"Wie führt ihr das ?" war der Titel eines treads im Jahr 2004 und von Computerprogrammen bis selbstgebastelten Büchern und gekauften Ringheften war bei den Antworten alles vertreten.
Nun, ich bin da etwas altmodischer - ich brauche ein leeres Buch und eine Tourenbuchseite muss für mich ein Gesamtbild ergeben - vom Hüttenstempel über geschriebene Fakten, gemalten oder gezeichneten Skizzen, literarischen Ergüssen, eingeklebten Blumen, Visitenkarten und Fotos - alles muss Platz finden.
Deshalb habe ich immer das gebundene Buch verwendet, früher auch "echte" Bücher, z.B. Ovids "Metamorphosen" wo ich über die Texte malte und schrieb. In den letzten Jahren hat sich allerdings das "Moleskine" Buch durchgesetzt und ich benötige davon ca 2 Stück pro Jahr. Bei den Reisen führe ich auch exakt Tagebuch und es ist einfach schön an langen (Schlechtwetter)winterabenden Jahrzehnte zurück zu lesen oder einfach darin zu blättern.
Hier nun ein paar Beispiele:
Eiskogel.jpg
Skitour zum Eiskogel / Tennengebirge (aus der "Ovid-Ära" der Tourenbücher)
Similaunhütte talauswärts.jpg
Blick von der Similaunhütte talauswärts in Richtung Vent
(aus der "Ovid-Ära" der Tourenbücher)
Skizzen 003.jpg
Skitour zum Fluchtkogel (aus der "Ovid-Ära" der Tourenbücher)
P1070321.JPG
Schönfeldspitze / Steinernes Meer
P1070318.JPG
Überschreitung Tennengebirge
P1070317.JPG
Ortler über Normalweg
P1070320.JPG
Gilf Kebir Gebirge / Western Desert
P1070314.jpg
Skitour zum Kampl / Gosaukamm
Aber auch längere Texte finden dann Eingang in das "LiteraTourenbuch" - hier zwei, wenn auch ältere Beispiele:
Mit dem Grizzly hautnah, Denali Park, Alaska
25. August 1999
Gestern in der „Bärenschule“ in Healy bei den National Park-Headquarters war alles einfach.
Eine hübsche Parkrangerin hat es gut erklärt. Logisch und sehr verständlich. Easy!
Danach bekomme ich einen Button mit dem Titel „Bear-fact-school“ an die Brust geheftet und einen deutschsprachigen Folder mit dem Titel „Das Bären-Einmaleins“ in die Hand gedrückt.
Ab jetzt kann ich einem Bären in freier Wildbahn begegnen. Cool!
Heute, einen Tag später ist überhaupt nichts mehr easy! Und cool schon gar nicht.
Vor etwa drei Stunden habe ich mich von meinem Vater beim Eielson Visitor Center, im Herzen des Parks verabschiedet. Er wird mit dem Bus die einhundertfünfzig Kilometer zum Parkeingang zurückfahren und ich will noch etwa fünfzehn bis zwanzig Kilometer querfeldein wandern.
Im weiten Bogen, aber stetig näher kommend, umrundet mich der Grizzly und ich denke an den Vortrag der hübschen Rangerin.
„Treiben Sie einen Bären nie in die Enge“
Würde ich nie tun. Niemals! Ehrlich. Ich habe allerdings den Bären in Verdacht dass er mich in die Enge treiben will. Zehn Kilometer von der Strasse und den helfenden Rangern entfernt.
„Falls Sie einen Bären erblicken, meiden Sie ihn so gut es geht“
Würde ich tun. Sofort! Nur weiß ich nicht wie ich ihn meiden soll, denn mittlerweile ist er nur mehr
50 m von mir entfernt. Davonlaufen, verstecken!
„Versuchen Sie niemals vor einem Bären davon zu laufen. Bären können eine Geschwindigkeit von über 55 Kilometer pro Stunde erreichen“
Ich bleibe wie angewurzelt stehen. Ein Foto nach dem anderen schieße ich allerdings noch. Gewohnheit des Reisenden. So alle fünf Meter eines.
Fünfundvierzig – vierzig – fünfunddreißig – dreißig.......
Der Bär ist jetzt etwa zwanzig Meter von mir entfernt und ich verliere jegliches Interesse an weiteren Fotos.
Vorschriftsmäßig, nach den Empfehlungen des „Bären-Einmaleins“, hebe ich beide Hände und beginne laut zu sprechen.
„Geben Sie sich als Mensch zu erkennen“
Ich erzähle ihm mit lauter, aber etwas zittriger Stimme, all die nützlichen Dinge die ich gestern in der Bärenschule erfahren habe. Vielleicht interessiert ihn das ja. Danach sage ich mangels Fantasie noch die österreichische Bundeshymne auf. Patriotismus bis in den Tod.
„Geben Sie sich als Mensch zu erkennen“. Wenn er es bisher nicht feststellen konnte, bleibt ihm nur noch die Geschmacksprobe!
Langsam zweifle ich an der Bärenschule.
„Zum gegenseitigen Verständnis.......Mensch und Bär.“ Dass ich nicht lache! Da müssten aber auch die Bären geschult werden. Dieser hier hat mit Sicherheit nie eine Schule über richtiges Verhalten besucht. Beim Aufeinandertreffen mit einem Menschen zum Beispiel, denn jetzt steht er zehn Meter vor mir.
Mit erhobenen und ausgebreiteten Armen beginne ich laut Schillers „Lied von der Glocke“ zu rezitieren und danke meinem Deutschprofessor.
Aus kleinen runden Augen sieht mich der Grizzly direkt an, hebt den Kopf und reckt die Nase in meine Richtung. Ich höre laut und deutlich sein Riechen und Atmen. Und meinen Herzschlag. Meine Angst erreicht monströse Dimensionen. Größer als China und der Vatikan zusammen.
„Falls Sie ein Bär tatsächlich angreift, ergeben Sie sich. Lassen Sie sich zu Boden fallen, legen Sie sich flach auf den Bauch und stellen Sie sich tot“.
Drei Meter vor mir bleibt er stehen, schüttelt seinen Kopf wild hin und her. Gebleckte Zähne. Ich kann förmlich seinen faulen Atem riechen. Ein lautes Brüllen. Knock, knock, knocking on Heavens door…..
Das war`s! Denke ich mir.
Der Bär wohl auch. Ganz gemütlich und sichtlich Desinteresse zeigend, dreht er sich halb um, geht seinen Weg weiter und verschwindet in einem Gebüsch. Unmittelbar vor meinem Hinfallen und Totstellen.
Lange nachdem er verschwunden ist, lasse ich langsam die Hände sinken.
Nur noch ein bisschen Schiller:
„...der Gute räumt den Platz dem Bösen
und alle Laster walten frei.
Gefährlich ist`s den Leu zu wecken,
verderblich ist des Tigers Zahn,
jedoch der Schrecklichste der Schrecken,
das ist der Mensch in seinem Wahn“.
Tod am Großglockner, Österreich
4. Juli 1981
Es ist mein dritter oder vielleicht sogar vierter Anlauf zur Palavicinirinne. Diesmal muss ich diese steile Eisrinne durch die Nordwand des Großglockners bezwingen. Jäger und Sammlermentalität.
Ich komme über den Gletscher der Pasterze gut voran und stehe endlich am Fuß des Berges. Irgendwo weiter oben plane ich ein Biwak, um so frühzeitig wie möglich am nächsten Morgen in die Wand einsteigen zu können.
Das Gehen am Berg, insbesondere wenn ich alleine unterwegs bin, ist wie meditieren. Abgetaucht in die Tiefen der eigenen Gedanken, setze ich einen Fuß vor den anderen, Schritt für Schritt, automatisiere die Bewegungen, stimme das Atmen auf diesen Rhythmus ab. Bin eins mit dem Weg, dem Berg, der Natur. Diese ist hier, abgesehen vom Blau des Himmels, auf Schwarz-Weiß reduziert. Weiß bis schmutziggrau der sommer-liche Firn und grau bis schwarz die Felsen. Jegliche Farbe scheint hier entnommen zu sein, lässt die Gedanken auf das Wesentliche konzentrieren.
Der Farbklecks springt mir daher förmlich ins Auge, stört das weißgraue Monochrom. Ich halte darauf zu und finde einen Rucksack. Beschädigt, offen - ich ahne dass hier etwas passiert sein muss. Proviant, eine Wasserflasche, ein Pullover und diverse Bergsteigerausrüstung kommen zum Vorschein. In einer Seitentasche finde ich einen Ausweis. Peter K. Die Tragödie hat nun einen Namen. Gedanken jagen wie Jets durch den Kopf. Fiel der Rucksack alleine aus der Wand in die Tiefe? Also vielleicht nur ein Missgeschick? Oder liegt Peter K. ebenfalls hier irgendwo. Verletzt? Kalter Schweiß, Zittern, ich habe Angst einen weiteren Farbfleck zu entdecken. Der Blick gleitet über Felsen, an Gletscherspalten und Eistürmen vorbei bis etwas weiter unten eben dieser weitere Farbfleck ins Bild kommt. Ich haste los, springe über Spalten, renne, in der Hoffnung vielleicht noch helfen zu können. Dennoch tauchen im Kopf schon die ersten Bilder auf: Was, wenn dort ein Toter liegt?
Und bevor ich dort ankomme, sehe ich, dass hier nicht mehr zu helfen ist. Er liegt mit dem Gesicht nach unten im Schnee, einen Fuß seltsam abgewinkelt. Mit zwanzig Jahren endete dieses Leben am Fuß der Pallavicinirinne am Groß-glockner. Alleine. Meine Füße zittern, ich setze mich nieder und starre ihn an. Nach etwa einer Stunde beginne ich mit ihm zu sprechen. Warum, zum Teufel er hier alleine unterwegs war, und ahne seine Antwort, „Du bist ja auch alleine unterwegs“. Ich erzähle ihm alles Mögliche, woher ich komme, was ich für morgen geplant hatte, wenn nicht er dazwischen gekommen wäre. Versuche die Angst wegzureden, mit Erzählen mich zu befreien von dieser Last. Eine Stunde lang, oder auch mehr, sitze ich bei ihm, habe ihm alles erzählt, was mir nur gerade einfiel. Weiter unter sehe ich eine Bergsteigergruppe in Richtung Pasterze gehen. Ich schreie, winke und laufe in ihre Richtung. Eine halbe Stunde später stehe atemlos bei ihnen, erzähle von dem Toten dort oben und ersuche sie um die Benachrichtigung der Bergrettung. Auch wenn es nichts mehr zu retten gibt. Nur mehr eine Totenbergung. Die Bergsteiger wollen mich zur Hütte mitnehmen. Ich will nicht mit, glaube, dass ich Peter K. noch nicht alles erzählt habe. Oben wieder angekommen, setze ich mich neben den starren Körper. Wieder ein langes Erzählen. Die Angst ist fort, ich werde hier bleiben. Totenwache. Schon vor Einbruch der Dunkelheit wird es bitter kalt, in den Schlafsack gehüllt sitze ich im Schnee. Mein Blick schweift abwechselnd von Peter K. nach oben zum Großglockner, dessen Gipfel sich schwarz gegen den Sternenhimmel abzeichnet. Es ist wunderschön hier. Dennoch nicht schön genug, um hier zu sterben. Irgendwann gehen mir die Geschichten aus, kommen nur mehr zusammenhanglose Sätze über die Lippen. Ich kämpfe gegen den Schlaf an. Ein Kampf den ich lange nach Mitternacht verliere. Immer wieder wecken mich abwechselnd die beißende Kälte oder Albträume. Erst im Morgen-grauen schlafe ich tief und fest. Lautes Dröhnen weckt mich. Rotorengeknatter. Ein Hubschrauber fliegt über die Pasterze auf mich zu. Ich springe auf und gebe Armzeichen. Knapp zwanzig Meter über mir bleibt er in der Luft stehen und ein Bergretter wird an einem Drahtseil herab gelassen. Nur eine kurze Begrüßung und schon macht er sich an seine Arbeit. Verpackt den Toten in ein Segeltuch, hakt ihn und sich selbst an das Seil. Er fragt noch ob mit mir alles in Ordnung ist. Dann das Funksignal an den Piloten, dieser hebt ab und ich bin wieder alleine. Ich mache mich an den Abstieg, zurück nach Hause.
Zwei Tage später finde ich der Zeitung nur eine kurze Notiz. Drei Zeilen reichen aus, um ein junges Leben für beendet zu erklären.
Sollte irgendjemand Lust auf mehr Texte haben, bitte einfach antworten oder mail schicken...
wüstengeher
Nun, ich bin da etwas altmodischer - ich brauche ein leeres Buch und eine Tourenbuchseite muss für mich ein Gesamtbild ergeben - vom Hüttenstempel über geschriebene Fakten, gemalten oder gezeichneten Skizzen, literarischen Ergüssen, eingeklebten Blumen, Visitenkarten und Fotos - alles muss Platz finden.
Deshalb habe ich immer das gebundene Buch verwendet, früher auch "echte" Bücher, z.B. Ovids "Metamorphosen" wo ich über die Texte malte und schrieb. In den letzten Jahren hat sich allerdings das "Moleskine" Buch durchgesetzt und ich benötige davon ca 2 Stück pro Jahr. Bei den Reisen führe ich auch exakt Tagebuch und es ist einfach schön an langen (Schlechtwetter)winterabenden Jahrzehnte zurück zu lesen oder einfach darin zu blättern.
Hier nun ein paar Beispiele:
Eiskogel.jpg
Skitour zum Eiskogel / Tennengebirge (aus der "Ovid-Ära" der Tourenbücher)
Similaunhütte talauswärts.jpg
Blick von der Similaunhütte talauswärts in Richtung Vent
(aus der "Ovid-Ära" der Tourenbücher)
Skizzen 003.jpg
Skitour zum Fluchtkogel (aus der "Ovid-Ära" der Tourenbücher)
P1070321.JPG
Schönfeldspitze / Steinernes Meer
P1070318.JPG
Überschreitung Tennengebirge
P1070317.JPG
Ortler über Normalweg
P1070320.JPG
Gilf Kebir Gebirge / Western Desert
P1070314.jpg
Skitour zum Kampl / Gosaukamm
Aber auch längere Texte finden dann Eingang in das "LiteraTourenbuch" - hier zwei, wenn auch ältere Beispiele:
Mit dem Grizzly hautnah, Denali Park, Alaska
25. August 1999
Gestern in der „Bärenschule“ in Healy bei den National Park-Headquarters war alles einfach.
Eine hübsche Parkrangerin hat es gut erklärt. Logisch und sehr verständlich. Easy!
Danach bekomme ich einen Button mit dem Titel „Bear-fact-school“ an die Brust geheftet und einen deutschsprachigen Folder mit dem Titel „Das Bären-Einmaleins“ in die Hand gedrückt.
Ab jetzt kann ich einem Bären in freier Wildbahn begegnen. Cool!
Heute, einen Tag später ist überhaupt nichts mehr easy! Und cool schon gar nicht.
Vor etwa drei Stunden habe ich mich von meinem Vater beim Eielson Visitor Center, im Herzen des Parks verabschiedet. Er wird mit dem Bus die einhundertfünfzig Kilometer zum Parkeingang zurückfahren und ich will noch etwa fünfzehn bis zwanzig Kilometer querfeldein wandern.
Im weiten Bogen, aber stetig näher kommend, umrundet mich der Grizzly und ich denke an den Vortrag der hübschen Rangerin.
„Treiben Sie einen Bären nie in die Enge“
Würde ich nie tun. Niemals! Ehrlich. Ich habe allerdings den Bären in Verdacht dass er mich in die Enge treiben will. Zehn Kilometer von der Strasse und den helfenden Rangern entfernt.
„Falls Sie einen Bären erblicken, meiden Sie ihn so gut es geht“
Würde ich tun. Sofort! Nur weiß ich nicht wie ich ihn meiden soll, denn mittlerweile ist er nur mehr
50 m von mir entfernt. Davonlaufen, verstecken!
„Versuchen Sie niemals vor einem Bären davon zu laufen. Bären können eine Geschwindigkeit von über 55 Kilometer pro Stunde erreichen“
Ich bleibe wie angewurzelt stehen. Ein Foto nach dem anderen schieße ich allerdings noch. Gewohnheit des Reisenden. So alle fünf Meter eines.
Fünfundvierzig – vierzig – fünfunddreißig – dreißig.......
Der Bär ist jetzt etwa zwanzig Meter von mir entfernt und ich verliere jegliches Interesse an weiteren Fotos.
Vorschriftsmäßig, nach den Empfehlungen des „Bären-Einmaleins“, hebe ich beide Hände und beginne laut zu sprechen.
„Geben Sie sich als Mensch zu erkennen“
Ich erzähle ihm mit lauter, aber etwas zittriger Stimme, all die nützlichen Dinge die ich gestern in der Bärenschule erfahren habe. Vielleicht interessiert ihn das ja. Danach sage ich mangels Fantasie noch die österreichische Bundeshymne auf. Patriotismus bis in den Tod.
„Geben Sie sich als Mensch zu erkennen“. Wenn er es bisher nicht feststellen konnte, bleibt ihm nur noch die Geschmacksprobe!
Langsam zweifle ich an der Bärenschule.
„Zum gegenseitigen Verständnis.......Mensch und Bär.“ Dass ich nicht lache! Da müssten aber auch die Bären geschult werden. Dieser hier hat mit Sicherheit nie eine Schule über richtiges Verhalten besucht. Beim Aufeinandertreffen mit einem Menschen zum Beispiel, denn jetzt steht er zehn Meter vor mir.
Mit erhobenen und ausgebreiteten Armen beginne ich laut Schillers „Lied von der Glocke“ zu rezitieren und danke meinem Deutschprofessor.
Aus kleinen runden Augen sieht mich der Grizzly direkt an, hebt den Kopf und reckt die Nase in meine Richtung. Ich höre laut und deutlich sein Riechen und Atmen. Und meinen Herzschlag. Meine Angst erreicht monströse Dimensionen. Größer als China und der Vatikan zusammen.
„Falls Sie ein Bär tatsächlich angreift, ergeben Sie sich. Lassen Sie sich zu Boden fallen, legen Sie sich flach auf den Bauch und stellen Sie sich tot“.
Drei Meter vor mir bleibt er stehen, schüttelt seinen Kopf wild hin und her. Gebleckte Zähne. Ich kann förmlich seinen faulen Atem riechen. Ein lautes Brüllen. Knock, knock, knocking on Heavens door…..
Das war`s! Denke ich mir.
Der Bär wohl auch. Ganz gemütlich und sichtlich Desinteresse zeigend, dreht er sich halb um, geht seinen Weg weiter und verschwindet in einem Gebüsch. Unmittelbar vor meinem Hinfallen und Totstellen.
Lange nachdem er verschwunden ist, lasse ich langsam die Hände sinken.
Nur noch ein bisschen Schiller:
„...der Gute räumt den Platz dem Bösen
und alle Laster walten frei.
Gefährlich ist`s den Leu zu wecken,
verderblich ist des Tigers Zahn,
jedoch der Schrecklichste der Schrecken,
das ist der Mensch in seinem Wahn“.
Tod am Großglockner, Österreich
4. Juli 1981
Es ist mein dritter oder vielleicht sogar vierter Anlauf zur Palavicinirinne. Diesmal muss ich diese steile Eisrinne durch die Nordwand des Großglockners bezwingen. Jäger und Sammlermentalität.
Ich komme über den Gletscher der Pasterze gut voran und stehe endlich am Fuß des Berges. Irgendwo weiter oben plane ich ein Biwak, um so frühzeitig wie möglich am nächsten Morgen in die Wand einsteigen zu können.
Das Gehen am Berg, insbesondere wenn ich alleine unterwegs bin, ist wie meditieren. Abgetaucht in die Tiefen der eigenen Gedanken, setze ich einen Fuß vor den anderen, Schritt für Schritt, automatisiere die Bewegungen, stimme das Atmen auf diesen Rhythmus ab. Bin eins mit dem Weg, dem Berg, der Natur. Diese ist hier, abgesehen vom Blau des Himmels, auf Schwarz-Weiß reduziert. Weiß bis schmutziggrau der sommer-liche Firn und grau bis schwarz die Felsen. Jegliche Farbe scheint hier entnommen zu sein, lässt die Gedanken auf das Wesentliche konzentrieren.
Der Farbklecks springt mir daher förmlich ins Auge, stört das weißgraue Monochrom. Ich halte darauf zu und finde einen Rucksack. Beschädigt, offen - ich ahne dass hier etwas passiert sein muss. Proviant, eine Wasserflasche, ein Pullover und diverse Bergsteigerausrüstung kommen zum Vorschein. In einer Seitentasche finde ich einen Ausweis. Peter K. Die Tragödie hat nun einen Namen. Gedanken jagen wie Jets durch den Kopf. Fiel der Rucksack alleine aus der Wand in die Tiefe? Also vielleicht nur ein Missgeschick? Oder liegt Peter K. ebenfalls hier irgendwo. Verletzt? Kalter Schweiß, Zittern, ich habe Angst einen weiteren Farbfleck zu entdecken. Der Blick gleitet über Felsen, an Gletscherspalten und Eistürmen vorbei bis etwas weiter unten eben dieser weitere Farbfleck ins Bild kommt. Ich haste los, springe über Spalten, renne, in der Hoffnung vielleicht noch helfen zu können. Dennoch tauchen im Kopf schon die ersten Bilder auf: Was, wenn dort ein Toter liegt?
Und bevor ich dort ankomme, sehe ich, dass hier nicht mehr zu helfen ist. Er liegt mit dem Gesicht nach unten im Schnee, einen Fuß seltsam abgewinkelt. Mit zwanzig Jahren endete dieses Leben am Fuß der Pallavicinirinne am Groß-glockner. Alleine. Meine Füße zittern, ich setze mich nieder und starre ihn an. Nach etwa einer Stunde beginne ich mit ihm zu sprechen. Warum, zum Teufel er hier alleine unterwegs war, und ahne seine Antwort, „Du bist ja auch alleine unterwegs“. Ich erzähle ihm alles Mögliche, woher ich komme, was ich für morgen geplant hatte, wenn nicht er dazwischen gekommen wäre. Versuche die Angst wegzureden, mit Erzählen mich zu befreien von dieser Last. Eine Stunde lang, oder auch mehr, sitze ich bei ihm, habe ihm alles erzählt, was mir nur gerade einfiel. Weiter unter sehe ich eine Bergsteigergruppe in Richtung Pasterze gehen. Ich schreie, winke und laufe in ihre Richtung. Eine halbe Stunde später stehe atemlos bei ihnen, erzähle von dem Toten dort oben und ersuche sie um die Benachrichtigung der Bergrettung. Auch wenn es nichts mehr zu retten gibt. Nur mehr eine Totenbergung. Die Bergsteiger wollen mich zur Hütte mitnehmen. Ich will nicht mit, glaube, dass ich Peter K. noch nicht alles erzählt habe. Oben wieder angekommen, setze ich mich neben den starren Körper. Wieder ein langes Erzählen. Die Angst ist fort, ich werde hier bleiben. Totenwache. Schon vor Einbruch der Dunkelheit wird es bitter kalt, in den Schlafsack gehüllt sitze ich im Schnee. Mein Blick schweift abwechselnd von Peter K. nach oben zum Großglockner, dessen Gipfel sich schwarz gegen den Sternenhimmel abzeichnet. Es ist wunderschön hier. Dennoch nicht schön genug, um hier zu sterben. Irgendwann gehen mir die Geschichten aus, kommen nur mehr zusammenhanglose Sätze über die Lippen. Ich kämpfe gegen den Schlaf an. Ein Kampf den ich lange nach Mitternacht verliere. Immer wieder wecken mich abwechselnd die beißende Kälte oder Albträume. Erst im Morgen-grauen schlafe ich tief und fest. Lautes Dröhnen weckt mich. Rotorengeknatter. Ein Hubschrauber fliegt über die Pasterze auf mich zu. Ich springe auf und gebe Armzeichen. Knapp zwanzig Meter über mir bleibt er in der Luft stehen und ein Bergretter wird an einem Drahtseil herab gelassen. Nur eine kurze Begrüßung und schon macht er sich an seine Arbeit. Verpackt den Toten in ein Segeltuch, hakt ihn und sich selbst an das Seil. Er fragt noch ob mit mir alles in Ordnung ist. Dann das Funksignal an den Piloten, dieser hebt ab und ich bin wieder alleine. Ich mache mich an den Abstieg, zurück nach Hause.
Zwei Tage später finde ich der Zeitung nur eine kurze Notiz. Drei Zeilen reichen aus, um ein junges Leben für beendet zu erklären.
Sollte irgendjemand Lust auf mehr Texte haben, bitte einfach antworten oder mail schicken...
wüstengeher
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