Die Erderwärmung sorgt für dramatische Veränderungen in den Alpen. Gletscher schwinden, an ihrer Stelle entstehen Hunderte Gewässer. Die neuen Seen locken Touristen und Energiefirmen, einige Gemeinden hingegen rüsten sich schon für katastrophale Flutwellen.
Hamburg/Wien - In den neunziger Jahren zeigten sich erste Risse in der mächtigen Zunge des Triftgletschers im Berner Oberland. 2002 barst die Spitze der Eismasse in Tausende Stücke. Weil sie in einer Kuhle lag, floss das Wasser nicht ab, es schwoll zu einem See. Der Triftsee wurde zur Attraktion: Mittlerweile gehen täglich Hunderte Touristen auf einer Hängebrücke über das neue Gewässer. "Es kommen viel mehr Leute als früher zum Gletscher", sagt Wilfried Haeberli von der Universität Zürich.
Hunderte solcher Seen werden in den kommenden Jahren allein im Schweizer Hochgebirge entstehen, haben der Geograf und seine Kollegen berechnet. In Österreich, den Anden und anderen vom Klimawandel betroffenen Regionen seien ähnlich dramatische Umweltveränderungen festzustellen. "Die rasante Gletscherschmelze verändert die alpine Landschaft radikal", berichtete Haeberli auf der Jahrestagung der Europäischen Geowissenschaftlichen Union in Wien (EGU). Die Eisgegend weiche vielerorts einer Seenlandschaft.
Die neuen Gewässer brächten Chancen und Risiken: Touristen erhielten neue Reize, und Stauseen könnten Wasserkraftenergie liefern. Nahe Ortschaften jedoch sehen sich einer Bedrohung ausgesetzt: Steinlawinen drohen in die Seen zu stürzen und Flutwellen talwärts zu schicken, die Dutzende Meter hoch werden können.
Tiefer als der Chiemsee
Mit 500 bis 600 größeren Seen im Schweizer Hochgebirge kalkulieren Haeberli und seine Kollegen "in absehbarer Zukunft". Bei fortschreitender Erderwärmung würden nach ihren Berechnungen jährlich drei neue Gewässer geboren.
Die Prognose stützen die Forscher auf ein Computermodell, das den Boden unter den Gletschern enthüllen soll: Die Art, wie sich eine Eismasse bewegt und welche Falten sie wirft, verrät die Beschaffenheit des Untergrunds, über den sie hinwegkriecht. Getestet hätten sie ihr Modell an den Veränderungen der Landschaft in den vergangenen Jahrzehnten, erklärt Haeberli.
Die digitalen Animationen zeigen, unter welchen Gletschern Kuhlen liegen, die in den kommenden Jahrzehnten von den zurückweichenden Eiszungen freigelegt werden und sich mit Schmelzwasser füllen könnten. Im Durchschnitt würden die Gewässer bis zu hundert Meter tief, schätzt Haeberli - sie wären damit tiefer als Chiemsee, Plöner See oder Ammersee.
Die ersten Neuzugänge gibt es bereits: Während auf dem Rhonegletscher-See im Wallis Eisberge Touristen begeistern, sorgt das junge Gewässer am Grindelwaldgletscher für Probleme. Vom Eis befreiter Fels hatte am Eiger seinen Halt verloren, die dadurch ausgelösten gewaltigen Bergstürze stauen seit 2005 das Schmelzwasser. Ende Mai 2008 hatte Tauwetter den See so weit anschwellen lassen, dass er ausbrach.
Tunnel gegen Fluten:
Somit war klar: Größere Fluten könnten Eisenbahnstrecken, Straßen, Hotels und Campingplätze bedrohen. Eilig wurden für viele Millionen Franken Tunnel in den Berg gegraben, durch die das Wasser künftig im Notfall abfließen kann.
Mit besonderer Gefahr rechnen Haeberli und seine Kollegen am Aletsch, dem größten Gletscher der Alpen: Unter dem Eis klaffen tiefe Mulden, die sich wahrscheinlich in Kürze mit Wasser füllen werden. Steile Felswände überragen die künftigen Seen. Ohne das stützende Eis, fürchtet Haeberli, droht der Berg seinen Halt zu verlieren und ins Wasser zu stürzen. Zwei Ortschaften müssten mit fatalen Flutwellen rechnen, berichten die Forscher.
Auch talwärts vom Plaine Morte blicken Anwohner mit Sorge auf ein wachsendes Gewässer - es schwappt auf der tauenden Eiszunge. "Man kann die neuen Seen nicht einfach sich selbst überlassen", warnt Haeberli. Drucksensoren am Grund und Drähte über den Seen sollen gefährliches Anschwellen des Wassers rechtzeitig melden.
Trost der Forscher
Manche Gewässer hingegen locken mit attraktiven Möglichkeiten. Die größten neuen Hochgebirgsseen könnten mit ihrem Fassungsvermögen künftig zu den 20 größten Stauseen der Welt gehören. Solche Kaliber erwarten die Forscher in der Schweiz bei den Gletschern Aletsch, Gorner, Otemma, Corbassière, Gauli und Plaine Morte.
"Die neuen Seen bieten die Chance, die heutige Stromproduktion aus Wasserkraft aufrechtzuerhalten", meinen Haeberli und seine Kollegen. Schließlich würden bestehende Stauseen in niedrigeren Gefilden aufgrund versiegender Schmelzwasserflüsse in einigen Jahrzehnten schwinden. Ersatz ist gefragt.
Für die neuen Seen an den Gletschern Corbassière, Gauli und Trift haben die Wissenschaftler die mögliche Leistung eines Kraftwerks bereits durchgerechnet: 500 Megawatt seien zu erwarten, das wären Spitzenwerte für die Schweiz. Etwa 40 neue Seen würden interessant für die Energiegewinnung, vermuten die Forscher. Vielleicht, hofft Haeberli, könnte der Nutzen über den Verlust der weißen Landschaft hinwegtrösten.
Gletscherschmelze1.jpg
Gefunden auf www.spiegel.de wo es auch noch weitere, sehr eindrucksvolle Fotos von der Gletscherschmelze zu sehen gibt!
Hamburg/Wien - In den neunziger Jahren zeigten sich erste Risse in der mächtigen Zunge des Triftgletschers im Berner Oberland. 2002 barst die Spitze der Eismasse in Tausende Stücke. Weil sie in einer Kuhle lag, floss das Wasser nicht ab, es schwoll zu einem See. Der Triftsee wurde zur Attraktion: Mittlerweile gehen täglich Hunderte Touristen auf einer Hängebrücke über das neue Gewässer. "Es kommen viel mehr Leute als früher zum Gletscher", sagt Wilfried Haeberli von der Universität Zürich.
Hunderte solcher Seen werden in den kommenden Jahren allein im Schweizer Hochgebirge entstehen, haben der Geograf und seine Kollegen berechnet. In Österreich, den Anden und anderen vom Klimawandel betroffenen Regionen seien ähnlich dramatische Umweltveränderungen festzustellen. "Die rasante Gletscherschmelze verändert die alpine Landschaft radikal", berichtete Haeberli auf der Jahrestagung der Europäischen Geowissenschaftlichen Union in Wien (EGU). Die Eisgegend weiche vielerorts einer Seenlandschaft.
Die neuen Gewässer brächten Chancen und Risiken: Touristen erhielten neue Reize, und Stauseen könnten Wasserkraftenergie liefern. Nahe Ortschaften jedoch sehen sich einer Bedrohung ausgesetzt: Steinlawinen drohen in die Seen zu stürzen und Flutwellen talwärts zu schicken, die Dutzende Meter hoch werden können.
Tiefer als der Chiemsee
Mit 500 bis 600 größeren Seen im Schweizer Hochgebirge kalkulieren Haeberli und seine Kollegen "in absehbarer Zukunft". Bei fortschreitender Erderwärmung würden nach ihren Berechnungen jährlich drei neue Gewässer geboren.
Die Prognose stützen die Forscher auf ein Computermodell, das den Boden unter den Gletschern enthüllen soll: Die Art, wie sich eine Eismasse bewegt und welche Falten sie wirft, verrät die Beschaffenheit des Untergrunds, über den sie hinwegkriecht. Getestet hätten sie ihr Modell an den Veränderungen der Landschaft in den vergangenen Jahrzehnten, erklärt Haeberli.
Die digitalen Animationen zeigen, unter welchen Gletschern Kuhlen liegen, die in den kommenden Jahrzehnten von den zurückweichenden Eiszungen freigelegt werden und sich mit Schmelzwasser füllen könnten. Im Durchschnitt würden die Gewässer bis zu hundert Meter tief, schätzt Haeberli - sie wären damit tiefer als Chiemsee, Plöner See oder Ammersee.
Die ersten Neuzugänge gibt es bereits: Während auf dem Rhonegletscher-See im Wallis Eisberge Touristen begeistern, sorgt das junge Gewässer am Grindelwaldgletscher für Probleme. Vom Eis befreiter Fels hatte am Eiger seinen Halt verloren, die dadurch ausgelösten gewaltigen Bergstürze stauen seit 2005 das Schmelzwasser. Ende Mai 2008 hatte Tauwetter den See so weit anschwellen lassen, dass er ausbrach.
Tunnel gegen Fluten:
Somit war klar: Größere Fluten könnten Eisenbahnstrecken, Straßen, Hotels und Campingplätze bedrohen. Eilig wurden für viele Millionen Franken Tunnel in den Berg gegraben, durch die das Wasser künftig im Notfall abfließen kann.
Mit besonderer Gefahr rechnen Haeberli und seine Kollegen am Aletsch, dem größten Gletscher der Alpen: Unter dem Eis klaffen tiefe Mulden, die sich wahrscheinlich in Kürze mit Wasser füllen werden. Steile Felswände überragen die künftigen Seen. Ohne das stützende Eis, fürchtet Haeberli, droht der Berg seinen Halt zu verlieren und ins Wasser zu stürzen. Zwei Ortschaften müssten mit fatalen Flutwellen rechnen, berichten die Forscher.
Auch talwärts vom Plaine Morte blicken Anwohner mit Sorge auf ein wachsendes Gewässer - es schwappt auf der tauenden Eiszunge. "Man kann die neuen Seen nicht einfach sich selbst überlassen", warnt Haeberli. Drucksensoren am Grund und Drähte über den Seen sollen gefährliches Anschwellen des Wassers rechtzeitig melden.
Trost der Forscher
Manche Gewässer hingegen locken mit attraktiven Möglichkeiten. Die größten neuen Hochgebirgsseen könnten mit ihrem Fassungsvermögen künftig zu den 20 größten Stauseen der Welt gehören. Solche Kaliber erwarten die Forscher in der Schweiz bei den Gletschern Aletsch, Gorner, Otemma, Corbassière, Gauli und Plaine Morte.
"Die neuen Seen bieten die Chance, die heutige Stromproduktion aus Wasserkraft aufrechtzuerhalten", meinen Haeberli und seine Kollegen. Schließlich würden bestehende Stauseen in niedrigeren Gefilden aufgrund versiegender Schmelzwasserflüsse in einigen Jahrzehnten schwinden. Ersatz ist gefragt.
Für die neuen Seen an den Gletschern Corbassière, Gauli und Trift haben die Wissenschaftler die mögliche Leistung eines Kraftwerks bereits durchgerechnet: 500 Megawatt seien zu erwarten, das wären Spitzenwerte für die Schweiz. Etwa 40 neue Seen würden interessant für die Energiegewinnung, vermuten die Forscher. Vielleicht, hofft Haeberli, könnte der Nutzen über den Verlust der weißen Landschaft hinwegtrösten.
Gletscherschmelze1.jpg
Gefunden auf www.spiegel.de wo es auch noch weitere, sehr eindrucksvolle Fotos von der Gletscherschmelze zu sehen gibt!
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