Berghotels – Ozeandampfer im Gebirge
An den schönsten Plätzen in Süd- und Nordtirol entstanden am Ende des 19. Jahrhunderts palastartige Berghotels. Vom vergangenen Glanz können heute nur noch wenige original erhaltene Bauten erzählen. Die Innsbrucker Architekturhistorikerin Bettina Schlorhaufer hat nun die erste umfassende Geschichte des frühen Hotelbaus in den Bergen publiziert.
Das Grandhotel in Kitzbühel ist eines der wenigen Gebäude, die noch aus der Pionierzeit des Tiroler Tourismus erhalten sind. 1903 von dem Wiener Architekten Otto Schmid erbaut, gingen dort Adelige und internationale Gäste ein und aus. Man warb mit einem Lift, der Zentralheizung und elektrischem Licht, auf fließendes Wasser mussten die Gäste noch länger warten, erzählt die Architekturhistorikerin Schlorhaufer von der Universität Innsbruck.
Hotelzimmer wie Klosterzellen
„Um die Jahrhundertwende verstand man unter Komfort noch etwas anderes“, so Schlorhaufer, „man hat gar nicht damit gerechnet, dass ein Berghotel Luxus bieten würde. Ein Hotelzimmer war spartanisch eingerichtet, etwa vergleichbar mit einer Klosterzelle mit sehr einfachen, systematisch gebauten Möbeln, die regionale Tischlereien produziert haben.“
Prachtvolle Bauplätze
Die Orte wurden akribisch ausgewählt und manchmal noch im letzten Moment verändert, um nicht nur die Sicht auf die Grandhotels zu optimieren, sondern auch den Ausblick aus den Hotelzimmern auf die Tiroler Bergwelt. Das Grandhotel Trafoi wurde imposant vor der Kulisse des Madatsch Ferners inszeniert. „Die Berghotels wirken wie Ozeandampfer, die in diesen wunderschönen Gebirgslandschaften gestrandet sind und wie autark funktionierende Organismen dort hineingepflanzt worden sind“, meint Schlorhaufer. „Diese Baukörper sind deshalb so groß, weil man schon ganz früh damit spekuliert hat, dass nicht nur Bergsteiger kommen und sie aufsuchen, sondern auch sehr viele Lungenkranke, die zur Kur oder zur Nachkur ins Gebirge ziehen.“
Aus dem Hospital wird ein Hotel
Der Begriff Hotel wurde aus dem Französischen übernommen. Zwei Vorbilder vereinen sich darin, hat Schlorhaufer herausgefunden. „Der Bautyp des Hotels geht einerseits auf das Hotel Dieu zurück, ein Krankenhaus in das man im Mittelalter weniger zur Heilung, sondern eher zum Sterben gegangen ist. Ein zweiter Vorläufer ist das Hotel Particulier, ein vornehmes Stadtpalais in Paris.“
„Arzt im Hotel“ als Werbeslogan
Man warb mit der Behandlung durch Ärzte im Hotel, um die zahlreichen Tuberkulosepatienten anzulocken. Im 19. Jahrhundert verbreitete sich das Wissen um die Gesundheit der frischen Bergluft. Daher fuhr man häufig nach einer abgeschlossenen medizinischen Kur in die Berge, um sich dort bei einer Nachkur monatelang weiter zu erholen.
Speisen wie ein König
Die pompösen Speisesäle standen im Mittelpunkt des Geschehens. Architekt Otto Schmid entwarf komplizierte hölzerne Deckengewölbe. Die gotisch anmutenden Konstruktionen erinnern an Südtiroler Schlösser oder englische Kathedralen. Dieser Eindruck war durchaus gewollt, denn das demokratische England wurde als politisches Vorbild geschätzt. Unternehmer wie Theodor Christomannos versuchte zusätzlich mit „germanischen“ Stilelementen die zunehmende Italianisierung vor dem Ersten Weltkrieg zurückzudrängen.
In den Speisesälen trafen sich die Hotelgäste am Abend zur selben Zeit an langen Tafeln, um das vom Wirt für alle gleiche Essen einzunehmen. „Das Gerangel war groß, um einen Platz neben einer prominenten Persönlichkeit zu ergattern, um mit ihr parlieren zu können“, beschreibt Schlorhaufer.
Kaiserin Sisi als Role Model
Eine gemeinsame Tourismuswerbung gab es damals noch nicht, also orientierten sich die Gäste an Empfehlungen. Das Österreichische Kaiserhaus stand dem aufkommenden Tourismus anfangs skeptisch gegenüber. Dann spielte die Hocharistokratie doch mit. Das Kaiserpaar urlaubte zum Beispiel im Hotel des Alpes in Madonna di Campiglio, und das sprach sich blitzartig herum. Als Kaiserin Elisabeth im Hotel am Karersee zu Gast war, schrieben die lokalen Zeitungen, wie gut ihr der Aufenthalt getan hätte, weil sie „mit dynamischem Schritt“ durch die Hotelhalle geeilt sei.
Kurze Blütezeit
Um 1890 wurden die ersten Berghotels errichtet, etwa das Grandhotel in Sulden. Private Investoren wie der Alpinist, Politiker und Autor Christomannos versuchten, die Baukosten niedrig zu halten. Es gelang auch, Liebhaber der Alpen in Wien, Berlin und Köln als Geldgeber zu gewinnen. Man griff auf das nahe gelegene Baumaterial Holz zurück. Außerdem versuchte man, die Bauabwicklung durch serielle Entwürfe im Modulsystem zu optimieren. Pläne und Bilder im Archiv von Musch & Lun belegen dieses innovative Vorgehen, bei dem man von frühen Hotelketten sprechen könnte. Die meisten alpinen Hotels konnten nur in den Sommermonaten genutzt werden, daher war es nicht einfach, sie wirtschaftlich erfolgreich zu führen.
Mehrere dieser Hotelkästen wurden ein Raub der Flammen, wie das Hotel am Karersee. Das Chaos war groß, Hotelgäste, die am Feiertag von ihren Ausflügen aus den Bergen zurückkamen, mussten auf der Wiese vor dem Hotel ihre Koffer zusammensuchen. Die Dorffeuerwehr war angesichts der Dimensionen überfordert. Wenige Jahre später wurde das Hotel Karersee wieder aufgebaut.
Rückbau der Hotelkästen
Durch die Einquartierung von Soldaten im Ersten Weltkrieg wurden einige Gebäude arg ramponiert. Andere Berghotels wurden später zurückgebaut, weil das Bewusstsein für den Naturschutz zunahm und man nicht mehr so verschwenderisch mit der Landschaft umging. Auch wenn die Blütezeit der Berghotels nur ungefähr 40 Jahre dauerte, gibt es heute noch viele Geschichten zu erzählen. Etwa von den ersten weiblichen Angestellten im Tourismus. Denn anfangs durften nur Männer im Frack servieren, dann wurden erstmals auch Frauen im Dirndl engagiert.
Bauten, die viel zu erzählen haben
Ein Forschungsauftrag für das Archiv des „Bureaus für Architektur und Ingenieurbau Musch & Lun“ in Meran war der Auftakt für die umfassende Recherche der Architekturhistorikerin. Auch die Bibliothek des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum in Innsbruck birgt frühe Schätze der Tourismusgeschichte aus Süd- und Nordtirol und aus dem Trentino. Hier werden seit den Anfängen wertvolle Dokumente vom Prospekt über Postkarten bis zur Speisekarte gesammelt. In ihrer zweibändigen Publikation geht es der Expertin nicht nur um die Dokumentation der Baugeschichte, sondern auch um die Beschreibung der beeindruckenden Bauplätze in den Alpen und um Erzählungen vom Leben in den Berghotels.
Teresa Andreae, tirol.ORF.at
Quelle: https://tirol.orf.at/stories/3100337/
An den schönsten Plätzen in Süd- und Nordtirol entstanden am Ende des 19. Jahrhunderts palastartige Berghotels. Vom vergangenen Glanz können heute nur noch wenige original erhaltene Bauten erzählen. Die Innsbrucker Architekturhistorikerin Bettina Schlorhaufer hat nun die erste umfassende Geschichte des frühen Hotelbaus in den Bergen publiziert.
Das Grandhotel in Kitzbühel ist eines der wenigen Gebäude, die noch aus der Pionierzeit des Tiroler Tourismus erhalten sind. 1903 von dem Wiener Architekten Otto Schmid erbaut, gingen dort Adelige und internationale Gäste ein und aus. Man warb mit einem Lift, der Zentralheizung und elektrischem Licht, auf fließendes Wasser mussten die Gäste noch länger warten, erzählt die Architekturhistorikerin Schlorhaufer von der Universität Innsbruck.
Hotelzimmer wie Klosterzellen
„Um die Jahrhundertwende verstand man unter Komfort noch etwas anderes“, so Schlorhaufer, „man hat gar nicht damit gerechnet, dass ein Berghotel Luxus bieten würde. Ein Hotelzimmer war spartanisch eingerichtet, etwa vergleichbar mit einer Klosterzelle mit sehr einfachen, systematisch gebauten Möbeln, die regionale Tischlereien produziert haben.“
Prachtvolle Bauplätze
Die Orte wurden akribisch ausgewählt und manchmal noch im letzten Moment verändert, um nicht nur die Sicht auf die Grandhotels zu optimieren, sondern auch den Ausblick aus den Hotelzimmern auf die Tiroler Bergwelt. Das Grandhotel Trafoi wurde imposant vor der Kulisse des Madatsch Ferners inszeniert. „Die Berghotels wirken wie Ozeandampfer, die in diesen wunderschönen Gebirgslandschaften gestrandet sind und wie autark funktionierende Organismen dort hineingepflanzt worden sind“, meint Schlorhaufer. „Diese Baukörper sind deshalb so groß, weil man schon ganz früh damit spekuliert hat, dass nicht nur Bergsteiger kommen und sie aufsuchen, sondern auch sehr viele Lungenkranke, die zur Kur oder zur Nachkur ins Gebirge ziehen.“
Aus dem Hospital wird ein Hotel
Der Begriff Hotel wurde aus dem Französischen übernommen. Zwei Vorbilder vereinen sich darin, hat Schlorhaufer herausgefunden. „Der Bautyp des Hotels geht einerseits auf das Hotel Dieu zurück, ein Krankenhaus in das man im Mittelalter weniger zur Heilung, sondern eher zum Sterben gegangen ist. Ein zweiter Vorläufer ist das Hotel Particulier, ein vornehmes Stadtpalais in Paris.“
„Arzt im Hotel“ als Werbeslogan
Man warb mit der Behandlung durch Ärzte im Hotel, um die zahlreichen Tuberkulosepatienten anzulocken. Im 19. Jahrhundert verbreitete sich das Wissen um die Gesundheit der frischen Bergluft. Daher fuhr man häufig nach einer abgeschlossenen medizinischen Kur in die Berge, um sich dort bei einer Nachkur monatelang weiter zu erholen.
Speisen wie ein König
Die pompösen Speisesäle standen im Mittelpunkt des Geschehens. Architekt Otto Schmid entwarf komplizierte hölzerne Deckengewölbe. Die gotisch anmutenden Konstruktionen erinnern an Südtiroler Schlösser oder englische Kathedralen. Dieser Eindruck war durchaus gewollt, denn das demokratische England wurde als politisches Vorbild geschätzt. Unternehmer wie Theodor Christomannos versuchte zusätzlich mit „germanischen“ Stilelementen die zunehmende Italianisierung vor dem Ersten Weltkrieg zurückzudrängen.
In den Speisesälen trafen sich die Hotelgäste am Abend zur selben Zeit an langen Tafeln, um das vom Wirt für alle gleiche Essen einzunehmen. „Das Gerangel war groß, um einen Platz neben einer prominenten Persönlichkeit zu ergattern, um mit ihr parlieren zu können“, beschreibt Schlorhaufer.
Kaiserin Sisi als Role Model
Eine gemeinsame Tourismuswerbung gab es damals noch nicht, also orientierten sich die Gäste an Empfehlungen. Das Österreichische Kaiserhaus stand dem aufkommenden Tourismus anfangs skeptisch gegenüber. Dann spielte die Hocharistokratie doch mit. Das Kaiserpaar urlaubte zum Beispiel im Hotel des Alpes in Madonna di Campiglio, und das sprach sich blitzartig herum. Als Kaiserin Elisabeth im Hotel am Karersee zu Gast war, schrieben die lokalen Zeitungen, wie gut ihr der Aufenthalt getan hätte, weil sie „mit dynamischem Schritt“ durch die Hotelhalle geeilt sei.
Kurze Blütezeit
Um 1890 wurden die ersten Berghotels errichtet, etwa das Grandhotel in Sulden. Private Investoren wie der Alpinist, Politiker und Autor Christomannos versuchten, die Baukosten niedrig zu halten. Es gelang auch, Liebhaber der Alpen in Wien, Berlin und Köln als Geldgeber zu gewinnen. Man griff auf das nahe gelegene Baumaterial Holz zurück. Außerdem versuchte man, die Bauabwicklung durch serielle Entwürfe im Modulsystem zu optimieren. Pläne und Bilder im Archiv von Musch & Lun belegen dieses innovative Vorgehen, bei dem man von frühen Hotelketten sprechen könnte. Die meisten alpinen Hotels konnten nur in den Sommermonaten genutzt werden, daher war es nicht einfach, sie wirtschaftlich erfolgreich zu führen.
Mehrere dieser Hotelkästen wurden ein Raub der Flammen, wie das Hotel am Karersee. Das Chaos war groß, Hotelgäste, die am Feiertag von ihren Ausflügen aus den Bergen zurückkamen, mussten auf der Wiese vor dem Hotel ihre Koffer zusammensuchen. Die Dorffeuerwehr war angesichts der Dimensionen überfordert. Wenige Jahre später wurde das Hotel Karersee wieder aufgebaut.
Rückbau der Hotelkästen
Durch die Einquartierung von Soldaten im Ersten Weltkrieg wurden einige Gebäude arg ramponiert. Andere Berghotels wurden später zurückgebaut, weil das Bewusstsein für den Naturschutz zunahm und man nicht mehr so verschwenderisch mit der Landschaft umging. Auch wenn die Blütezeit der Berghotels nur ungefähr 40 Jahre dauerte, gibt es heute noch viele Geschichten zu erzählen. Etwa von den ersten weiblichen Angestellten im Tourismus. Denn anfangs durften nur Männer im Frack servieren, dann wurden erstmals auch Frauen im Dirndl engagiert.
Bauten, die viel zu erzählen haben
Ein Forschungsauftrag für das Archiv des „Bureaus für Architektur und Ingenieurbau Musch & Lun“ in Meran war der Auftakt für die umfassende Recherche der Architekturhistorikerin. Auch die Bibliothek des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum in Innsbruck birgt frühe Schätze der Tourismusgeschichte aus Süd- und Nordtirol und aus dem Trentino. Hier werden seit den Anfängen wertvolle Dokumente vom Prospekt über Postkarten bis zur Speisekarte gesammelt. In ihrer zweibändigen Publikation geht es der Expertin nicht nur um die Dokumentation der Baugeschichte, sondern auch um die Beschreibung der beeindruckenden Bauplätze in den Alpen und um Erzählungen vom Leben in den Berghotels.
Teresa Andreae, tirol.ORF.at
Quelle: https://tirol.orf.at/stories/3100337/