Ich habe mir lange überlegt, ob ich die folgende Reportage auch in diesem Forum posten soll. Nachdem hier das Thema "Mechanische Aufstiegshilfen" eher verpönt ist, habe ich mich zunächst dagegen entschieden. Andererseits bietet meine Recherche auf jeden Fall einen guten Einblick in die touristische Geschichte der Hohen Tauern mit vielen alten Photos und Textpassagen aus historischen Führern, gleichzeitig erhält man Einblick in die Hintergründe von Erschließungsplänen und die Motivation der Personen, die dahinterstanden. Deshalb stelle ich die Arbeit (und als solche kann man es zweifellos bezeichnen) nach vielen positiven Resonanzen auch den Mitgliedern des Forum Gipfeltreffen zur Verfügung, vielleicht findet der eine oder die andere doch auch unbekannte oder spannende Details.
Ich möchte darauf hinweisen, dass meine Motivation für diese Reportage ein langdauerndes Interesse für die Entwicklung touristischer Infrastruktur in den Alpen war und keineswegs der Wunsch, all die damals angedachten Projekte zu verwirklichen und damit die Hohen Tauern zuzubetonieren oder komplett zu verdrahten. Sollte sich der eine oder andere durch manche Passagen (wie etwa z.b. den Prolog) provoziert fühlen, so möchte ich gleich hier darstellen, daß das nicht die Absicht dieses Topics sein soll.
Für alle, die sich für die touristische Geschichte des Gasteinertals bzw. der Hohen Tauern interessieren: Viel Spaß bei der Lektüre und hoffentlich ein schneller Internetzugang, da sehr viele Bilder verlinkt sind.
Über alle Berge ......
Gasteiner Erschließungsprojekte der 1970-er Jahre
I. Prolog: Mit einer Tageskarte von Gastein nach Heiligenblut
II. Geographisches
III. Historisches
IV. Schisport in der Goldberggruppe vor 1970
V. Sportgastein - Eine Legende entsteht
VI. Schareck - Gasteiner Gipfelträume
VII. Über alle Berge - Ein Skigebiet wie in den Westalpen
VIII. Ein Österreichisches Tignes
IX. Der Traum zerbricht
X. Epilog: Die unbeschreibliche Leichtigkeit des Schnees
Anmerkung: Zum Verständnis der folgenden Seiten ist eine Landkarte der betroffenen Region sehr hilfreich. Für alle, die keine Karte der Hohen Tauern zur Verfügung haben, hier ein Ausschnitt als pdf-file. (Beste Darstellung bei Zoom auf 400%)
Detailkarte Hohe Tauern (Achtung: 2,66MB)
Prolog: Mit einer Tageskarte von Gastein nach Heiligenblut
Es ist ein herrlicher Spätwintertag im März 1984. Ich lenke meinen Simca Horizon vorbei am Bahnhof Bad Gastein über die Bundesstraße weiter ins Tal hinein in den alten Bergbauort Böckstein. Auch hier sind seit der Eröffnung der Pendelbahn zum Kreuzkogel viele neue Hotels entstanden. Die Auffahrt mit dem Privat-PKW nach Sportgastein ist während der Saison für Tagesgäste nicht gestattet, daher stelle ich den Wagen am großen Parkplatz der Kreuzkogelbahn ab, hole die Schi vom Autodach und kaufe eine Tageskarte für die Tauern-Gletscher-Schischaukel. Es ist erst 9 Uhr früh und ich komme gleich in die erste Gondel, die nicht einmal ganz voll wird. Rasch gewinnt die Kabine an Höhe und ich betrachte den Ziehweg im Wald, der den unteren – uninteressanten – Teil der Nordabfahrt vom Kreuzkogel nach Böckstein darstellt. Wesentlich einladender sehen da die Hänge im oberen Bereich aus, die auch vom Nordkar-Schlepplift erschlossen werden. Angesichts des ausgedehnten Ausflugs, den ich heute vorhabe, bin ich mir aber nicht sicher, ob sich diese Hänge für mich an diesem Tag noch ausgehen werden. Oben am Kreuzkogel trete ich aus der Station ins Sonnenlicht, hier am Gipfelplateau treffen von Norden die Pendelbahn von Böckstein, von Westen – parallel verlaufend – der Schlepplift Kreuzkogel und die Doppelsesselbahn Radhausberg und von Süden die zweite Sektion der Doppelsesselbahn Weißenbach ein.
Ich überlege kurz, nach Süden ins Weißenbachtal abzufahren, von dort könnte ich mit einer weiteren Doppelsesselbahn zur Hagener Hütte am Mallnitzer Tauern gelangen und von dort nach Mallnitz abfahren, die Südhänge werden aber nach der kalten Nacht sicher noch beinhart gefroren sein, auch bin ich ja eigentlich wegen der neuen Bahnen weiter im Westen gekommen, daher fahre ich zwischen Sesselbahn und Schlepplift nach Westen in Richtung Sportgastein. Talgrund und Hoteldorf sind zunächst nicht zu sehen, da die Hänge im oberen Bereich flacher sind, erst nach der Kante der Steilstufe an der Mittelstation Schideck habe ich freien Blick auf Österreichs ehrgeizigstes Tourismusprojekt. Nordwestlich des nahezu ebenen Talgrunds stehen die fremdartig anmutenden Gebäude dichtgedrängt in Hanglage. Noch liegt der Großteil der aus Beton, Holz, Glas und Aluminium bestehenden Fassaden im Schatten, doch die obersten Stockwerke reflektieren bereits die Morgensonne. Ich erinnere mich an die Diskussionen während der Bauphase, vor allem die Verwendung von Aluminium wurde stark kritisiert, mir gefällt jedoch der etwas „industrielle Touch“, den das 1500 Betten umfassende Hotelensemble durch die Einarbeitung der Metallelemente erhalten hat. Emerald City, die sagenhafte Smaragdenstadt von Oz kommt mir immer in den Sinn, wenn ich an die Hotelsiedlung in Sportgastein denke. Ich möchte noch einen Blick aus der Nähe werfen, daher schwinge ich die schwarz markierte Abfahrt zur Talstation der Schideckbahn hinunter. Ich kann erkennen, daß trotz der frühen Stunde einige Urlauber im Freibecken des auch in diesem „Gastein“ obligatorischen Thermalbads ihre Längen schwimmen, andere sind schon in den überdachten Shopping-Arkaden unterwegs. Der ganze Ort ist praktisch autofrei, die Besucher-PKWs stehen in den unterirdischen Parkgaragen, sämtliche Shuttle-Busse und Versorgungsfahrzeuge fahren elektrisch. Fossile Brennstoffe werden im gesamten Hochtal nicht verwendet, auch die Heizung der Gebäude erfolgt elektrisch.
An der Talstation habe ich die Wahl, ich könnte die kurze Pendelbahn hinauf zu den Hotels nehmen und mich dort umsehen, nach Norden schweben die Sessel der Doppelsesselbahn zum unteren Pochkar-See empor, deren steile und durch die südseitige Exposition oft mit Schneeproblemen behaftete Abfahrt für Anfänger meist unüberwindliche Schwierigkeiten bereithält, vom Pochkar-See könnte ich mit einer weiteren Sesselbahn den 2600 Meter hohen Silberpfennig erreichen und von dort hinunter nach Kolm-Saigurn schwingen, ich könnte die mit mehreren Aufstiegshilfen erschlossenen nordseitigen Hänge des Silberpfennig befahren, ins Angertal abfahren oder über die Stanzscharte nach Rauris gelangen. Ich bleibe aber bei meinem ursprünglichen Plan und besteige den wartenden Pendelbus zur Talstation der Schareck-Gletscherbahn. Auch das Stationsgebäude dieser Bahn – aus der Ferne in Form einer Halbkugel, deren Oberfläche bei näherer Betrachtung aus lauter gleichseitigen Dreiecken zusammengesetzt ist – hebt sich durch die Verwendung von Metall und Glas deutlich von der sonst üblichen Stationsarchitektur ab. Die Talstation liegt noch im Schatten, aber man kann deutlich die futuristisch anmutenden Kuppeln von Mittel- und Bergstation in der Sonne funkeln sehen.
Die erste Sektion zum „Oberen Burgstall“ überwindet einen Höhenunterschied von 676m, die große Kabine, in der 155 Personen Platz finden, benötigt dafür viereinhalb Minuten. Die Weiterfahrt über 729 Höhenmeter zur 3081 Meter hoch gelegenen Bergstation dauert dann 5 Minuten und 10 Sekunden. Hier stelle ich mich auf die linke Seite der Kabine und nehme den unteren, steileren Teil der Abfahrt zur Mittelstation in Augenschein, hier mußten ja im Bereich des „Keesauges“ Entschärfungsmaßnahmen gesetzt werden, um die immer noch anspruchsvolle Piste auch für den Normalschifahrer benutzbar zu machen. Als Manko empfinden viele auch das Fehlen einer offiziellen Abfahrtsmöglichkeit von der Mittelstation ins Tal, dies wäre aber angesichts der Steilheit der Hänge wohl nur mit massiven Eingriffen in die Natur zu bewerkstelligen.
Die Bergstation liegt etwa 300 Meter vom Gipfel des Schareck entfernt knapp unterhalb der Baumbachspitze, durch einen etwa 60 Meter langen Tunnel marschiere ich unter dem Gipfelgrat durch und trete am oberen Ende des Wurtenkees ins Freie. Ich sehe, daß mangels Andrangs nur eine „Hälfte“ des von Südwesten kommenden Doppelschlepplifts Wurtengletscher (2750-3091m) in Betrieb ist, da die Abfahrt zur Mittelstation der Gletscherbahn aber in der Morgensonne einen höchst einladenden Eindruck gemacht hat, wende ich mich gleich hart nach rechts, um über die Baumbachscharte aufs obere Schlapperebenkees zu gelangen. Der erste Hang ist ziemlich steil, schwächere Schifahrer können aber über den oberen Teil des Wurtenkees ausweichen und durch einen 150 Meter langen Schitunnel unterhalb des Weinflaschenkopfs den südlichen flachen Teil des Schlapperebenkees erreichen. Zügig schwinge ich über den Gletscher hinunter zum Keesauge, bis hierher kann man auch im Sommer fahren und mit der Doppelsesselbahn Schlappereben zurück zur Bergstation gelangen, aber ich freue mich schon auf den steilen Teil vom Keesauge zur Mittelstation. Die Piste ist frisch präpariert und in einem idealen Zustand, nur wenige Schifahrer dürften hier heute vor mir unterwegs gewesen sein und so steige ich bald zum zweiten Mal an diesem Morgen in die Kabine der zweiten Sektion der Gletscherbahn.
Nun folgt die Genußabfahrt über das Wurtenkees hinunter zum oberen Ende des Hochwurtenspeichers der Tauernkraftwerke, hier treffen in etwa 2450 Metern Seehöhe das nach Südwesten geneigte Wurtenkees und das nordöstlich ausgerichtete Alteckkees aufeinander.
Auch hier ist ein „Verkehrsknotenpunkt“ des Schigebiets situiert: von Südosten her kommt die dritte und oberste Sektion der Kabinenumlaufbahn aus der Innerfragant, einem Nebental des Kärnter Mölltals, nach Südwesten geht es mit der Doppelsesselbahn Alteck zur 2750m hohen Zirknitzscharte, nach Nordwesten zieht der Schlepplift zur Niederen Scharte (2700m, nicht zu verwechseln mit der Kleinen und der Hohen Scharte im Schloßalmgebiet oberhalb von Hofgastein) und bietet Anschluß an den westlichen Teil der Schischaukel.
Einmal gebe ich mir die Abfahrt über den Alteckgletscher, dann lasse ich mich zur Niederen Scharte hinaufziehen, wo sich auch die Bergstation der oberen Sektion der Umlaufbahn von Kolm Saigurn befindet. Die nordseitige „Wintergasse“ bietet noch herrlichen Pulverschnee und die Abfahrt zur Mittelstation der „Niedere-Scharte-Bahn“in der Nähe der Naturfreundehütte „Neubau“ ist ein einziger Genuß. Hier muß ich wieder wählen: weiter ins Tal nach Kolm-Saigurn, von dort mit Sesselbahn und Schlepplift auf den Silberpfennig oder mit der Tunnelbahn durch den Imhof-Stollen zurück nach Sportgastein. Für mich steht aber heute die Befahrung der gesamten Gletscher-Schischaukel auf dem Programm, deshalb besteige ich eine Kabine der Pendelbahn zum Hohen Sonnblick (3106m) mit der höchstgelegenen ganzjährig besetzten Wetterstation Österreichs.
Die Genußabfahrt vom Gipfel durch das Vogelmaier-Ochsenkarkees läßt sich von der Seilbahntrasse leider nicht einsehen, dafür hat man einen prachtvollen Blick auf den nordwestlich gelegenen Hocharn (3254m) mit seinem gleichnamigen Kees, ein Berg, dessen Erschließung (so wie auch die beiden Pendelbahnen auf den Sonnblick vor deren Errichtung) heiß diskutiert wird.
Angekommen am Gipfel des Sonnblicks mache ich eine frühe Mittagspause im Zittelhaus, die ehrwürdige Berghütte kontrastiert stark mit dem metallisch schimmernden Gebäudekomplex, der die Bergstationen der von Osten und Westen ankommenden Pendelbahnen und ein großes Selbstbedienungsrestaurant beherbergt.
Gestärkt durch eine deftige Mahlzeit nehme ich die Abfahrt über das Klein-Fleiß-Kees, um etwa 600 Höhenmeter tiefer auf die Talstation der westlichen Pendelbahn zu treffen, die gleichzeitig auch die Bergstation der vom Gasthaus „Alter Pocher“ im Kleinen Fleisstal heraufziehenden Umlaufbahn darstellt. Direkt neben dem Stationsgebäude befindet sich auch die Talstation eines Verbindungssessellifts, der in nordwestlicher Richtung ziemlich schräg zum Hang auf 2650 Meter zieht, diesen Lift nehme ich, um auf einem Ziehweg den breiten, nach Südwesten geneigten Hang des Fleissalm-Schigebiets zu erreichen, das vom großen Fleisstal aus mit zwei langen Schleppliften erschlossen wird. In rascher Fahrt geht es hinunter in den Talgrund, wo mich mit der Fleissalm Tunnebahn die zweite unterirdische Anlage des Gebietes erwartet. Mit dieser ziemlich waagrecht verlaufenden Verbindungsbahn gelange ich nun zur Mittelstation Roßbach (1750m), gelegen zwischen den beiden Sektionen einer ersatzwürdigen Einersesselbahn, die vom 1300 Meter hoch gelegenen Heiligenblut bis auf eine Höhe von 2593 Meter zieht, von dort sind es nur wenige Schritte zum Gipfel des „Haus-Schibergs“ von Heiligenblut, der verwirrenderweise ebenfalls als Schareck bezeichnet wird. Ich entscheide mich für....
Ich war 1984 wirklich in Gastein zum Schifahren, aber von allen genannten Liften und Bahnen existierten damals nur die von dort praktisch unerreichbaren Lifte in Heiligenblut (Einersessellifte Roßbach und Schareck, Tunnelbahn, Schlepplifte Hochfleiss 1 und 2, letztere gerade erst erbaut) sowie in „Sportgastein“ die Doppelsesselbahn Schideck und der anschließende Schlepplift Kreuzkogel auf den gleichnamigen Berg. Damals wie heute galt bzw. gilt das Paradoxon, daß zwar die in den Ostalpen schifahrende Welt den Ortsnamen (und auch Markennamen) „Sportgastein“ kennt und zuordnen kann, „Sportgastein“ jedoch eigentlich für einen Ort steht, der niemals gebaut worden ist. Der je nach Jahreszeit staubige oder vereiste Parkplatz mit der Talstation der Sesselbahn Schideck bzw. nun der EUB Goldbergbahn rechtfertigt bei näherer Überlegung ja wohl kaum diesen hochtrabenden Namen.
Alle anderen in meinem Bericht erwähnten Lifte, Bahnen und Gebäude (mit Ausnahme der „klassischen“ Berghütten) entstammen jedoch nicht meiner Phantasie sondern beruhen auf dokumentierten Projekten der frühen Siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, manche von ihnen erreichten lediglich das Stadium der Idee oder Vision, andere waren allerdings in ihrer Planung schon weit fortgeschritten bzw. standen knapp vor Baubeginn.
Trotzdem wurde keines dieser Projekte jemals verwirklicht, zwar ist das Schareck mittlerweile von Kärnten aus als „Mölltaler Gletscher“ erschlossen, der Bau dieser Bahnen erfolgte jedoch erst Anfang der 90-er Jahre und vollkommen unabhängig von den ursprünglichen Gasteiner Plänen. Immer wieder diskutiert wird auch heute noch die Anbindung des Wurtenkees an Sportgastein durch eine Schrägstollenbahn, da diese aber den Nationalpark „Hohe Tauern“ berühren würde ist dieses Vorhaben als problematisch zu bezeichnen.
Während in den 60-er und 70er Jahren in Frankreich riesige Schigebiete entstanden, Leo Gurschler im Südtiroler Schnalstal seinen Traum von der Gletscherschrließung durchzog, (wenn er auch letztendlich daran zerbrach) und Wilhelm Fazokas heute in Kaprun als der Vater der Gletscherbahnen gefeiert wird, warum scheiterten dann die ehrgeizigen Erschließungspläne der im Bereich Kreuzkogel, Schareck und Sonnblick, obwohl der Gasteiner Bürgermeister Ing. Anton Kerschbaumer als Geschäftsführer der „Sportgastein Ges.m.b.H.&Ko.Kg.“ durchaus das Format hatte, sie umzusetzen und damit seinen Lebenstraum zu realisieren?
Die Beantwortung dieser Frage und die Abklärung des Stadiums von Planung bzw. Realisierung der angeführten Lift- und Bauprojekte werden im folgenden Text versucht. Als Quellen dienen einerseits einschlägige zeitgenössische Werke (Schiführer, Schiatlanten, Prospekte, Panoramen), andererseits führten ein Besuch des Archivs der Gasteiner Bergbahnen und ein Gespräch mit einem Zeitzeugen zu zahlreichen Informationen, die in dieser Form bisher der Öffentlichkeit nicht zugänglich waren.
Ich möchte darauf hinweisen, dass meine Motivation für diese Reportage ein langdauerndes Interesse für die Entwicklung touristischer Infrastruktur in den Alpen war und keineswegs der Wunsch, all die damals angedachten Projekte zu verwirklichen und damit die Hohen Tauern zuzubetonieren oder komplett zu verdrahten. Sollte sich der eine oder andere durch manche Passagen (wie etwa z.b. den Prolog) provoziert fühlen, so möchte ich gleich hier darstellen, daß das nicht die Absicht dieses Topics sein soll.
Für alle, die sich für die touristische Geschichte des Gasteinertals bzw. der Hohen Tauern interessieren: Viel Spaß bei der Lektüre und hoffentlich ein schneller Internetzugang, da sehr viele Bilder verlinkt sind.
Über alle Berge ......
Gasteiner Erschließungsprojekte der 1970-er Jahre
I. Prolog: Mit einer Tageskarte von Gastein nach Heiligenblut
II. Geographisches
III. Historisches
IV. Schisport in der Goldberggruppe vor 1970
V. Sportgastein - Eine Legende entsteht
VI. Schareck - Gasteiner Gipfelträume
VII. Über alle Berge - Ein Skigebiet wie in den Westalpen
VIII. Ein Österreichisches Tignes
IX. Der Traum zerbricht
X. Epilog: Die unbeschreibliche Leichtigkeit des Schnees
Anmerkung: Zum Verständnis der folgenden Seiten ist eine Landkarte der betroffenen Region sehr hilfreich. Für alle, die keine Karte der Hohen Tauern zur Verfügung haben, hier ein Ausschnitt als pdf-file. (Beste Darstellung bei Zoom auf 400%)
Detailkarte Hohe Tauern (Achtung: 2,66MB)
Prolog: Mit einer Tageskarte von Gastein nach Heiligenblut
Es ist ein herrlicher Spätwintertag im März 1984. Ich lenke meinen Simca Horizon vorbei am Bahnhof Bad Gastein über die Bundesstraße weiter ins Tal hinein in den alten Bergbauort Böckstein. Auch hier sind seit der Eröffnung der Pendelbahn zum Kreuzkogel viele neue Hotels entstanden. Die Auffahrt mit dem Privat-PKW nach Sportgastein ist während der Saison für Tagesgäste nicht gestattet, daher stelle ich den Wagen am großen Parkplatz der Kreuzkogelbahn ab, hole die Schi vom Autodach und kaufe eine Tageskarte für die Tauern-Gletscher-Schischaukel. Es ist erst 9 Uhr früh und ich komme gleich in die erste Gondel, die nicht einmal ganz voll wird. Rasch gewinnt die Kabine an Höhe und ich betrachte den Ziehweg im Wald, der den unteren – uninteressanten – Teil der Nordabfahrt vom Kreuzkogel nach Böckstein darstellt. Wesentlich einladender sehen da die Hänge im oberen Bereich aus, die auch vom Nordkar-Schlepplift erschlossen werden. Angesichts des ausgedehnten Ausflugs, den ich heute vorhabe, bin ich mir aber nicht sicher, ob sich diese Hänge für mich an diesem Tag noch ausgehen werden. Oben am Kreuzkogel trete ich aus der Station ins Sonnenlicht, hier am Gipfelplateau treffen von Norden die Pendelbahn von Böckstein, von Westen – parallel verlaufend – der Schlepplift Kreuzkogel und die Doppelsesselbahn Radhausberg und von Süden die zweite Sektion der Doppelsesselbahn Weißenbach ein.
Ich überlege kurz, nach Süden ins Weißenbachtal abzufahren, von dort könnte ich mit einer weiteren Doppelsesselbahn zur Hagener Hütte am Mallnitzer Tauern gelangen und von dort nach Mallnitz abfahren, die Südhänge werden aber nach der kalten Nacht sicher noch beinhart gefroren sein, auch bin ich ja eigentlich wegen der neuen Bahnen weiter im Westen gekommen, daher fahre ich zwischen Sesselbahn und Schlepplift nach Westen in Richtung Sportgastein. Talgrund und Hoteldorf sind zunächst nicht zu sehen, da die Hänge im oberen Bereich flacher sind, erst nach der Kante der Steilstufe an der Mittelstation Schideck habe ich freien Blick auf Österreichs ehrgeizigstes Tourismusprojekt. Nordwestlich des nahezu ebenen Talgrunds stehen die fremdartig anmutenden Gebäude dichtgedrängt in Hanglage. Noch liegt der Großteil der aus Beton, Holz, Glas und Aluminium bestehenden Fassaden im Schatten, doch die obersten Stockwerke reflektieren bereits die Morgensonne. Ich erinnere mich an die Diskussionen während der Bauphase, vor allem die Verwendung von Aluminium wurde stark kritisiert, mir gefällt jedoch der etwas „industrielle Touch“, den das 1500 Betten umfassende Hotelensemble durch die Einarbeitung der Metallelemente erhalten hat. Emerald City, die sagenhafte Smaragdenstadt von Oz kommt mir immer in den Sinn, wenn ich an die Hotelsiedlung in Sportgastein denke. Ich möchte noch einen Blick aus der Nähe werfen, daher schwinge ich die schwarz markierte Abfahrt zur Talstation der Schideckbahn hinunter. Ich kann erkennen, daß trotz der frühen Stunde einige Urlauber im Freibecken des auch in diesem „Gastein“ obligatorischen Thermalbads ihre Längen schwimmen, andere sind schon in den überdachten Shopping-Arkaden unterwegs. Der ganze Ort ist praktisch autofrei, die Besucher-PKWs stehen in den unterirdischen Parkgaragen, sämtliche Shuttle-Busse und Versorgungsfahrzeuge fahren elektrisch. Fossile Brennstoffe werden im gesamten Hochtal nicht verwendet, auch die Heizung der Gebäude erfolgt elektrisch.
An der Talstation habe ich die Wahl, ich könnte die kurze Pendelbahn hinauf zu den Hotels nehmen und mich dort umsehen, nach Norden schweben die Sessel der Doppelsesselbahn zum unteren Pochkar-See empor, deren steile und durch die südseitige Exposition oft mit Schneeproblemen behaftete Abfahrt für Anfänger meist unüberwindliche Schwierigkeiten bereithält, vom Pochkar-See könnte ich mit einer weiteren Sesselbahn den 2600 Meter hohen Silberpfennig erreichen und von dort hinunter nach Kolm-Saigurn schwingen, ich könnte die mit mehreren Aufstiegshilfen erschlossenen nordseitigen Hänge des Silberpfennig befahren, ins Angertal abfahren oder über die Stanzscharte nach Rauris gelangen. Ich bleibe aber bei meinem ursprünglichen Plan und besteige den wartenden Pendelbus zur Talstation der Schareck-Gletscherbahn. Auch das Stationsgebäude dieser Bahn – aus der Ferne in Form einer Halbkugel, deren Oberfläche bei näherer Betrachtung aus lauter gleichseitigen Dreiecken zusammengesetzt ist – hebt sich durch die Verwendung von Metall und Glas deutlich von der sonst üblichen Stationsarchitektur ab. Die Talstation liegt noch im Schatten, aber man kann deutlich die futuristisch anmutenden Kuppeln von Mittel- und Bergstation in der Sonne funkeln sehen.
Die erste Sektion zum „Oberen Burgstall“ überwindet einen Höhenunterschied von 676m, die große Kabine, in der 155 Personen Platz finden, benötigt dafür viereinhalb Minuten. Die Weiterfahrt über 729 Höhenmeter zur 3081 Meter hoch gelegenen Bergstation dauert dann 5 Minuten und 10 Sekunden. Hier stelle ich mich auf die linke Seite der Kabine und nehme den unteren, steileren Teil der Abfahrt zur Mittelstation in Augenschein, hier mußten ja im Bereich des „Keesauges“ Entschärfungsmaßnahmen gesetzt werden, um die immer noch anspruchsvolle Piste auch für den Normalschifahrer benutzbar zu machen. Als Manko empfinden viele auch das Fehlen einer offiziellen Abfahrtsmöglichkeit von der Mittelstation ins Tal, dies wäre aber angesichts der Steilheit der Hänge wohl nur mit massiven Eingriffen in die Natur zu bewerkstelligen.
Die Bergstation liegt etwa 300 Meter vom Gipfel des Schareck entfernt knapp unterhalb der Baumbachspitze, durch einen etwa 60 Meter langen Tunnel marschiere ich unter dem Gipfelgrat durch und trete am oberen Ende des Wurtenkees ins Freie. Ich sehe, daß mangels Andrangs nur eine „Hälfte“ des von Südwesten kommenden Doppelschlepplifts Wurtengletscher (2750-3091m) in Betrieb ist, da die Abfahrt zur Mittelstation der Gletscherbahn aber in der Morgensonne einen höchst einladenden Eindruck gemacht hat, wende ich mich gleich hart nach rechts, um über die Baumbachscharte aufs obere Schlapperebenkees zu gelangen. Der erste Hang ist ziemlich steil, schwächere Schifahrer können aber über den oberen Teil des Wurtenkees ausweichen und durch einen 150 Meter langen Schitunnel unterhalb des Weinflaschenkopfs den südlichen flachen Teil des Schlapperebenkees erreichen. Zügig schwinge ich über den Gletscher hinunter zum Keesauge, bis hierher kann man auch im Sommer fahren und mit der Doppelsesselbahn Schlappereben zurück zur Bergstation gelangen, aber ich freue mich schon auf den steilen Teil vom Keesauge zur Mittelstation. Die Piste ist frisch präpariert und in einem idealen Zustand, nur wenige Schifahrer dürften hier heute vor mir unterwegs gewesen sein und so steige ich bald zum zweiten Mal an diesem Morgen in die Kabine der zweiten Sektion der Gletscherbahn.
Nun folgt die Genußabfahrt über das Wurtenkees hinunter zum oberen Ende des Hochwurtenspeichers der Tauernkraftwerke, hier treffen in etwa 2450 Metern Seehöhe das nach Südwesten geneigte Wurtenkees und das nordöstlich ausgerichtete Alteckkees aufeinander.
Auch hier ist ein „Verkehrsknotenpunkt“ des Schigebiets situiert: von Südosten her kommt die dritte und oberste Sektion der Kabinenumlaufbahn aus der Innerfragant, einem Nebental des Kärnter Mölltals, nach Südwesten geht es mit der Doppelsesselbahn Alteck zur 2750m hohen Zirknitzscharte, nach Nordwesten zieht der Schlepplift zur Niederen Scharte (2700m, nicht zu verwechseln mit der Kleinen und der Hohen Scharte im Schloßalmgebiet oberhalb von Hofgastein) und bietet Anschluß an den westlichen Teil der Schischaukel.
Einmal gebe ich mir die Abfahrt über den Alteckgletscher, dann lasse ich mich zur Niederen Scharte hinaufziehen, wo sich auch die Bergstation der oberen Sektion der Umlaufbahn von Kolm Saigurn befindet. Die nordseitige „Wintergasse“ bietet noch herrlichen Pulverschnee und die Abfahrt zur Mittelstation der „Niedere-Scharte-Bahn“in der Nähe der Naturfreundehütte „Neubau“ ist ein einziger Genuß. Hier muß ich wieder wählen: weiter ins Tal nach Kolm-Saigurn, von dort mit Sesselbahn und Schlepplift auf den Silberpfennig oder mit der Tunnelbahn durch den Imhof-Stollen zurück nach Sportgastein. Für mich steht aber heute die Befahrung der gesamten Gletscher-Schischaukel auf dem Programm, deshalb besteige ich eine Kabine der Pendelbahn zum Hohen Sonnblick (3106m) mit der höchstgelegenen ganzjährig besetzten Wetterstation Österreichs.
Die Genußabfahrt vom Gipfel durch das Vogelmaier-Ochsenkarkees läßt sich von der Seilbahntrasse leider nicht einsehen, dafür hat man einen prachtvollen Blick auf den nordwestlich gelegenen Hocharn (3254m) mit seinem gleichnamigen Kees, ein Berg, dessen Erschließung (so wie auch die beiden Pendelbahnen auf den Sonnblick vor deren Errichtung) heiß diskutiert wird.
Angekommen am Gipfel des Sonnblicks mache ich eine frühe Mittagspause im Zittelhaus, die ehrwürdige Berghütte kontrastiert stark mit dem metallisch schimmernden Gebäudekomplex, der die Bergstationen der von Osten und Westen ankommenden Pendelbahnen und ein großes Selbstbedienungsrestaurant beherbergt.
Gestärkt durch eine deftige Mahlzeit nehme ich die Abfahrt über das Klein-Fleiß-Kees, um etwa 600 Höhenmeter tiefer auf die Talstation der westlichen Pendelbahn zu treffen, die gleichzeitig auch die Bergstation der vom Gasthaus „Alter Pocher“ im Kleinen Fleisstal heraufziehenden Umlaufbahn darstellt. Direkt neben dem Stationsgebäude befindet sich auch die Talstation eines Verbindungssessellifts, der in nordwestlicher Richtung ziemlich schräg zum Hang auf 2650 Meter zieht, diesen Lift nehme ich, um auf einem Ziehweg den breiten, nach Südwesten geneigten Hang des Fleissalm-Schigebiets zu erreichen, das vom großen Fleisstal aus mit zwei langen Schleppliften erschlossen wird. In rascher Fahrt geht es hinunter in den Talgrund, wo mich mit der Fleissalm Tunnebahn die zweite unterirdische Anlage des Gebietes erwartet. Mit dieser ziemlich waagrecht verlaufenden Verbindungsbahn gelange ich nun zur Mittelstation Roßbach (1750m), gelegen zwischen den beiden Sektionen einer ersatzwürdigen Einersesselbahn, die vom 1300 Meter hoch gelegenen Heiligenblut bis auf eine Höhe von 2593 Meter zieht, von dort sind es nur wenige Schritte zum Gipfel des „Haus-Schibergs“ von Heiligenblut, der verwirrenderweise ebenfalls als Schareck bezeichnet wird. Ich entscheide mich für....
Ich war 1984 wirklich in Gastein zum Schifahren, aber von allen genannten Liften und Bahnen existierten damals nur die von dort praktisch unerreichbaren Lifte in Heiligenblut (Einersessellifte Roßbach und Schareck, Tunnelbahn, Schlepplifte Hochfleiss 1 und 2, letztere gerade erst erbaut) sowie in „Sportgastein“ die Doppelsesselbahn Schideck und der anschließende Schlepplift Kreuzkogel auf den gleichnamigen Berg. Damals wie heute galt bzw. gilt das Paradoxon, daß zwar die in den Ostalpen schifahrende Welt den Ortsnamen (und auch Markennamen) „Sportgastein“ kennt und zuordnen kann, „Sportgastein“ jedoch eigentlich für einen Ort steht, der niemals gebaut worden ist. Der je nach Jahreszeit staubige oder vereiste Parkplatz mit der Talstation der Sesselbahn Schideck bzw. nun der EUB Goldbergbahn rechtfertigt bei näherer Überlegung ja wohl kaum diesen hochtrabenden Namen.
Alle anderen in meinem Bericht erwähnten Lifte, Bahnen und Gebäude (mit Ausnahme der „klassischen“ Berghütten) entstammen jedoch nicht meiner Phantasie sondern beruhen auf dokumentierten Projekten der frühen Siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, manche von ihnen erreichten lediglich das Stadium der Idee oder Vision, andere waren allerdings in ihrer Planung schon weit fortgeschritten bzw. standen knapp vor Baubeginn.
Trotzdem wurde keines dieser Projekte jemals verwirklicht, zwar ist das Schareck mittlerweile von Kärnten aus als „Mölltaler Gletscher“ erschlossen, der Bau dieser Bahnen erfolgte jedoch erst Anfang der 90-er Jahre und vollkommen unabhängig von den ursprünglichen Gasteiner Plänen. Immer wieder diskutiert wird auch heute noch die Anbindung des Wurtenkees an Sportgastein durch eine Schrägstollenbahn, da diese aber den Nationalpark „Hohe Tauern“ berühren würde ist dieses Vorhaben als problematisch zu bezeichnen.
Während in den 60-er und 70er Jahren in Frankreich riesige Schigebiete entstanden, Leo Gurschler im Südtiroler Schnalstal seinen Traum von der Gletscherschrließung durchzog, (wenn er auch letztendlich daran zerbrach) und Wilhelm Fazokas heute in Kaprun als der Vater der Gletscherbahnen gefeiert wird, warum scheiterten dann die ehrgeizigen Erschließungspläne der im Bereich Kreuzkogel, Schareck und Sonnblick, obwohl der Gasteiner Bürgermeister Ing. Anton Kerschbaumer als Geschäftsführer der „Sportgastein Ges.m.b.H.&Ko.Kg.“ durchaus das Format hatte, sie umzusetzen und damit seinen Lebenstraum zu realisieren?
Die Beantwortung dieser Frage und die Abklärung des Stadiums von Planung bzw. Realisierung der angeführten Lift- und Bauprojekte werden im folgenden Text versucht. Als Quellen dienen einerseits einschlägige zeitgenössische Werke (Schiführer, Schiatlanten, Prospekte, Panoramen), andererseits führten ein Besuch des Archivs der Gasteiner Bergbahnen und ein Gespräch mit einem Zeitzeugen zu zahlreichen Informationen, die in dieser Form bisher der Öffentlichkeit nicht zugänglich waren.
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