang geht noch jeder mit Respekt an die Sache heran", vermutet Bucher. Den scheinen sie schnell zu verlieren.
Einsteiger beginnen also mit einem Steig der niedrigsten Schwierigkeitsstufe A. Das klappt, sie fühlen sich unterfordert und wählen einen deutlich schwierigeren, einen zu schwierigen Steig. "Wenn man nicht einen Schritt nach dem anderen macht, gibt es Probleme", sagt Bucher. Wie überall. "Nur bei Klettersteigen denken die Leute: Da ist ja immer ein Drahtseil da - was soll passieren?" Doch das Seil fehlt unter Umständen an manchen Passagen. Oder man muss daran eine ausgesetzte Stelle überwinden. Oder die Kraft lässt nach. Und schon bricht Panik aus.
Um zu verhindern, dass sich Outdoor-Fans an zu schwierige Routen wagen, werden Klettersteigbauer - laut Bucher in erster Linie Tourismusverbände, die professionelle Firmen beauftragen - angehalten, zu Beginn eine Referenzstelle mit höchster Schwierigkeit einzurichten. "Eine gute Entwicklung", findet Bergführer Schmaus. Doch es reicht nicht.
Klettersteigset als Stoßdämpfer
Zum einen, weil viele Steige - allein im Rother Klettersteigatlas Alpen 2012 sind über 900 aufgeführt - diese Referenzstelle eben nicht aufweisen. Zum anderen, "weil viele Leute trotzdem weitergehen".
Für den 61-Jährigen ist die Ursache für Selbstüberschätzung schnell gefunden. Sie liegt im Klettersteig selbst: "Die größte Gefahr ist die vorgetäuschte Sicherheit." Dabei ist die Verletzungsgefahr bei einem Sturz enorm: Meist "schlägt man x-mal auf und kann an Eisenhaken hängenbleiben". Hinzu kommen die enormen Kräfte, die bei einem Sturz wirken: mehrere tausend Newton bei einer Fallhöhe von nur einem Meter. Ein zertifiziertes Klettersteigset wirkt hier wie ein Stoßdämpfer und federt den Sturz ab. Damit können irreparable Schäden an der Wirbelsäule vermieden werden.
Doch viele Neulinge (leider auch Fortgeschrittene) kennen die Wirkung eines Sets nicht einmal. Nicht anders ist zu erklären, dass sich einige allein durch Bandschlingen sichern. Einen Sturz aus zwei Metern würden sie damit wahrscheinlich nicht überleben. "Den Leuten ist nicht klar, wie gefährlich es ist", sagt Schmaus.
Ein großes Problem sieht er auch im Klettersteiggehen mit Kindern. Passende Sicherungssets sind noch in der Entwicklung, bei bestehenden löst der Fallstoßdämpfer nicht im richtigen Moment aus. Kinder müssen also zusätzlich gesichert werden. "Richtig gesichert werden", wiederholt Schmaus. Es gibt nur eine Lösung: Klettersteiggeher müssen begreifen, wie wichtig eine Einweisung im Vorfeld ist. Bergschulen bieten Kurse an, speziell für Eltern. Dort lernt man unter anderem das richtige Einhängen - schon daran scheitert es manchmal, sagt Schmaus. "Falsches und unzweckmäßiges Handling" seien oft der Grund für Staus.
In einem Fall von "Nichts geht mehr" heißt es Ruhe bewahren. Und das Hirn einschalten. Bucher appelliert an gegenseitige Rücksichtnahme und Kommunikation. "Man muss sich absprechen. Es gibt in den Bergen keine Regeln wie rechts vor links oder alt vor jung."
Quelle + Fotos
Dieser Text stammt aus der Zeitschrift "Alpin", Ausgabe 10/2012
Da steht man nun. Angehängt am Drahtseil, die Füße auf einem Eisenstift. Und nichts geht mehr. Nicht vor, nicht zurück. Überholen ausgeschlossen. Stau am Fels. Die einen, ebenfalls am Drahtseil hängend, werden ungeduldig, die anderen nervös. So fühlt es sich also an, wenn man eine Trendsportart betreibt.
Klettersteiggeher brauchen Geduld. Hunderttausende suchen die Herausforderung in der senkrechten, mit Stahl, Draht und Eisen durchbohrten Wand. Darunter einige, die dort nicht hingehören. "Es ist dramatisch, was sich da abspielt", sagt der staatlich geprüfte Berg- und Skiführer Franz Schmaus. Sein Schatz an Beispielen ist groß. "Wo soll ich anfangen?", fragt er. Der 61-Jährige leitet interne Fortbildungskurse für Bergschulen und setzt sich seit langem mit dem Klettersteiggehen und dessen Entwicklung auseinander.
Diese Entwicklung ist eindeutig: Es werden immer mehr. Mehr Steige, mehr Menschen und mehr Unfälle. In der Unfallstatistik des Deutschen Alpenvereins (DAV) zum Jahr 2011 ist die Rede von "alarmierenden Zahlen". Demnach hat sich die Meldequote (in der Statistik werden nur Unfälle von Mitgliedern erfasst, die ins Verhältnis zur Mitgliederzahl gesetzt werden) seit 2006 verdoppelt, seit 2002 nahezu verdreifacht. In absoluten Zahlen heißt das: 2002 gab es 19 Fälle, bei denen Klettersteiggeher gerettet werden mussten, 2011 waren es 50. Auch wenn diese Daten weniger schockierend klingen mögen und der Anstieg angesichts der steigenden Beliebtheit logisch erscheint - der DAV ist alarmiert: "Es ist die Disziplin, die wir am sorgenvollsten betrachten", sagt Sprecher Thomas Bucher.
Plötzlich geht es weder vor noch zurück
Ein genauer Blick in die Statistik beunruhigt. Bei der Mehrheit der Notfälle handelt es sich um "Blockierungen": Klettersteiggeher geraten in Panik, kommen nicht mehr weiter. Die Bergrettung muss eingreifen. Zeichen von Überforderung? "Ganz klar", betont Bucher. Laut Statistik zeigen derartige Notsituationen: "Klettersteiggeher sind den Gesamtanforderungen des angestrebten Klettersteigs zunehmend nicht gewachsen."
Auffällig dabei: Nicht Anfänger kommen am häufigsten in die Situation der Blockierung, sondern solche mit 10 bis 30 Touren. "Am Anfang geht noch jeder mit Respekt an die Sache heran", vermutet Bucher. Den scheinen sie schnell zu verlieren.
Einsteiger beginnen also mit einem Steig der niedrigsten Schwierigkeitsstufe A. Das klappt, sie fühlen sich unterfordert und wählen einen deutlich schwierigeren, einen zu schwierigen Steig. "Wenn man nicht einen Schritt nach dem anderen macht, gibt es Probleme", sagt Bucher. Wie überall. "Nur bei Klettersteigen denken die Leute: Da ist ja immer ein Drahtseil da - was soll passieren?" Doch das Seil fehlt unter Umständen an manchen Passagen. Oder man muss daran eine ausgesetzte Stelle überwinden. Oder die Kraft lässt nach. Und schon bricht Panik aus.
Um zu verhindern, dass sich Outdoor-Fans an zu schwierige Routen wagen, werden Klettersteigbauer - laut Bucher in erster Linie Tourismusverbände, die professionelle Firmen beauftragen - angehalten, zu Beginn eine Referenzstelle mit höchster Schwierigkeit einzurichten. "Eine gute Entwicklung", findet Bergführer Schmaus. Doch es reicht nicht.
Klettersteigset als Stoßdämpfer
Zum einen, weil viele Steige - allein im Rother Klettersteigatlas Alpen 2012 sind über 900 aufgeführt - diese Referenzstelle eben nicht aufweisen. Zum anderen, "weil viele Leute trotzdem weitergehen".
Für den 61-Jährigen ist die Ursache für Selbstüberschätzung schnell gefunden. Sie liegt im Klettersteig selbst: "Die größte Gefahr ist die vorgetäuschte Sicherheit." Dabei ist die Verletzungsgefahr bei einem Sturz enorm: Meist "schlägt man x-mal auf und kann an Eisenhaken hängenbleiben". Hinzu kommen die enormen Kräfte, die bei einem Sturz wirken: mehrere tausend Newton bei einer Fallhöhe von nur einem Meter. Ein zertifiziertes Klettersteigset wirkt hier wie ein Stoßdämpfer und federt den Sturz ab. Damit können irreparable Schäden an der Wirbelsäule vermieden werden.
Doch viele Neulinge (leider auch Fortgeschrittene) kennen die Wirkung eines Sets nicht einmal. Nicht anders ist zu erklären, dass sich einige allein durch Bandschlingen sichern. Einen Sturz aus zwei Metern würden sie damit wahrscheinlich nicht überleben. "Den Leuten ist nicht klar, wie gefährlich es ist", sagt Schmaus.
Ein großes Problem sieht er auch im Klettersteiggehen mit Kindern. Passende Sicherungssets sind noch in der Entwicklung, bei bestehenden löst der Fallstoßdämpfer nicht im richtigen Moment aus. Kinder müssen also zusätzlich gesichert werden. "Richtig gesichert werden", wiederholt Schmaus. Es gibt nur eine Lösung: Klettersteiggeher müssen begreifen, wie wichtig eine Einweisung im Vorfeld ist. Bergschulen bieten Kurse an, speziell für Eltern. Dort lernt man unter anderem das richtige Einhängen - schon daran scheitert es manchmal, sagt Schmaus. "Falsches und unzweckmäßiges Handling" seien oft der Grund für Staus.
In einem Fall von "Nichts geht mehr" heißt es Ruhe bewahren. Und das Hirn einschalten. Bucher appelliert an gegenseitige Rücksichtnahme und Kommunikation. "Man muss sich absprechen. Es gibt in den Bergen keine Regeln wie rechts vor links oder alt vor jung."
Quelle + Fotos
Dieser Text stammt aus der Zeitschrift "Alpin", Ausgabe 10/2012
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