Die Männer laufen seit zehn Stunden, sie haben die Route über den Linda-Gletscher genommen. Sie kommen nur langsam voran. Es hat geregnet in der Nacht, die Felsen sind mit einer feinen Eisschicht überzogen.
Phil Doole schwitzt mehr als die anderen. Er ist erschöpft, seine Begleiter sollen nichts merken, er will nicht, dass sie Rücksicht nehmen oder gar umkehren. Sie reden kaum, Doole schweigt, manchmal stützt er sich auf seine Knie, macht eine kurze Pause.
Doole ist sehr erschöpft, aber er hat noch eine Rechnung offen mit dem Mount Cook.
Es ist der höchste Berg Neuseelands. Es ist der Berg, auf dem Phil Doole seine Beine verlor. 21 Jahre liegt das zurück, damals hat es Doole über den Ostgrat versucht, zusammen mit Mark Inglis, einem Kollegen, sie arbeiteten gemeinsam im Rettungsteam des Nationalparks des Mount Cook.
Auf dem Middle Peak, 200 Höhenmeter vom Gipfel entfernt, überraschte sie ein Sturm. 3550 Meter über dem Meeresspiegel, keine Hütte in erreichbarer Nähe. Nur eine Eishöhle, in der es so zugig war, als würde ein riesiger Ventilator ständig kalte Luft hineinwirbeln.
Tag um Tag verging, sie sahen zu, wie ihre Füße wachsweiß wurden, irgendwann waren sie so hart wie tiefgefrorenes Fleisch. Es tat nicht mal weh. "Wie in den Lehrfilmen im Discovery Channel", sagte Inglis.
Sieben Tage dauerte es, bis das Rettungsteam vom Helikopter aus die Kletterhelme sah, die Doole und Inglis an den Eingang der Eishöhle gehängt hatten. Weitere sieben Tage dauerte es, bis der Helikopter stärker als der Wind war und die Männer ins Tal flog. Zwei Monate später amputierten die Chirurgen im Burwood Hospital in Christchurch zwei rechte und zwei linke Unterschenkel.
Als sie in ihre neuen Leben entlassen werden, haben Doole und Inglis neue Beine: aus Kohlefaser, jedes zwei Kilo schwer, rund 3700 Euro teuer. Es ist schwierig, auf den Prothesen das Gleichgewicht zu halten, die Stümpfe sind empfindlich, man braucht lange, bis man damit gehen kann. Doole und Inglis lernen, auf Treppen und auf Kieswegen zu gehen. Sie üben, wie man bei Schnee und Eis die Schritte setzt.
Irgendwann gehen sie sogar beide wieder bergsteigen, aber nie mehr zusammen.
Inglis schreibt ein Buch, lässt einen Dokumentarfilm über sich drehen, gewinnt als Radsportler eine Silbermedaille bei den Paralympics in Sydney. Er hat schon immer viel geredet, damals bei der Arbeit, damals auf dem Gipfel des Mount Cook und auch jetzt, wo Inglis mit seinem Schicksal in die Medien drängt.
Doole steigt, unbeachtet von den Medien, auf den Aconcagua in Argentinien, auf den Mount Aspiring in Neuseeland. Sein eigentliches Ziel ist der Mount Cook: Immer wieder versucht er, ihn zu besteigen, immer wieder muss er umkehren, weil die Stümpfe schmerzen oder das Wetter umschlägt.
Mit jedem missglückten Versuch steigt die Angst, dass Doole, mittlerweile 46 Jahre alt, es nicht mehr schafft, dass er keine Begleiter mehr findet, die ihm die Tour zutrauen.
Im Dezember vergangenen Jahres steht Doole wieder am Fuß des Mount Cook. Der sechste Versuch. Er hat zwei erfahrene Bergführer dabei, einer sichert den Weg, der andere trägt Dooles Gepäck, damit er mit den Prothesen nicht zu tief einsinkt im Schnee. Tiefschnee, hat Doole mal gelesen, ist für ihn viermal so anstrengend wie für einen Bergsteiger auf eigenen Beinen.
Wenn es steil bergauf geht, benutzt Doole Eispickel, bergab helfen ihm Skistöcke. Er wirkt ein wenig steif dabei, seine Prothesen haben keine Fußgelenke, sie können sich nicht der Steigung am Berg anpassen. Doole kann auch keine Sprünge mit seinen Prothesen machen, jede Gletscherspalte, die breiter als ein Meter ist, wird zum unüberwindbaren Hindernis. Im Gepäck hat er Ersatzteile für seine Beine.
Immer wieder pausieren die Männer am Berg, trinken Früchtetee mit Honig, den sie Flugbenzin nennen, Doole nimmt seine Unterschenkel ab, rückt sie zurecht, um Druckstellen zu vermeiden.
Zum sechsten Mal in seinem Leben kämpft er mit diesem Berg, die anderen beiden Bergführer wissen nicht, wie sehr er kämpft, er ist ein Schweiger, aber sie ahnen, was dieser Tag für ihn bedeutet: Phil Doole will sich zurückholen, was der Berg ihm einst genommen hat.
14 Stunden lang steigen die Männer, bis sie oben auf dem Mount Cook stehen: Nichts versperrt mehr den Blick vom höchsten Berg Neuseelands, den Blick auf 19 andere Dreitausender, auf das Tasmanische Meer dort unten, auf Sandstrände und Brandungen. Doole reibt sich Tränen aus den Augen. Die Bergsteiger umarmen sich, so gut es geht auf dem schmalen Gipfelgrat, ein knapper Männergruß, das war's.
Du musst, sagen Neuseelands Bergsteiger, den Mount Cook bezwingen, damit er dich in Ruhe lässt.
Quelle: www.spiegel.de
Phil Doole schwitzt mehr als die anderen. Er ist erschöpft, seine Begleiter sollen nichts merken, er will nicht, dass sie Rücksicht nehmen oder gar umkehren. Sie reden kaum, Doole schweigt, manchmal stützt er sich auf seine Knie, macht eine kurze Pause.
Doole ist sehr erschöpft, aber er hat noch eine Rechnung offen mit dem Mount Cook.
Es ist der höchste Berg Neuseelands. Es ist der Berg, auf dem Phil Doole seine Beine verlor. 21 Jahre liegt das zurück, damals hat es Doole über den Ostgrat versucht, zusammen mit Mark Inglis, einem Kollegen, sie arbeiteten gemeinsam im Rettungsteam des Nationalparks des Mount Cook.
Auf dem Middle Peak, 200 Höhenmeter vom Gipfel entfernt, überraschte sie ein Sturm. 3550 Meter über dem Meeresspiegel, keine Hütte in erreichbarer Nähe. Nur eine Eishöhle, in der es so zugig war, als würde ein riesiger Ventilator ständig kalte Luft hineinwirbeln.
Tag um Tag verging, sie sahen zu, wie ihre Füße wachsweiß wurden, irgendwann waren sie so hart wie tiefgefrorenes Fleisch. Es tat nicht mal weh. "Wie in den Lehrfilmen im Discovery Channel", sagte Inglis.
Sieben Tage dauerte es, bis das Rettungsteam vom Helikopter aus die Kletterhelme sah, die Doole und Inglis an den Eingang der Eishöhle gehängt hatten. Weitere sieben Tage dauerte es, bis der Helikopter stärker als der Wind war und die Männer ins Tal flog. Zwei Monate später amputierten die Chirurgen im Burwood Hospital in Christchurch zwei rechte und zwei linke Unterschenkel.
Als sie in ihre neuen Leben entlassen werden, haben Doole und Inglis neue Beine: aus Kohlefaser, jedes zwei Kilo schwer, rund 3700 Euro teuer. Es ist schwierig, auf den Prothesen das Gleichgewicht zu halten, die Stümpfe sind empfindlich, man braucht lange, bis man damit gehen kann. Doole und Inglis lernen, auf Treppen und auf Kieswegen zu gehen. Sie üben, wie man bei Schnee und Eis die Schritte setzt.
Irgendwann gehen sie sogar beide wieder bergsteigen, aber nie mehr zusammen.
Inglis schreibt ein Buch, lässt einen Dokumentarfilm über sich drehen, gewinnt als Radsportler eine Silbermedaille bei den Paralympics in Sydney. Er hat schon immer viel geredet, damals bei der Arbeit, damals auf dem Gipfel des Mount Cook und auch jetzt, wo Inglis mit seinem Schicksal in die Medien drängt.
Doole steigt, unbeachtet von den Medien, auf den Aconcagua in Argentinien, auf den Mount Aspiring in Neuseeland. Sein eigentliches Ziel ist der Mount Cook: Immer wieder versucht er, ihn zu besteigen, immer wieder muss er umkehren, weil die Stümpfe schmerzen oder das Wetter umschlägt.
Mit jedem missglückten Versuch steigt die Angst, dass Doole, mittlerweile 46 Jahre alt, es nicht mehr schafft, dass er keine Begleiter mehr findet, die ihm die Tour zutrauen.
Im Dezember vergangenen Jahres steht Doole wieder am Fuß des Mount Cook. Der sechste Versuch. Er hat zwei erfahrene Bergführer dabei, einer sichert den Weg, der andere trägt Dooles Gepäck, damit er mit den Prothesen nicht zu tief einsinkt im Schnee. Tiefschnee, hat Doole mal gelesen, ist für ihn viermal so anstrengend wie für einen Bergsteiger auf eigenen Beinen.
Wenn es steil bergauf geht, benutzt Doole Eispickel, bergab helfen ihm Skistöcke. Er wirkt ein wenig steif dabei, seine Prothesen haben keine Fußgelenke, sie können sich nicht der Steigung am Berg anpassen. Doole kann auch keine Sprünge mit seinen Prothesen machen, jede Gletscherspalte, die breiter als ein Meter ist, wird zum unüberwindbaren Hindernis. Im Gepäck hat er Ersatzteile für seine Beine.
Immer wieder pausieren die Männer am Berg, trinken Früchtetee mit Honig, den sie Flugbenzin nennen, Doole nimmt seine Unterschenkel ab, rückt sie zurecht, um Druckstellen zu vermeiden.
Zum sechsten Mal in seinem Leben kämpft er mit diesem Berg, die anderen beiden Bergführer wissen nicht, wie sehr er kämpft, er ist ein Schweiger, aber sie ahnen, was dieser Tag für ihn bedeutet: Phil Doole will sich zurückholen, was der Berg ihm einst genommen hat.
14 Stunden lang steigen die Männer, bis sie oben auf dem Mount Cook stehen: Nichts versperrt mehr den Blick vom höchsten Berg Neuseelands, den Blick auf 19 andere Dreitausender, auf das Tasmanische Meer dort unten, auf Sandstrände und Brandungen. Doole reibt sich Tränen aus den Augen. Die Bergsteiger umarmen sich, so gut es geht auf dem schmalen Gipfelgrat, ein knapper Männergruß, das war's.
Du musst, sagen Neuseelands Bergsteiger, den Mount Cook bezwingen, damit er dich in Ruhe lässt.
Quelle: www.spiegel.de