Extremer Sommer für die Gletscher
Die Gletscher in Österreich erleben einen schlimmen Sommer. Der wenige Schnee vom Winter taut in der Hitze, und der Sahara-Staub beschleunigt den Prozess. Ende Juni lag noch nie so wenig Schnee in 3.000 Meter Höhe wie heuer. In diesem Sommer droht daher ein beispielloser Aderlass des ehemals ewigen Eises. Gletscherforscher und -forscherinnen rechnen mit noch nie da gewesenen Schmelzraten.
Die Gletschermilch fließt reichlich talwärts dieser Tage, ob in der Silvretta, den Zillertaler Alpen oder in den Hohen Tauern. Überall taut es stark. Wo Ende Juni noch meterhoch Schnee liegen sollte, ist jetzt schon das blanke Eis zu sehen. Und auch das schmilzt rasant.
Die Nullgradgrenze liegt seit Wochen immer wieder in 4.000 Metern und höher, also weit oberhalb aller Gipfel in Österreich, dazu kommen noch viel Sonne und Gewitter. Nicht einmal in den Nächten reicht es auf den Gletschern noch für leichten Frost. Es ist der Worst Case.
Historisch noch nie da gewesen
Von einer „historisch noch nie da gewesenen Situation“ zu dieser Jahreszeit spricht Glaziologin Andrea Fischer von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Sie erwartet heuer einen deutlichen Flächenverlust, gerade weil die Gletscher schon in den vergangenen Jahren so ausgedünnt seien. „Die Gletscher werden am Ende des Sommers sehr wahrscheinlich deutlich anders aussehen als bisher.“ Allerdings sei das nur eine Beschleunigung des Prozesses, der sonst in einigen Jahren eingetreten wäre.
Wenig Schnee im Winterhalbjahr
Das Übel hat schon im Winter seinen Lauf genommen. Der Winter war gerade am Alpen-Hauptkamm, wo die meisten Gletscher in Österreich liegen, schneearm, auch der Frühling war fast ein Totalausfall, was Neuschnee betrifft.
Mehrere Episoden mit Sahara-Staub haben den Schnee im Frühling zudem schmutzig gemacht, und das beschleunigt das Schmelzen, seitdem es im Mai abrupt warm geworden ist. Der dunkle Staub wirkt wie ein Schneeschmelzkatalysator, er verringert das Reflexionsvermögen des Schnees und erhöht die Absorption der Sonnenenergie.
Auf dem Hintereisferner in den Ötztaler Alpen, einem der bestuntersuchten Gletscher der Alpen, sei im Winterhalbjahr um 44 Prozent weniger Schnee gefallen als im langjährigen Schnitt, so der Glaziologe Rainer Prinz von der Universität Innsbruck. Dieser Schnee ist mittlerweile fast zur Gänze geschmolzen, der Gletscher ist so ausgeapert wie letztes Jahr erst im August. Seit drei, vier Wochen schon schmilzt das Eis auf der Gletscherzunge.
Sommer begann schon im Mai
Verlief der Mai in den letzten Jahren noch kalt, war er heuer auf den Bergen laut Auswertung der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) einer der wärmsten seit Beginn der Aufzeichnungen. Auf dem Sonnblick (3.109 Meter) in den Hohen Tauern war sogar kein Mai bisher so warm wie heuer, die mittlere Temperatur lag bei 0,0 Grad. Noch wärmer ist der aktuelle Juni, für den sich schon die nächste Extremplatzierung in der langen Messreihe abzeichnet.
Sonnblick und Zugspitze bald schneefrei
Auch auf dem Sonnblick nimmt die Schneehöhe seit Mai rapide ab, mittlerweile liegt nicht einmal mehr ein Meter, ein Negativrekord für die Jahreszeit. Hält der Trend an, ist der Sonnblick schon in zwei Wochen praktisch schneefrei. Ein absolutes Novum so früh im Sommer und ein alarmierendes Zeichen der Klimakrise. Selbst im bisher heißesten Sommer 2003 lag noch bis in den August hinein Schnee. Letztes Jahr war die Schneehöhe Ende Juni noch fast vier Meter mächtig, trotzdem waren die Gletscher im Sonnblick-Gebiet am Ende des Sommers deutlich geschrumpft.
Was dem Sonnblick bald bevorsteht, ist auf der Zugspitze, mit fast 3.000 Metern der höchste Berg Deutschlands, an der Grenze zu Tirol schon Realität. Seit einer Woche gibt es keine geschlossene Schneedecke mehr, nur noch Schneeflecken. „So früh wie noch nie in den letzten 75 Jahren“, sagt Gudrun Mühlbacher vom Deutschen Wetterdienst (DWD) in München. Nur 1960 sei die Situation ähnlich gewesen, aber auch nicht so extrem. Normalerweise liegen Ende Juni auf der Zugspitze noch zwei, drei Meter Schnee.
300 Millionen Tonnen Eisverlust in einer Woche
Die Lage der Gletscher ist in den ganzen Alpen gleich dramatisch, in Frankreich, Italien und in der Schweiz war der Winter schneearm, und der Sommer hat früh begonnen. Schweizer Glaziologen um Matthias Huss von der ETH Zürich haben errechnet, dass die Hitzewelle in der Woche von 15. bis 21. Juni die Schweizer Gletscher 300 Millionen Tonnen Schnee und Eis gekostet hat. Alle fünf Sekunden hätte man damit ein olympisches Schwimmbecken volllaufen lassen können.
Und das ist nur der Anfang, denn noch ist erst Juni. Ist die schützende Schneedecke einmal weg, frisst jeder heiße und sonnige Tag auf den Gletschern rund zehn Zentimeter Eis. Bis Ende September und damit noch rund drei Monate dauert die durchschnittliche Schmelze auf den Alpen-Gletschern an. Damit seien heuer Schmelzraten möglich, wie sie noch nie aufgetreten sind, auch nicht in den bisherigen Extremjahren, so ÖAW-Forscherin Fischer.
Weiße Planen gegen Abschmelzung
Die Hitze und der Schneeschwund gehen auch an den Gletscherskigebieten nicht spurlos vorüber. Auf dem Rettenbachferner in Sölden (Tirol), wo im Herbst der traditionelle Skiweltcup-Auftakt stattfindet, hat man in den letzten Tagen die Piste mit weißen Planen abgedeckt, um das Schmelzen zu bremsen. So hofft man einen Teil des Schnees über den Sommer zu konservieren.
Das Zudecken von neuralgischen Stellen des Gletschers, etwa auch an Liftanlagen, ist ein probates Mittel, das seit rund 20 Jahren in vielen Gletscherskigebieten angewandt wird. Die Planen reflektieren das Sonnenlicht besser als die im Sommer oft schmutzige Schnee- und Gletscheroberfläche. Damit lässt sich das Sterben der Gletscher zwar nicht aufhalten, aber immerhin verzögern, sagen Experten.
Probleme für Gletscherskigebiete
Auf dem Hintertuxer Gletscher, dem einzigen Ganzjahresskigebiet in Österreich, übt man sich in Zweckoptimismus. Derzeit seien 20 Kilometer Pisten präpariert, heißt es auf Anfrage. Die Schneehöhe wird mit bis zu 135 Zentimeter angegeben. Über 50 Trainingsmannschaften aus über 20 Nationen trainieren dieser Tage am Hintertuxer Gletscher. Den Skibetrieb wegen Schneemangels einstellen müssen habe man am Hintertuxer Gletscher bisher noch nie in all den Jahren. Darauf hofft man auch heuer. Für den Skibetrieb Anfang Juli wird jedenfalls genug Schnee liegen, heißt es von offizieller Seite.
Am Stilfserjoch in Südtirol sieht man die Situation schon kritischer, auch wenn im obersten Bereich des Gletschers in 3.400 Meter Höhe derzeit noch über zwei Meter Schnee liegen. Wenn das warme Wetter so weiter anhalte, könne es passieren, dass man Ende Juli für einige Zeit den Skibetrieb einstellen müsse, so der Tenor. Das hätte Folgen für Trainingsmannschaften, Hotels und Angestellte. In dem reinen Sommerskigebiet an der Grenze zur Lombardei würden derzeit täglich rund 600 Skifahrer und Skifahrerinnen trainieren, Nationalmannschaften aus der ganzen Welt.
Und so hofft man in den Gletscherskigebieten auf regelmäßigen Neuschnee im Juli und August. Doch darauf würde die Gletscherforscherin Andrea Fischer nicht so sehr bauen. „Dieses Wunder“, sagt sie, „wird aller Wahrscheinlichkeit nach nicht eintreten, weil schon in den letzten Jahren auf den Gletscher in den Alpen kaum mehr größere Sommerschneefälle vorgekommen sind.“ Die Klimakrise lässt grüßen.
Daniel Schrott, ORF-Wetterredaktion, für ORF.at
https://orf.at/stories/3272859/
Die Gletscher in Österreich erleben einen schlimmen Sommer. Der wenige Schnee vom Winter taut in der Hitze, und der Sahara-Staub beschleunigt den Prozess. Ende Juni lag noch nie so wenig Schnee in 3.000 Meter Höhe wie heuer. In diesem Sommer droht daher ein beispielloser Aderlass des ehemals ewigen Eises. Gletscherforscher und -forscherinnen rechnen mit noch nie da gewesenen Schmelzraten.
Die Gletschermilch fließt reichlich talwärts dieser Tage, ob in der Silvretta, den Zillertaler Alpen oder in den Hohen Tauern. Überall taut es stark. Wo Ende Juni noch meterhoch Schnee liegen sollte, ist jetzt schon das blanke Eis zu sehen. Und auch das schmilzt rasant.
Die Nullgradgrenze liegt seit Wochen immer wieder in 4.000 Metern und höher, also weit oberhalb aller Gipfel in Österreich, dazu kommen noch viel Sonne und Gewitter. Nicht einmal in den Nächten reicht es auf den Gletschern noch für leichten Frost. Es ist der Worst Case.
Historisch noch nie da gewesen
Von einer „historisch noch nie da gewesenen Situation“ zu dieser Jahreszeit spricht Glaziologin Andrea Fischer von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Sie erwartet heuer einen deutlichen Flächenverlust, gerade weil die Gletscher schon in den vergangenen Jahren so ausgedünnt seien. „Die Gletscher werden am Ende des Sommers sehr wahrscheinlich deutlich anders aussehen als bisher.“ Allerdings sei das nur eine Beschleunigung des Prozesses, der sonst in einigen Jahren eingetreten wäre.
Wenig Schnee im Winterhalbjahr
Das Übel hat schon im Winter seinen Lauf genommen. Der Winter war gerade am Alpen-Hauptkamm, wo die meisten Gletscher in Österreich liegen, schneearm, auch der Frühling war fast ein Totalausfall, was Neuschnee betrifft.
Mehrere Episoden mit Sahara-Staub haben den Schnee im Frühling zudem schmutzig gemacht, und das beschleunigt das Schmelzen, seitdem es im Mai abrupt warm geworden ist. Der dunkle Staub wirkt wie ein Schneeschmelzkatalysator, er verringert das Reflexionsvermögen des Schnees und erhöht die Absorption der Sonnenenergie.
Auf dem Hintereisferner in den Ötztaler Alpen, einem der bestuntersuchten Gletscher der Alpen, sei im Winterhalbjahr um 44 Prozent weniger Schnee gefallen als im langjährigen Schnitt, so der Glaziologe Rainer Prinz von der Universität Innsbruck. Dieser Schnee ist mittlerweile fast zur Gänze geschmolzen, der Gletscher ist so ausgeapert wie letztes Jahr erst im August. Seit drei, vier Wochen schon schmilzt das Eis auf der Gletscherzunge.
Sommer begann schon im Mai
Verlief der Mai in den letzten Jahren noch kalt, war er heuer auf den Bergen laut Auswertung der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) einer der wärmsten seit Beginn der Aufzeichnungen. Auf dem Sonnblick (3.109 Meter) in den Hohen Tauern war sogar kein Mai bisher so warm wie heuer, die mittlere Temperatur lag bei 0,0 Grad. Noch wärmer ist der aktuelle Juni, für den sich schon die nächste Extremplatzierung in der langen Messreihe abzeichnet.
Sonnblick und Zugspitze bald schneefrei
Auch auf dem Sonnblick nimmt die Schneehöhe seit Mai rapide ab, mittlerweile liegt nicht einmal mehr ein Meter, ein Negativrekord für die Jahreszeit. Hält der Trend an, ist der Sonnblick schon in zwei Wochen praktisch schneefrei. Ein absolutes Novum so früh im Sommer und ein alarmierendes Zeichen der Klimakrise. Selbst im bisher heißesten Sommer 2003 lag noch bis in den August hinein Schnee. Letztes Jahr war die Schneehöhe Ende Juni noch fast vier Meter mächtig, trotzdem waren die Gletscher im Sonnblick-Gebiet am Ende des Sommers deutlich geschrumpft.
Was dem Sonnblick bald bevorsteht, ist auf der Zugspitze, mit fast 3.000 Metern der höchste Berg Deutschlands, an der Grenze zu Tirol schon Realität. Seit einer Woche gibt es keine geschlossene Schneedecke mehr, nur noch Schneeflecken. „So früh wie noch nie in den letzten 75 Jahren“, sagt Gudrun Mühlbacher vom Deutschen Wetterdienst (DWD) in München. Nur 1960 sei die Situation ähnlich gewesen, aber auch nicht so extrem. Normalerweise liegen Ende Juni auf der Zugspitze noch zwei, drei Meter Schnee.
300 Millionen Tonnen Eisverlust in einer Woche
Die Lage der Gletscher ist in den ganzen Alpen gleich dramatisch, in Frankreich, Italien und in der Schweiz war der Winter schneearm, und der Sommer hat früh begonnen. Schweizer Glaziologen um Matthias Huss von der ETH Zürich haben errechnet, dass die Hitzewelle in der Woche von 15. bis 21. Juni die Schweizer Gletscher 300 Millionen Tonnen Schnee und Eis gekostet hat. Alle fünf Sekunden hätte man damit ein olympisches Schwimmbecken volllaufen lassen können.
Und das ist nur der Anfang, denn noch ist erst Juni. Ist die schützende Schneedecke einmal weg, frisst jeder heiße und sonnige Tag auf den Gletschern rund zehn Zentimeter Eis. Bis Ende September und damit noch rund drei Monate dauert die durchschnittliche Schmelze auf den Alpen-Gletschern an. Damit seien heuer Schmelzraten möglich, wie sie noch nie aufgetreten sind, auch nicht in den bisherigen Extremjahren, so ÖAW-Forscherin Fischer.
Weiße Planen gegen Abschmelzung
Die Hitze und der Schneeschwund gehen auch an den Gletscherskigebieten nicht spurlos vorüber. Auf dem Rettenbachferner in Sölden (Tirol), wo im Herbst der traditionelle Skiweltcup-Auftakt stattfindet, hat man in den letzten Tagen die Piste mit weißen Planen abgedeckt, um das Schmelzen zu bremsen. So hofft man einen Teil des Schnees über den Sommer zu konservieren.
Das Zudecken von neuralgischen Stellen des Gletschers, etwa auch an Liftanlagen, ist ein probates Mittel, das seit rund 20 Jahren in vielen Gletscherskigebieten angewandt wird. Die Planen reflektieren das Sonnenlicht besser als die im Sommer oft schmutzige Schnee- und Gletscheroberfläche. Damit lässt sich das Sterben der Gletscher zwar nicht aufhalten, aber immerhin verzögern, sagen Experten.
Probleme für Gletscherskigebiete
Auf dem Hintertuxer Gletscher, dem einzigen Ganzjahresskigebiet in Österreich, übt man sich in Zweckoptimismus. Derzeit seien 20 Kilometer Pisten präpariert, heißt es auf Anfrage. Die Schneehöhe wird mit bis zu 135 Zentimeter angegeben. Über 50 Trainingsmannschaften aus über 20 Nationen trainieren dieser Tage am Hintertuxer Gletscher. Den Skibetrieb wegen Schneemangels einstellen müssen habe man am Hintertuxer Gletscher bisher noch nie in all den Jahren. Darauf hofft man auch heuer. Für den Skibetrieb Anfang Juli wird jedenfalls genug Schnee liegen, heißt es von offizieller Seite.
Am Stilfserjoch in Südtirol sieht man die Situation schon kritischer, auch wenn im obersten Bereich des Gletschers in 3.400 Meter Höhe derzeit noch über zwei Meter Schnee liegen. Wenn das warme Wetter so weiter anhalte, könne es passieren, dass man Ende Juli für einige Zeit den Skibetrieb einstellen müsse, so der Tenor. Das hätte Folgen für Trainingsmannschaften, Hotels und Angestellte. In dem reinen Sommerskigebiet an der Grenze zur Lombardei würden derzeit täglich rund 600 Skifahrer und Skifahrerinnen trainieren, Nationalmannschaften aus der ganzen Welt.
Und so hofft man in den Gletscherskigebieten auf regelmäßigen Neuschnee im Juli und August. Doch darauf würde die Gletscherforscherin Andrea Fischer nicht so sehr bauen. „Dieses Wunder“, sagt sie, „wird aller Wahrscheinlichkeit nach nicht eintreten, weil schon in den letzten Jahren auf den Gletscher in den Alpen kaum mehr größere Sommerschneefälle vorgekommen sind.“ Die Klimakrise lässt grüßen.
Daniel Schrott, ORF-Wetterredaktion, für ORF.at
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