Paolo Leoni (* 21.9.1942, + 11.9.2016)
Der legendäre Bergsteiger aus Rovereto hat relativ spät, im Alter von 25 Jahren, zu klettern begonnen. Ausgebildeter Mechaniker. Als Geschäftsführer einer Baufirma konnte er nur am Wochenende in die Berge. Im Sommer Klettern, im Winter Schitouren (als Pionier mit dem Snowboard!). Er war Teil der legendären Seilschaft Graziano Maffei - Mariano Frizzera - Paolo Leoni, die in den 1970er und 1980er Jahren viele der bedeutendsten Routen in den Dolomiten eröffnet hat (darunter die legendäre "Via della Cattedrale" an der Marmolata). Er war ein außergewöhnlicher Freikletterer. So gelang es ihm, mit 60 Jahren ein Sportkletterprojekt abschließen, das bisher noch nicht wiederholt wurde. Es wird als 8c eingeschätzt. Mit 70 Jahren war er immer noch im Schwierigkeitsgrad 8a unterwegs. Über seine Leistungen hat er nie groß berichtet. Er verunglückte unter ungeklärten Umständen im Klettergarten von Castellano.
Quellen:
http://www.planetmountain.com/it/not...o-dal-pra.html
http://www.today.it/sport/morto-paol...alpinista.html
Dem italienischen Ausnahmekletterer Pietro Dal Prà gelang 2004 die erste freie Begehung der "Cattedrale". Über diese Begehung hat er einen Kurzfilm zusammengestellt, der beim Festival die Trento außer Konkurrenz gezeigt wurde. In Folge führte Dal Prà folgendes Interview mit Paolo Leoni und Mariano Frizzera:
Paolo, wann hast Du mit dem Klettern begonnen?
Ich glaube 1967 oder 1968, vor der Geburt von Piero (Anm.: der Sohn von Paolo Leoni). Ein Freund hat mich nach Castellano mitgenommen, einer der Klettergärten von Rovereto (und Carla – die Frau von Paolo – fügt lachend und seufzend hinzu "Genau, und danach waren es alle Sonntage im Leben…").
Nach wie vielen Jahren hast Du, in 6 Tagen und im Alpinstil, mit Sergio Martini und Tranquillini die "Via del Diedro" an der Marmolata eröffnet, die bis heute nicht wiederholt ist?
Ich weiß nicht, vielleicht war es 1974… (und er schaut hilfesuchend zu Mariano, ein wandelndes Lexikon der Daten, für eine Bestätigung…)
Ein ordentliches Niveau für diese Epoche! Aber bist nur an den Sonntagen im Sommer geklettert?
Ich hatte verstanden, dass das nicht genug war. Seit den ersten Jahren (Ende der 1960er), vor dem Sommer und nach der Arbeit, habe ich einen Rucksack mit Steinen gefüllt und bin zu einer kleinen Wand hier gleich in der Nähe. Ich bin ungesichert hinauf und hinunter (die Wand ist 12 bis 15 Meter hoch) und hin und her bis ich die Hände nicht mehr öffnen konnte.
Und dann, ab in die Dolomiten…
Alle Wochenenden vom Frühling bis in den September haben wir in den Bergen verbracht. Es war Feo, der die Linien der Neutouren gefunden hat. Er hat sich die Wände auch im Winter angeschaut. Mit dem Schnee, der an den Schwachstellen liegen geblieben ist, erkannte er die logische Linienführung. Zu Sommerbeginn, bei schlechtem oder schönem Wetter und auch noch bei Schnee haben wir dann Materialtransporte unter verschiedene Wände gemacht. So waren wir bereit wenn die Bedingungen dann gepasst haben. Und je nachdem sind wir hierhin oder dorthin gegangen. Wir eröffneten ca. 3 Routen pro Jahr. Aber ich habe recht spät mit Feo und Mariano zum Klettern begonnen…
Mariano meldet sich zu Wort…
Ja, mit Feo waren wir gerade dabei, eine Route an der Su Alto rechts der Verschneidung zu eröffnen. Hundert Meter unterm Ausstieg ist mir ein Sticht-Bohrhaken ausgebrochen und ich bin auf einen kleinen Absatz (der erste in der Route…) gefallen und habe mir beide Beine gebrochen. Der "Abstieg" war dann eine besondere Erfahrung: eineinhalb Tage, in denen ich mich in allem mit den beiden gebrochenen Beinen arrangieren musste. Zu Hause musste ich dann dennoch arbeiten. Und dafür habe ich mir dann zwei Beinschienen aus Eisen gebaut, mit denen ich stehen konnte. Ich stand am Arbeitstisch ungefähr so… mit steifen Hosenbeinen, die ich darüber gezogen hatte. Feo sah überhaupt keine Probleme und bestand darauf, dass wir auf die Su Alto mit den beiden Beinschienen zurückkehren.
Er sagte "Komm, ich helf' Dir. Machen wir die Route fertig. Komm schon.". Aber ich wollte nichts davon hören, so in die Wand einzusteigen. Eines Abends hat er dann wie ein geprügelter Hund bei mir vorbeigeschaut. Ich war gleich besorgt, weil so etwas war man von ihm nicht gewohnt. Er hatte nicht den Mut mich zu fragen, ob er die Route mit Leoni könnte, mit dem wir bisher noch nicht einmal geklettert waren. Als es mir letztendlich gelungen ist, ihn zu fragen, bin ich in Lachen ausgebrochen… "Aber natürlich Feo, marsch marsch!" Ich war glücklich, dass er den Traum vollenden konnte, an dem er so hing. Und ich war glücklich, dass er das mit Paolo machte. Seit damals sind wir immer zu dritt gegangen.
Paolo, wenn ich mir Fotos anschaue und auch die von Dir konstruierte Ausrüstung, dann ist klar, dass Ihr der Zeit um Einiges voraus wart… Die Ausrüstungsgegenstände, die man damals nur in Amerika benutzte, hast Du die gesehen gehabt? Oder hast Du sie erfunden… aus dem nichts?
Ich habe nie etwas gesehen und auch von niemanden gehört, der andere Sachen benützt hätte als Normalhaken und Keile. Aber ich war ausgebildeter Mechaniker und arbeitete in einer Werkstatt. Es war normal, dass dort auch alleine auftauchte.
Aber auch danach, als Sitzgurte und Friends aufkamen, hast Du weiter alles in der Werkstatt gemacht…
Freilich, weil z. B. die Friends, die verkauft wurden, nicht gut waren. Sie hatten viel zu weiche Federn und waren nicht stabil im Fels. So habe ich jene bevorzugt, die ich mir selber machte… und auch der Sitzgurt, den ich mir genäht habe, war bequemer als jene im Handel.
Auf einem Foto habe ich gesehen, dass Ihr einen Haulbag benutzt habt. Ich dachte, der wurde zuerst im Yosemite verwendet…
Mariano: Wir sind mit Haulbag erstmalig 1979 in der "Karol Wojtyla" geklettert. Wir hatten verstanden, dass es unmöglich war, alles Material am Rücken zu transportieren. Aber den ersten hatte bereits Armando Aste in der "Ideale" an der Marmolata verwendet. Den hat er sich aus LKW-Planen gemacht. Das einzige Material, das am Fels rutschte ohne sich allzu sehr zu verklemmen und das nicht kaputt ging. Wir haben das ein wenig kopiert…
Also war er ungefähr so wie er auch heute benutzt wird… Ich habe auch bemerkt, dass Ihr über dem Sack einen großen umgedrehten Trichter aus Plastik angeordnet habt, damit sich der Haulbag nicht verklemmt. An so etwas habe ich letztes Jahr auch gedacht, aber dann habe ich's nicht versucht…
Paolo: Ja, aber Du musst den oberen Rand des Trichters abschneiden, dami ter sich nicht selber Verklemmt.
… Danke. Und habt Ihr auch die Haken selbst gemacht…
Paolo: Ja, in 3 Größen und in unterschiedlicher Härte. Aber ich war mit den Haken kein Spezialist.
Mariano: Ja, Feo konnte nageln… Paolo hingegen hat nur sehr wenige Haken geschlagen. Wir haben ihm von unten zugerufen "Schlag einen Haken! Komm schon, schlag einen rein!" Und er oben sagte immer, wenn er zum Hakenschlagen stehenbleiben würde, hätte er weniger Kraft um die Passage fertig zu bringen… So nutzte er eher schnelle Zwischensicherungen aus seinem Eigenbaufundus, oder… nichts… und Kraft hatte er immer genug. Paolo kletterte bereits frei und man nannte uns die Zimmerer der Dolomiten.
Und die Geschichte mit dem Snowboard Paolo, wie war das damals? Auch damit warst Du früh dran…
Paolo: Die Boards gab es damals in Italien noch nicht. Ich habe ein Foto in einer amerikanischen Schi-Zeitschrift gesehen. Das hat mir sofort gut gefallen und so habe ich mir eines aus Holz und Laminat gebaut. Mit Piero (Anm.: der Sohn von Paolo) haben wir es auf den Wiesen hinter dem Haus ausprobiert. Aber ohne Technik, die wir imitieren konnten, ist uns das am Anfang nicht besonders gut gelungen. Ich erinnere mich, dass ich auch probiert habe, an die Unterseite eine vertikale Flosse zu montieren, eine Art Seitenruder. Ich dachte, das würde helfen, das Gleichgewicht zu halten. Aber auch so hatten wir keinen Erfolg. In Wirklichkeit wussten wir nicht, wie man mit einem Board fährt. Ich habe die Flosse weggeschnitten und langsam haben wir's gelernt. Ich erinnere mich noch an die ersten Male, als ich nach einiger Übung hinterm Haus mit dem Gerät auf die Piste ging. Die Liftwarte ließen mich nicht einmal den Lift benützen…
Und so auch im Winter…
Paolo: Wir waren jeden Sonntag unterwegs. Normalerweise sind wir eine Gruppe. Alle Schitourengeher und ich mit meinem Snowboard und Kurzschi, die ich mir für den Aufstieg gemacht habe. Auch die Schischuhe habe ich selbst gemacht. Wir wissen immer wo der beste Schnee ist und fahren teilweise auch bis nach Österreich. Aber auf der Piste ist es viel zu langweilig. Da war ich vorgestern, aber nur um meiner Enkelin Schifahren beizubringen.
Und vom Fels unter den Händen im Sommer und dem Schnee unter dem Snowboard im Winter, was gefällt Dir besser?
Paolo: Auf jeden Fall das Snowboarden im Winter… Feo hatte Recht, es ist ein unmittelbareres Vergnügen.
Ich muss zugeben, dass ich mir eine andere Antwort erwartet hätte… und ich stelle mir vor, dass Du auch am Schnee nicht schlecht unterwegs bist… (Paolo lächelt).
(Teil 2 folgt)
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