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Petit Dru Nordwand, V+, A1; Montblancgebiet, 27.7.1983

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  • Petit Dru Nordwand, V+, A1; Montblancgebiet, 27.7.1983

    Eingeschränkt in meinen Aktivitäten raffe ich mich wieder einmal zu einem Nostalgiebericht auf. Beim Scannen meiner Dias bin ich darüber gestolpert. Gleich blättere ich auch in meinem Tourenbuch - rückblickend eine meiner gefährlichsten Touren.
    Etwas kritisch sehe ich all das schon – heute. Den Schwierigkeiten waren wir durchaus gewachsen, das Wetter war perfekt, aber das war nicht das Thema.
    Informationen über vorherrschende Verhältnisse hatten wir nicht, auch keine Französisch- Kenntnisse, es gab kein Internet. Das mag manches erklären – alles nicht.
    Aber lest selbst…

    Eine unserer Informationsquellen war natürlich, wie damals üblich, das Pause-Buch
    „Im extremen Fels“:
    E01011.jpg

    E01012.jpg

    Und so präsentierte sich uns der Dru, im Blick die Westwand, etwa in Bildmitte links die Rognon-Felsinsel, unser Biwakplatz
    E01013.jpg

    26.7.1983
    Es ist ein brütend heißer Sommernachmittag. Gerhard und ich mühen uns redlich ab im Zustieg: Von der Montenvers- Bahn aus, vom Mer de Glace, 3 ½ Stunden Geröll, Gestrüpp, Hitze, dann endlich freies Almgelände – trotzdem – weglos.
    Ein Blick zur Grandes Charmoz-Wand:
    E01014.jpg
    Aber das Wetter ist perfekt, die fantastische Kulisse ringsum, der Auftrieb so riesengroß, alles ist schon wieder vergessen, als wir die Rognon-Felsen erreichen, einen schmalen Blockstreifen vom Gletscher umrahmt, unseren Platz für die Nacht.
    Gleich sind wir dort:
    E01015.jpg

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    Ein nicht allzu breiter Firnarm trennt uns von der eindrucksvollen, glatten Westwand. Lediglich in dieser rührt sich was, sonst sind wir mutterseelenalleine hier. Merkwürdig – und das in der Hauptsaison.
    Frrrr….patsch! Was war das? Ein Stein ist auf den Schnee geschlagen, weiter nichts. Dann aber wieder, ein nächster, noch einer… Der Nachmittag so heiß, kein Wunder sagen wir, in der Nacht wird´s sicher besser. Doch gemütlich ist der Platz hier nicht. Wir haben etwa 100 Meter Abstand zur Wand, herüber fallen kann hier wohl nichts, nein… Wir machen es uns bequem, breiten unser Zeug auf den warmen Platten aus, kochen Suppe.
    E01017.jpg
    Plötzlich ein Krachen, dann dröhnt es in der Luft als ob eine Bombe herab fiele. Hastig schlüpfen wir unter einen Felsen. Wumm – ein riesiger Block fährt in den Gletscher. Genügend weit weg von uns, aber trotzdem, es ist unheimlich hier. Der Berg, unser Ziel, er scheint zerfallen zu wollen. Ob wir morgen gehen?
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    Die Steine orgeln herum wie im Krieg. Auch in der Nordwand ist die Hölle los. Ein Block, groß wie ein Volkswagen schlägt ins Nischeneisfeld, wird heraus katapultiert, saust im freien Fall gute 300 Meter, bevor er an der Ecke der unteren Wandterrasse in tausend Stücke zerschellt. Dort läuft unsere Route…
    Aber die Nacht ist ruhiger, oder bilden wir uns das bloß ein?

    27.7.1983
    Zeitiger Aufbruch, mit knirschenden Steigeisen zum Einstieg, hinauf in den weltentrückten Winkel der Nordwand. Düstere Abbrüche, Rinnen mit dunklen Eisschlangen, feuchte, tropfende Überhänge, drohende Seraks. Was tun wir hier?
    Auch der goldene Morgen vermag unsere Anspannung kaum zu vertreiben. Nur hinein in die Wand und möglichst rasch weiter.
    Doch das Einstiegscouloir, normalerweise eine harmlose Schneerinne, ist komplett aper.
    Was sich normalerweise unter Schnee verbirgt, entpuppt sich teilweise als V. Grad, braune Bröselfelsen, enorm heikel. Unter unseren Tritten verabschiedet sich jedes Mal eine gatschige Masse, die wie ein brauner Wurm durch die Risse abwärts kriecht.
    Erster Stand, Gerhard tastet sich vorwärts. Als er etwa eine halbe Seillänge hinter sich hat, kracht es schon wieder. Ich gehe in Deckung. Aber was ist mit Gerhard? Er muss dem Schwall von Felsbrocken ja fast ungeschützt entgegensehen. Bange Minuten vergehen, dann rührt sich das Seil wieder, gottseidank! Hastig versuchen wir dieser heimtückischen Rinne zu entkommen. Aber so einfach ist das nicht, immer wieder Gatsch, Bruch, praktisch bei jeder Bewegung löst sich was.
    Endlich ist der erste Absatz erreicht. Doch nun gilt: Nichts wie rasch drüber! Dort ist gestern der Volkswagen zerschellt. Wir rennen über das Blockzeug aufwärts, normalerweise ist hier ein Schneefeld, normalerweise…
    Endlich steilerer Fels, auch kein Honiglecken mit den Rucksäcken
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    aber hier sind wir wenigstens vor Steinschlag einigermaßen sicher.
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    Der Fels ist vielfach sandig und auch keineswegs so fest, wie im Führer behauptet. So ist alles doppelt anstrengend. Wie konnten wir auch wissen, dass sich hier vor Kurzem ein Bergsturz ereignet hat…
    Aber - ein prächtiger Riss folgt
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    und eine Rampe leitet zu einem Absatz. Hier liegen zerschlagene Seilreste, Karabiner, Schlingen. Sind das hier Blutflecken? Bloß weg hier…
    Dann wird der Fels schöner, aber der Lambert-Riss wartet.
    Ein Quetschkamin, vereist und nass. Weiß der Teufel, wie ich hinauf gekommen bin.
    E01022.jpg
    Die zerschundenen Knie entdecke ich erst später…Nach all der Plage darf ich nun auch noch die Rucksäcke aufziehen.

  • #2
    AW: Petit Dru Nordwand, V+, A1; Montblancgebiet, 27.7.1983

    Bald folgt eine glatte Wand mit feinen Rissen, anstrengend aber einfach toll.
    E01023.jpg
    Die Steine sausen weit draußen an uns vorbei, fast haben wir uns daran gewöhnt. Rinnen und Verschneidungen bringen uns genussvoll an den Rand des Nischeneisfeldes.
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    Nun wieder rasch weiter, was das Zeug hält. Nach 2 Seillängen sind wir draußen aus der Steinschlagzone. Bald schon blicken wir hinunter auf diese gefährliche Schanze.
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    Im Bild das Nischeneisfeld, noch bin ich nicht ganz aus der Gefahrenzone, am Felsrand vorne bricht die Wand nochmals ca. 500 Meter tief ab
    Allmählich atmen wir freier, genießen endlich auch die Kletterei, den gewaltigen Tiefblick.
    E01027.jpg
    Was für ein Sommer! Phantastisch diese bizarre Welt aus Granitnadeln und zerstückelten Eisströmen!
    Entspannt klettern wir weiter, eine Zeit lang leichter – wir haben nichts dagegen.
    Eine Querung bringt uns an einen abenteuerlich steilen Riss mit wüstem Tiefblick (Allain-Riss). Er ist schwierig, kraftraubend, aber wir schaffen ihn frei, tolle Spreizkletterei, ein Genuss, selbst nach dieser wilden Plackerei noch.
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    Dann lassen die Schwierigkeiten nach, es folgt Blockwerk, Kamine, geneigteres Gelände und unvermittelt – ein Felsloch, knapp unterm Gipfel. Die klassische Nordwandroute endet hier. Es gäbe zwar noch einen direkten Ausstieg, aber wir sind dazu bereits zu hoch angestiegen. Die sandige Verschneidung neben uns lockt uns wenig, hingegen die sonnige Südseite gewaltig.
    So verzichten wir auf die letzten zwei ruppigen Längen und wollen von Süden auf den Gipfel.
    Ausgelaugt und zerschunden schlüpfen wir durch das Wandloch. Momentan umfängt uns die Sonnenflut der Südseite. Welch ein Augenblick!
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    Ganz in der Nähe findet sich auch ein perfekter Biwakplatz,
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    eine geräumige, flache Felskanzel mit Prachtblick zur Grandes Jorasses.
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    Ziemlicher Wind und starker Dunst beunruhigen uns etwas, aber wir vertrauen dennoch auf das Wetter. Der Abend vergeht mit Wassersuche und Teekochen. Und immer wieder schauen, schauen… Der Walkerpfeiler steht direkt vor uns, noch ahnen wir nicht, dass sich auch dieser Traum in wenigen Tagen erfüllen wird. Den Gipfelgang, eigentlich nur 50 Meter, verschieben wir auf morgen. Ist eine Herumsucherei zu der wir keine Lust mehr haben, außerdem plagt uns der Hunger.
    Als Abendbrot bleiben uns nur ein paar Schokoriegel, fürs Frühstück dann ein paar Rosinen.

    17.8.2016
    Der nächste Morgen ist wieder prächtig, gut so, denn ein langer Abstieg wartet.
    Fertig zum Abseilen! Gipfel ade, Nordwand genügt!
    E01035.jpg
    Ewiges Abseilen, sicher fünfzehn Mal… Dann wieder Queren, Suchen, aber irgendwie geht´s.
    Endlich: Lange, gemütliche Bänder führen zum Charpoua-Gletscher. Und auf einem dieser Bänder liegt sie… Sie? Ja sie – mitten auf dem flachen Felsband liegt sie, viereckig und feinsäuberlich in Folie gehüllt: Eine unversehrte Tafel Schokolade! Wie eigens für uns vom Himmel gefallen. Nie zuvor haben wir uns über so etwas je so gefreut! Ratzeputz – gleich ist sie weg…
    Der Charpoua-Gletscher ist wild zerrissen. Die Steigeisen sind wichtig, der eine Pickel sehr nützlich. Noch immer ist volle Konzentration gefragt, auch hier darf kein Fehler passieren.
    Dann endlich die Hütte! Allmählich fällt alles von uns ab, wir sind nur noch müde und glücklich.

    LG

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    • #3
      AW: Petit Dru Nordwand, V+, A1; Montblancgebiet, 27.7.1983

      Bitte mehr davon!!!

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      • #4
        AW: Petit Dru Nordwand, V+, A1; Montblancgebiet, 27.7.1983

        Oh ja,
        ein ganz feiner Bericht!
        Danke vielmals!
        Hat viele Erinnerungen (auch an unerfüllte Sehnsüchte) erweckt..............
        Diese Tour ist auch lange auf meinem geistigen Wunschzettel gestanden, aber dann - wie ich endlich zu diesem Berg gekommen bin - hat es eben etwas anderes (weiter rechts) sein müssen.
        Und für einen zweiten Besuch hat eben die Energie (und die Bereitschaft zu noch einmal Leiden!) gefehlt.
        Jetzt geht `s nimmer.
        Schade.

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        • #5
          AW: Petit Dru Nordwand, V+, A1; Montblancgebiet, 27.7.1983

          Vielen Dank für den Bericht. Bei der Dru habe ich immer Angst, dass sie irgendwann gar nicht mehr besteigbar ist.
          "Glück, das kann schon sein: man hat es fast hinter sich und einen Schluck Wasser noch dazu." (Malte Roeper)

          https://www.instagram.com/grandcapucin38/

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          • #6
            AW: Petit Dru Nordwand, V+, A1; Montblancgebiet, 27.7.1983

            Großartig... Daran kann man sich nie sattsehen/lesen!
            carpe diem!
            www.instagram.com/bildervondraussen/

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            • #7
              AW: Petit Dru Nordwand, V+, A1; Montblancgebiet, 27.7.1983

              Wow, toll!
              Danke, dass du uns immer wieder an deinen Abenteuern teilhaben lässt!

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              • #8
                AW: Petit Dru Nordwand, V+, A1; Montblancgebiet, 27.7.1983

                Wow - danke für's Anteilhabenlassen!
                [CENTER]Teilt eure Outdoor Erlebnisse auf:
                [url]www.facebook.com/peakpic[/url]
                Wir würden uns über einen Besuch freuen![/CENTER]

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                • #9
                  AW: Petit Dru Nordwand, V+, A1; Montblancgebiet, 27.7.1983

                  Da profitieren wir also davon, daß Du in Deinen Aktivitäten eingeschränkt bist.
                  Des einen Leid, der andern Freud.
                  Danke für diesen spannenden und anschaulichen Bericht.
                  Hut ab!

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                  • #10
                    AW: Petit Dru Nordwand, V+, A1; Montblancgebiet, 27.7.1983


                    BIST DU DEPPAD !!!

                    but i see direct lines

                    Kommentar


                    • #11
                      AW: Petit Dru Nordwand, V+, A1; Montblancgebiet, 27.7.1983

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                      • #12
                        AW: Petit Dru Nordwand, V+, A1; Montblancgebiet, 27.7.1983

                        super geschrieben, danke für den bericht!
                        tu was du willst, aber tu was!!!

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                        • #13
                          AW: Petit Dru Nordwand, V+, A1; Montblancgebiet, 27.7.1983

                          Ganz, ganz feiner Bericht. Ich bin begeistert.
                          Berge von unten, Kirchen von aussen, Wirtshäuser von innen.

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                          • #14
                            AW: Petit Dru Nordwand, V+, A1; Montblancgebiet, 27.7.1983

                            Und ich habe mich schon häufiger gefragt, wann die nächsten Dias gescannt werden und hier ein weiterer Bericht aus den "wilden 80ern" erscheint

                            Das Ergebnis ist wieder einmal erste Sahne! Danke für die Arbeit! Einer der ersten Berichte, die ich von Dir gelesen habe, war "Bergerlebnisse mit Krücken". Er gehört übrigens immernoch zu einem meiner Lieblingsberichte hier im Forum. Als ich dann später auf die zahlreichen Nostalgieberichte aufmerksam geworden bin, konnte ich langsam ansatzweise erahnen, was Dir die Berge bedeuten. Danke für das Teilhabenlassen und bitte weiterhin mehr davon
                            "Meine Spur ziehe ich am liebsten, wohin keine andere führt. Ich kann zurückblicken und sie beurteilen, was ich sonst nicht könnte, weil sie sich durch die vielen anderen verlieren würde.
                            Auch mein Leben will ich unter Kontrolle haben. Darum gehe ich einen eigenen Weg, dem nicht jeder folgt." (Heini Holzer)

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                            • #15
                              AW: Petit Dru Nordwand, V+, A1; Montblancgebiet, 27.7.1983

                              Ganz herzlichen Dank.
                              Die Nostalgieberiche lese ich mit am liebsten in diesem Forum, noch dazu wenn sie so toll geschrieben, und von so anschaulichen Fotos begleitet werden.

                              An diese Tour hätte ich mich zwar damals nicht dran getraut, aber trotzdem kommen Jugenderinnerungen auf, und irgendwie fühlt man sich für einen Moment wieder dreißig Jahre jünger.
                              Und auch für diese kurze Zeitreise ganz herzlichen Dank.

                              Roman

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