Ein interessantes Gerichtsurteil findet sich heute im Rechtspanorama der Presse:
Gericht lässt Wanderer nicht im Wald stehen
29.01.2012 | 18:18 | PHILIPP AICHINGER (Die Presse)
Wer im Wald spazieren geht, handelt laut Gesetz auf eigene Gefahr. Doch das Höchstgericht kommt nun den Wanderern entgegen: So muss man sich nicht bieten lassen, dass sich ein Stacheldraht unter Sträuchern verbirgt.
Wien. Selbst in der vermeintlich unbeschwerten Natur können böse Überraschungen lauern: Das, was ein Wanderer für einen Brombeerstrauch hielt, entpuppte sich nämlich als Stacheldraht. Der Mann, der mit seiner Frau auf einem Waldhang spazieren ging, war hängen geblieben. Da der Wandersmann aber meinte, sich an einem Strauch verfangen zu haben, zog er sein linkes Bein einfach stärker an. Erst als er danach gen Boden sah, stellte er fest, was passiert war. Der verrostete Stacheldraht hatte sich an der Vorderseite oberhalb des Rists in sein Bein gebohrt.
Hinter dem Unglück stecken spannende rechtliche Fragen. Denn laut dem Forstgesetz darf zwar jeder den Wald betreten. Man muss aber selbst auf alle Gefahren achten, die im Wald typischerweise lauern. Der Mann ging trotzdem vor Gericht. Denn der Stacheldraht war zwischen Sträuchern versteckt gewesen, zog sich aber über den gesamten Waldhang. Hinweistafeln darauf fehlten. Der verletzte Mann forderte Schmerzengeld von den Österreichischen Bundesforsten, die für die Republik das Gebiet betreuen. Zudem forderte er Ersatz für alle künftigen Schäden: Denn er sei nun voraussichtlich dauernd arbeitsunfähig.
Der für die Gegend zuständige und im Sold der Bundesforste stehende Förster wusste selbst nichts vom Stacheldraht. Dieser war in der 1970er-Jahren von einer Weidegenossenschaft errichtet worden, um Vieh vom Jungwald fernzuhalten. Grundsätzlich stellen in solchen Fällen die Bundesforste das Material zur Verfügung, und die Bauern, die ihr Vieh austreiben, errichten die Zäune. Im Idealfall werden solche Zäune nach drei bis fünf Jahren wieder entfernt, längstens aber nach zehn Jahren. Die Entfernung nahmen in der Vergangenheit in manchen Fällen die Bundesforste, in anderen die Weidegenossenschaften vor. Jedes Jahr geben Vertreter der Bundesforste bei einer Versammlung der Weidegenossenschaften bekannt, welche Flächen noch eingezäunt bleiben müssen und welche nicht. Ob die Zäune entfernt werden, wird aber nicht kontrolliert. Denn, so die Argumentation, ein Zaun könne auch stehen bleiben, wenn der Wald schon kräftig genug ist.
Gehört der Zaun zum Wald?
Das Landesgericht Salzburg wies die Klage ab. Es würde die Pflichten des Waldhalters überspannen, wenn man hier eine Haftung verlangt. Denn laut §176 Forstgesetz muss jeder, der sich abseits der öffentliche Wege in den Wald begibt, „auf alle ihm durch den Wald, im besonderen auch durch die Waldbewirtschaftung drohenden Gefahren achten“. Und ein Weidezaun gehöre zum „Zustand des Waldes“, befand das Gericht. Das Oberlandesgericht Linz entschied in zweiter Instanz ebenfalls gegen den verletzten Mann. Der Stacheldraht sei mit Sträuchern überwuchert gewesen und am Boden gelegen. Damit sei er dem Waldboden zuzurechnen und somit eine Gefahr, auf die jeder achten müsse.
Der Wandersmann machte sich nun auf den Weg zum Obersten Gerichtshof (OGH) – und dieser drehte das Urteil um. Der Stacheldraht könne „nicht mit der natürlichen Beschaffenheit des Waldbodens“ gleichgesetzt werden. Er stelle, da er bedeckt und am Boden war, eine unsichtbare, künstlich geschaffene Gefahrenquelle dar. Und diese musste den Repräsentanten der Bundesforste bekannt sein, meinten die Höchstrichter. Schließlich hätten sie einst von den Weidegenossenschaften gefordert, dass der Zaun aufgestellt wird. Zudem sei es für „jedermann einsichtig“, dass der Zaun im Laufe der Jahre einsinke und überwuchert werde. Die Bundesforste hätten dafür sorgen sollen, dass der Zaun von jemandem entfernt werde – so wie das in anderen Gebieten auch geschehe. Da dies nicht der Fall war, haften sie für Schäden, die durch den nicht entfernten Zaun entstehen (7Ob171/11i). Für den aktuellen Fall gibt es aber noch kein endgültiges Urteil. Denn nun muss etwa noch geklärt werden, ob der Wanderer mitschuld am Unfall ist, zumal er das Bein ungeschickt aus dem vermeintlichen Brombeerstrauch herausziehen wollte.
Unsichere Rechtslage geklärt
Ein Sprecher der Bundesforste betonte im Gespräch mit der „Presse“ jedenfalls, dass man die Sicht des OGH „nachvollziehen kann“: Es habe im Unternehmen ohnedies immer den Grundsatz gegeben, dass man nichts im Wald zurücklassen wolle. Einen Fall wie diesen gebe es nun zum ersten Mal. Man habe es wegen der unklaren Rechtslage aber auf einen Prozess ankommen lassen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.01.2012)
http://diepresse.com/home/recht/rech...rom=newsletter
LG
der 31.12.
Gericht lässt Wanderer nicht im Wald stehen
29.01.2012 | 18:18 | PHILIPP AICHINGER (Die Presse)
Wer im Wald spazieren geht, handelt laut Gesetz auf eigene Gefahr. Doch das Höchstgericht kommt nun den Wanderern entgegen: So muss man sich nicht bieten lassen, dass sich ein Stacheldraht unter Sträuchern verbirgt.
Wien. Selbst in der vermeintlich unbeschwerten Natur können böse Überraschungen lauern: Das, was ein Wanderer für einen Brombeerstrauch hielt, entpuppte sich nämlich als Stacheldraht. Der Mann, der mit seiner Frau auf einem Waldhang spazieren ging, war hängen geblieben. Da der Wandersmann aber meinte, sich an einem Strauch verfangen zu haben, zog er sein linkes Bein einfach stärker an. Erst als er danach gen Boden sah, stellte er fest, was passiert war. Der verrostete Stacheldraht hatte sich an der Vorderseite oberhalb des Rists in sein Bein gebohrt.
Hinter dem Unglück stecken spannende rechtliche Fragen. Denn laut dem Forstgesetz darf zwar jeder den Wald betreten. Man muss aber selbst auf alle Gefahren achten, die im Wald typischerweise lauern. Der Mann ging trotzdem vor Gericht. Denn der Stacheldraht war zwischen Sträuchern versteckt gewesen, zog sich aber über den gesamten Waldhang. Hinweistafeln darauf fehlten. Der verletzte Mann forderte Schmerzengeld von den Österreichischen Bundesforsten, die für die Republik das Gebiet betreuen. Zudem forderte er Ersatz für alle künftigen Schäden: Denn er sei nun voraussichtlich dauernd arbeitsunfähig.
Der für die Gegend zuständige und im Sold der Bundesforste stehende Förster wusste selbst nichts vom Stacheldraht. Dieser war in der 1970er-Jahren von einer Weidegenossenschaft errichtet worden, um Vieh vom Jungwald fernzuhalten. Grundsätzlich stellen in solchen Fällen die Bundesforste das Material zur Verfügung, und die Bauern, die ihr Vieh austreiben, errichten die Zäune. Im Idealfall werden solche Zäune nach drei bis fünf Jahren wieder entfernt, längstens aber nach zehn Jahren. Die Entfernung nahmen in der Vergangenheit in manchen Fällen die Bundesforste, in anderen die Weidegenossenschaften vor. Jedes Jahr geben Vertreter der Bundesforste bei einer Versammlung der Weidegenossenschaften bekannt, welche Flächen noch eingezäunt bleiben müssen und welche nicht. Ob die Zäune entfernt werden, wird aber nicht kontrolliert. Denn, so die Argumentation, ein Zaun könne auch stehen bleiben, wenn der Wald schon kräftig genug ist.
Gehört der Zaun zum Wald?
Das Landesgericht Salzburg wies die Klage ab. Es würde die Pflichten des Waldhalters überspannen, wenn man hier eine Haftung verlangt. Denn laut §176 Forstgesetz muss jeder, der sich abseits der öffentliche Wege in den Wald begibt, „auf alle ihm durch den Wald, im besonderen auch durch die Waldbewirtschaftung drohenden Gefahren achten“. Und ein Weidezaun gehöre zum „Zustand des Waldes“, befand das Gericht. Das Oberlandesgericht Linz entschied in zweiter Instanz ebenfalls gegen den verletzten Mann. Der Stacheldraht sei mit Sträuchern überwuchert gewesen und am Boden gelegen. Damit sei er dem Waldboden zuzurechnen und somit eine Gefahr, auf die jeder achten müsse.
Der Wandersmann machte sich nun auf den Weg zum Obersten Gerichtshof (OGH) – und dieser drehte das Urteil um. Der Stacheldraht könne „nicht mit der natürlichen Beschaffenheit des Waldbodens“ gleichgesetzt werden. Er stelle, da er bedeckt und am Boden war, eine unsichtbare, künstlich geschaffene Gefahrenquelle dar. Und diese musste den Repräsentanten der Bundesforste bekannt sein, meinten die Höchstrichter. Schließlich hätten sie einst von den Weidegenossenschaften gefordert, dass der Zaun aufgestellt wird. Zudem sei es für „jedermann einsichtig“, dass der Zaun im Laufe der Jahre einsinke und überwuchert werde. Die Bundesforste hätten dafür sorgen sollen, dass der Zaun von jemandem entfernt werde – so wie das in anderen Gebieten auch geschehe. Da dies nicht der Fall war, haften sie für Schäden, die durch den nicht entfernten Zaun entstehen (7Ob171/11i). Für den aktuellen Fall gibt es aber noch kein endgültiges Urteil. Denn nun muss etwa noch geklärt werden, ob der Wanderer mitschuld am Unfall ist, zumal er das Bein ungeschickt aus dem vermeintlichen Brombeerstrauch herausziehen wollte.
Unsichere Rechtslage geklärt
Ein Sprecher der Bundesforste betonte im Gespräch mit der „Presse“ jedenfalls, dass man die Sicht des OGH „nachvollziehen kann“: Es habe im Unternehmen ohnedies immer den Grundsatz gegeben, dass man nichts im Wald zurücklassen wolle. Einen Fall wie diesen gebe es nun zum ersten Mal. Man habe es wegen der unklaren Rechtslage aber auf einen Prozess ankommen lassen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.01.2012)
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LG
der 31.12.
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