Sommerhitze beschleunigte Gletscherschmelze
Des einen Freud, des anderen Leid: Der Jahrhundertsommer hat den heimischen Gletschern zugesetzt. Der Masseverlust war extrem, berichten Heinz Slupetzky und Andrea Fischer in ihrem Gletschertagebuch. Ob 2015 ein negatives Rekordjahr wird oder nicht, wird im Oktober feststehen.
GLETSCHERTAGEBUCH 21.09.2015
Sicher ist: Die Bilanz wird negativ
Von Heinz Slupetzky und Andrea Fischer
Mit der Abkühlung Anfang September und dem ersten Schneefall im Gebirge ist die "Leidenszeit" der Alpengletscher weitgehend beendet. Nach der Föhnwetterlag mit Warmluftzufuhr Mitte September ging die Eisschmelze noch weiter, aber abgeschwächt. Die höheren Zonen der Nährgebiete wurden kaum mehr schneefrei, sodass sich hier nicht mehr viel verändert hat.
Aber: Die Tage sind kürzer, der Sonnenstand ist niedriger und in höheren Lagen kann in der Nacht die Gletscheroberfläche schon frieren. Trotzdem könnten die letzten warmen Tage darüber entschieden haben, ob die Bilanzen in die Nähe des bisherigen Rekordjahres 2003 rücken.
Beispiel Stubacher Sonnblickkees
Der Gletscher ist heuer sehr stark ausgeapert, d.h. der größte Teil der Fläche war blankes Eis. Nur mehr wenige Altschneeflecken von der winterlichen Akkumulation blieben zurück. In der Realität gab es kein "Nährgebiet" mehr.
(...)
Der Gletscher hat im Mittel über die ganze Gletscherfläche von 0,9 Quadratkilometern 2,4 Meter an Eis verloren, das sind 2,2 Mio. Kubikmeter Eis. Diese Beträge gehören nicht zu den größten, weil die Gletscherfläche kleiner geworden ist. Der durchschnittliche Verlust von 2,4 Metern - die sog. mittlere spezifische Massenbilanz - ist der drittgrößte Betrag seit 1946 (seit Daten vorliegen). 2003 waren es minus 2,9 Meter und 1947 minus 2,5 Meter.
Die Verkleinerung des Gletschers und das Zurückschmelzen in größere Seehöhe ist zwar ein Zeichen der Anpassung an die neuen Klima- und damit Massenbilanzverhältnisse, trotzdem ist der Gletscher weit entfernt von einem Gleichgewichtszustand.
Allgemein großer Massenverlust
Im äußersten Westen Österreichs musste der Jamtalferner in der Silvretta wieder einen extremen Massenverlust erfahren. Die Abschmelzung erreichte bei einzelnen Messpegelmit über 4 Meter Eis. Die Ausaperung am Äußeren Mullwitzkees auf der Südseite der Venedigergruppe im Nationalpark Hohe Tauern ist in diesem Jahr sehr weit fortgeschritten, ein sichtbares Zeichen für einen starken Massenverlust.
Die Abschmelzung an der Gletscherzunge lag Mitte September bei knapp fünfeinhalb Metern Eis. Selbst in den höchstgelegenen Bereichen auf 3.300 Metern ging bereits über ein Meter Eis verloren. Neuschneefälle der Kaltfront Anfang September unterbrachen zunächst die starke Abschmelzung. Das Venedigerkees im Obersulzbachtal an der Nordseite des Alpenhauptkammes aperte bis in Höhen von über 3.000 Meter aus. Die Eisschmelze an der Zunge und im Eisbruch erreichte ca. 3,5 Meter.
Die von der ZAMG betreuten Gletscher in den mittleren Hohen Tauern (Kleinfleißkees, Goldbergkees und Pasterze) zeigen ein ähnliches Bild. "Die Massenbilanzen waren aufgrund des heißen Sommers extrem negativ. Wahrscheinlich wird es nicht ganz so negativ sein wie in den Jahren 2003, 2011 und 2012…", schreibt Kollege Bernhard Hynek. Das Kleinfleißkees war am 1.9.2015 fast vollständig aper, nur unbedeutende Altschneeflecken waren noch vorhanden.
Der Vernagtferner in den Ötztaler Alpen (L. Braun, ÖAW München) wird ähnlich wie 2003 bilanzieren, es könnte die zweitnegativste Bilanz nach 2003 in der Messreihe seit 1965 sein. Vom Hallstätter und Gosaugletscher berichtet K. Reingruber (BLUE SKY Wetteranalysen):
"Zum Höhepunkt des Hochsommers (Mitte August) waren die Gletscher schon größtenteils schneefrei und der Sonnenstrahlung ungeschützt ausgesetzt. Der diesjährige Sommer ist äußerst ungünstig für die Dachsteingletscher verlaufen, noch vor Abschluss der Messungen und Erstellung der Bilanzen kündigt sich eines der negativsten Bilanzjahre an."
R. Dinale (Hydrographisches Amt Südtirol) macht eine erste Einschätzung: "Auch in Südtirol kündigen sich, nach zwei relativ gletscherfreundlichen Jahren, wieder stark negative Jahresbilanzen an. Die anstehenden Herbstbegehungen werden zeigen, wie weit das Endergebnis an 2003 noch herankommen wird."
Ist das Jahr 2003 ein negatives Rekordjahr?
Noch liegen nicht alle Erkenntnisse vor, da üblicherweise die Bilanzen der Gletscher mit dem Hydrologischen Jahr am 1. Oktober gezogen werden, die endgültigen Messungen daher noch ausstehen. Erst dann wird man eine Antwort auf die Frage nach einem Rekord haben. Für Gletscher mit Beginn einer Massenbilanzmessreihe nach 2003 ist es sehr wahrscheinlich ein Rekordjahr.
In den wenigen Messreihen, die schon mit den 1960er-Jahren beginnen, zählen 2003 und 2015 zu den Jahren mit extremen Verlusten. Darüber hinaus weiß man, dass das Jahr 1947 – als "Katastrophenjahr für die Gletscher" bezeichnet – (damals) ein Jahrhundertereignis war. Man muss sich bei dem Vergleich mit der Gegenwart bewusst sein, dass die Gletscher früher größer waren, daher war der jährliche gesamte Massen/Volumensverlust größer als heute.
Schon jetzt kann man feststellen: Die oft geäußerte Meinung von Experten, dass sich extreme Jahre häufen könnten, ist bestätigt worden: Nach nur 12 Jahren war es wieder soweit.
Massenbilanz ist nicht gleich Längenänderung. Derzeit sind die Gletschermesser des Alpenvereins noch unterwegs, um an rund 100 Gletschern den Rückschmelzbetrag 2014/15 zu messen. Wird das Mittel aus allen Gletschern einen neuen Rekordwert ergeben? Die Ergebnisse liegen Anfang April 2016 vor.
Rückblick ins Gletschertagebuch - Sommerbeginn
Hier wurde angeführt: "…. ist die Saisonprognose der ZAMG ('es ist keine exakte Vorhersage im Sinne einer 3-Tagesprognose') interessant: Für die Monate Juni, Juli und August zeichnen sich mit fast 60 Prozent Wahrscheinlichkeit überdurchschnittliche Temperaturen ab. Besonders im August könnte sich der berechnete Trend 'zu warm' fortsetzen."
Und zu lesen war auch: "Die Einnahme-Ausgabe Bilanzen der Gletscher werden die Gletscherforscherinnen und -forscher wieder am Ende des Sommers messen. Dann wird sich zeigen, ob der leicht gebremste Massenverlust der Alpengletscher in den vergangenen beiden Jahren nur eine kurze Episode war – oder nicht".
Die beiden Vorjahre waren also nur eine kurze Dämpfung des seit 1982 verstärkt vor sich gehenden Abbaus der Eismassen mit überwiegend negativen Bilanzen; nur selten gab es in den Messreihen kurze, insgesamt unbedeutende Unterbrechungen, wie 2013 und 2014. Es ist kein Ende des Gletscherschwundes abzusehen, er hat sich heuer sogar beschleunigt.
Quelle: http://science.orf.at/stories/1763019/
Des einen Freud, des anderen Leid: Der Jahrhundertsommer hat den heimischen Gletschern zugesetzt. Der Masseverlust war extrem, berichten Heinz Slupetzky und Andrea Fischer in ihrem Gletschertagebuch. Ob 2015 ein negatives Rekordjahr wird oder nicht, wird im Oktober feststehen.
GLETSCHERTAGEBUCH 21.09.2015
Sicher ist: Die Bilanz wird negativ
Von Heinz Slupetzky und Andrea Fischer
Mit der Abkühlung Anfang September und dem ersten Schneefall im Gebirge ist die "Leidenszeit" der Alpengletscher weitgehend beendet. Nach der Föhnwetterlag mit Warmluftzufuhr Mitte September ging die Eisschmelze noch weiter, aber abgeschwächt. Die höheren Zonen der Nährgebiete wurden kaum mehr schneefrei, sodass sich hier nicht mehr viel verändert hat.
Aber: Die Tage sind kürzer, der Sonnenstand ist niedriger und in höheren Lagen kann in der Nacht die Gletscheroberfläche schon frieren. Trotzdem könnten die letzten warmen Tage darüber entschieden haben, ob die Bilanzen in die Nähe des bisherigen Rekordjahres 2003 rücken.
Beispiel Stubacher Sonnblickkees
Der Gletscher ist heuer sehr stark ausgeapert, d.h. der größte Teil der Fläche war blankes Eis. Nur mehr wenige Altschneeflecken von der winterlichen Akkumulation blieben zurück. In der Realität gab es kein "Nährgebiet" mehr.
(...)
Der Gletscher hat im Mittel über die ganze Gletscherfläche von 0,9 Quadratkilometern 2,4 Meter an Eis verloren, das sind 2,2 Mio. Kubikmeter Eis. Diese Beträge gehören nicht zu den größten, weil die Gletscherfläche kleiner geworden ist. Der durchschnittliche Verlust von 2,4 Metern - die sog. mittlere spezifische Massenbilanz - ist der drittgrößte Betrag seit 1946 (seit Daten vorliegen). 2003 waren es minus 2,9 Meter und 1947 minus 2,5 Meter.
Die Verkleinerung des Gletschers und das Zurückschmelzen in größere Seehöhe ist zwar ein Zeichen der Anpassung an die neuen Klima- und damit Massenbilanzverhältnisse, trotzdem ist der Gletscher weit entfernt von einem Gleichgewichtszustand.
Allgemein großer Massenverlust
Im äußersten Westen Österreichs musste der Jamtalferner in der Silvretta wieder einen extremen Massenverlust erfahren. Die Abschmelzung erreichte bei einzelnen Messpegelmit über 4 Meter Eis. Die Ausaperung am Äußeren Mullwitzkees auf der Südseite der Venedigergruppe im Nationalpark Hohe Tauern ist in diesem Jahr sehr weit fortgeschritten, ein sichtbares Zeichen für einen starken Massenverlust.
Die Abschmelzung an der Gletscherzunge lag Mitte September bei knapp fünfeinhalb Metern Eis. Selbst in den höchstgelegenen Bereichen auf 3.300 Metern ging bereits über ein Meter Eis verloren. Neuschneefälle der Kaltfront Anfang September unterbrachen zunächst die starke Abschmelzung. Das Venedigerkees im Obersulzbachtal an der Nordseite des Alpenhauptkammes aperte bis in Höhen von über 3.000 Meter aus. Die Eisschmelze an der Zunge und im Eisbruch erreichte ca. 3,5 Meter.
Die von der ZAMG betreuten Gletscher in den mittleren Hohen Tauern (Kleinfleißkees, Goldbergkees und Pasterze) zeigen ein ähnliches Bild. "Die Massenbilanzen waren aufgrund des heißen Sommers extrem negativ. Wahrscheinlich wird es nicht ganz so negativ sein wie in den Jahren 2003, 2011 und 2012…", schreibt Kollege Bernhard Hynek. Das Kleinfleißkees war am 1.9.2015 fast vollständig aper, nur unbedeutende Altschneeflecken waren noch vorhanden.
Der Vernagtferner in den Ötztaler Alpen (L. Braun, ÖAW München) wird ähnlich wie 2003 bilanzieren, es könnte die zweitnegativste Bilanz nach 2003 in der Messreihe seit 1965 sein. Vom Hallstätter und Gosaugletscher berichtet K. Reingruber (BLUE SKY Wetteranalysen):
"Zum Höhepunkt des Hochsommers (Mitte August) waren die Gletscher schon größtenteils schneefrei und der Sonnenstrahlung ungeschützt ausgesetzt. Der diesjährige Sommer ist äußerst ungünstig für die Dachsteingletscher verlaufen, noch vor Abschluss der Messungen und Erstellung der Bilanzen kündigt sich eines der negativsten Bilanzjahre an."
R. Dinale (Hydrographisches Amt Südtirol) macht eine erste Einschätzung: "Auch in Südtirol kündigen sich, nach zwei relativ gletscherfreundlichen Jahren, wieder stark negative Jahresbilanzen an. Die anstehenden Herbstbegehungen werden zeigen, wie weit das Endergebnis an 2003 noch herankommen wird."
Ist das Jahr 2003 ein negatives Rekordjahr?
Noch liegen nicht alle Erkenntnisse vor, da üblicherweise die Bilanzen der Gletscher mit dem Hydrologischen Jahr am 1. Oktober gezogen werden, die endgültigen Messungen daher noch ausstehen. Erst dann wird man eine Antwort auf die Frage nach einem Rekord haben. Für Gletscher mit Beginn einer Massenbilanzmessreihe nach 2003 ist es sehr wahrscheinlich ein Rekordjahr.
In den wenigen Messreihen, die schon mit den 1960er-Jahren beginnen, zählen 2003 und 2015 zu den Jahren mit extremen Verlusten. Darüber hinaus weiß man, dass das Jahr 1947 – als "Katastrophenjahr für die Gletscher" bezeichnet – (damals) ein Jahrhundertereignis war. Man muss sich bei dem Vergleich mit der Gegenwart bewusst sein, dass die Gletscher früher größer waren, daher war der jährliche gesamte Massen/Volumensverlust größer als heute.
Schon jetzt kann man feststellen: Die oft geäußerte Meinung von Experten, dass sich extreme Jahre häufen könnten, ist bestätigt worden: Nach nur 12 Jahren war es wieder soweit.
Massenbilanz ist nicht gleich Längenänderung. Derzeit sind die Gletschermesser des Alpenvereins noch unterwegs, um an rund 100 Gletschern den Rückschmelzbetrag 2014/15 zu messen. Wird das Mittel aus allen Gletschern einen neuen Rekordwert ergeben? Die Ergebnisse liegen Anfang April 2016 vor.
Rückblick ins Gletschertagebuch - Sommerbeginn
Hier wurde angeführt: "…. ist die Saisonprognose der ZAMG ('es ist keine exakte Vorhersage im Sinne einer 3-Tagesprognose') interessant: Für die Monate Juni, Juli und August zeichnen sich mit fast 60 Prozent Wahrscheinlichkeit überdurchschnittliche Temperaturen ab. Besonders im August könnte sich der berechnete Trend 'zu warm' fortsetzen."
Und zu lesen war auch: "Die Einnahme-Ausgabe Bilanzen der Gletscher werden die Gletscherforscherinnen und -forscher wieder am Ende des Sommers messen. Dann wird sich zeigen, ob der leicht gebremste Massenverlust der Alpengletscher in den vergangenen beiden Jahren nur eine kurze Episode war – oder nicht".
Die beiden Vorjahre waren also nur eine kurze Dämpfung des seit 1982 verstärkt vor sich gehenden Abbaus der Eismassen mit überwiegend negativen Bilanzen; nur selten gab es in den Messreihen kurze, insgesamt unbedeutende Unterbrechungen, wie 2013 und 2014. Es ist kein Ende des Gletscherschwundes abzusehen, er hat sich heuer sogar beschleunigt.
Quelle: http://science.orf.at/stories/1763019/
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