zum aktuellen kletterhallen-unfall gibts hier eine nachgestellte geschichte
wettklettern-steiermark.at
Bedarf es eines Sündenbocks?
„Hey Ingo hast Lust, gemma klettern?“ fragt Sandro als beide gemütlich im Kaffeehaus sitzen und gerade die gemeinsam hinter sich gebrachte Präsentation in VWL feiern. „Ja gern, ich hab´ nur keine Ahnung wie das geht!" meint Ingo immer noch ein wenig euphorisch von dem gelungenen Vortrag. „Kein Problem, ich kletter schon mehrere Jahre und kann dir alles zeigen“. Die beiden machen sich auf und holen Sandros Kletterausrüstung und dann geht es ab in die nahegelegene Kletterhalle. Dort ist es am Vormittag schön ruhig, so dass Sandro und Ingo sich ungestört auf das Klettern konzentrieren können.
„Schau Ingo, dies ist das Sicherungsgerät, es heißt Tuber. Das Kletterseil wird in einer Schlaufe eingelegt und mittels Karabiner in die Anseilschlaufe von deinem Klettergurt eingehängt. Wenn du jetzt das Kletterseil nach unten straff ziehst, dann wird das Seil zwischen Karabiner und Tuber eingeklemmt und du kannst problemlos bremsen. Wenn ich jetzt gleich raufklettere, dann musst du beim Vorstiegklettern Seil ausgeben, indem du oben Seil ausgibst und unten am Bremsseil mit der Hand nachrutschst. Am besten wir probieren das Ganze jetzt mal aus. Ich klettere nur ein paar Meter rauf“. Nachdem Ingo zwei- dreimal den Ablauf getestet hat, klettert Sandro einige Meter die Kletterwand hinauf und setzt sich in den Gurt, so dass Ingo nochmal Gelegenheit hat den Sicherungsablauf zu üben. Als Sandro wieder am Erdboden ist meint er: „Und ist ganz leicht, oder?“ „Mit ein bisserl Übung kein Problem“, erwidert Ingo. Mittlerweile ist in der Kletterhalle schon mehr Betrieb. Ingo schaut neugierig in die Runde, denn es sind ein paar super Kletterer gekommen, die richtig schwer klettern. Ein Sicherer ist schon etwas müde geworden und setzt sich beim Sichern auf die bequemen Sofas, beim Nachbarn klingelt kurz das Telefon. Weil auch der Nachbar sichert macht er das Telefongespräch kurz mit dem Hinweis, dass er gerade sichert.
Klettern macht Ingo richtig Spaß und er ist froh, dass Sandro ihn mitgenommen hat! Nach dem Duschen meint Ingo: „Klettern ist echt super, vielleicht können wir wieder mal gehen?“ „Ja sicher“, erwidert Sandro, „wie wäre es übermorgen“?
Mittlerweile waren Ingo und Sandro schon dreimal Klettern. Weil es so Spaß macht, wollen sie heute wieder klettern gehen, obwohl sie nur am Abend gehen können. „Abends ist es halt immer stressiger in der Kletterhalle, weil viel los ist. Aber wochentags müsste es trotzdem gehen“ meint Sandro zu Ingo. „Probieren wir es aus, wir werden schon Platz finden! “Abends ist deutlich mehr los in der Kletterhalle und es ist echt spannend. Hübsche Mädels und echt coole Kletterer, die total lässig die schwersten Routen klettern. Auch die Sicherungspartner der Kletterasse sind echt cool und unterhalten sich neben Ingo über eine Schlüsselstelle in einer Route im neunten Schwierigkeitsgrad. Ingo, der gerade Sandro sichert, hört gebannt zu, als ihn jemand von der Seite anspricht, ob er den Seilsack ein wenig verschieben könnte. „Ja klar!“ meint Ingo und schubst den Seilsack mit dem Kletterseil zur Seite.
In diesem Moment stürzt Sandro in der Route und schlägt in den nächsten zwei Sekunden ungebremst aus zwölf Metern Höhe auf den Betonboden auf. Ein Arzt ist vor Ort, die Rettung kommt sofort. Trotzdem stirbt Sandro. Vor den Augen von 70 Kletterern klatschte Sandro mit dem Kopf auf den Boden. Ingo ist fassungslos, alle Kletterer sind fassungslos und alle sind sich einig: Ingo ist schuld! Ingo hat nicht aufgepasst und ihnen wäre das niemals passiert!
Es ist eben viel leichter Schocksituationen innerlich zu verarbeiten, wenn man den Grund für den Unfall weiß. In diesem Fall: menschliches Versagen, Ingo ist schuld!
Menschliches Versagen, ja zugegeben, aber Ingos Schuld? Woran ist Ingo nun genau schuld? Dass er sich mit anderen Sichernden in der Kletterhalle unterhalten hat, wie alle anderen auch? Oder dass er sich vielleicht beim Sichern hingesetzt hat oder das Telefon abgehoben oder den Seilsack aus Platzgründen verrutschen musste, wie viele andere Sichernde auch? Nur zwei Sekunden unaufmerksam, also ein bis zwei Augenlidschläge und Ingo ist an allem ganz alleine schuld? Alle anderen Kletterer halten bemerkenswert zusammen: ihnen würde das nie passieren, sie sind immer und jede Sekunde mit voller Aufmerksamkeit beim Sichern! Sie können eben sichern, sind sozusagen über jeden Fehler erhaben. Da trifft es sich doch gut, dass Ingo schuld an dem Todesfall ist und nicht man selber!
Festzustellen ist: ja Ingo war unaufmerksam und ja Ingo hat das Bremsseil nicht gehalten, sonst wäre Sandro nicht abgestürzt! Doch wie kann man jemanden für nur zwei Sekunden Unaufmerksamkeit für den Rest seines Lebens an den Pranger stellen und psychisch fertigmachen? Ist es nicht viel mehr so, dass der Mensch eben keine Maschine ist und das es eine hundertprozentige Aufmerksamkeit nicht gibt? Obwohl das Wunder Mensch viele Abläufe unterbewusst zur Gewohnheit machen und Abläufe automatisieren kann, ist trotzdem oder gerade deshalb immer noch eine Restwahrscheinlichkeit für Fehler gegeben. Warum gibt es Autofahrer, die dreißig Jahre unfallfrei fahren und dann doch einen Unfall verursachen? Warum baut die Autoindustrie Knautschzonen und Airbags in die Autos um den Insassen mehr Sicherheit zu bieten? Eben weil Fehler passieren können! Man darf davor nicht die Augen verschließen, sondern muss aktiv handeln und die Fehlerwahrscheinlichkeit in allen Tätigkeiten berücksichtigen! In unserem Fall heißt das: warum verwenden immer noch so viele Kletterer Sicherungsgeräte, die Fehlerlosigkeit vom Sichernden verlangen? Soll also der Kletterer sterben, weil der Sicherungspartner eben ein Mensch ist, der zum Beispiel ohnmächtig werden oder einen Herzanfall beim Sichern erleiden kann?
Und wer jetzt glaubt, dass Ingo ein Einzelfall ist: weit gefehlt! In den letzten zwei Jahren gab es in Kletterhallen acht schwere Unfälle bei denen das Sicherungsgerät „Tuber“ (ATC, Reverso) verwendet wurde und dass von Kletterern mit jahrelanger (!) Erfahrung! Die Opfer sind zwar noch am Leben, allerdings schwerstverletzt bzw. querschnittsgelähmt“.
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wettklettern-steiermark.at
Bedarf es eines Sündenbocks?
„Hey Ingo hast Lust, gemma klettern?“ fragt Sandro als beide gemütlich im Kaffeehaus sitzen und gerade die gemeinsam hinter sich gebrachte Präsentation in VWL feiern. „Ja gern, ich hab´ nur keine Ahnung wie das geht!" meint Ingo immer noch ein wenig euphorisch von dem gelungenen Vortrag. „Kein Problem, ich kletter schon mehrere Jahre und kann dir alles zeigen“. Die beiden machen sich auf und holen Sandros Kletterausrüstung und dann geht es ab in die nahegelegene Kletterhalle. Dort ist es am Vormittag schön ruhig, so dass Sandro und Ingo sich ungestört auf das Klettern konzentrieren können.
„Schau Ingo, dies ist das Sicherungsgerät, es heißt Tuber. Das Kletterseil wird in einer Schlaufe eingelegt und mittels Karabiner in die Anseilschlaufe von deinem Klettergurt eingehängt. Wenn du jetzt das Kletterseil nach unten straff ziehst, dann wird das Seil zwischen Karabiner und Tuber eingeklemmt und du kannst problemlos bremsen. Wenn ich jetzt gleich raufklettere, dann musst du beim Vorstiegklettern Seil ausgeben, indem du oben Seil ausgibst und unten am Bremsseil mit der Hand nachrutschst. Am besten wir probieren das Ganze jetzt mal aus. Ich klettere nur ein paar Meter rauf“. Nachdem Ingo zwei- dreimal den Ablauf getestet hat, klettert Sandro einige Meter die Kletterwand hinauf und setzt sich in den Gurt, so dass Ingo nochmal Gelegenheit hat den Sicherungsablauf zu üben. Als Sandro wieder am Erdboden ist meint er: „Und ist ganz leicht, oder?“ „Mit ein bisserl Übung kein Problem“, erwidert Ingo. Mittlerweile ist in der Kletterhalle schon mehr Betrieb. Ingo schaut neugierig in die Runde, denn es sind ein paar super Kletterer gekommen, die richtig schwer klettern. Ein Sicherer ist schon etwas müde geworden und setzt sich beim Sichern auf die bequemen Sofas, beim Nachbarn klingelt kurz das Telefon. Weil auch der Nachbar sichert macht er das Telefongespräch kurz mit dem Hinweis, dass er gerade sichert.
Klettern macht Ingo richtig Spaß und er ist froh, dass Sandro ihn mitgenommen hat! Nach dem Duschen meint Ingo: „Klettern ist echt super, vielleicht können wir wieder mal gehen?“ „Ja sicher“, erwidert Sandro, „wie wäre es übermorgen“?
Mittlerweile waren Ingo und Sandro schon dreimal Klettern. Weil es so Spaß macht, wollen sie heute wieder klettern gehen, obwohl sie nur am Abend gehen können. „Abends ist es halt immer stressiger in der Kletterhalle, weil viel los ist. Aber wochentags müsste es trotzdem gehen“ meint Sandro zu Ingo. „Probieren wir es aus, wir werden schon Platz finden! “Abends ist deutlich mehr los in der Kletterhalle und es ist echt spannend. Hübsche Mädels und echt coole Kletterer, die total lässig die schwersten Routen klettern. Auch die Sicherungspartner der Kletterasse sind echt cool und unterhalten sich neben Ingo über eine Schlüsselstelle in einer Route im neunten Schwierigkeitsgrad. Ingo, der gerade Sandro sichert, hört gebannt zu, als ihn jemand von der Seite anspricht, ob er den Seilsack ein wenig verschieben könnte. „Ja klar!“ meint Ingo und schubst den Seilsack mit dem Kletterseil zur Seite.
In diesem Moment stürzt Sandro in der Route und schlägt in den nächsten zwei Sekunden ungebremst aus zwölf Metern Höhe auf den Betonboden auf. Ein Arzt ist vor Ort, die Rettung kommt sofort. Trotzdem stirbt Sandro. Vor den Augen von 70 Kletterern klatschte Sandro mit dem Kopf auf den Boden. Ingo ist fassungslos, alle Kletterer sind fassungslos und alle sind sich einig: Ingo ist schuld! Ingo hat nicht aufgepasst und ihnen wäre das niemals passiert!
Es ist eben viel leichter Schocksituationen innerlich zu verarbeiten, wenn man den Grund für den Unfall weiß. In diesem Fall: menschliches Versagen, Ingo ist schuld!
Menschliches Versagen, ja zugegeben, aber Ingos Schuld? Woran ist Ingo nun genau schuld? Dass er sich mit anderen Sichernden in der Kletterhalle unterhalten hat, wie alle anderen auch? Oder dass er sich vielleicht beim Sichern hingesetzt hat oder das Telefon abgehoben oder den Seilsack aus Platzgründen verrutschen musste, wie viele andere Sichernde auch? Nur zwei Sekunden unaufmerksam, also ein bis zwei Augenlidschläge und Ingo ist an allem ganz alleine schuld? Alle anderen Kletterer halten bemerkenswert zusammen: ihnen würde das nie passieren, sie sind immer und jede Sekunde mit voller Aufmerksamkeit beim Sichern! Sie können eben sichern, sind sozusagen über jeden Fehler erhaben. Da trifft es sich doch gut, dass Ingo schuld an dem Todesfall ist und nicht man selber!
Festzustellen ist: ja Ingo war unaufmerksam und ja Ingo hat das Bremsseil nicht gehalten, sonst wäre Sandro nicht abgestürzt! Doch wie kann man jemanden für nur zwei Sekunden Unaufmerksamkeit für den Rest seines Lebens an den Pranger stellen und psychisch fertigmachen? Ist es nicht viel mehr so, dass der Mensch eben keine Maschine ist und das es eine hundertprozentige Aufmerksamkeit nicht gibt? Obwohl das Wunder Mensch viele Abläufe unterbewusst zur Gewohnheit machen und Abläufe automatisieren kann, ist trotzdem oder gerade deshalb immer noch eine Restwahrscheinlichkeit für Fehler gegeben. Warum gibt es Autofahrer, die dreißig Jahre unfallfrei fahren und dann doch einen Unfall verursachen? Warum baut die Autoindustrie Knautschzonen und Airbags in die Autos um den Insassen mehr Sicherheit zu bieten? Eben weil Fehler passieren können! Man darf davor nicht die Augen verschließen, sondern muss aktiv handeln und die Fehlerwahrscheinlichkeit in allen Tätigkeiten berücksichtigen! In unserem Fall heißt das: warum verwenden immer noch so viele Kletterer Sicherungsgeräte, die Fehlerlosigkeit vom Sichernden verlangen? Soll also der Kletterer sterben, weil der Sicherungspartner eben ein Mensch ist, der zum Beispiel ohnmächtig werden oder einen Herzanfall beim Sichern erleiden kann?
Und wer jetzt glaubt, dass Ingo ein Einzelfall ist: weit gefehlt! In den letzten zwei Jahren gab es in Kletterhallen acht schwere Unfälle bei denen das Sicherungsgerät „Tuber“ (ATC, Reverso) verwendet wurde und dass von Kletterern mit jahrelanger (!) Erfahrung! Die Opfer sind zwar noch am Leben, allerdings schwerstverletzt bzw. querschnittsgelähmt“.
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