Höhenmedizin: Dünne Luft schrumpft das Hirn
Die Todeszone ist bei Extrembergsteigern gefürchtet - ein längerer Aufenthalt dort schier unmöglich. Höhenmediziner erforschen die Gefahren von fehlendem Sauerstoff und niedrigen Luftdrucks für den Körper und stellen fest: Es drohen bleibende Hirnveränderungen.
"Weil er da ist" - das soll George Mallory (1886 - 1924) auf die Frage geantwortet haben, warum er den Mount Everest unbedingt bezwingen wolle. Der englische Bergsteiger bezahlte seine Leidenschaft mit dem Leben. Er und sein Kamerad Andrew Irvine (1902 - 1924) scheiterten bei dem Versuch, den höchsten Punkt der Erde zu erklimmen - Mallorys Leiche wurde 1999 gefunden.
Warum die Expedition misslang, blieb lange ein Rätsel. Kanadische Physiker präsentierten 2010 eine zunächst banal klingende Erklärung: niedriger Luftdruck. Kent Moore und seine Kollegen von der University of Toronto entdeckten bei der Auswertung historischer Wetterdaten, dass just am 8. Juni 1924 - als sich Mallory und Irvine auf den Weg zum Gipfel machten - der örtliche Luftdruck plötzlich um 18 Millibar gefallen war. In der ohnehin schon dünnen Hochgebirgsluft kann ein solcher Wetterumschwung tödliche Folgen haben.
Mit steigender Höhe nimmt der Luftdruck kontinuierlich ab. Während auf Meeresspiegelniveau ein Druck von etwa einem Bar herrscht, beträgt er in 5000 Metern noch die Hälfte, am Mount Everest (8848 Meter) gar nur ein Drittel des Normaldrucks. Da der Sauerstoffpartialdruck entsprechend absinkt, steht dem Körper mit jedem Höhenmeter immer weniger des lebenswichtigen Gases zur Verfügung.
Bis etwa 3500 Meter über Normalnull kann der menschliche Organismus den Sauerstoffschwund in der Regel problemlos verkraften. Wer höher hinauf will, muss sich allmählich an die Gebirgsluft anpassen. In extremen Höhen oberhalb von 5500 Metern funktioniert das allerdings nicht mehr vollständig, und bei 7500 Metern beginnt schließlich die "Todeszone", die einen längeren Aufenthalt gänzlich ausschließt.
In den ersten zehn Tagen im Hochgebirge steigt die Zahl der roten Blutkörperchen um bis zu 20 Prozent, der Körper kann somit den rarer gewordenen Sauerstoff besser aufnehmen. Auch die Hochlandbewohner der Anden besitzen mehr rote Blutkörperchen, so dass bei ihnen der Hämoglobingehalt des Bluts deutlich höher liegt als bei Flachlandtirolern.
Derart verdicktes Blut birgt jedoch die Gefahr einer Gefäßverstopfung. Bei Tibetern hat sich daher eine andere Anpassung durchgesetzt. Der Hämoglobingehalt ihres Bluts liegt sogar etwas niedriger als normal - doch weitet bei ihnen das Signalmolekül Stickstoffmonoxid die Lungengefäße und passt so den Blutfluss an die Bedingungen ihrer hoch gelegenen Heimat an. Im Jahr 2010 entdeckten Wissenschaftler um Lynn Jorde von der University of Utah in Salt Lake City in der tibetischen Bevölkerung zwei Genvarianten, die offenbar den Grundstein für diese Anpassung legen.
Für Hobbykletterer aus unseren Breiten gilt: Wer zu schnell aufsteigt und seinem Körper nicht ein paar Tage Ruhepause zum Akklimatisieren gönnt, dem droht die akute Höhenkrankheit (AMS nach dem englischen Acute Mountain Sickness). Sie beginnt meist mit Kopfschmerzen; hinzu treten Übelkeit, Schwindel, Appetitlosigkeit und Schlafstörungen. Bis zu drei Viertel aller Bergsteiger sind davon betroffen.
Mit einer Häufigkeit von nur wenigen Prozent viel seltener, dafür aber weit gefährlicher sind das Höhenlungenödem (High-Altitude Pulmonary) und das Höhenhirnödem (High-Altitude Cerebral Edema, HACE). Bei beiden reichert sich Flüssigkeit in den Interzellularräumen des Gewebes an. Typische Warnzeichen für ein Lungenödem sind rapider Leistungsabfall, Kurzatmigkeit und Husten. Ein Hirnödem macht sich dagegen durch unkoordinierte Bewegungen, schwere Kopfschmerzen, Übelkeit, Sehstörungen und Halluzinationen bemerkbar. Fast die Hälfte der Fälle endet tödlich.
Zusätzlich erhöhen die Symptome einer Höhenkrankheit die Gefahr eines Fehltritts. Zahlreiche Unfälle im Gebirge dürften daher indirekt auf den höhenbedingten Sauerstoffmangel zurückzuführen sein.
Durchlässige Blut-Hirn-Schranke
Die genauen Krankheitsmechanismen sind noch nicht völlig geklärt. Zunächst nimmt der Körper den Sauerstoffmangel überhaupt nicht wahr, da die Atmung durch den Kohlendioxidgehalt im Blut - der in der dünnen Luft nicht ansteigt - reguliert wird. Trotz sinkenden Sauerstoffgehalts schnauft der Bergsteiger also unverändert weiter; das Sauerstoffdefizit verschlimmert sich. Erst nach einigen Stunden nimmt die Atemfrequenz zu, wodurch wiederum mehr Kohlendioxid abgeatmet wird.
Dadurch steigt der pH-Wert des Bluts, was wiederum die Natrium-Kalium-Pumpe in den Zellmembranen stört. So dringt vermehrt Wasser in die Zellen ein; Schwellungen und Blutungen treten auf. Die außerdem noch zunehmende Durchlässigkeit der Blut-Hirn-Schranke gilt als Auslöser des Hirnödems. Aus den feinen Lungenbläschen presst der steigende Blutdruck Flüssigkeit - es kommt zum Lungenödem.
Als einzig wirksames Gegenmittel gilt ein langsamer Aufstieg. Täglich 300 bis 500 gewonnene Höhenmeter sind genug, wobei das Nachtlager tiefer als die maximale Tageshöhe liegen sollte. Treten dennoch Symptome einer Höhenkrankheit auf, ist eine Pause unabdingbar. Verschwinden die Symptome dabei nicht, hilft nur eins: so schnell wie möglich bergab!
Welche Gefahren drohen noch in luftiger Höhe? Um das herauszufinden, ließen sich acht Freiwillige 31 Tage lang von französischen Wissenschaftlern um Jean-Paul Richalet von der Université Paris 13 in eine Druckkammer einsperren und durch schrittweise Absenkung des Luftdrucks auf eine imaginäre Reise zum Mount Everest schicken. Wie die Auswertung des Tests im Jahr 2000 ergab, hatten die Probanden ab einem Luftdruck, wie er oberhalb von 8000 Metern herrscht, zunehmend Schwierigkeiten, Konzentrationsaufgaben zu bewältigen. Die Rückkehr zum Normaldruck stellte die kognitive Leistungsfähigkeit rasch wieder her. Die Symptome von Höhenkrankheit verschwinden normalerweise ebenfalls vollständig, sobald der Betroffene wieder genug Luft zum Atmen hat.
Allerdings könnte die Höhenluft auch bleibende Hirnveränderungen auslösen. Das entdeckten 2006 Pedro Modrego und seine Kollegen von der spanischen Universidad de Zaragoza. Die Forscher untersuchten insgesamt 35 Bergsteiger, welche die höchsten Berge der Erde erklommen hatten: den Mont Blanc in Europa (4810 Meter), den Kilimandscharo in Afrika (5895 Meter), den Aconcagua in Südamerika (6962 Meter) oder den Mount Everest in Asien. Ergebnis: Bei den meisten Kletterern zeigten Hirnaufnahmen per Magnetresonanztomografie vergrößerte Virchow-Robin-Räume, die zwischen den Hirnhäuten liegen. Auch bei zwei von sieben Probanden, die "nur" den Mont Blanc bezwungen hatten, traten diese Schädigungen auf. Mehr noch: Die Hirnveränderungen blieben auch drei Jahre nach der Gipfelbesteigung nachweisbar.
Bestätigt wurden diese Ergebnisse 2008 von italienischen Kollegen um Margherita Di Paola von der Fondazione Santa Lucia in Rom: Bei neun Extrembergsteigern ließen sich mittels voxelbasierter Morphometrie verminderte Volumina in Hirnarealen nachweisen, die für die Motorik zuständig sind.
Gefährdet Bergsteigen Ihre Gesundheit? So weit wollen die Forscher nicht gehen. Aber angesichts der wachsenden Beliebtheit dieses Sports - Jahr für Jahr wagen sich schätzungsweise 5000 Bergsteiger auf die Höhen des Himalajas - steigt das Risiko, dass sich übereifrige Kletterer medizinische Probleme einhandeln. Wer jedoch seinem Körper nicht das Letzte abverlangt, den belohnt die Bergwelt mit einem faszinierenden Naturerlebnis.
Quelle: Spiegel.de
Die Todeszone ist bei Extrembergsteigern gefürchtet - ein längerer Aufenthalt dort schier unmöglich. Höhenmediziner erforschen die Gefahren von fehlendem Sauerstoff und niedrigen Luftdrucks für den Körper und stellen fest: Es drohen bleibende Hirnveränderungen.
"Weil er da ist" - das soll George Mallory (1886 - 1924) auf die Frage geantwortet haben, warum er den Mount Everest unbedingt bezwingen wolle. Der englische Bergsteiger bezahlte seine Leidenschaft mit dem Leben. Er und sein Kamerad Andrew Irvine (1902 - 1924) scheiterten bei dem Versuch, den höchsten Punkt der Erde zu erklimmen - Mallorys Leiche wurde 1999 gefunden.
Warum die Expedition misslang, blieb lange ein Rätsel. Kanadische Physiker präsentierten 2010 eine zunächst banal klingende Erklärung: niedriger Luftdruck. Kent Moore und seine Kollegen von der University of Toronto entdeckten bei der Auswertung historischer Wetterdaten, dass just am 8. Juni 1924 - als sich Mallory und Irvine auf den Weg zum Gipfel machten - der örtliche Luftdruck plötzlich um 18 Millibar gefallen war. In der ohnehin schon dünnen Hochgebirgsluft kann ein solcher Wetterumschwung tödliche Folgen haben.
Mit steigender Höhe nimmt der Luftdruck kontinuierlich ab. Während auf Meeresspiegelniveau ein Druck von etwa einem Bar herrscht, beträgt er in 5000 Metern noch die Hälfte, am Mount Everest (8848 Meter) gar nur ein Drittel des Normaldrucks. Da der Sauerstoffpartialdruck entsprechend absinkt, steht dem Körper mit jedem Höhenmeter immer weniger des lebenswichtigen Gases zur Verfügung.
Bis etwa 3500 Meter über Normalnull kann der menschliche Organismus den Sauerstoffschwund in der Regel problemlos verkraften. Wer höher hinauf will, muss sich allmählich an die Gebirgsluft anpassen. In extremen Höhen oberhalb von 5500 Metern funktioniert das allerdings nicht mehr vollständig, und bei 7500 Metern beginnt schließlich die "Todeszone", die einen längeren Aufenthalt gänzlich ausschließt.
In den ersten zehn Tagen im Hochgebirge steigt die Zahl der roten Blutkörperchen um bis zu 20 Prozent, der Körper kann somit den rarer gewordenen Sauerstoff besser aufnehmen. Auch die Hochlandbewohner der Anden besitzen mehr rote Blutkörperchen, so dass bei ihnen der Hämoglobingehalt des Bluts deutlich höher liegt als bei Flachlandtirolern.
Derart verdicktes Blut birgt jedoch die Gefahr einer Gefäßverstopfung. Bei Tibetern hat sich daher eine andere Anpassung durchgesetzt. Der Hämoglobingehalt ihres Bluts liegt sogar etwas niedriger als normal - doch weitet bei ihnen das Signalmolekül Stickstoffmonoxid die Lungengefäße und passt so den Blutfluss an die Bedingungen ihrer hoch gelegenen Heimat an. Im Jahr 2010 entdeckten Wissenschaftler um Lynn Jorde von der University of Utah in Salt Lake City in der tibetischen Bevölkerung zwei Genvarianten, die offenbar den Grundstein für diese Anpassung legen.
Für Hobbykletterer aus unseren Breiten gilt: Wer zu schnell aufsteigt und seinem Körper nicht ein paar Tage Ruhepause zum Akklimatisieren gönnt, dem droht die akute Höhenkrankheit (AMS nach dem englischen Acute Mountain Sickness). Sie beginnt meist mit Kopfschmerzen; hinzu treten Übelkeit, Schwindel, Appetitlosigkeit und Schlafstörungen. Bis zu drei Viertel aller Bergsteiger sind davon betroffen.
Mit einer Häufigkeit von nur wenigen Prozent viel seltener, dafür aber weit gefährlicher sind das Höhenlungenödem (High-Altitude Pulmonary) und das Höhenhirnödem (High-Altitude Cerebral Edema, HACE). Bei beiden reichert sich Flüssigkeit in den Interzellularräumen des Gewebes an. Typische Warnzeichen für ein Lungenödem sind rapider Leistungsabfall, Kurzatmigkeit und Husten. Ein Hirnödem macht sich dagegen durch unkoordinierte Bewegungen, schwere Kopfschmerzen, Übelkeit, Sehstörungen und Halluzinationen bemerkbar. Fast die Hälfte der Fälle endet tödlich.
Zusätzlich erhöhen die Symptome einer Höhenkrankheit die Gefahr eines Fehltritts. Zahlreiche Unfälle im Gebirge dürften daher indirekt auf den höhenbedingten Sauerstoffmangel zurückzuführen sein.
Durchlässige Blut-Hirn-Schranke
Die genauen Krankheitsmechanismen sind noch nicht völlig geklärt. Zunächst nimmt der Körper den Sauerstoffmangel überhaupt nicht wahr, da die Atmung durch den Kohlendioxidgehalt im Blut - der in der dünnen Luft nicht ansteigt - reguliert wird. Trotz sinkenden Sauerstoffgehalts schnauft der Bergsteiger also unverändert weiter; das Sauerstoffdefizit verschlimmert sich. Erst nach einigen Stunden nimmt die Atemfrequenz zu, wodurch wiederum mehr Kohlendioxid abgeatmet wird.
Dadurch steigt der pH-Wert des Bluts, was wiederum die Natrium-Kalium-Pumpe in den Zellmembranen stört. So dringt vermehrt Wasser in die Zellen ein; Schwellungen und Blutungen treten auf. Die außerdem noch zunehmende Durchlässigkeit der Blut-Hirn-Schranke gilt als Auslöser des Hirnödems. Aus den feinen Lungenbläschen presst der steigende Blutdruck Flüssigkeit - es kommt zum Lungenödem.
Als einzig wirksames Gegenmittel gilt ein langsamer Aufstieg. Täglich 300 bis 500 gewonnene Höhenmeter sind genug, wobei das Nachtlager tiefer als die maximale Tageshöhe liegen sollte. Treten dennoch Symptome einer Höhenkrankheit auf, ist eine Pause unabdingbar. Verschwinden die Symptome dabei nicht, hilft nur eins: so schnell wie möglich bergab!
Welche Gefahren drohen noch in luftiger Höhe? Um das herauszufinden, ließen sich acht Freiwillige 31 Tage lang von französischen Wissenschaftlern um Jean-Paul Richalet von der Université Paris 13 in eine Druckkammer einsperren und durch schrittweise Absenkung des Luftdrucks auf eine imaginäre Reise zum Mount Everest schicken. Wie die Auswertung des Tests im Jahr 2000 ergab, hatten die Probanden ab einem Luftdruck, wie er oberhalb von 8000 Metern herrscht, zunehmend Schwierigkeiten, Konzentrationsaufgaben zu bewältigen. Die Rückkehr zum Normaldruck stellte die kognitive Leistungsfähigkeit rasch wieder her. Die Symptome von Höhenkrankheit verschwinden normalerweise ebenfalls vollständig, sobald der Betroffene wieder genug Luft zum Atmen hat.
Allerdings könnte die Höhenluft auch bleibende Hirnveränderungen auslösen. Das entdeckten 2006 Pedro Modrego und seine Kollegen von der spanischen Universidad de Zaragoza. Die Forscher untersuchten insgesamt 35 Bergsteiger, welche die höchsten Berge der Erde erklommen hatten: den Mont Blanc in Europa (4810 Meter), den Kilimandscharo in Afrika (5895 Meter), den Aconcagua in Südamerika (6962 Meter) oder den Mount Everest in Asien. Ergebnis: Bei den meisten Kletterern zeigten Hirnaufnahmen per Magnetresonanztomografie vergrößerte Virchow-Robin-Räume, die zwischen den Hirnhäuten liegen. Auch bei zwei von sieben Probanden, die "nur" den Mont Blanc bezwungen hatten, traten diese Schädigungen auf. Mehr noch: Die Hirnveränderungen blieben auch drei Jahre nach der Gipfelbesteigung nachweisbar.
Bestätigt wurden diese Ergebnisse 2008 von italienischen Kollegen um Margherita Di Paola von der Fondazione Santa Lucia in Rom: Bei neun Extrembergsteigern ließen sich mittels voxelbasierter Morphometrie verminderte Volumina in Hirnarealen nachweisen, die für die Motorik zuständig sind.
Gefährdet Bergsteigen Ihre Gesundheit? So weit wollen die Forscher nicht gehen. Aber angesichts der wachsenden Beliebtheit dieses Sports - Jahr für Jahr wagen sich schätzungsweise 5000 Bergsteiger auf die Höhen des Himalajas - steigt das Risiko, dass sich übereifrige Kletterer medizinische Probleme einhandeln. Wer jedoch seinem Körper nicht das Letzte abverlangt, den belohnt die Bergwelt mit einem faszinierenden Naturerlebnis.
Quelle: Spiegel.de
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