Nur Neuschnee könnte Gletscherschmelze bremsen
Wenn es heuer im Frühjahr im Hochgebirge nicht noch mindestens zwei Meter schneit, dann drohe rekordverdächtige Gletscherschmelze im Sommer. Das sagt Andrea Fischer, führende Glaziologin und gebürtige Salzburgerin. Zudem warnt sie Skibergsteiger dringend vor Spaltenstürzen. Die Gletscher seien extrem abgeblasen, nur dünn mit brüchigem Schnee bedeckt.
Wenn es im nun ausklingenden Winter oberhalb von 3.000 Meter Seehöhe heuer gut geschneit hat, dann ausschließlich bei starkem Wind, erzählt Gletscherforscherin Fischer.
Sie stammt aus St. Johann (Pongau) und arbeitet in Innsbruck als Vizedirektorin für das Institut für Hochgebirgsforschung von Österreichs Akademie der Wissenschaften: „Der meiste Schnee wurde in weiten Teilen der Ostalpen heuer vom Wind sofort weitertransportiert und kam gar nicht auf den Gletschern zu liegen.“
Das Phänomen betrifft die großen und größten Seehöhen, während weiter unten in vielen Regionen noch viel Schnee liegt – zum Beispiel im Gasteiner Tal oder in den Nördlichen Kalkalpen. Dort gibt es aber kaum Gletscher, die den Schutz nötig hätten.
Massen in viele Himmelsrichtungen verblasen
Auf den Eisfeldern der Zentralalpen fehlen dagegen heuer die Schichten, die im Frühling, Frühsommer und Sommer so wichtig wären. Blieben die Gletscher so wie derzeit, würde die Sonne schon ab Juni das blanke Eis voll angreifen, sagt Fischer. Dieses sei deutlich dunkler als Schnee und dadurch vielfach anfälliger für Abschmelzung: „Wir hoffen jetzt, dass in den nächsten zwei Monaten oben noch viel Schnee fällt, damit wir in einem relativ warmen Sommer nur moderate Schmelzraten verzeichnen können.“
Der meiste Schnee falle in normalen Jahren im Hochgebirge oft erst ab März – viel mehr als im Hochwinter. Eine solche Schutzschicht bis Mai wäre nun die letzte Hoffnung für den Sommer, so Fischer.
Dringende Warnung für Tourengeher
Die aktuelle Lage sei auch für Tourengeher und Skibergsteiger im Frühling und Frühsommer nun sehr gefährlich.
Oft würden Spalten nur von gefrorenem Nassschnee und schwachem Schneegries verdeckt – nicht mehr als 20 Zentimeter dick: „Die Position vieler Spalten ist an der Oberfläche kaum einzuschätzen. Es ist sehr ratsam für Gruppen von Skifahrern, sich bei Aufstieg und Abfahrt mit Seil zu bewegen. Zweier-Seilschaften sollte man generell vermeiden.“
Wegen der dünnen Schneeschichten seien Spaltenstürze für andere Seilpartner viel schwieriger zu halten, sagt Andrea Fischer. Das Seil schneidet sich kaum an Spaltenrändern in den Schnee ein. Es entsteht kaum zusätzliche Reibung, die oft lebensrettend sein kann.
Regen von Oktober wirkt bis heute nach
Neben den Höhenstürmen im Hochwinter mit ihrer massiven Verfrachtung liege eine Hauptursache für die magere Schneelage im vergangenen Oktober. Mitte dieses Monats regnete es bis in mehr als 3.000 Meter Seehöhe, schildert Forscherin Fischer: „Der Regen fiel im Oktober auf eine relativ frische Schneeoberfläche und verwandelte sich in Eis. Diese Kruste war dann ab Jänner wieder die Oberfläche, die wir bis heute sehen. Der Schnee, der im November und Jänner auf diese glatten Flächen fiel, wurde vom Wind vollständig verfrachtet, weggeblasen und abtransportiert.“
Im Oktober seien die Gletscherspalten noch sehr offen und gut zu sehen gewesen, wie im Herbst allgemein üblich: „In den letzten Wochen seit Jänner hat es wieder etwas geschneit im Hochgebirge. Die Oberflächen sind schon lange sehr kalt und die Lufttemperaturen niedrig. Dadurch ist der Schnee sehr leicht, haftet nicht auf den Gletschern und wird zum Teil auch in die Spalten hineingeweht. So entsteht eine sehr tückische Lage für Alpinisten.“
Schneedecke täuscht Festigkeit nur vor
Fischer spricht von einer „windüberformten“ Schneedecke in den obersten Bereichen: „Sie sieht zwar homogen aus, ist aber nur sehr dünn und wenig mächtig. Wir haben auf den Gletschern derzeit nur Schneehöhen zwischen 1,50 Meter und wenigen Zentimetern. Dazu kommt, dass dieser Schnee meistens aus Gries besteht – mit geringer Tragkraft.“
Man wisse aus der Physik, dass ein erwachsener Mann durch eine Schneedecke durchbrechen kann, wenn sie dünner als 80 Zentimeter ist, so Fischer: „Das gilt für kompakte Schneedecken. Man kann sich vorstellen, dass Spaltenstürze bei diesem Gries noch viel wahrscheinlicher sind."
Volle Gletscher-Ausrüstung, Steigeisen, Pickel
Fischer hat mit ihrem Forschungsteam im Februar auf der Sonklarspitze in Tirol auf 3.500 Meter Seehöhe einen Eiskern aus dem Gletscher gebohrt – eine Situation, wie sie fast überall im Hauptkamm der Ostalpen derzeit zu beobachten sei: „Wir mussten uns durch eine nur 20 Zentimeter dicke Schneedecke durchgraben. Oberflächlich sah sie sehr tragfähig aus – wegen dieser Schmelzharschschicht, die nach dem Regen im Oktober entstand. Sie ist maximal zwei Zentimeter dick und suggeriert eine kompakte Oberfläche. Aber sie bricht sehr leicht. Und darunter gibt es nur noch diesen lockeren Gries, der dir zwischen den Fingern zerfällt.“
Neben diesen Bedingungen gibt es viele Gletscherbereiche, die vollkommen schneefrei seien – mit blankem Eis. Auch das sei für Spätwinter und Frühling sehr ungewöhnlich, so Fischer: „Für Skibergsteiger ist es in diesen Höhen wichtig, nun nicht nur Harscheisen für die Tourenbindung, sondern auch klassische Steigeisen und Eispickel dabei zu haben. Nur so kann man diese Stellen mit geringem Risiko passieren.“
Forschungsteam fürchtet um natürliches „Archiv“
Sollten in den nächsten zwei Monaten nicht der erwünschte Neuschnee als Schutzschicht fallen, dann müssen sich Österreichs Forscher laut Fischer auf einen extremen Sommer vorbereiten – auch zur Rettung ihrer methodischen Rückblicke in frühere Jahrhunderte und Jahrtausende: „Besonders die hochliegenden Gipfeleisfelder sind für diese Analysen wichtig. Die Bohrkerne aus diesen Gebieten liefern uns ein natürliches Archiv meteorologischer und atmosphärischer Bedingungen.“
In den Gipfelbereichen würden zum Teil nun nur noch etwa zehn Meter dicke Eisschichten liegen, so die Glaziologin: „In einem extremen Sommer können bis zu zwei Meter Eis schmelzen. Ohne frischen Neuschnee bis Mai wären diese Archive sehr gefährdet.“ Wir müssten nun alle die Daumen drücken, dass noch viel Schnee kommt.
Quelle: https://salzburg.orf.at/stories/3146555/
Hier sind zudem zahlreiche aktuelle Luftaufnahmen (Anfang März 2022) von den Gletschern der Glocknergruppe zu sehen.
Wenn es heuer im Frühjahr im Hochgebirge nicht noch mindestens zwei Meter schneit, dann drohe rekordverdächtige Gletscherschmelze im Sommer. Das sagt Andrea Fischer, führende Glaziologin und gebürtige Salzburgerin. Zudem warnt sie Skibergsteiger dringend vor Spaltenstürzen. Die Gletscher seien extrem abgeblasen, nur dünn mit brüchigem Schnee bedeckt.
Wenn es im nun ausklingenden Winter oberhalb von 3.000 Meter Seehöhe heuer gut geschneit hat, dann ausschließlich bei starkem Wind, erzählt Gletscherforscherin Fischer.
Sie stammt aus St. Johann (Pongau) und arbeitet in Innsbruck als Vizedirektorin für das Institut für Hochgebirgsforschung von Österreichs Akademie der Wissenschaften: „Der meiste Schnee wurde in weiten Teilen der Ostalpen heuer vom Wind sofort weitertransportiert und kam gar nicht auf den Gletschern zu liegen.“
Das Phänomen betrifft die großen und größten Seehöhen, während weiter unten in vielen Regionen noch viel Schnee liegt – zum Beispiel im Gasteiner Tal oder in den Nördlichen Kalkalpen. Dort gibt es aber kaum Gletscher, die den Schutz nötig hätten.
Massen in viele Himmelsrichtungen verblasen
Auf den Eisfeldern der Zentralalpen fehlen dagegen heuer die Schichten, die im Frühling, Frühsommer und Sommer so wichtig wären. Blieben die Gletscher so wie derzeit, würde die Sonne schon ab Juni das blanke Eis voll angreifen, sagt Fischer. Dieses sei deutlich dunkler als Schnee und dadurch vielfach anfälliger für Abschmelzung: „Wir hoffen jetzt, dass in den nächsten zwei Monaten oben noch viel Schnee fällt, damit wir in einem relativ warmen Sommer nur moderate Schmelzraten verzeichnen können.“
Der meiste Schnee falle in normalen Jahren im Hochgebirge oft erst ab März – viel mehr als im Hochwinter. Eine solche Schutzschicht bis Mai wäre nun die letzte Hoffnung für den Sommer, so Fischer.
Dringende Warnung für Tourengeher
Die aktuelle Lage sei auch für Tourengeher und Skibergsteiger im Frühling und Frühsommer nun sehr gefährlich.
Oft würden Spalten nur von gefrorenem Nassschnee und schwachem Schneegries verdeckt – nicht mehr als 20 Zentimeter dick: „Die Position vieler Spalten ist an der Oberfläche kaum einzuschätzen. Es ist sehr ratsam für Gruppen von Skifahrern, sich bei Aufstieg und Abfahrt mit Seil zu bewegen. Zweier-Seilschaften sollte man generell vermeiden.“
Wegen der dünnen Schneeschichten seien Spaltenstürze für andere Seilpartner viel schwieriger zu halten, sagt Andrea Fischer. Das Seil schneidet sich kaum an Spaltenrändern in den Schnee ein. Es entsteht kaum zusätzliche Reibung, die oft lebensrettend sein kann.
Regen von Oktober wirkt bis heute nach
Neben den Höhenstürmen im Hochwinter mit ihrer massiven Verfrachtung liege eine Hauptursache für die magere Schneelage im vergangenen Oktober. Mitte dieses Monats regnete es bis in mehr als 3.000 Meter Seehöhe, schildert Forscherin Fischer: „Der Regen fiel im Oktober auf eine relativ frische Schneeoberfläche und verwandelte sich in Eis. Diese Kruste war dann ab Jänner wieder die Oberfläche, die wir bis heute sehen. Der Schnee, der im November und Jänner auf diese glatten Flächen fiel, wurde vom Wind vollständig verfrachtet, weggeblasen und abtransportiert.“
Im Oktober seien die Gletscherspalten noch sehr offen und gut zu sehen gewesen, wie im Herbst allgemein üblich: „In den letzten Wochen seit Jänner hat es wieder etwas geschneit im Hochgebirge. Die Oberflächen sind schon lange sehr kalt und die Lufttemperaturen niedrig. Dadurch ist der Schnee sehr leicht, haftet nicht auf den Gletschern und wird zum Teil auch in die Spalten hineingeweht. So entsteht eine sehr tückische Lage für Alpinisten.“
Schneedecke täuscht Festigkeit nur vor
Fischer spricht von einer „windüberformten“ Schneedecke in den obersten Bereichen: „Sie sieht zwar homogen aus, ist aber nur sehr dünn und wenig mächtig. Wir haben auf den Gletschern derzeit nur Schneehöhen zwischen 1,50 Meter und wenigen Zentimetern. Dazu kommt, dass dieser Schnee meistens aus Gries besteht – mit geringer Tragkraft.“
Man wisse aus der Physik, dass ein erwachsener Mann durch eine Schneedecke durchbrechen kann, wenn sie dünner als 80 Zentimeter ist, so Fischer: „Das gilt für kompakte Schneedecken. Man kann sich vorstellen, dass Spaltenstürze bei diesem Gries noch viel wahrscheinlicher sind."
Volle Gletscher-Ausrüstung, Steigeisen, Pickel
Fischer hat mit ihrem Forschungsteam im Februar auf der Sonklarspitze in Tirol auf 3.500 Meter Seehöhe einen Eiskern aus dem Gletscher gebohrt – eine Situation, wie sie fast überall im Hauptkamm der Ostalpen derzeit zu beobachten sei: „Wir mussten uns durch eine nur 20 Zentimeter dicke Schneedecke durchgraben. Oberflächlich sah sie sehr tragfähig aus – wegen dieser Schmelzharschschicht, die nach dem Regen im Oktober entstand. Sie ist maximal zwei Zentimeter dick und suggeriert eine kompakte Oberfläche. Aber sie bricht sehr leicht. Und darunter gibt es nur noch diesen lockeren Gries, der dir zwischen den Fingern zerfällt.“
Neben diesen Bedingungen gibt es viele Gletscherbereiche, die vollkommen schneefrei seien – mit blankem Eis. Auch das sei für Spätwinter und Frühling sehr ungewöhnlich, so Fischer: „Für Skibergsteiger ist es in diesen Höhen wichtig, nun nicht nur Harscheisen für die Tourenbindung, sondern auch klassische Steigeisen und Eispickel dabei zu haben. Nur so kann man diese Stellen mit geringem Risiko passieren.“
Forschungsteam fürchtet um natürliches „Archiv“
Sollten in den nächsten zwei Monaten nicht der erwünschte Neuschnee als Schutzschicht fallen, dann müssen sich Österreichs Forscher laut Fischer auf einen extremen Sommer vorbereiten – auch zur Rettung ihrer methodischen Rückblicke in frühere Jahrhunderte und Jahrtausende: „Besonders die hochliegenden Gipfeleisfelder sind für diese Analysen wichtig. Die Bohrkerne aus diesen Gebieten liefern uns ein natürliches Archiv meteorologischer und atmosphärischer Bedingungen.“
In den Gipfelbereichen würden zum Teil nun nur noch etwa zehn Meter dicke Eisschichten liegen, so die Glaziologin: „In einem extremen Sommer können bis zu zwei Meter Eis schmelzen. Ohne frischen Neuschnee bis Mai wären diese Archive sehr gefährdet.“ Wir müssten nun alle die Daumen drücken, dass noch viel Schnee kommt.
Quelle: https://salzburg.orf.at/stories/3146555/
Hier sind zudem zahlreiche aktuelle Luftaufnahmen (Anfang März 2022) von den Gletschern der Glocknergruppe zu sehen.
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