Massenandrang am Mount Everest: "Alle standen sich im Weg"
Der Südtiroler Bergführer Toni Stocker hat den Mount Everest vor wenigen Tagen erklommen. Er berichtet von Höllenstrapazen, den Gefahren am Berg - und von unfassbar naiven Kletterern.
Toni Stocker ist einer der erfahrensten Bergführer Südtirols. Im Winter führt er Skitouren durch die Alpen, im Sommer bietet er mit seiner Bergschule für erfahrene Kletterer auch Trips auf den Kilimadscharo oder den Mount Kenia an. Gerade ist Stocker von seiner ersten Besteigung des Mount Everest zurückgekehrt, er liegt mit leichten Erfrierungen im Krankenhaus.
Everest 2016 Toni Stocker.jpg
SPIEGEL ONLINE: Herr Stocker, Sie sind kürzlich auf den Mount Everest gestiegen. Haben sich die Strapazen gelohnt?
Stocker: Dass es anstrengend würde, war mir klar. Obwohl ich über 250 Tage im Jahr am Berg bin, war der Everest auch für mich die härteste Tour, die es gibt. Trotzdem war der Gipfel immer der große Traum für mich. Das Gefühl, als ich am 19. Mai um drei Uhr morgens ganz oben stand, ist schwer zu beschreiben.
SPIEGEL ONLINE: Versuchen Sie es mal.
Stocker: Ich war ein bisschen wie auf Droge, nach dem anstrengenden Aufstieg und der langen Vorbereitung. Das Glücksgefühl hat sofort alles weggeblasen. Dieser Ort aber, dieser magische Gipfel, ist so lebensfeindlich, dass mir schnell klar wurde, dass wir wieder absteigen müssen.
SPIEGEL ONLINE: Wie geht es Ihnen nach der Tour?
Stocker: Ich habe mir an den Zehen einige mittlere Erfrierungen zugezogen, das habe ich selber erst beim Abstieg vom Gipfel gemerkt. Es war einfach sehr kalt und windig beim Auf- und Abstieg, teilweise unter 40 Grad minus, da schützt einen auch die Hightech-Kleidung nur noch bedingt. Zum Glück sagen die Ärzte, dass keine Schäden bleiben werden.
SPIEGEL ONLINE: Wie muss man sich den Aufstieg vorstellen?
Stocker: Wir haben die Südroute gewählt, also von Nepal aus. Es ist eine lange Tour, die objektiv gesehen auch sehr gefährlich ist. Dreimal mussten wir auf dem Weg in Hochlagern schlafen, bei der Eiseskälte ist das brutal, doch alle hatten nur das Ziel vor Augen. Dann ist alles eine Frage des Timings, zum richtigen Zeitpunkt die Gipfeletappe anzutreten. Wir starteten am Abend gegen 19 Uhr, es hat alles gepasst.
SPIEGEL ONLINE: Warum ist die Route so gefährlich?
Stocker: Ein recht langer Weg führt durch den sogenannten Khumbu-Eisbruch, dort drohen Eislawinen herabzustürzen, die uns jederzeit begraben können. Heikel wurde es auch in der Lhotse-Flanke, dort geht es steil bergauf. Wir hatten wenig Schnee, deswegen gab es häufig Steinschlag.
SPIEGEL ONLINE: Wenn man die Nachrichten verfolgte, entstand das Bild eines Massenaufstiegs von fast 150 Bergsteigern.
Stocker: Der Ansturm dieses Jahr war wirklich Wahnsinn. Viele Bergsteiger hatten ja nach dem Erdbeben in Nepal lange darauf gewartet, dass sie den Everest endlich angehen können. Rund um den 19. Mai gab es dann eine günstige Wetterprognose, die sich leider als falsch herausstellte, denn es zog ein heftiger Sturm auf. Hinzu kam, dass sich zuvor eine Expedition der indischen Armee auf den Weg gemacht hatte. Da zogen dann plötzlich viele mit, deswegen wurde es gefährlich.
SPIEGEL ONLINE: Wieso?
Stocker: Einige der Gipfelaspiranten waren schlicht nicht Herr der Lage, hatten zu wenig Erfahrung. Viele kamen mit heftigen Erfrierungen im Gesicht, an den Händen und den Füßen zurück. Es waren zum Teil erschreckende Bilder.
SPIEGEL ONLINE: Ihre Fotos zeugen von einem regelrechten Stau am Berg.
Stocker: So etwas kann man sich kaum vorstellen, wenn man es nicht selber miterlebt hat. Da waren etwa 150 Bergsteiger vom Südsattel unterwegs zum Gipfel, alle standen sich gegenseitig im Weg. Einige von ihnen waren völlig unerfahren, Touristen staksten in der Todeszone über 7000 Metern.
SPIEGEL ONLINE: Wie kommen solche Bergsteiger an diesen Ort?
Stocker: Das weiß ich nicht. Ich habe nur beobachtet, wie sich einige unerfahrene Expeditionsteilnehmer, die technisch völlig überfordert waren, dort abgemüht haben. Teilweise konnten die nicht mal selbstständig ihre Sicherungen anbringen und mussten von ihren Sherpas Meter für Meter Richtung Gipfel gelotst werden. Das war verrückt. Dort oben am Berg ist man jederzeit in Lebensgefahr, es gibt eine massive Gruppendynamik. Man muss immer aufpassen, dass keine Panik ausbricht, sie würde alle anderen sofort anstecken. Auf all das waren diese Amateure nicht vorbereitet.
SPIEGEL ONLINE: Gefährden solche Everest-Touristen die anderen Bergsteiger?
Stocker: Jeder Bergsteiger gefährdet andere, wenn er Fehler macht. Besonders an gefährlichen Stellen wie dem Hillary Step oder der Traverse vom Südgipfel zum Hauptgipfel verursachten die unerfahrenen Teilnehmer regelrechte Staus. Alle anderen dahinter müssen warten, sie sind wie verurteilt, der Kälte und dem Wind ausgesetzt, können sich Erfrierungen holen. Vor allem aber kann der Sauerstoff knapp werden, dann droht Lebensgefahr.
SPIEGEL ONLINE: Offizielle Kontrollen der Fähigkeiten der Bergsteiger gibt es nicht.
Stocker: Aus meiner Sicht muss jeder selber wissen, was er kann und was nicht. Aus dem Lebenstraum kann am Everest schnell das Ende des Lebens werden. Auch dieses Jahr sind ja mehrere Gipfelaspiranten gestorben.
SPIEGEL ONLINE: Sehr tragisch war der Fall von einem Ehepaar, das sich auf dem Weg zum Gipfel trennte. Die Frau starb später an der Höhenkrankheit. Haben Sie davon etwas mitbekommen?
Stocker: Ich habe davon erst später in der Zeitung gelesen. Am Berg selber bekommt man als Bergsteiger nur wenig mit.
SPIEGEL ONLINE: Wie könnte man die Situation am Everest verbessern, damit es nicht so viele Unglücke gibt?
Stocker: Das Tourismusministerium in Nepal müsste von allen Aspiranten einen Tourenbericht vorab verlangen. Zudem müsste man sich vergewissern, dass diese auch die technischen Fähigkeiten besitzen, um sich am Berg sicher zu bewegen und sich selbst und andere Bergsteiger nicht in Gefahr zu bringen. Ohne solche Kontrollen sind in den kommenden Everest-Saisons wieder schwere Unfälle zu erwarten.
SPIEGEL ONLINE: Würden Sie die Tour noch einmal machen?
Stocker: Ich bin mir nicht sicher. Im Moment zehre ich von den beeindruckenden Erlebnissen, ich bin ja gerade erst wieder zurück. Der Grat zwischen Triumph und Tragödie ist am Mount Everest verdammt schmal, das habe ich in den letzten Tagen schmerzhaft gelernt.
Quelle + Fotos: Spiegel.de
Der Südtiroler Bergführer Toni Stocker hat den Mount Everest vor wenigen Tagen erklommen. Er berichtet von Höllenstrapazen, den Gefahren am Berg - und von unfassbar naiven Kletterern.
Toni Stocker ist einer der erfahrensten Bergführer Südtirols. Im Winter führt er Skitouren durch die Alpen, im Sommer bietet er mit seiner Bergschule für erfahrene Kletterer auch Trips auf den Kilimadscharo oder den Mount Kenia an. Gerade ist Stocker von seiner ersten Besteigung des Mount Everest zurückgekehrt, er liegt mit leichten Erfrierungen im Krankenhaus.
Everest 2016 Toni Stocker.jpg
SPIEGEL ONLINE: Herr Stocker, Sie sind kürzlich auf den Mount Everest gestiegen. Haben sich die Strapazen gelohnt?
Stocker: Dass es anstrengend würde, war mir klar. Obwohl ich über 250 Tage im Jahr am Berg bin, war der Everest auch für mich die härteste Tour, die es gibt. Trotzdem war der Gipfel immer der große Traum für mich. Das Gefühl, als ich am 19. Mai um drei Uhr morgens ganz oben stand, ist schwer zu beschreiben.
SPIEGEL ONLINE: Versuchen Sie es mal.
Stocker: Ich war ein bisschen wie auf Droge, nach dem anstrengenden Aufstieg und der langen Vorbereitung. Das Glücksgefühl hat sofort alles weggeblasen. Dieser Ort aber, dieser magische Gipfel, ist so lebensfeindlich, dass mir schnell klar wurde, dass wir wieder absteigen müssen.
SPIEGEL ONLINE: Wie geht es Ihnen nach der Tour?
Stocker: Ich habe mir an den Zehen einige mittlere Erfrierungen zugezogen, das habe ich selber erst beim Abstieg vom Gipfel gemerkt. Es war einfach sehr kalt und windig beim Auf- und Abstieg, teilweise unter 40 Grad minus, da schützt einen auch die Hightech-Kleidung nur noch bedingt. Zum Glück sagen die Ärzte, dass keine Schäden bleiben werden.
SPIEGEL ONLINE: Wie muss man sich den Aufstieg vorstellen?
Stocker: Wir haben die Südroute gewählt, also von Nepal aus. Es ist eine lange Tour, die objektiv gesehen auch sehr gefährlich ist. Dreimal mussten wir auf dem Weg in Hochlagern schlafen, bei der Eiseskälte ist das brutal, doch alle hatten nur das Ziel vor Augen. Dann ist alles eine Frage des Timings, zum richtigen Zeitpunkt die Gipfeletappe anzutreten. Wir starteten am Abend gegen 19 Uhr, es hat alles gepasst.
SPIEGEL ONLINE: Warum ist die Route so gefährlich?
Stocker: Ein recht langer Weg führt durch den sogenannten Khumbu-Eisbruch, dort drohen Eislawinen herabzustürzen, die uns jederzeit begraben können. Heikel wurde es auch in der Lhotse-Flanke, dort geht es steil bergauf. Wir hatten wenig Schnee, deswegen gab es häufig Steinschlag.
SPIEGEL ONLINE: Wenn man die Nachrichten verfolgte, entstand das Bild eines Massenaufstiegs von fast 150 Bergsteigern.
Stocker: Der Ansturm dieses Jahr war wirklich Wahnsinn. Viele Bergsteiger hatten ja nach dem Erdbeben in Nepal lange darauf gewartet, dass sie den Everest endlich angehen können. Rund um den 19. Mai gab es dann eine günstige Wetterprognose, die sich leider als falsch herausstellte, denn es zog ein heftiger Sturm auf. Hinzu kam, dass sich zuvor eine Expedition der indischen Armee auf den Weg gemacht hatte. Da zogen dann plötzlich viele mit, deswegen wurde es gefährlich.
SPIEGEL ONLINE: Wieso?
Stocker: Einige der Gipfelaspiranten waren schlicht nicht Herr der Lage, hatten zu wenig Erfahrung. Viele kamen mit heftigen Erfrierungen im Gesicht, an den Händen und den Füßen zurück. Es waren zum Teil erschreckende Bilder.
SPIEGEL ONLINE: Ihre Fotos zeugen von einem regelrechten Stau am Berg.
Stocker: So etwas kann man sich kaum vorstellen, wenn man es nicht selber miterlebt hat. Da waren etwa 150 Bergsteiger vom Südsattel unterwegs zum Gipfel, alle standen sich gegenseitig im Weg. Einige von ihnen waren völlig unerfahren, Touristen staksten in der Todeszone über 7000 Metern.
SPIEGEL ONLINE: Wie kommen solche Bergsteiger an diesen Ort?
Stocker: Das weiß ich nicht. Ich habe nur beobachtet, wie sich einige unerfahrene Expeditionsteilnehmer, die technisch völlig überfordert waren, dort abgemüht haben. Teilweise konnten die nicht mal selbstständig ihre Sicherungen anbringen und mussten von ihren Sherpas Meter für Meter Richtung Gipfel gelotst werden. Das war verrückt. Dort oben am Berg ist man jederzeit in Lebensgefahr, es gibt eine massive Gruppendynamik. Man muss immer aufpassen, dass keine Panik ausbricht, sie würde alle anderen sofort anstecken. Auf all das waren diese Amateure nicht vorbereitet.
SPIEGEL ONLINE: Gefährden solche Everest-Touristen die anderen Bergsteiger?
Stocker: Jeder Bergsteiger gefährdet andere, wenn er Fehler macht. Besonders an gefährlichen Stellen wie dem Hillary Step oder der Traverse vom Südgipfel zum Hauptgipfel verursachten die unerfahrenen Teilnehmer regelrechte Staus. Alle anderen dahinter müssen warten, sie sind wie verurteilt, der Kälte und dem Wind ausgesetzt, können sich Erfrierungen holen. Vor allem aber kann der Sauerstoff knapp werden, dann droht Lebensgefahr.
SPIEGEL ONLINE: Offizielle Kontrollen der Fähigkeiten der Bergsteiger gibt es nicht.
Stocker: Aus meiner Sicht muss jeder selber wissen, was er kann und was nicht. Aus dem Lebenstraum kann am Everest schnell das Ende des Lebens werden. Auch dieses Jahr sind ja mehrere Gipfelaspiranten gestorben.
SPIEGEL ONLINE: Sehr tragisch war der Fall von einem Ehepaar, das sich auf dem Weg zum Gipfel trennte. Die Frau starb später an der Höhenkrankheit. Haben Sie davon etwas mitbekommen?
Stocker: Ich habe davon erst später in der Zeitung gelesen. Am Berg selber bekommt man als Bergsteiger nur wenig mit.
SPIEGEL ONLINE: Wie könnte man die Situation am Everest verbessern, damit es nicht so viele Unglücke gibt?
Stocker: Das Tourismusministerium in Nepal müsste von allen Aspiranten einen Tourenbericht vorab verlangen. Zudem müsste man sich vergewissern, dass diese auch die technischen Fähigkeiten besitzen, um sich am Berg sicher zu bewegen und sich selbst und andere Bergsteiger nicht in Gefahr zu bringen. Ohne solche Kontrollen sind in den kommenden Everest-Saisons wieder schwere Unfälle zu erwarten.
SPIEGEL ONLINE: Würden Sie die Tour noch einmal machen?
Stocker: Ich bin mir nicht sicher. Im Moment zehre ich von den beeindruckenden Erlebnissen, ich bin ja gerade erst wieder zurück. Der Grat zwischen Triumph und Tragödie ist am Mount Everest verdammt schmal, das habe ich in den letzten Tagen schmerzhaft gelernt.
Quelle + Fotos: Spiegel.de
Kommentar