UNTER BLINDEN – DAS EXTREME LEBEN DES ANDY HOLZER
Kinostart in Österreich: 3. April 2015 (90 Min.)
Ein Film von Eva Spreitzhofer
UNTER BLINDEN – DAS EXTREME LEBEN DES ANDY HOLZER erzählt von der Bewältigung des Lebens, von Träumen und Grenzüberschreitungen. Andy Holzer ist 46 Jahre, Extrembergsteiger und blind. Er ist der einzige professionelle Bergsteiger Europas, der nicht sehen kann.
Dass Andy Holzer blind ist, ist nur ein Aspekt seines Lebens, und dass wir in einer Gesellschaft leben, die Defizite überbewertet, die sich an den Schwächen der Menschen orientiert und nicht an ihren Stärken, merkt jedes Kind schon an unserem Schulsystem. Von seinen Eltern wird Andy Holzer wie ein sehendes Kind erzogen, was er als die Ursache seines erfolgreichen Lebens sieht. Geschickt hat er gelernt, sich an das Leben der Sehenden anzupassen, die blinde Welt interessiere ihn nicht, sagt er. Heute repariert er das Dach seines Hauses und ist seit 25 Jahren mit einer sehenden Frau verheiratet. Andy Holzer fährt Rad, geht langlaufen, möchte in jeder Disziplin mit den Sehenden mithalten können. Er bewegt sich an Orten, an denen man normalerweise keine Blinden vermutet: in steilen Bergen, beim Skifahren und Mountainbiken. Als Vortragender vor Führungskräften erklärt er Sehenden die Welt. Normalerweise passiert es umgekehrt.
Wie befreiend es ist, zu seinen Schwächen zu stehen und sich auf seine Stärken zu konzentrieren, erzählt der Film anhand der Geschichte von Andy Holzer und den Menschen in seinem Umfeld auf spannende und witzige Weise.
Der Sänger George Nussbaumer, der 1996 Österreich beim Songcontest vertreten hat, ist ebenfalls blind. Er hat einen ähnlich trockenen Humor wie Andy Holzer, aber eine völlig andere „Sicht“ auf das Leben und das Blindsein. Die Auseinandersetzung der beiden über die unterschiedliche Art ihrer Wahrnehmungen bildet einen Höhepunkt des Films.
UNTER BLINDEN – DAS EXTREME LEBEN DES ANDY HOLZER ist eine Reise von Sehenden in eine Welt, von der uns nur ein Sinnesorgan trennt, die uns fremd und unbekannt ist, obwohl sie eigentlich mitten in unserer liegt. (Eva Spreitzhofer)
Inhalt:
Andy Holzer spricht über Farben und Formen, als wüsste er ganz genau, wie sie aussehen, und das hat auch einen Grund. Sein ganzes Leben lang hat er versucht, aus der Perspektive der Sehenden zu leben, um für sich selbst ein barrierefreies Dasein zu schaffen. Bereits vom Kindesalter an war ihm bewusst, dass ihn die Leute in seinem Umfeld anders behandeln würden, wenn sie wüssten, dass er blind ist. Seine Eltern mussten ihm sogar versprechen, nie jemandem zu erzählen, dass er nicht sehen kann. Den Großteil seiner Schulzeit funktionierte dies auch, und seine Freunde dachten, er sehe einfach schlecht. Erst im Alter von 16, 17 Jahren, als der Führerschein ins Spiel kam, konnte Andy Holzer seine Blindheit nicht länger verbergen.
Eigentlich ist Holzer jedoch aktiver als so manch Sehender, und er verbringt seine Tage mit Radfahren, Skifahren und vor allem mit seiner Leidenschaft: dem Bergsteigen. Im Alter von neun Jahren hatte er zum ersten Mal Felsen in der Hand und wusste, dass die Natur und die Berge seine Welt sein würden. Mit Hans Bruckner haben Holzers Eltern einen Bergführer gefunden, der sich Andy angenommen hat, und in Peter Mair, welcher nur einen Arm hat, fand er einen weiteren Wegbegleiter. Mittlerweile hat Holzer sogar sechs der „Seven Summits“ bestiegen, unter anderem auch zusammen mit Mair, und er plant, als nächstes den Mount Everest zu bezwingen.
Doch auch Holzer bestreitet seinen Alltag nicht alleine. Bereits seit den 80er-Jahren besitzt er eine eigene Funkstation, mit der er die Welt erkunden konnte, lange bevor er sie tatsächlich kennenlernen durfte. Seine Ehefrau Sabine hat Holzer über genau diese Funkwellen kennengelernt. Mittlerweile sind sie seit 20 Jahren verheiratet, und Sabine begleitet ihn als Assistentin bei seiner Tätigkeit als Vortragsreisender.
Holzer ist jedoch bei Weitem nicht der einzige, der sich von seinem Handicap nicht beeinträchtigen lässt. George Nussbaumer, bekannter Sänger und Musiker, ist ebenfalls von Geburt an blind und erfolgreich in seinem Beruf. Bei einem Gespräch zwischen den beiden zeigt sich jedoch, dass sie eine komplett andere „Sicht“ der Dinge haben. Im Gegensatz zu Holzer hat Nussbaumer keine konkreten Bilder im Kopf. Er nimmt seine Umwelt mit den Händen wahr, sieht die Welt jedoch in Einzelteilen anstatt als großes Gesamtkonzept.
Er habe den Eindruck, Andy Holzer bemühe sich, die Welt wie ein Sehender zu sehen, ihm hingegen seien Formen und Farben gleichgültig, erklärt Nussbaumer im Film.
Schließlich zeigt sich, dass Blinde genau wie Sehende die Welt unterschiedlich wahrnehmen können.
PROTAGONISTEN
Andy Holzer, 1966 in Lienz geboren, ist ein blinder österreichischer Bergsteiger, Extremsportler und Vortragsreisender. Nach der Schule machte er eine Ausbildung zum Heilmasseur und arbeitete in diesem Beruf über 20 Jahre lang im Krankenhaus Lienz. Er treibt verschiedene Sportarten, wie Skifahren, Langlauf und auch Mountainbiken. Bekannt wurde Holzer vor allem wegen seiner Leistungen im Klettern und Bergsteigen. 2007 war er Gewinner des Life Award in der Kategorie Sport. Seit 2010 ist er selbstständig als Bergsteiger, Testimonial und Vortragender tätig. Mit „Balanceakt: Blind auf die Gipfel der Welt“ (Patmos Verlag) hat Andy Holzer seine Erfolgsgeschichte in Buchform gebracht. Das Buch ist mit 70.000 verkauften Exemplaren ein Bestseller. Der Ausnahmesportler Andy Holzer hat sechs der „Seven Summits“, der jeweils höchsten Berge der sieben Kontinente, bestiegen (Stand: 2014) und plant noch 2015 seine Tour auf den letzten „Seven Summit“-Gipfel, den Mount Everest, den er als zweiter Blinder besteigen will.
George Nussbaumer
Der österreichische Soul- und Gospelsänger George Nussbaumer wurde 1963 in Dornbirn geboren und ist von Geburt an blind. Als Sänger, Songwriter, Klavierspieler und Interpret stellte sich bei ihm bald der Wunsch ein, von der Musik leben zu können, was ihm bereits seit 35 Jahren gelingt.
Seine erste Single veröffentlichte George Nussbaumer, nachdem er einen Wettbewerb in den 80er-Jahren gewonnen hatte. Er machte weiterhin Musik mit Freunden, allerdings sollte es bis ins Jahr 1992 dauern, bis er mithilfe von Sponsoren in eigener Produktion sein erstes Album „Voices Live“ herausbrachte. Nach dem großen Erfolg des ersten Albums veröffentlichte er im darauffolgenden Jahr sein zweites Album mit dem Namen „You Know what I Mean“.
1996 nahm Nussbaumer für Österreich beim Eurovision Song Contest teil, wo er mit dem Song „Weil’s der guat got“ den 7. Platz belegte. Als erster blinder Teilnehmer des Wettbewerbs erlangte er mit seinem Lied im Dialekt internationale Berühmtheit. In den Jahren darauf veröffentlichte Nussbaumer weitere Alben und tritt unter anderem mit dem Trio Nussbaumer – Weber – Kreil auf, welches 1999 gegründet wurde. Nussbaumer moderiert außerdem bei Antenne Vorarlberg.
REGIESTATEMENT EVA SPREITZHOFER
Als ich Andy Holzer zum ersten Mal treffe, trägt er ein T-Shirt mit der Aufschrift „Sexiest man in town“, die Haare sind zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Er sieht fesch aus. Er öffnet mir die Tür, lacht, streckt mir die Hand entgegen. Sieht mich direkt an – „sieht“ mich an? Natürlich nicht. Er kann mich nicht „sehen“, aber es fühlt sich so an, seine Augen ruhen auf mir. Und es ist noch etwas anderes, was mich dieses Gefühl haben lässt: Seine ganze Aufmerksamkeit ist auf mich gerichtet.
Wir sitzen auf seiner Terrasse. Ich mache mir Notizen in mein Heft, ich fühle mich beobachtet. Ich erkläre ihm, dass ich deshalb gerade nichts zu ihm sage, weil ich etwas aufschreibe. Das wisse er, er höre es, er merke es, erwidert er. Ich bin unsicher, versuche, ganz ungezwungen zu sein und mich so zu verhalten, als wäre es völlig normal, dass mir hier jemand gegenübersitzt, der mich nicht sieht und von dem ich nicht weiß, was er dennoch alles von mir wahrnimmt.
Die Sinnesorgane seien bei Blinden keineswegs besser ausgebildet, erzählt er mir, die Signale, die von den jeweiligen Sinnesorganen ans Gehirn geschickt werden, seien lediglich höher aufgelöst. Er höre das Gleiche, interpretiere es nur anders.
Er habe den Kopf ständig voller Bilder, voller Farben und dreidimensionaler Eindrücke.
BILDER? FARBEN?
Er habe Farben genau wie ein Sehender im Kopf, erklärt mir der Blinde, er müsse sie nur dem Bild zuordnen, das er sich durch die vier anderen Sinnesorgane gemacht habe. Das Sehzentrum in seinem Gehirn sei ja in Ordnung, nur die Augen funktionieren nicht.
„Wenn die Mutter gefragt hat: ,Willst du einen roten Apfel?‘ und ihn mir in die Hand gegeben hat, dann hab ich gewusst, wie er ausschaut, weil ich hatte ihn ja in der Hand. Wenn der Apfel reif ist, ist er rot, wenn er unreif ist, dann ist er grün. Das schmeck’ ich ja, und deshalb kann ich das auch zuordnen. Für die Farben brauch ich eine sehende Zuordnung, der Trigger muss von außen kommen. Ihr habt den Sehnerv, der das einschaltet, ich brauch das von außen.“
Der größte Unterschied in der Wahrnehmung zwischen Blinden und Sehenden ist der Überblick.
Wenn Sehende in einen Raum kommen, erfassen sie mit einem Blick den ganzen Raum. Sie erkennen die Größe des Raums. Sie sehen, welche Möbel sich darin befinden, ob es Pflanzen gibt und welchem Zweck der Raum dient.
Wenn eine Person, der der Sehsinn fehlt, diesen Raum betritt, kann sie ihn zunächst einmal hören. Sie hört anhand des Echos, ob der Raum groß ist oder klein. Auch, ob er leer ist oder sich Gegenstände darin befinden, ist zu hören. Vielleicht auch noch, ob es wenige Möbel sind oder viele.
Aber welchem Zweck dieser Raum dient, müssen sich blinde Menschen erst erschließen, indem sie herumgehen, Wände, Ecken, Gegenstände abtasten.
Anhand eines Beispiels lässt sich das gut darstellen:
Eine Gruppe blinder Menschen steht rund um einen Elefanten. Eine Person tastet ein Bein ab und sagt: „Aha, der Elefant ist eine Säule.“ Eine andere steht hinten beim Schwanz und entgegnet: „Nein, das stimmt überhaupt nicht, der Elefant ist ein Seil.“ Eine dritte wiederum steht beim Rüssel und ist sich sicher: „Hm, der Elefant ist ein Saugrohr, wie das von einem Staubsauger.“ Jede Wahrnehmung ist richtig.
Um aber ein Bild entstehen zu lassen, das der Realität möglichst nahe kommt, müssen blinde Menschen erst Puzzlesteine zusammensetzen.
Diesen Unterschied „Überblick versus Details“ habe ich – sowohl beim Drehen als auch im Schnitt – versucht, zu benutzen.
„Schwarz ist es überhaupt nie“, sagt Andy Holzer einmal im Film – daran haben wir uns gehalten. Dunkel ist es nur an den Orten, wo er kein Licht braucht und dann vergisst, es für uns aufzudrehen.
Die Idee, dem Hören mehr Gewicht zu geben als dem Sehen, funktioniert im Film nur durch Tricks. Wenn auf der Leinwand nichts Interessantes zu sehen ist, sucht unser Gehirn sofort nach anderen visuellen Möglichkeiten. Wir würden den Sessel oder den Hinterkopf des vor uns Sitzenden anschauen, egal, welche Geräusche unsere Ohren wahrnehmen. So habe ich mich entschieden, mit Unschärfen, mit Makro-Aufnahmen, aber auch mit einzelnen Geräuschen und Akzenten in der Musik unsere Aufmerksamkeit immer wieder statt auf den Überblick, der uns so vertraut ist, auf Details zu richten. Und so gelingt es immer wieder, einen neuen Blick, eine andere Wahrnehmung zu erzeugen.
Kinostart in Österreich: 3. April 2015 (90 Min.)
Ein Film von Eva Spreitzhofer
UNTER BLINDEN – DAS EXTREME LEBEN DES ANDY HOLZER erzählt von der Bewältigung des Lebens, von Träumen und Grenzüberschreitungen. Andy Holzer ist 46 Jahre, Extrembergsteiger und blind. Er ist der einzige professionelle Bergsteiger Europas, der nicht sehen kann.
Dass Andy Holzer blind ist, ist nur ein Aspekt seines Lebens, und dass wir in einer Gesellschaft leben, die Defizite überbewertet, die sich an den Schwächen der Menschen orientiert und nicht an ihren Stärken, merkt jedes Kind schon an unserem Schulsystem. Von seinen Eltern wird Andy Holzer wie ein sehendes Kind erzogen, was er als die Ursache seines erfolgreichen Lebens sieht. Geschickt hat er gelernt, sich an das Leben der Sehenden anzupassen, die blinde Welt interessiere ihn nicht, sagt er. Heute repariert er das Dach seines Hauses und ist seit 25 Jahren mit einer sehenden Frau verheiratet. Andy Holzer fährt Rad, geht langlaufen, möchte in jeder Disziplin mit den Sehenden mithalten können. Er bewegt sich an Orten, an denen man normalerweise keine Blinden vermutet: in steilen Bergen, beim Skifahren und Mountainbiken. Als Vortragender vor Führungskräften erklärt er Sehenden die Welt. Normalerweise passiert es umgekehrt.
Wie befreiend es ist, zu seinen Schwächen zu stehen und sich auf seine Stärken zu konzentrieren, erzählt der Film anhand der Geschichte von Andy Holzer und den Menschen in seinem Umfeld auf spannende und witzige Weise.
Der Sänger George Nussbaumer, der 1996 Österreich beim Songcontest vertreten hat, ist ebenfalls blind. Er hat einen ähnlich trockenen Humor wie Andy Holzer, aber eine völlig andere „Sicht“ auf das Leben und das Blindsein. Die Auseinandersetzung der beiden über die unterschiedliche Art ihrer Wahrnehmungen bildet einen Höhepunkt des Films.
UNTER BLINDEN – DAS EXTREME LEBEN DES ANDY HOLZER ist eine Reise von Sehenden in eine Welt, von der uns nur ein Sinnesorgan trennt, die uns fremd und unbekannt ist, obwohl sie eigentlich mitten in unserer liegt. (Eva Spreitzhofer)
Inhalt:
Andy Holzer spricht über Farben und Formen, als wüsste er ganz genau, wie sie aussehen, und das hat auch einen Grund. Sein ganzes Leben lang hat er versucht, aus der Perspektive der Sehenden zu leben, um für sich selbst ein barrierefreies Dasein zu schaffen. Bereits vom Kindesalter an war ihm bewusst, dass ihn die Leute in seinem Umfeld anders behandeln würden, wenn sie wüssten, dass er blind ist. Seine Eltern mussten ihm sogar versprechen, nie jemandem zu erzählen, dass er nicht sehen kann. Den Großteil seiner Schulzeit funktionierte dies auch, und seine Freunde dachten, er sehe einfach schlecht. Erst im Alter von 16, 17 Jahren, als der Führerschein ins Spiel kam, konnte Andy Holzer seine Blindheit nicht länger verbergen.
Eigentlich ist Holzer jedoch aktiver als so manch Sehender, und er verbringt seine Tage mit Radfahren, Skifahren und vor allem mit seiner Leidenschaft: dem Bergsteigen. Im Alter von neun Jahren hatte er zum ersten Mal Felsen in der Hand und wusste, dass die Natur und die Berge seine Welt sein würden. Mit Hans Bruckner haben Holzers Eltern einen Bergführer gefunden, der sich Andy angenommen hat, und in Peter Mair, welcher nur einen Arm hat, fand er einen weiteren Wegbegleiter. Mittlerweile hat Holzer sogar sechs der „Seven Summits“ bestiegen, unter anderem auch zusammen mit Mair, und er plant, als nächstes den Mount Everest zu bezwingen.
Doch auch Holzer bestreitet seinen Alltag nicht alleine. Bereits seit den 80er-Jahren besitzt er eine eigene Funkstation, mit der er die Welt erkunden konnte, lange bevor er sie tatsächlich kennenlernen durfte. Seine Ehefrau Sabine hat Holzer über genau diese Funkwellen kennengelernt. Mittlerweile sind sie seit 20 Jahren verheiratet, und Sabine begleitet ihn als Assistentin bei seiner Tätigkeit als Vortragsreisender.
Holzer ist jedoch bei Weitem nicht der einzige, der sich von seinem Handicap nicht beeinträchtigen lässt. George Nussbaumer, bekannter Sänger und Musiker, ist ebenfalls von Geburt an blind und erfolgreich in seinem Beruf. Bei einem Gespräch zwischen den beiden zeigt sich jedoch, dass sie eine komplett andere „Sicht“ der Dinge haben. Im Gegensatz zu Holzer hat Nussbaumer keine konkreten Bilder im Kopf. Er nimmt seine Umwelt mit den Händen wahr, sieht die Welt jedoch in Einzelteilen anstatt als großes Gesamtkonzept.
Er habe den Eindruck, Andy Holzer bemühe sich, die Welt wie ein Sehender zu sehen, ihm hingegen seien Formen und Farben gleichgültig, erklärt Nussbaumer im Film.
Schließlich zeigt sich, dass Blinde genau wie Sehende die Welt unterschiedlich wahrnehmen können.
PROTAGONISTEN
Andy Holzer, 1966 in Lienz geboren, ist ein blinder österreichischer Bergsteiger, Extremsportler und Vortragsreisender. Nach der Schule machte er eine Ausbildung zum Heilmasseur und arbeitete in diesem Beruf über 20 Jahre lang im Krankenhaus Lienz. Er treibt verschiedene Sportarten, wie Skifahren, Langlauf und auch Mountainbiken. Bekannt wurde Holzer vor allem wegen seiner Leistungen im Klettern und Bergsteigen. 2007 war er Gewinner des Life Award in der Kategorie Sport. Seit 2010 ist er selbstständig als Bergsteiger, Testimonial und Vortragender tätig. Mit „Balanceakt: Blind auf die Gipfel der Welt“ (Patmos Verlag) hat Andy Holzer seine Erfolgsgeschichte in Buchform gebracht. Das Buch ist mit 70.000 verkauften Exemplaren ein Bestseller. Der Ausnahmesportler Andy Holzer hat sechs der „Seven Summits“, der jeweils höchsten Berge der sieben Kontinente, bestiegen (Stand: 2014) und plant noch 2015 seine Tour auf den letzten „Seven Summit“-Gipfel, den Mount Everest, den er als zweiter Blinder besteigen will.
George Nussbaumer
Der österreichische Soul- und Gospelsänger George Nussbaumer wurde 1963 in Dornbirn geboren und ist von Geburt an blind. Als Sänger, Songwriter, Klavierspieler und Interpret stellte sich bei ihm bald der Wunsch ein, von der Musik leben zu können, was ihm bereits seit 35 Jahren gelingt.
Seine erste Single veröffentlichte George Nussbaumer, nachdem er einen Wettbewerb in den 80er-Jahren gewonnen hatte. Er machte weiterhin Musik mit Freunden, allerdings sollte es bis ins Jahr 1992 dauern, bis er mithilfe von Sponsoren in eigener Produktion sein erstes Album „Voices Live“ herausbrachte. Nach dem großen Erfolg des ersten Albums veröffentlichte er im darauffolgenden Jahr sein zweites Album mit dem Namen „You Know what I Mean“.
1996 nahm Nussbaumer für Österreich beim Eurovision Song Contest teil, wo er mit dem Song „Weil’s der guat got“ den 7. Platz belegte. Als erster blinder Teilnehmer des Wettbewerbs erlangte er mit seinem Lied im Dialekt internationale Berühmtheit. In den Jahren darauf veröffentlichte Nussbaumer weitere Alben und tritt unter anderem mit dem Trio Nussbaumer – Weber – Kreil auf, welches 1999 gegründet wurde. Nussbaumer moderiert außerdem bei Antenne Vorarlberg.
REGIESTATEMENT EVA SPREITZHOFER
Als ich Andy Holzer zum ersten Mal treffe, trägt er ein T-Shirt mit der Aufschrift „Sexiest man in town“, die Haare sind zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Er sieht fesch aus. Er öffnet mir die Tür, lacht, streckt mir die Hand entgegen. Sieht mich direkt an – „sieht“ mich an? Natürlich nicht. Er kann mich nicht „sehen“, aber es fühlt sich so an, seine Augen ruhen auf mir. Und es ist noch etwas anderes, was mich dieses Gefühl haben lässt: Seine ganze Aufmerksamkeit ist auf mich gerichtet.
Wir sitzen auf seiner Terrasse. Ich mache mir Notizen in mein Heft, ich fühle mich beobachtet. Ich erkläre ihm, dass ich deshalb gerade nichts zu ihm sage, weil ich etwas aufschreibe. Das wisse er, er höre es, er merke es, erwidert er. Ich bin unsicher, versuche, ganz ungezwungen zu sein und mich so zu verhalten, als wäre es völlig normal, dass mir hier jemand gegenübersitzt, der mich nicht sieht und von dem ich nicht weiß, was er dennoch alles von mir wahrnimmt.
Die Sinnesorgane seien bei Blinden keineswegs besser ausgebildet, erzählt er mir, die Signale, die von den jeweiligen Sinnesorganen ans Gehirn geschickt werden, seien lediglich höher aufgelöst. Er höre das Gleiche, interpretiere es nur anders.
Er habe den Kopf ständig voller Bilder, voller Farben und dreidimensionaler Eindrücke.
BILDER? FARBEN?
Er habe Farben genau wie ein Sehender im Kopf, erklärt mir der Blinde, er müsse sie nur dem Bild zuordnen, das er sich durch die vier anderen Sinnesorgane gemacht habe. Das Sehzentrum in seinem Gehirn sei ja in Ordnung, nur die Augen funktionieren nicht.
„Wenn die Mutter gefragt hat: ,Willst du einen roten Apfel?‘ und ihn mir in die Hand gegeben hat, dann hab ich gewusst, wie er ausschaut, weil ich hatte ihn ja in der Hand. Wenn der Apfel reif ist, ist er rot, wenn er unreif ist, dann ist er grün. Das schmeck’ ich ja, und deshalb kann ich das auch zuordnen. Für die Farben brauch ich eine sehende Zuordnung, der Trigger muss von außen kommen. Ihr habt den Sehnerv, der das einschaltet, ich brauch das von außen.“
Der größte Unterschied in der Wahrnehmung zwischen Blinden und Sehenden ist der Überblick.
Wenn Sehende in einen Raum kommen, erfassen sie mit einem Blick den ganzen Raum. Sie erkennen die Größe des Raums. Sie sehen, welche Möbel sich darin befinden, ob es Pflanzen gibt und welchem Zweck der Raum dient.
Wenn eine Person, der der Sehsinn fehlt, diesen Raum betritt, kann sie ihn zunächst einmal hören. Sie hört anhand des Echos, ob der Raum groß ist oder klein. Auch, ob er leer ist oder sich Gegenstände darin befinden, ist zu hören. Vielleicht auch noch, ob es wenige Möbel sind oder viele.
Aber welchem Zweck dieser Raum dient, müssen sich blinde Menschen erst erschließen, indem sie herumgehen, Wände, Ecken, Gegenstände abtasten.
Anhand eines Beispiels lässt sich das gut darstellen:
Eine Gruppe blinder Menschen steht rund um einen Elefanten. Eine Person tastet ein Bein ab und sagt: „Aha, der Elefant ist eine Säule.“ Eine andere steht hinten beim Schwanz und entgegnet: „Nein, das stimmt überhaupt nicht, der Elefant ist ein Seil.“ Eine dritte wiederum steht beim Rüssel und ist sich sicher: „Hm, der Elefant ist ein Saugrohr, wie das von einem Staubsauger.“ Jede Wahrnehmung ist richtig.
Um aber ein Bild entstehen zu lassen, das der Realität möglichst nahe kommt, müssen blinde Menschen erst Puzzlesteine zusammensetzen.
Diesen Unterschied „Überblick versus Details“ habe ich – sowohl beim Drehen als auch im Schnitt – versucht, zu benutzen.
„Schwarz ist es überhaupt nie“, sagt Andy Holzer einmal im Film – daran haben wir uns gehalten. Dunkel ist es nur an den Orten, wo er kein Licht braucht und dann vergisst, es für uns aufzudrehen.
Die Idee, dem Hören mehr Gewicht zu geben als dem Sehen, funktioniert im Film nur durch Tricks. Wenn auf der Leinwand nichts Interessantes zu sehen ist, sucht unser Gehirn sofort nach anderen visuellen Möglichkeiten. Wir würden den Sessel oder den Hinterkopf des vor uns Sitzenden anschauen, egal, welche Geräusche unsere Ohren wahrnehmen. So habe ich mich entschieden, mit Unschärfen, mit Makro-Aufnahmen, aber auch mit einzelnen Geräuschen und Akzenten in der Musik unsere Aufmerksamkeit immer wieder statt auf den Überblick, der uns so vertraut ist, auf Details zu richten. Und so gelingt es immer wieder, einen neuen Blick, eine andere Wahrnehmung zu erzeugen.
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