Sehr nett.
Hurra, wir funktionieren noch!
VON ULF POSCHARDT
01.06.13
Die Mittelschicht hat eine neue Uniform: Sie stammt von Jack Wolfskin und soll Distinktion durch Nützlichkeit ersetzen
Die junge Mutter war gut vorbereitet. Sie hatten ihren Alpinrucksack für Mehrtagestouren in Gletscherblau prall gefüllt, in den Haltern für die Getränke waren zwei gut abgefüllte Flaschen, einmal mit einer gelben, rechts mit einer farblosen Flüssigkeit. Ihre Active-Trail-Schuhe waren perfekt geschnürt, die wasserdichte, atmungsaktive und super leichte Wetterschutzjacke mit kleinem Packmaß saß leger und auch die Trekkinghose mit Belüftungs-Reißverschlüssen und Stretch-Einsätzen wirkte wie angegossen. Die zierliche Frau saß da und wartet auf den Aufbruch. Vor ihr lag nicht der Mount Everest, sondern die Ritterburg im Playmobil-Funpark im mittelfränkischen Zirndorf. Die Ritterburg lag zugegebenermaßen auf einer leichten Anhöhe. Die Frau war overdressed, aber niemand starrte sie an. Im Gegenteil, sie war die Königin dieses leicht verregneten Vormittags im mittelfränkischen Idyll. Um sie herum gab es ein Defilee von Jack-Wolfskin, Schöffel, Columbia-Jacken, -Hosen, -Rucksäcken, -Schuhen. Wer nicht aussah wie jemand auf der Gipfelstation eines Skilifts, fiel auf. Was war passiert?
Vor einem Jahr schon gifteten schwäbische Kabarettisten über die Jack-Wolfskin-Uniformen der Wutbürger bei den Stuttgart-21-Demonstrationen, während des Kirchentags in Hamburg spotteten hanseatischer Eleganz verpflichtete Großstadtmenschen über Jack Wolfskin als offiziellen Ausstatter. Kaum ein Anlass scheint passender für spröden Hedonismus als dieses Hochamt der Supermoral und seine karge Ästhetik. Die Schmucklosigkeit des Protestantismus stellt die Nützlichkeit von Dingen in den Vordergrund. Die materielle Welt und ihre Verführungskraft wird schon im Diesseits relativiert. Die inneren Werte zählen und deswegen werden sie mit dem Goretex-Teflon gegen die feindliche Außenwelt geschützt. Was die Sonnenbrille für den Hipster, ist die Trekkingjacke für den Philister.
Die Protestanten gelten als die Avantgarde der Mittelschicht. Ihrer Disziplin und ihrer Arbeitsethik verdankt das Land wirtschaftliche Kraft aber auch eine Neigung zum moralisch Zwanghaften. Die barocke Freunde am Prunk der Distinktion geht den Anständigen ab. Die neue Monokultur des Funktionalen ideologisiert das Gelingen des Alltags. Eltern, aber auch protestierende Senioren und aufstrebende Junioren auf dem sportlichen Weg ins Büro veredeln sich zu Funktionsträgern, deren Arrangement mit der Realität in zweckdienlicher Bekleidung gipfelt. Die Funktionsmaskerade unterstellt, man sei für alles gerüstet, auch wenn nie etwas passiert.
Sehnsucht, Reiselust, Fernweh heißen die Kampfbegriffe, mit denen auf der Homepage der Vorzeigemarke Jack Wolfskin das nicht gerade günstige Hightech-Outfit romantisiert wird. Eigentlich wären wir am liebsten ganz woanders, kommuniziert dieses Abenteurerkostüm heimlich. Es suggeriert, dass es neben dem Großraumbüro und dem Butterbrotkasten für die Kinder auch ein freies, landlustiges Leben seiner Träger gibt. Die Outdoor-Branche gehört zu den absoluten Wachstumsmärkten der letzten Jahre. In der Krise schien das Bedürfnis nach einer nüchternen Antwort auf die Kleiderfrage und die Herausforderung einer angemessenen Erscheinung zu wachsen.
Wo James Bond auf Maßanzügen, Ledersohlen und guten Krawatten besteht, wenn er von Hochhäusern stürzt oder auf rasenden Zügen entlangbalanciert, entscheidet sich die deutsche Mittelschicht selbst bei der Fahrt in der U-Bahn oder dem Gang zu Edeka für Action-Heldenkostüme im Nordic-Walking-Remix. Verkörpert Bond die britische Idee, dass Stil und Haltung alles sei und dass es keine Katastrophe und Extremsituation gebe, die eine nachlässige Bekleidung erlaube, hält das Wolfskin-Volk mit Hang zu Bi- und Tricolor-Goretext-Aufzügen wenig von diesen Anforderungen. Angela Merkel, die mächtigste Frau der Welt, pflegt im Urlaub den Freizeitlook des Wolfskin-Biedermeiers. Sie ist dabei ihrem Volk ganz nahe. Sie verkörpert so auch die sozialdemokratische Antithese zum Brioni-Kanzler Schröder und zu seinem Dreiteiler-Vize Fischer.
Das Aufgehen des Individuums in seiner Funktion ist das Kainsmal der Entfremdung. Der aktive und atmungsaktive Mensch ist die Steigerungsform des "flexiblen Menschen", wie ihn der sozialdemokratische Soziologe Richard Sennett als Folge einer dynamischen, globalisierten Ökonomie beklagte. Wird in der zeitgenössischen Arbeitswelt ständig und ohne Unterlass den Angestellten maximale Anpassungsfähigkeit und Bereitschaft um Umlernen, Umziehen und Umdenken abgefordert, so bleibt ihm entweder die Geste der Verweigerung und der passiv-aggressiven Stoik oder aber die Überkompensation in einer Selbsttechnik des Überbeweglichen.
Die Funktionsbekleidung gehört zum Kostümfundus einer technokratischen Welt, in der Joghurts verspeist werden, die das Immunsystem stärken, und an isotonischen Getränken genippt, die jeden Spaziergang potenziell marathonartig werden lassen könnten. Es gibt Kompressionswäsche, die zum Beispiel an den Waden von Radfahrern ein stärkere Blutzirkulation und einen schnelleren Laktatabbau ermöglicht. Auch wenn die Funktionskleidung die soziale Unschuld vom Lande oder der Kleinstadt spielt, so genügt ein Blick auf die Preisschilder der Northface- und Helly-Hansen-Jacken um den verschämten Snobismus dieses Looks zu verstehen. Denn diese Jacken, Schuhe und Hosen sind eher teurer als Jeans, Jackett oder Dufflecoat.
Wer studieren will, wie man Funktionskleidung elegant und distinguiert trägt, muss Videos des schwarzen Blocks studieren. Die Linksradikalen hatten entdeckt, dass Jacken und Kapuzen, die gegen Regen und Sturm schützen, auch Wasserwerfern trotzen können und hübsch vermummen. Zudem gaben sie in Schwarz getragen in einer Choreografie der Massen ein Bild maximaler Geschlossenheit und Eleganz. Der Schwarze Block erinnerte an den Todesstern von Darth Vader ebenso wie an den Vorsprung-durch-Technik-Stil von Audi-Limousinen, mit denen sich die Kanzlerin durch ihr mächtiges Leben chauffieren lässt. Die Idee, dass die Form der Funktion folgen muss, bleibt richtig. Die wichtigste Funktion von Mode aber ist, dem Anderen von sich zu erzählen – und nicht, dass er funktioniert. Das setzen wir voraus.
Quelle: http://welt.de/print/die_welt/kultur...eren-noch.html
Hurra, wir funktionieren noch!
VON ULF POSCHARDT
01.06.13
Die Mittelschicht hat eine neue Uniform: Sie stammt von Jack Wolfskin und soll Distinktion durch Nützlichkeit ersetzen
Die junge Mutter war gut vorbereitet. Sie hatten ihren Alpinrucksack für Mehrtagestouren in Gletscherblau prall gefüllt, in den Haltern für die Getränke waren zwei gut abgefüllte Flaschen, einmal mit einer gelben, rechts mit einer farblosen Flüssigkeit. Ihre Active-Trail-Schuhe waren perfekt geschnürt, die wasserdichte, atmungsaktive und super leichte Wetterschutzjacke mit kleinem Packmaß saß leger und auch die Trekkinghose mit Belüftungs-Reißverschlüssen und Stretch-Einsätzen wirkte wie angegossen. Die zierliche Frau saß da und wartet auf den Aufbruch. Vor ihr lag nicht der Mount Everest, sondern die Ritterburg im Playmobil-Funpark im mittelfränkischen Zirndorf. Die Ritterburg lag zugegebenermaßen auf einer leichten Anhöhe. Die Frau war overdressed, aber niemand starrte sie an. Im Gegenteil, sie war die Königin dieses leicht verregneten Vormittags im mittelfränkischen Idyll. Um sie herum gab es ein Defilee von Jack-Wolfskin, Schöffel, Columbia-Jacken, -Hosen, -Rucksäcken, -Schuhen. Wer nicht aussah wie jemand auf der Gipfelstation eines Skilifts, fiel auf. Was war passiert?
Vor einem Jahr schon gifteten schwäbische Kabarettisten über die Jack-Wolfskin-Uniformen der Wutbürger bei den Stuttgart-21-Demonstrationen, während des Kirchentags in Hamburg spotteten hanseatischer Eleganz verpflichtete Großstadtmenschen über Jack Wolfskin als offiziellen Ausstatter. Kaum ein Anlass scheint passender für spröden Hedonismus als dieses Hochamt der Supermoral und seine karge Ästhetik. Die Schmucklosigkeit des Protestantismus stellt die Nützlichkeit von Dingen in den Vordergrund. Die materielle Welt und ihre Verführungskraft wird schon im Diesseits relativiert. Die inneren Werte zählen und deswegen werden sie mit dem Goretex-Teflon gegen die feindliche Außenwelt geschützt. Was die Sonnenbrille für den Hipster, ist die Trekkingjacke für den Philister.
Die Protestanten gelten als die Avantgarde der Mittelschicht. Ihrer Disziplin und ihrer Arbeitsethik verdankt das Land wirtschaftliche Kraft aber auch eine Neigung zum moralisch Zwanghaften. Die barocke Freunde am Prunk der Distinktion geht den Anständigen ab. Die neue Monokultur des Funktionalen ideologisiert das Gelingen des Alltags. Eltern, aber auch protestierende Senioren und aufstrebende Junioren auf dem sportlichen Weg ins Büro veredeln sich zu Funktionsträgern, deren Arrangement mit der Realität in zweckdienlicher Bekleidung gipfelt. Die Funktionsmaskerade unterstellt, man sei für alles gerüstet, auch wenn nie etwas passiert.
Sehnsucht, Reiselust, Fernweh heißen die Kampfbegriffe, mit denen auf der Homepage der Vorzeigemarke Jack Wolfskin das nicht gerade günstige Hightech-Outfit romantisiert wird. Eigentlich wären wir am liebsten ganz woanders, kommuniziert dieses Abenteurerkostüm heimlich. Es suggeriert, dass es neben dem Großraumbüro und dem Butterbrotkasten für die Kinder auch ein freies, landlustiges Leben seiner Träger gibt. Die Outdoor-Branche gehört zu den absoluten Wachstumsmärkten der letzten Jahre. In der Krise schien das Bedürfnis nach einer nüchternen Antwort auf die Kleiderfrage und die Herausforderung einer angemessenen Erscheinung zu wachsen.
Wo James Bond auf Maßanzügen, Ledersohlen und guten Krawatten besteht, wenn er von Hochhäusern stürzt oder auf rasenden Zügen entlangbalanciert, entscheidet sich die deutsche Mittelschicht selbst bei der Fahrt in der U-Bahn oder dem Gang zu Edeka für Action-Heldenkostüme im Nordic-Walking-Remix. Verkörpert Bond die britische Idee, dass Stil und Haltung alles sei und dass es keine Katastrophe und Extremsituation gebe, die eine nachlässige Bekleidung erlaube, hält das Wolfskin-Volk mit Hang zu Bi- und Tricolor-Goretext-Aufzügen wenig von diesen Anforderungen. Angela Merkel, die mächtigste Frau der Welt, pflegt im Urlaub den Freizeitlook des Wolfskin-Biedermeiers. Sie ist dabei ihrem Volk ganz nahe. Sie verkörpert so auch die sozialdemokratische Antithese zum Brioni-Kanzler Schröder und zu seinem Dreiteiler-Vize Fischer.
Das Aufgehen des Individuums in seiner Funktion ist das Kainsmal der Entfremdung. Der aktive und atmungsaktive Mensch ist die Steigerungsform des "flexiblen Menschen", wie ihn der sozialdemokratische Soziologe Richard Sennett als Folge einer dynamischen, globalisierten Ökonomie beklagte. Wird in der zeitgenössischen Arbeitswelt ständig und ohne Unterlass den Angestellten maximale Anpassungsfähigkeit und Bereitschaft um Umlernen, Umziehen und Umdenken abgefordert, so bleibt ihm entweder die Geste der Verweigerung und der passiv-aggressiven Stoik oder aber die Überkompensation in einer Selbsttechnik des Überbeweglichen.
Die Funktionsbekleidung gehört zum Kostümfundus einer technokratischen Welt, in der Joghurts verspeist werden, die das Immunsystem stärken, und an isotonischen Getränken genippt, die jeden Spaziergang potenziell marathonartig werden lassen könnten. Es gibt Kompressionswäsche, die zum Beispiel an den Waden von Radfahrern ein stärkere Blutzirkulation und einen schnelleren Laktatabbau ermöglicht. Auch wenn die Funktionskleidung die soziale Unschuld vom Lande oder der Kleinstadt spielt, so genügt ein Blick auf die Preisschilder der Northface- und Helly-Hansen-Jacken um den verschämten Snobismus dieses Looks zu verstehen. Denn diese Jacken, Schuhe und Hosen sind eher teurer als Jeans, Jackett oder Dufflecoat.
Wer studieren will, wie man Funktionskleidung elegant und distinguiert trägt, muss Videos des schwarzen Blocks studieren. Die Linksradikalen hatten entdeckt, dass Jacken und Kapuzen, die gegen Regen und Sturm schützen, auch Wasserwerfern trotzen können und hübsch vermummen. Zudem gaben sie in Schwarz getragen in einer Choreografie der Massen ein Bild maximaler Geschlossenheit und Eleganz. Der Schwarze Block erinnerte an den Todesstern von Darth Vader ebenso wie an den Vorsprung-durch-Technik-Stil von Audi-Limousinen, mit denen sich die Kanzlerin durch ihr mächtiges Leben chauffieren lässt. Die Idee, dass die Form der Funktion folgen muss, bleibt richtig. Die wichtigste Funktion von Mode aber ist, dem Anderen von sich zu erzählen – und nicht, dass er funktioniert. Das setzen wir voraus.
Quelle: http://welt.de/print/die_welt/kultur...eren-noch.html
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