Guter Bericht über die Vermarktung des Bergsteigens
Bergsteigen als Show
Pornodreh auf dem Gipfel
Von Stephan Orth
Hauptsache, die Geldgeber sind glücklich: Spektakuläre Filme und Fotos für die Sponsoren sind im Alpinsport schon jetzt oftmals wichtiger als echte Höchstleistungen, der Kapitalismus erobert endgültig die Kletter-Welt. Damit wächst die Versuchung, das Publikum zu täuschen.
Fast senkrecht ragen die glatten Granitflanken in die Höhe, eher wie ein Turm als wie ein Berg wirkt der Cerro Torre in Patagonien. Unter Bergsteigern gilt er als einer der schönsten Gipfel der Welt - und als extrem anspruchsvoll. Selbst der Kletterlaie sieht sofort, dass die fast senkrechten Wände des 3128 Meter hohen Granitzackens extrem schwer zu meistern sein müssen.
Ein solches Baukunst-Wunder der Natur taugt natürlich hervorragend als Kulisse für einen Kinofilm, schon Werner Herzog drehte hier 1991 "Schrei aus Stein". Im Jahr 2010 sollte nun ein Video entstehen, wie es die Welt noch nicht gesehen hat: Bei einer Freiklettertour des damals 20-jährigen österreichischen Alpin-Wunderkindes David Lama sollten Videokameras aus nächster Nähe jeden Handgriff dokumentieren.
Für den Kameramann drillten Profi-Bergsteiger Bohrhaken in die Wand und hängten 700 Meter Fixseil direkt neben die "Kompressor-Route", die Lama besteigen wollte. Eine Route, die seit ihrer Erstbegehung schon durch Hunderte Haken verunstaltet ist.
Lama musste wegen schlechten Wetters seine Pläne aufgeben, Haken und Seil blieben im Fels, für einen weiteren Versuch im nächsten Jahr. Ein Aufschrei der Empörung ging durch die alpine Szene: Der junge Sportler verschandele den schönen Berg für seine von einem Brausegetränkehersteller gesponserte Kletter-Show. Mehr als tausend Mitglieder hat eine Facebook-Gruppe mit dem Titel "Red Bull, clean up the mess left by David Lama in Patagonia!"
Pflicht zur Vermarktung
Doch Lama folgt nur einem Zwang, dem sich auch seine Berufskollegen unterwerfen müssen: Wer mit Abenteuersport Geld verdienen will, muss sich vermarkten. Der Business-Plan der meisten erfolgreichen Alpinisten basiert auf Einnahmen von Sponsoren, Diashows und Bildbänden. Die Erfolgsformel ist simpel: Je spektakulärer die eigenen Erfolge am Berg in Szene gesetzt werden, desto größer ist die Aufmerksamkeit, desto glücklicher sind die Geldgeber. Ob nun wirklich ein neuer Meilenstein des Bergsteigertums erreicht wurde, ist dabei nicht so wichtig.
Das Image werde den Extremsportlern wichtiger als ihre Grenzgänge, ihr Scheitern und ihre Kreativität, so beschreibt Bergsteiger-Legende Reinhold Messner in einem Kurz-Essay den heute verbreiteten Alpinismus. "Undarstellbare Selbsterfahrung zählt weniger als das in Bits und Bytes abgespeicherte TV-Produkt oder die Onlinepräsenz."
Als die Weltklasse-Bergsteiger Simone Moro und Denis Urubko im Januar 2011 auf den Achttausender Gasherbrum II in Pakistan kraxelten, berichteten sie im Internet regelmäßig von unterwegs. Mit dabei war der US-Kletterer und Kameramann Cory Richards. Der filmte unter anderem, wie sich der Italiener Moro kotzend und lachend zugleich auf dem Gipfel krümmt und wie er mit dem Kasachen Urubko über einen gefährlichen Spaltensturz witzelt.
Gegen Ende des Kurzfilms "Cold" zeigt Richards sein eigenes, von Todesangst verzerrtes Gesicht, nachdem er mit viel Glück eine Lawine überlebt hat. Er könne sich diese Bilder selbst nicht ansehen, sagte er später, so schrecklich sind die Erinnerungen.
Die Lebensgefahr als Breitwand-Erlebnis im Kino, Männer am Rande des Zusammenbruchs statt Heldentaten - durch diesen Film können auch Nicht-Alpinisten zumindest einen Eindruck gewinnen, was Höhenbergsteiger auf so einer Tour durchmachen. "Cold" wurde mit Bergfilm-Preisen überhäuft.
Porno statt Liebe
Doch für Puristen ist eine solche Darstellung ein Verrat am echten Abenteuer in der Einsamkeit, eine Art Gladiatoren-Show. "Eine Klettertour ist wie Liebe machen. Sobald Kameras dabei sind, wird daraus Pornografie", sagt Marko Prezelj, einer der besten Höhenbergsteiger der Welt. Den Namen kennen Sie nicht? Kein Wunder, denn der 46-jährige slowenische Bergführer verweigert sich konsequent den Vermarktungsmechanismen: Er veranstaltet kaum Diashows, lässt sich von Sponsoren zwar Ausrüstung stellen, aber keine Expeditionen finanzieren. Seine Internetseite hat er noch nicht einmal ins Englische übersetzt.
In der Szene sorgte er 2007 für Wirbel, weil er den Preis "Piolet d'Or", eine Art Oscar des Bergsports, scharf kritisierte. Alpine Leistungen ließen sich nicht vergleichen, weil die Bedingungen am Berg immer anders seien - es könne dort keine Gewinner oder Verlierer geben, so seine damalige Begründung. Was David Lama am Cerro Torre vorhatte, ist für ihn "kein Alpinismus, sondern ein Stunt". Der Österreicher sei jung, er habe wohl nicht darüber nachgedacht, was er da mache.
Vielleicht ist die Diskussion tatsächlich eine Frage des Alters. Wer mit Facebook und Twitter aufgewachsen ist, hält es für völlig normal, per Satellitenverbindung direkt von riskanten Touren zu posten. Auch Simone Moro twittert derzeit regelmäßig von den Vorbereitungen zu seiner Winter-Expedition auf den Nanga Parbat. Man kann heute nicht der Erste auf einem der 14 Achttausender sein, aber man kann versuchen, noch spektakulärere Fotos und Videos von seiner Tour mitzubringen als die Mitbewerber.
Träume vom Sponsorenvertrag
Viele junge Kletterer träumen heute nicht nur von Pioniertaten an schwierigen Wänden, sondern davon, mit 18 den ersten Sponsorenvertrag einzusacken. Sie sehen nichts Verwerfliches darin, dafür genauso wie Tennisspieler oder Profisurfer eine gigantische Inszenierungs-Maschinerie am Laufen zu halten.
So wie der Österreicher Christian Stangl, der sich als "Skyrunner" darstellt und versucht, anspruchsvolle Bergtouren im Rekordtempo zu schaffen. Ein spektakuläres YouTube-Video zeigt etwa, wie er innerhalb von 24 Stunden offenbar auf vier Sechstausender in den Anden joggt.
Seit er im Jahr 2010 jedoch eine erfolgreiche Besteigung des 8611 Meter hohen K2 vortäuschte, hat er seine Glaubwürdigkeit verspielt. Er veröffentlichte ein gefälschtes Gipfelfoto und verbreitete später die hanebüchene Entschuldigung, sich wegen des enormen Erfolgsdrucks die Besteigung in einer Art Trance eingebildet zu haben.
Bei einer Diskussionsrunde auf dem International Mountain Summit in Brixen im November waren sich die Beteiligten einig, dass bei einem offenkundigen Betrug die Inszenierung zu weit geht. Doch auch David Lama gab dort zu, einen Fehler gemacht zu haben, weil sein Team Ausrüstung an der Steilwand zurückließ. Aber macht das Filmteam wirklich einen Unterschied für die
Leistung? "Ohne Kamera wäre ich nicht anders geklettert", ist er überzeugt.
Reinhold Messner sieht darin jedoch eine Täuschung der Kinobesucher: "Der Zuschauer glaubt, das findet in absoluter Gefahr statt", dabei sei das Ganze gar nicht so abenteuerlich, weil das Filmteam am Fixseil auch emotionale Rückendeckung gebe und in einem Notfall sogar helfen könnte. "Das wäre kein Dokumentarfilm, sondern ein Spielfilm."
Wie man es auch nennt, spektakulär hätte es ausgesehen auf der großen Leinwand, davon ist auch Marko Prezelj überzeugt: "Jeder Porno ist spektakulär", sagt der Slowene.
Quelle: http://www.spiegel.de/reise/aktuell/...806774,00.html
Bergsteigen als Show
Pornodreh auf dem Gipfel
Von Stephan Orth
Hauptsache, die Geldgeber sind glücklich: Spektakuläre Filme und Fotos für die Sponsoren sind im Alpinsport schon jetzt oftmals wichtiger als echte Höchstleistungen, der Kapitalismus erobert endgültig die Kletter-Welt. Damit wächst die Versuchung, das Publikum zu täuschen.
Fast senkrecht ragen die glatten Granitflanken in die Höhe, eher wie ein Turm als wie ein Berg wirkt der Cerro Torre in Patagonien. Unter Bergsteigern gilt er als einer der schönsten Gipfel der Welt - und als extrem anspruchsvoll. Selbst der Kletterlaie sieht sofort, dass die fast senkrechten Wände des 3128 Meter hohen Granitzackens extrem schwer zu meistern sein müssen.
Ein solches Baukunst-Wunder der Natur taugt natürlich hervorragend als Kulisse für einen Kinofilm, schon Werner Herzog drehte hier 1991 "Schrei aus Stein". Im Jahr 2010 sollte nun ein Video entstehen, wie es die Welt noch nicht gesehen hat: Bei einer Freiklettertour des damals 20-jährigen österreichischen Alpin-Wunderkindes David Lama sollten Videokameras aus nächster Nähe jeden Handgriff dokumentieren.
Für den Kameramann drillten Profi-Bergsteiger Bohrhaken in die Wand und hängten 700 Meter Fixseil direkt neben die "Kompressor-Route", die Lama besteigen wollte. Eine Route, die seit ihrer Erstbegehung schon durch Hunderte Haken verunstaltet ist.
Lama musste wegen schlechten Wetters seine Pläne aufgeben, Haken und Seil blieben im Fels, für einen weiteren Versuch im nächsten Jahr. Ein Aufschrei der Empörung ging durch die alpine Szene: Der junge Sportler verschandele den schönen Berg für seine von einem Brausegetränkehersteller gesponserte Kletter-Show. Mehr als tausend Mitglieder hat eine Facebook-Gruppe mit dem Titel "Red Bull, clean up the mess left by David Lama in Patagonia!"
Pflicht zur Vermarktung
Doch Lama folgt nur einem Zwang, dem sich auch seine Berufskollegen unterwerfen müssen: Wer mit Abenteuersport Geld verdienen will, muss sich vermarkten. Der Business-Plan der meisten erfolgreichen Alpinisten basiert auf Einnahmen von Sponsoren, Diashows und Bildbänden. Die Erfolgsformel ist simpel: Je spektakulärer die eigenen Erfolge am Berg in Szene gesetzt werden, desto größer ist die Aufmerksamkeit, desto glücklicher sind die Geldgeber. Ob nun wirklich ein neuer Meilenstein des Bergsteigertums erreicht wurde, ist dabei nicht so wichtig.
Das Image werde den Extremsportlern wichtiger als ihre Grenzgänge, ihr Scheitern und ihre Kreativität, so beschreibt Bergsteiger-Legende Reinhold Messner in einem Kurz-Essay den heute verbreiteten Alpinismus. "Undarstellbare Selbsterfahrung zählt weniger als das in Bits und Bytes abgespeicherte TV-Produkt oder die Onlinepräsenz."
Als die Weltklasse-Bergsteiger Simone Moro und Denis Urubko im Januar 2011 auf den Achttausender Gasherbrum II in Pakistan kraxelten, berichteten sie im Internet regelmäßig von unterwegs. Mit dabei war der US-Kletterer und Kameramann Cory Richards. Der filmte unter anderem, wie sich der Italiener Moro kotzend und lachend zugleich auf dem Gipfel krümmt und wie er mit dem Kasachen Urubko über einen gefährlichen Spaltensturz witzelt.
Gegen Ende des Kurzfilms "Cold" zeigt Richards sein eigenes, von Todesangst verzerrtes Gesicht, nachdem er mit viel Glück eine Lawine überlebt hat. Er könne sich diese Bilder selbst nicht ansehen, sagte er später, so schrecklich sind die Erinnerungen.
Die Lebensgefahr als Breitwand-Erlebnis im Kino, Männer am Rande des Zusammenbruchs statt Heldentaten - durch diesen Film können auch Nicht-Alpinisten zumindest einen Eindruck gewinnen, was Höhenbergsteiger auf so einer Tour durchmachen. "Cold" wurde mit Bergfilm-Preisen überhäuft.
Porno statt Liebe
Doch für Puristen ist eine solche Darstellung ein Verrat am echten Abenteuer in der Einsamkeit, eine Art Gladiatoren-Show. "Eine Klettertour ist wie Liebe machen. Sobald Kameras dabei sind, wird daraus Pornografie", sagt Marko Prezelj, einer der besten Höhenbergsteiger der Welt. Den Namen kennen Sie nicht? Kein Wunder, denn der 46-jährige slowenische Bergführer verweigert sich konsequent den Vermarktungsmechanismen: Er veranstaltet kaum Diashows, lässt sich von Sponsoren zwar Ausrüstung stellen, aber keine Expeditionen finanzieren. Seine Internetseite hat er noch nicht einmal ins Englische übersetzt.
In der Szene sorgte er 2007 für Wirbel, weil er den Preis "Piolet d'Or", eine Art Oscar des Bergsports, scharf kritisierte. Alpine Leistungen ließen sich nicht vergleichen, weil die Bedingungen am Berg immer anders seien - es könne dort keine Gewinner oder Verlierer geben, so seine damalige Begründung. Was David Lama am Cerro Torre vorhatte, ist für ihn "kein Alpinismus, sondern ein Stunt". Der Österreicher sei jung, er habe wohl nicht darüber nachgedacht, was er da mache.
Vielleicht ist die Diskussion tatsächlich eine Frage des Alters. Wer mit Facebook und Twitter aufgewachsen ist, hält es für völlig normal, per Satellitenverbindung direkt von riskanten Touren zu posten. Auch Simone Moro twittert derzeit regelmäßig von den Vorbereitungen zu seiner Winter-Expedition auf den Nanga Parbat. Man kann heute nicht der Erste auf einem der 14 Achttausender sein, aber man kann versuchen, noch spektakulärere Fotos und Videos von seiner Tour mitzubringen als die Mitbewerber.
Träume vom Sponsorenvertrag
Viele junge Kletterer träumen heute nicht nur von Pioniertaten an schwierigen Wänden, sondern davon, mit 18 den ersten Sponsorenvertrag einzusacken. Sie sehen nichts Verwerfliches darin, dafür genauso wie Tennisspieler oder Profisurfer eine gigantische Inszenierungs-Maschinerie am Laufen zu halten.
So wie der Österreicher Christian Stangl, der sich als "Skyrunner" darstellt und versucht, anspruchsvolle Bergtouren im Rekordtempo zu schaffen. Ein spektakuläres YouTube-Video zeigt etwa, wie er innerhalb von 24 Stunden offenbar auf vier Sechstausender in den Anden joggt.
Seit er im Jahr 2010 jedoch eine erfolgreiche Besteigung des 8611 Meter hohen K2 vortäuschte, hat er seine Glaubwürdigkeit verspielt. Er veröffentlichte ein gefälschtes Gipfelfoto und verbreitete später die hanebüchene Entschuldigung, sich wegen des enormen Erfolgsdrucks die Besteigung in einer Art Trance eingebildet zu haben.
Bei einer Diskussionsrunde auf dem International Mountain Summit in Brixen im November waren sich die Beteiligten einig, dass bei einem offenkundigen Betrug die Inszenierung zu weit geht. Doch auch David Lama gab dort zu, einen Fehler gemacht zu haben, weil sein Team Ausrüstung an der Steilwand zurückließ. Aber macht das Filmteam wirklich einen Unterschied für die
Leistung? "Ohne Kamera wäre ich nicht anders geklettert", ist er überzeugt.
Reinhold Messner sieht darin jedoch eine Täuschung der Kinobesucher: "Der Zuschauer glaubt, das findet in absoluter Gefahr statt", dabei sei das Ganze gar nicht so abenteuerlich, weil das Filmteam am Fixseil auch emotionale Rückendeckung gebe und in einem Notfall sogar helfen könnte. "Das wäre kein Dokumentarfilm, sondern ein Spielfilm."
Wie man es auch nennt, spektakulär hätte es ausgesehen auf der großen Leinwand, davon ist auch Marko Prezelj überzeugt: "Jeder Porno ist spektakulär", sagt der Slowene.
Quelle: http://www.spiegel.de/reise/aktuell/...806774,00.html
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