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"Schnee, Lawinen & Panik: Brief an das Bergland
von Michael Larcher, Österreichischer Alpenverein
Michael Larcher, Berg- und Skiführer, Journalist, Germanist, wundert sich über Tendenzen zur Kriminalisierung des Bergsports und den sonderbaren Umgang der Gesellschaft mit den Themen Schnee und Lawinen.
Innsbruck, 29. Februar 2012 - Panik, Medienhype und Forderungen nach Strafen und Bergsperren, wenn in den winterlichen Bergen die Lawinengefahr steigt und Leute verunglücken? Am vergangenen Wochenende erschien in der Tiroler Tageszeitung (TT) dieser Essay.
Liebes Land Tirol!
(austauschbar für alle anderen Bergregionen der Alpen)
Danke für diesen Winter! Auch wenn Frau Holle da wesentlich mitgeholfen hat - erst deine Falten, Furchen und Runzeln, erst deine Topografie, bringt die weiße Pracht so richtig zur Geltung. Die Menschen hier haben lernen müssen, mit diesem Himmelsgeschenk zu leben. Ging es zuerst ums einfache Überleben, entdeckten sie vor 100 Jahren die Faszination des Gleitens. Der Wintersport war erfunden und der Schnee wurde zum weißen Gold. Schnee als Piste, als Garant für volle Gästebetten, als Lustmacher auf Freeride und Après Ski, Anton aus Tirol und deftigen Spaß an der Skihaserl-Bar. Schnee auch als Inspiration, Heiler, Erzeuger von Stille und Entschleuniger.
Das zweite Gesicht: Schnee als Katastrophe, Schnee als Lawine. Der Stoff aus dem heute die Träume so Vieler sind, wird regelmäßig auch zum Stoff von Tragödien. In Tirol statistisch 14 mal jeden Winter. Lawinen gehörten immer zu dir. Schon lange bevor Ötzi am Tisenjoch zum Mann im Eis wurde. Aber damals waren Lawinen nur eine Naturerscheinung, nur für ganz wenige eine Gefahr. Lawinen waren noch kein „Risiko“.
Liebes Land Tirol, deine Menschen haben viel über Lawinen gelernt. Z.B. wie sie ihre Dörfer, Straßen und Pisten (fast) perfekt schützen können. Deine Lawinenwarner gehören zu den Besten weltweit, deine Bergretter sind Lawinen-Profis, deine Berg- und Schiführer verlässliche Garanten für ein Maximum an Sicherheit. Deine Ärzte, die jetzt um das Leben eines Prinzen kämpfen, sind auf dem Gebiet der Lawinen-Notfall-Medizin international führend.
Was mir allerdings zunehmend missfällt: Die seltsame Aufgeregtheit, die sich im Umgang mit diesem Naturphänomen in dir breit macht - Tendenz von Winter zu Winter steigend! Da werden Bergretter bemitleidet, die bei einem Lawinenunfall freiwillig ausrücken. Da muss nach jedem Unglück sofort ein Schuldiger gefunden und ein Fehlverhalten konstruiert werden. Da werden Lawinenopfer zuerst nicht bedauert, sondern als „Leichtsinnige“, „Hasardeure“ oder „Adrenalin-Junkies“ verurteilt. Da ertönt der Ruf nach neuen Gesetzen, nach Reglementierung, Bestrafung und Ausrüstungsvorschriften, nach Entzug von Versicherungsleistungen. Was bitte ist da los? Oder sind es nur die Flachlandanalytiker, die sich da Gehör verschaffen?
Liebes Land Tirol, dass Lawinen, ausgelöst von Menschen, seltene Ereignisse und der Vorhersehbarkeit Grenzen gesetzt sind, müsste im "Herz der Alpen" doch geistiges Allgemeingut sein. Ebenso die Tatsache, dass Naturraum zwar Gefahrenraum aber auch - und noch viel mehr - ein Raum für Chancen ist. Die Chance, eigenverantwortlich zu entscheiden und zu handeln. Die seltene Chance, Freiheit zu kosten. Die Chance, sein Recht auf Risiko selbstbestimmt zu leben. Sich zu entscheiden für oder gegen einen Lawinen-Airbag, sich zu entscheiden für oder gegen die Einfahrt in den noch unverspurten und steilen Nordhang.
Liebes Land Tirol, ich schließe diesen Brief an dich mit zwei Wünschen: Dass die Tiroler ihren Naturraum zuallererst als Chancenraum wahrnehmen, den es in seiner Ursprünglichkeit zu erhalten gilt, und dass sie in ihrem gerechten Kampf um weniger Lawinenopfer zu den richtigen Waffen greifen.
Herzlich grüße ich dich!"
"Schnee, Lawinen & Panik: Brief an das Bergland
von Michael Larcher, Österreichischer Alpenverein
Michael Larcher, Berg- und Skiführer, Journalist, Germanist, wundert sich über Tendenzen zur Kriminalisierung des Bergsports und den sonderbaren Umgang der Gesellschaft mit den Themen Schnee und Lawinen.
Innsbruck, 29. Februar 2012 - Panik, Medienhype und Forderungen nach Strafen und Bergsperren, wenn in den winterlichen Bergen die Lawinengefahr steigt und Leute verunglücken? Am vergangenen Wochenende erschien in der Tiroler Tageszeitung (TT) dieser Essay.
Liebes Land Tirol!
(austauschbar für alle anderen Bergregionen der Alpen)
Danke für diesen Winter! Auch wenn Frau Holle da wesentlich mitgeholfen hat - erst deine Falten, Furchen und Runzeln, erst deine Topografie, bringt die weiße Pracht so richtig zur Geltung. Die Menschen hier haben lernen müssen, mit diesem Himmelsgeschenk zu leben. Ging es zuerst ums einfache Überleben, entdeckten sie vor 100 Jahren die Faszination des Gleitens. Der Wintersport war erfunden und der Schnee wurde zum weißen Gold. Schnee als Piste, als Garant für volle Gästebetten, als Lustmacher auf Freeride und Après Ski, Anton aus Tirol und deftigen Spaß an der Skihaserl-Bar. Schnee auch als Inspiration, Heiler, Erzeuger von Stille und Entschleuniger.
Das zweite Gesicht: Schnee als Katastrophe, Schnee als Lawine. Der Stoff aus dem heute die Träume so Vieler sind, wird regelmäßig auch zum Stoff von Tragödien. In Tirol statistisch 14 mal jeden Winter. Lawinen gehörten immer zu dir. Schon lange bevor Ötzi am Tisenjoch zum Mann im Eis wurde. Aber damals waren Lawinen nur eine Naturerscheinung, nur für ganz wenige eine Gefahr. Lawinen waren noch kein „Risiko“.
Liebes Land Tirol, deine Menschen haben viel über Lawinen gelernt. Z.B. wie sie ihre Dörfer, Straßen und Pisten (fast) perfekt schützen können. Deine Lawinenwarner gehören zu den Besten weltweit, deine Bergretter sind Lawinen-Profis, deine Berg- und Schiführer verlässliche Garanten für ein Maximum an Sicherheit. Deine Ärzte, die jetzt um das Leben eines Prinzen kämpfen, sind auf dem Gebiet der Lawinen-Notfall-Medizin international führend.
Was mir allerdings zunehmend missfällt: Die seltsame Aufgeregtheit, die sich im Umgang mit diesem Naturphänomen in dir breit macht - Tendenz von Winter zu Winter steigend! Da werden Bergretter bemitleidet, die bei einem Lawinenunfall freiwillig ausrücken. Da muss nach jedem Unglück sofort ein Schuldiger gefunden und ein Fehlverhalten konstruiert werden. Da werden Lawinenopfer zuerst nicht bedauert, sondern als „Leichtsinnige“, „Hasardeure“ oder „Adrenalin-Junkies“ verurteilt. Da ertönt der Ruf nach neuen Gesetzen, nach Reglementierung, Bestrafung und Ausrüstungsvorschriften, nach Entzug von Versicherungsleistungen. Was bitte ist da los? Oder sind es nur die Flachlandanalytiker, die sich da Gehör verschaffen?
Liebes Land Tirol, dass Lawinen, ausgelöst von Menschen, seltene Ereignisse und der Vorhersehbarkeit Grenzen gesetzt sind, müsste im "Herz der Alpen" doch geistiges Allgemeingut sein. Ebenso die Tatsache, dass Naturraum zwar Gefahrenraum aber auch - und noch viel mehr - ein Raum für Chancen ist. Die Chance, eigenverantwortlich zu entscheiden und zu handeln. Die seltene Chance, Freiheit zu kosten. Die Chance, sein Recht auf Risiko selbstbestimmt zu leben. Sich zu entscheiden für oder gegen einen Lawinen-Airbag, sich zu entscheiden für oder gegen die Einfahrt in den noch unverspurten und steilen Nordhang.
Liebes Land Tirol, ich schließe diesen Brief an dich mit zwei Wünschen: Dass die Tiroler ihren Naturraum zuallererst als Chancenraum wahrnehmen, den es in seiner Ursprünglichkeit zu erhalten gilt, und dass sie in ihrem gerechten Kampf um weniger Lawinenopfer zu den richtigen Waffen greifen.
Herzlich grüße ich dich!"
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