Industriekletterer - Arbeiten wie Spiderman
Schwindelerregende Höhen, Adrenalin und Schweiß gehören zu Mario Krügers Beruf dazu. Als Industriekletterer hängt er an Häusern und Windrädern und hangelt sich von Dach zu Dach. Dabei muss er immer voll konzentriert sein - denn ganz weit unter ihm kommt nichts als die Straße.
Mit gekonnten Handgriffen legt Mario Krüger sich das lange Seil um die Schultern. Um seine Hüften trägt er einen gelb-schwarzen Gurt, der unter der Last von Karabinern und Abseilwerkzeug schwer an ihm herunter hängt. Ein Netz aus Seilen spannt sich über das Hochhausdach. Mario klinkt sein Seil an einer am Dach befestigten Sicherung ein, wirft es über den Rand 30 Meter in die Tiefe und steigt über die Kante. Über den Häusern und Bäumen hängen noch morgendliche Nebelschwaden.
Seit zwei Jahren arbeitet Mario als Industriekletterer für die Hamburger Firma ropeworx und klettert an Türmen, Silos und Hochhausfassaden herunter. Auch wenn Industriekletterer kein anerkannter Beruf ist, sondern lediglich eine Zusatzqualifikation, sind sie unersetzbar: Wenn in schwindelerregende Höhen und an vom Boden schwer erreichbaren Orten der Einsatz von Kränen und Gerüsten nicht möglich oder zu teuer ist, kommen Mario und seine Kollegen zum Einsatz.
Mario seilt sich Schritt für Schritt an der Wand des Hochhauses ab, bis er auf Höhe seines Arbeitsplatzes lässig in der Luft sitzt. Hier soll er den abgeplatzten und verwitterten Beton an der Hochhausfassade sanieren. Zunächst aber muss die kaputte Schicht von der Wand. Aus seinem Gürtel zieht er Hammer und Meißel, um den Beton mit kräftigen Schlägen abzuklopfen. Abgelöste Brocken fliegen durch die Luft. Mario weicht aus und vergewissert sich mit einem Blick gen Erdboden, ob das rot-weiße Absperrband auch noch richtig befestigt ist, damit kein Betonbruchstück auf Passanten regnen.
Das reizvollste ist das Klettern
Dass er gerne klettert, entdeckte der gelernte Schlosser bei einer Weiterbildung zum Baumpfleger. Der Beruf des Schlossers, das ewige Schweißen und die oft gleichen Reparaturarbeiten wurden ihm schnell zu einseitig. "Ich wollte raus", sagt Mario, "und nicht immer in der Schweißkabine sitzen."
Als Industriekletterer werden ihm viele Fertigkeiten abverlangt: Montage und Wartung, Malerarbeiten, Fassadeninstandsetzung sowie Reinigungsarbeiten. "Neben den tollen Aussichten", sagt Mario und grinst breit, "ist das reizvollste an meinem Beruf das Klettern selbst."
Auf die abgeschlagene Steinschicht trägt Mario Korrosionsschutz auf, es folgt eine Schicht klebriger Haftschlemme, die für eine bessere Haftung zwischen Wand und der äußeren Zementschicht sorgt. Mario sagt, der Großteil seiner Arbeitgeber seien Wohnbaugenossenschaften. Gerade bei kleineren Mängeln kommen Industriekletterer deutlich billiger, als eine Instandsetzung mit Gerüsten.
Fortbewegung in der Luft
Seine Ausbildung zum Industriekletterer machte Mario bei der Konkurrenz in Hamburg. Die Ausbildung besteht aus drei Lehrgängen bei denen die Arbeit am Seil trainiert wird. Das Training und die Prüfung finden an einem eher niedrigen Baugerüst statt. Zuerst lernt der angehende Kletterer sich in der Höhe rauf und runter zu bewegen. Danach wird die Fortbewegung durch die Luft, von einem Gebäude zum gegenüberliegenden erlernt.
Während der Ausbildung lernen angehende Industriekletterer vor allem alles zur Kletterei, also Knotenkunde, Sturzphysik, Sicherungs- und Rettungstechniken. Wie helfe ich am Seil hängend einem verletzten Kollegen? Wie seile ich einen ohnmächtigen Kletterer ab? Das sind Fragen, die die Azubis meistern müssen. Auch Rechtsgrundlagen und Vorschriften bei Arbeiten in großer Höhen gehören dazu. Einmal pro Jahr unterzieht sich jeder Kletterer einem Gesundheitscheck und absolviert eine Nachprüfung in Rettungstechniken.
Ihm oder einem anderen Kollegen sei noch nie etwas passiert, sagt Mario. Nicht einmal von seiner Notsicherung musste er bislang Gebrauch machen. Manchmal allerdings sei ihm etwas mulmig zu Mute. Das Gefühl komme dann so plötzlich, wie es auch wieder verschwinde. Ansonsten macht höchstens ein kräftiger Regenschauer die Arbeit schwer.
"Ein Anwohner dachte, ich wollte mich vom Dach eines Hochhauses stürzen"
Besonders spannend war Marios erster Einsatz: An einem stürmisch-regnerischen Tag sollte die Mannschaft an einem Weltkriegs-Bunker, der trotz etlicher Sprengversuche noch immer stand, Geröllschutznetze anbringen. Mit Stirnlampen mussten sie sich ihren Weg auf das Dach durch ein Labyrinth aus zertrümmerten Bunkerresten bahnen. Mario erzählt, wie ihm vor lauter Aufregung das Blut in den Adern pochte. Zuvor hing er ja nur an einem Baugerüst.
Zu Marios Ausrüstung zählen neben den Seilen und seiner Gurtausrüstung ein Erste-Hilfe-Set, allerhand Karabiner, der Helm und Abseilgeräte. Sein Gurt wiegt rund zehn Kilo. Dazu kommt noch das Gewicht der Baumaterialien und Werkzeuge. "Es kam schon vor", sagt Mario "dass ich meinen Helm nicht sofort aufgesetzt habe und plötzlich lauter Polizei- und Feuerwehrwagen in die Straßen fuhren, weil ein Anwohner dachte, ich wollte mich vom Dach eines Hochhauses stürzen."
Weil ständig neue Technik und Materialien entwickelt werden, nehmen die Industriekletterer regelmäßig an Fortbildungen teil. Vor kurzem war das ganze Team zwei Wochen auf Husum, um dort zu lernen, wie Rotorblätter großer Windanlagen aufgebaut sind und wie man sie repariert. "Die Fortbildungen bereichern die Arbeit", sagt Mario. Es werde nie langweilig als Industriekletterer, sagt er. Als nächstes will Mario den dritten und letzten Abschnitt der Industriekletterlehrgänge absolvieren, denn dann kann er noch selbstständiger arbeiten und darf anschließend Einsätze am Seil leiten.
Wie extrem Industrieklettern sein kann, zeigt dieses Video der Webseite theonlineengineer.org:
http://www.youtube.com/watch?v=g79byk4ytxg
Quelle + Fotos: spiegel.de
Schwindelerregende Höhen, Adrenalin und Schweiß gehören zu Mario Krügers Beruf dazu. Als Industriekletterer hängt er an Häusern und Windrädern und hangelt sich von Dach zu Dach. Dabei muss er immer voll konzentriert sein - denn ganz weit unter ihm kommt nichts als die Straße.
Mit gekonnten Handgriffen legt Mario Krüger sich das lange Seil um die Schultern. Um seine Hüften trägt er einen gelb-schwarzen Gurt, der unter der Last von Karabinern und Abseilwerkzeug schwer an ihm herunter hängt. Ein Netz aus Seilen spannt sich über das Hochhausdach. Mario klinkt sein Seil an einer am Dach befestigten Sicherung ein, wirft es über den Rand 30 Meter in die Tiefe und steigt über die Kante. Über den Häusern und Bäumen hängen noch morgendliche Nebelschwaden.
Seit zwei Jahren arbeitet Mario als Industriekletterer für die Hamburger Firma ropeworx und klettert an Türmen, Silos und Hochhausfassaden herunter. Auch wenn Industriekletterer kein anerkannter Beruf ist, sondern lediglich eine Zusatzqualifikation, sind sie unersetzbar: Wenn in schwindelerregende Höhen und an vom Boden schwer erreichbaren Orten der Einsatz von Kränen und Gerüsten nicht möglich oder zu teuer ist, kommen Mario und seine Kollegen zum Einsatz.
Mario seilt sich Schritt für Schritt an der Wand des Hochhauses ab, bis er auf Höhe seines Arbeitsplatzes lässig in der Luft sitzt. Hier soll er den abgeplatzten und verwitterten Beton an der Hochhausfassade sanieren. Zunächst aber muss die kaputte Schicht von der Wand. Aus seinem Gürtel zieht er Hammer und Meißel, um den Beton mit kräftigen Schlägen abzuklopfen. Abgelöste Brocken fliegen durch die Luft. Mario weicht aus und vergewissert sich mit einem Blick gen Erdboden, ob das rot-weiße Absperrband auch noch richtig befestigt ist, damit kein Betonbruchstück auf Passanten regnen.
Das reizvollste ist das Klettern
Dass er gerne klettert, entdeckte der gelernte Schlosser bei einer Weiterbildung zum Baumpfleger. Der Beruf des Schlossers, das ewige Schweißen und die oft gleichen Reparaturarbeiten wurden ihm schnell zu einseitig. "Ich wollte raus", sagt Mario, "und nicht immer in der Schweißkabine sitzen."
Als Industriekletterer werden ihm viele Fertigkeiten abverlangt: Montage und Wartung, Malerarbeiten, Fassadeninstandsetzung sowie Reinigungsarbeiten. "Neben den tollen Aussichten", sagt Mario und grinst breit, "ist das reizvollste an meinem Beruf das Klettern selbst."
Auf die abgeschlagene Steinschicht trägt Mario Korrosionsschutz auf, es folgt eine Schicht klebriger Haftschlemme, die für eine bessere Haftung zwischen Wand und der äußeren Zementschicht sorgt. Mario sagt, der Großteil seiner Arbeitgeber seien Wohnbaugenossenschaften. Gerade bei kleineren Mängeln kommen Industriekletterer deutlich billiger, als eine Instandsetzung mit Gerüsten.
Fortbewegung in der Luft
Seine Ausbildung zum Industriekletterer machte Mario bei der Konkurrenz in Hamburg. Die Ausbildung besteht aus drei Lehrgängen bei denen die Arbeit am Seil trainiert wird. Das Training und die Prüfung finden an einem eher niedrigen Baugerüst statt. Zuerst lernt der angehende Kletterer sich in der Höhe rauf und runter zu bewegen. Danach wird die Fortbewegung durch die Luft, von einem Gebäude zum gegenüberliegenden erlernt.
Während der Ausbildung lernen angehende Industriekletterer vor allem alles zur Kletterei, also Knotenkunde, Sturzphysik, Sicherungs- und Rettungstechniken. Wie helfe ich am Seil hängend einem verletzten Kollegen? Wie seile ich einen ohnmächtigen Kletterer ab? Das sind Fragen, die die Azubis meistern müssen. Auch Rechtsgrundlagen und Vorschriften bei Arbeiten in großer Höhen gehören dazu. Einmal pro Jahr unterzieht sich jeder Kletterer einem Gesundheitscheck und absolviert eine Nachprüfung in Rettungstechniken.
Ihm oder einem anderen Kollegen sei noch nie etwas passiert, sagt Mario. Nicht einmal von seiner Notsicherung musste er bislang Gebrauch machen. Manchmal allerdings sei ihm etwas mulmig zu Mute. Das Gefühl komme dann so plötzlich, wie es auch wieder verschwinde. Ansonsten macht höchstens ein kräftiger Regenschauer die Arbeit schwer.
"Ein Anwohner dachte, ich wollte mich vom Dach eines Hochhauses stürzen"
Besonders spannend war Marios erster Einsatz: An einem stürmisch-regnerischen Tag sollte die Mannschaft an einem Weltkriegs-Bunker, der trotz etlicher Sprengversuche noch immer stand, Geröllschutznetze anbringen. Mit Stirnlampen mussten sie sich ihren Weg auf das Dach durch ein Labyrinth aus zertrümmerten Bunkerresten bahnen. Mario erzählt, wie ihm vor lauter Aufregung das Blut in den Adern pochte. Zuvor hing er ja nur an einem Baugerüst.
Zu Marios Ausrüstung zählen neben den Seilen und seiner Gurtausrüstung ein Erste-Hilfe-Set, allerhand Karabiner, der Helm und Abseilgeräte. Sein Gurt wiegt rund zehn Kilo. Dazu kommt noch das Gewicht der Baumaterialien und Werkzeuge. "Es kam schon vor", sagt Mario "dass ich meinen Helm nicht sofort aufgesetzt habe und plötzlich lauter Polizei- und Feuerwehrwagen in die Straßen fuhren, weil ein Anwohner dachte, ich wollte mich vom Dach eines Hochhauses stürzen."
Weil ständig neue Technik und Materialien entwickelt werden, nehmen die Industriekletterer regelmäßig an Fortbildungen teil. Vor kurzem war das ganze Team zwei Wochen auf Husum, um dort zu lernen, wie Rotorblätter großer Windanlagen aufgebaut sind und wie man sie repariert. "Die Fortbildungen bereichern die Arbeit", sagt Mario. Es werde nie langweilig als Industriekletterer, sagt er. Als nächstes will Mario den dritten und letzten Abschnitt der Industriekletterlehrgänge absolvieren, denn dann kann er noch selbstständiger arbeiten und darf anschließend Einsätze am Seil leiten.
Wie extrem Industrieklettern sein kann, zeigt dieses Video der Webseite theonlineengineer.org:
http://www.youtube.com/watch?v=g79byk4ytxg
Quelle + Fotos: spiegel.de
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