Reinhold Messner in der NZZ zum Matterhorn Jubiläum.
"Reinhold Messner im Gespräch
«Das Matterhorn hat den Alpinismus verändert»
Auch Reinhold Messner beschäftigt das Unglück am Matterhorn vor 150 Jahren. Die Bergsteigerlegende aus Südtirol schlägt sich im NZZ-Interview auf die Seite der Bergführer.
Herr Messner, wäre das Matterhorn ohne die Katastrophe von damals überhaupt so berühmt, wie es heute ist?
Ich denke schon, ja. Der Unfall hat zwar grosse Aufmerksamkeit erregt, aber schon allein die Form und die Lage des Berges sind so besonders – einzigartig in den Alpen. Das Unglück am Matterhorn hatte aber eine entscheidende Wirkung. Es hat den Alpinismus verändert.
Was hat sich verändert?
Bergsteigen war bis 1865 eine romantische, idealistische, wissenschaftlich motivierte Angelegenheit. Auf Berge klettern hatte etwas Geheimnisvolles an sich, das mit dem Absturz am Matterhorn zu einem gewissen Grad verloren ging. Die Komponente der unmittelbaren Gefahr kam hinzu. Mit dem Absturz Hudsons, Lord Douglas', Crozs und Hadows stand das Bergsteigen plötzlich in der Kritik. Die Öffentlichkeit diskutierte darüber, wie gefährlich Bergsteigen sei, ob man es verbieten, dem Treiben einen Riegel vorschieben sollte. Die Erstbesteigung des Matterhorns war aber in vielerlei Hinsicht auch eine Schlüsselbesteigung.
Inwiefern?
Vor dem Matterhorn «eroberten» Bergsteiger die Schweizer Alpengipfel. Am Matterhorn trafen sie zum ersten Mal auf echte technische Schwierigkeiten; deshalb spreche ich hier vom Übergang zum Schwierigkeitsalpinismus. Als dann alle Gipfel in den Alpen bestiegen waren, kam das Klettern in den Wänden dran; es folgten immer schwierigere Routen an Graten und in Wänden, dann Winterbegehungen. Das Prinzip setzt sich von Generation zu Generation fort. Jede Bergsteigergeneration sucht neue Herausforderungen, lotet neue Grenzen aus. Bis heute.
Fand bei der Erstbesteigung des Matterhorns nicht zum ersten Mal auch eine Art Wettbewerb am Berg statt?
Den Wettlauf auf die Gipfel gab es schon vorher. Aber 1865 konkurrierten erstmals Nationen darum. Auf der einen Seite wollten die Engländer vom Alpine Club auf den Berg, auf der anderen Seite sehnten sich Schweizer, Franzosen und auch die Italiener danach, die Erstbesteigung der «Gran Becca» – so nennen die Italiener den Berg – zu verbuchen.
Sie haben sich mit dem Vorfall am 14. Juli 1865 eingehend beschäftigt. Warum kam es aus Ihrer Sicht zur Katastrophe am Matterhorn?
Das kann man so in einem Satz nicht sagen. Viele Komponenten haben das Unglück ausgelöst.
War die falsche Seilnutzung ein wichtiger Faktor?
Meiner Meinung nach, ja. Sieben Leute an einem Seil, das sind zu viele. Zwei Bergsteiger in einer Seilschaft, maximal drei, sollten gemeinsam einen Berg ersteigen.
Wurde das Seil abgeschnitten, oder ist es gerissen?
Der Seilschnitt ist Quatsch. Diese Theorie war ganz klar die Erfindung eines österreichischen Journalisten von der «Neuen Freien Presse». Er wollte möglichst viel Aufmerksamkeit erregen und eine «gute» Geschichte verkaufen. So wie ich das sehe, muss das Seil gerissen sein. Der Skandal aber ist, dass Edward Whymper Peter Taugwalder später vorwarf, mit Absicht das dünnere Seil zwischen sich und den andern zum Sichern verwendet zu haben. Der Vorwurf der Vorsätzlichkeit traf den Zermatter Peter Taugwalder hart und ruinierte seine Karriere und sein Leben.
Das heisst Edward Whymper verhielt sich Ihrer Meinung nach nicht korrekt?
Nicht nur das, er hatte keinen Respekt vor den Bergführern. Kein einziges Mal hat er Taugwalder dafür gedankt, dass ihm dieser das Leben gerettet hatte, indem er im Moment des Sturzes das Seil um einen Felsen schlang und den Stand behielt. Whymper hat es vor allem auch verstanden, die Ereignisse so zu formulieren und sich der Presse so mitzuteilen, dass die Ereignisse zu seinem Vorteil ausgelegt wurden. Whymper war ein guter Journalist und ein genialer Geschichtenerzähler. Zermatt hat die Geschichte Whympers gern aufgenommen, da die Engländer für den lokalen Tourismus sehr wichtig waren. Das sollte man nicht verschweigen.
Heute ist das Matterhorn nicht nur ein beliebtes Ziel von Bergsteigern, es ist einer der meistbestiegenen Berge der Welt. Sie kritisieren oft, dass die Alpen zu einfach zugänglich geworden sind, durch Wege, Hütten und Fixseile und somit nicht nur Alpinisten, sondern auch Touristen auf hohe Berge steigen können. Wie sehen Sie die Situation am Matterhorn?
Auf der Schweizer Seite des Matterhorns gibt es viele Fixseile. Viele davon brauchen die Bergführer gar nicht, man könnte sie teilweise abmontieren. So könnte man dafür sorgen, dass nur jene den Gipfel erreichen, die wirklich dazu in der Lage sind. Aber im Vergleich zum Mount Everest im Himalaja hält sich der Andrang am Matterhorn in Grenzen.
Was bleibt 150 Jahre nach dem Unglück am Matterhorn?
Ich finde wichtig, dass die Geschichte geklärt wird. Die Öffentlichkeit sollte nicht über Schuld oder Unschuld diskutieren. Niemand hat Schuld daran, dass am 14. Juli 1865 vier Menschen abgestürzt sind. Auch heute hat meistens niemand Schuld, wenn in den Alpen ein Unglück passiert. Beim Bergsteigen geht es aber nicht um Schuld, sondern um Verantwortung. Wenn ich als Bergführer mit einem Gast aufs Matterhorn steige, dann übernehme ich für diesen die Verantwortung. In einer Seilschaft wird Verantwortung geteilt. Taugwalder sah sich damals in der Verantwortung, auch für das Unglück. Whymper hingegen spielte sich als Leiter der Unternehmung auf, wollte aber keine Verantwortung für das Geschehene übernehmen."
http://www.nzz.ch/spezial/jagd-aufs-...21?cid=dlvr.it
Kann ihm hier mal zustimmen - gutes, aufschlussreiches Interview.
"Reinhold Messner im Gespräch
«Das Matterhorn hat den Alpinismus verändert»
Auch Reinhold Messner beschäftigt das Unglück am Matterhorn vor 150 Jahren. Die Bergsteigerlegende aus Südtirol schlägt sich im NZZ-Interview auf die Seite der Bergführer.
Herr Messner, wäre das Matterhorn ohne die Katastrophe von damals überhaupt so berühmt, wie es heute ist?
Ich denke schon, ja. Der Unfall hat zwar grosse Aufmerksamkeit erregt, aber schon allein die Form und die Lage des Berges sind so besonders – einzigartig in den Alpen. Das Unglück am Matterhorn hatte aber eine entscheidende Wirkung. Es hat den Alpinismus verändert.
Was hat sich verändert?
Bergsteigen war bis 1865 eine romantische, idealistische, wissenschaftlich motivierte Angelegenheit. Auf Berge klettern hatte etwas Geheimnisvolles an sich, das mit dem Absturz am Matterhorn zu einem gewissen Grad verloren ging. Die Komponente der unmittelbaren Gefahr kam hinzu. Mit dem Absturz Hudsons, Lord Douglas', Crozs und Hadows stand das Bergsteigen plötzlich in der Kritik. Die Öffentlichkeit diskutierte darüber, wie gefährlich Bergsteigen sei, ob man es verbieten, dem Treiben einen Riegel vorschieben sollte. Die Erstbesteigung des Matterhorns war aber in vielerlei Hinsicht auch eine Schlüsselbesteigung.
Inwiefern?
Vor dem Matterhorn «eroberten» Bergsteiger die Schweizer Alpengipfel. Am Matterhorn trafen sie zum ersten Mal auf echte technische Schwierigkeiten; deshalb spreche ich hier vom Übergang zum Schwierigkeitsalpinismus. Als dann alle Gipfel in den Alpen bestiegen waren, kam das Klettern in den Wänden dran; es folgten immer schwierigere Routen an Graten und in Wänden, dann Winterbegehungen. Das Prinzip setzt sich von Generation zu Generation fort. Jede Bergsteigergeneration sucht neue Herausforderungen, lotet neue Grenzen aus. Bis heute.
Fand bei der Erstbesteigung des Matterhorns nicht zum ersten Mal auch eine Art Wettbewerb am Berg statt?
Den Wettlauf auf die Gipfel gab es schon vorher. Aber 1865 konkurrierten erstmals Nationen darum. Auf der einen Seite wollten die Engländer vom Alpine Club auf den Berg, auf der anderen Seite sehnten sich Schweizer, Franzosen und auch die Italiener danach, die Erstbesteigung der «Gran Becca» – so nennen die Italiener den Berg – zu verbuchen.
Sie haben sich mit dem Vorfall am 14. Juli 1865 eingehend beschäftigt. Warum kam es aus Ihrer Sicht zur Katastrophe am Matterhorn?
Das kann man so in einem Satz nicht sagen. Viele Komponenten haben das Unglück ausgelöst.
War die falsche Seilnutzung ein wichtiger Faktor?
Meiner Meinung nach, ja. Sieben Leute an einem Seil, das sind zu viele. Zwei Bergsteiger in einer Seilschaft, maximal drei, sollten gemeinsam einen Berg ersteigen.
Wurde das Seil abgeschnitten, oder ist es gerissen?
Der Seilschnitt ist Quatsch. Diese Theorie war ganz klar die Erfindung eines österreichischen Journalisten von der «Neuen Freien Presse». Er wollte möglichst viel Aufmerksamkeit erregen und eine «gute» Geschichte verkaufen. So wie ich das sehe, muss das Seil gerissen sein. Der Skandal aber ist, dass Edward Whymper Peter Taugwalder später vorwarf, mit Absicht das dünnere Seil zwischen sich und den andern zum Sichern verwendet zu haben. Der Vorwurf der Vorsätzlichkeit traf den Zermatter Peter Taugwalder hart und ruinierte seine Karriere und sein Leben.
Das heisst Edward Whymper verhielt sich Ihrer Meinung nach nicht korrekt?
Nicht nur das, er hatte keinen Respekt vor den Bergführern. Kein einziges Mal hat er Taugwalder dafür gedankt, dass ihm dieser das Leben gerettet hatte, indem er im Moment des Sturzes das Seil um einen Felsen schlang und den Stand behielt. Whymper hat es vor allem auch verstanden, die Ereignisse so zu formulieren und sich der Presse so mitzuteilen, dass die Ereignisse zu seinem Vorteil ausgelegt wurden. Whymper war ein guter Journalist und ein genialer Geschichtenerzähler. Zermatt hat die Geschichte Whympers gern aufgenommen, da die Engländer für den lokalen Tourismus sehr wichtig waren. Das sollte man nicht verschweigen.
Heute ist das Matterhorn nicht nur ein beliebtes Ziel von Bergsteigern, es ist einer der meistbestiegenen Berge der Welt. Sie kritisieren oft, dass die Alpen zu einfach zugänglich geworden sind, durch Wege, Hütten und Fixseile und somit nicht nur Alpinisten, sondern auch Touristen auf hohe Berge steigen können. Wie sehen Sie die Situation am Matterhorn?
Auf der Schweizer Seite des Matterhorns gibt es viele Fixseile. Viele davon brauchen die Bergführer gar nicht, man könnte sie teilweise abmontieren. So könnte man dafür sorgen, dass nur jene den Gipfel erreichen, die wirklich dazu in der Lage sind. Aber im Vergleich zum Mount Everest im Himalaja hält sich der Andrang am Matterhorn in Grenzen.
Was bleibt 150 Jahre nach dem Unglück am Matterhorn?
Ich finde wichtig, dass die Geschichte geklärt wird. Die Öffentlichkeit sollte nicht über Schuld oder Unschuld diskutieren. Niemand hat Schuld daran, dass am 14. Juli 1865 vier Menschen abgestürzt sind. Auch heute hat meistens niemand Schuld, wenn in den Alpen ein Unglück passiert. Beim Bergsteigen geht es aber nicht um Schuld, sondern um Verantwortung. Wenn ich als Bergführer mit einem Gast aufs Matterhorn steige, dann übernehme ich für diesen die Verantwortung. In einer Seilschaft wird Verantwortung geteilt. Taugwalder sah sich damals in der Verantwortung, auch für das Unglück. Whymper hingegen spielte sich als Leiter der Unternehmung auf, wollte aber keine Verantwortung für das Geschehene übernehmen."
http://www.nzz.ch/spezial/jagd-aufs-...21?cid=dlvr.it
Kann ihm hier mal zustimmen - gutes, aufschlussreiches Interview.
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