Es gibt zwei Arten von Führern - normale und solche, die so sehr inspirieren, dass sie das Potential haben die Sicht aufs Bergsteigen und Klettern zu verändern. Das bekannteste Buch der zweiten Kategorie im deutschsprachigen Raum ist „Im extremen Fels“.
Es ist schwer zu beschreiben, was den Unterschied ausmacht. Eine gute Kombination aus Prosa und Information ist wichtig, aber nicht ausreichend. Ich habe schon so viele Führer in der Hand gehabt. Wenn man alles summiert, habe ich mit einzelnen von ihnen viele Stunden zu Hause auf der Couch verbracht und noch viel mehr Zeit in den Touren, die in ihnen beschrieben sind. Dennoch sind sie normale Führer geblieben.
Und dann hielt ich „Longlines“ in der Hand. Sofort war klar, dieses Buch gehört zur zweiten Kategorie. Allein beim Gedanken an den Begriff „Longline“ sehe ich Bilder vor mir, die die wichtigsten Emotionen des Alpinismus wiederspiegeln – Vorfreude, Angst, Erschöpfung und Glück. Ich las die Texte in Longlines, viele mehrfach, schaute mir die Topos an, dachte darüber nach, für welche Touren wir das Niveau haben sie zu klettern, welche in den nächsten Jahren vielleicht erreichbar sind und welche jenseits der Vorstellungsgrenze liegen. Oder wie es Malte Roeper so schön ausgedrückt hat: „Der Wissende aber kann über einem Topo Stunden verbringen. Er wägt Schwierigkeiten und Gefahren ab, fürchtet und besteht sie im Geiste, schätzt das benötigte Material ab. In einem Topo kann man stundenlang lesen, ohne etwas herauszufinden, was nicht schon nach einer Minute völlig klar ist. Im Grunde starrt man einfach drauf wie ein Autofreak auf die Felge eines Ferrari.“
Franzi und ich sind schon Routen geklettert, die ins Buch gepasst hätten, aber noch keine, die tatsächlich darin enthalten war. Das galt es zu ändern. Stabiles und relativ warmes Oktoberwetter sollte noch einmal die Möglichkeit geben etwas langes zu klettern. Die reichlichen Schneefälle bis weit hinab, passten nicht ganz dazu, aber südseitig müsste etwas gehen.
Nachdem wir am Samstag bis zum frühen Nachmittag in den Kitzbüheler Alpen gewandert waren, dabei die Herbstfarben genossen und die Südwand des Birnhorns mit den 45 Seillängen des Pinzgawurms bestaunt hatten, fuhren wir weiter Richtung Osten, vorbei an den im oberen Teil noch schneebedeckten Südwänden des Hochkönigs. Die Südseiten der Mannlwände sind zum Glück niedriger und waren daher aper. Am späten Nachmittag nahmen wir den kurzen Weg zur Mitterfeldalm unter die Füße. Später erkundete ich noch den ersten Teil des Zustiegs. Außer uns gab es nur zwei andere Gäste – Kletterer, die am nächsten Tag die Opera Vertical an der Torsäule klettern wollten. Ich glaube, sie waren genauso beeindruckt davon, was wir für eine lange Tour klettern wollten, wie wir davon, was sie für Schwierigkeiten überwinden würden.
Am nächsten Morgen brachen wir im Stirnlampenlicht auf. Als wir am Einstieg ankamen, begannen gerade die Nachbargipfel im ersten Morgenlicht zu leuchten. Die ersten acht Seillängen der „Wild und Köstlich“ sind die schwierigsten. Danach gibt es eine Abbruchmöglichkeit bevor es über 13 leichtere Seillängen zum Gipfel geht. Danach folgt ein langer und eher schwieriger Abstieg. Unser Plan sah vor im unteren Teil nicht zu viel Zeit liegen zu lassen, um oben dann Geschwindigkeit aufzunehmen. Oktober-Tage sind nicht mehr allzu lang und die Abstiegsbeschreibung klang nicht danach, dass es eine gute Idee sei dort ohne Ortskenntnisse im Dunkeln absteigen zu müssen.
Gleich in der ersten Länge wurde klar, dass man eine V+ hier nicht geschenkt bekommt. Obwohl es unsere erste Precht-Tour war, hatten wir damit gerechnet. Der Ruf seiner harten Bewertungen war schon lange zu uns vorgedrungen.
Die Kletterei war schön, wenn auch stellenweise etwas gesucht. Es gab ein paar leicht brüchige Abschnitte, aber bei einer langen Tour, die grob einem Grat folgt, war damit zu rechnen. Noch ganz gut in der Zeit kam ich auf dem zweiten Turm am Ende der siebten Seillänge an. Von hier aus muss man in eine Schlucht abseilen. Es gab zwei Abseilstellen, eine rechts an einer alten Schlinge und eine links an einem neuen Stand. Im Topo war der neue Stand nicht eingezeichnet. Ich vermutete, dass er die alte Schlinge ersetzen soll und sicherte Franzi von dort nach und begann danach mit dem Abseilen. Als ich weiter nach unten kam, sah ich, dass wir von dieser Abseilstelle nicht mehr zum nächsten Stand gelangen konnten. Ich wägte die Möglichkeiten ab und kletterte dann über ein Band in Richtung des Stands, aber konnte ihn weder sehen noch de facto ungesichert erreichen. Ich war so weit aus der Falllinie geklettert, dass ich bei einem Sturz ziemlich sicher trotz des Seils auf den Schluchtgrund gefallen wäre. Ich sicherte mich an einem alten Normalhaken und rief Franzi zu, dass sie die Seile wieder hochziehen müsse und von der anderen Abseilstelle abseilen solle. Sie begann mit dieser undankbaren und anstrengenden Arbeit, während ich hilflos, auf dem breiten, aber leicht abschüssigen und feuchten Grasband stand. Die Zeit verrann, während Franzi arbeitete. Ich hatte Zeit nachzudenken, was nicht gut war. Mit jeder Minute schien der Haken weniger vertrauenserweckend und die Sorge über den Zeitverlust wuchs. Das einzige, was ich tun konnte, war einen mäßigen Friend zu legen, um diesen mit dem Normalhaken zu verbinden.
Irgendwann kam Franzi abgeseilt, war aber auch noch zu weit westlich um den Stand gut zu erreichen. Nachdem wir das Seil mit dem Friend umgelenkt hatten, kam sie endlich zum Stand. Ich entfernte den Friend und kam mit Seilzughilfe endlich auch zum Stand. Das hatte sehr, sehr viel Zeit gekostet. Wir würden den Zeitplan für den unteren Teil nicht einhalten können und die Schlüsselstelle würde erst noch kommen. Es sah nicht gut aus.
Doch dann kam Franzi. Sie rotpunktete die Schlüssellänge einfach zügig. Nun lag es an mir. Schnell kam ich zur Schlüsselstelle und hing bald im Seil. Ich schüttelte kurz aus und prüfte, ob ich etwas Wesentliches übersehen hatte. Das hatte ich nicht, so dass ich in die Schlinge griff und schnell bei Franzi war. Fürs Ausbouldern hatten wir leider keine Zeit.
Wir aßen schnell etwas und entschieden uns für den Weiterweg. Wir waren zwar hinter dem Zeitplan, aber noch eine Viertelstunde vor dem Zeitpunkt, den wir als zwingenden Grund für einen Abbruch definiert hatten. Es hätte sich auch vollkommen falsch angefühlt mittags bei bestem Wetter abzubrechen.
Die nächsten drei leichten Längen gingen wir am langen Seil, bevor wir die Seillänge auf den dritten Turm wieder sicherten. Von ihm mussten wir abseilen, aber dieses Mal sollte es keine Probleme geben. Gerade hinunter in einer breite Scharte – da konnte nichts schiefgehen. Als wir das Seil abgezogen hatten war klar, der Weg führt nur noch über den Gipfel. Nach ein paar Metern Gehgelände folgten zwei stark unterbewertete IV+-Längen. Danach passten Schwierigkeit und Topo gut zueinander. In der 18. Länge erlaubten wir uns den nächsten Fehler. Im Gegensatz zu den bisherigen Ständen, gab es an ihrem Ende nur einen Bohrhaken. Franzi hatte das im Topo übersehen und kletterte gerade den äußerst brüchigen Grat hinauf, statt Stand zu machen. Am Ende unserer Seile fand sie zum Glück die Möglichkeit einen Stand zu bauen. Von diesem schaffte ich es in einer ebenfalls sehr langen, aber relativ einfachen Seillänge mit vielen unproblematischen Schrofen auf den Gipfel.
Ziemlich genau acht Stunden nach dem Einstieg erreiche Franzi den Gipfel. Das war genau die Zeit, mit der wir gerechnet hatten. Unser Plan war aufgegangen. Wenn man unten mehr Zeit verliert, muss man oben einfach noch schneller sein. Daher leisteten wir uns die erste und einzige längere Pause der Tour. Der Respekt vor dem Abstieg sorgte dafür, dass sie nicht zu lange wurde. Nach einmaligem Abseilen auf die Nordseite stellten wir erleichtert fest, dass wir die Schneefelder umgehen bzw. umklettern konnten und dass das Band weniger schmal war als es in der Beschreibung geklungen hatte. Von der Südschluchtscharte kletterten wir entgegen der Beschreibung direkt in die Schlucht ab.
Wir waren froh, allein in der Schlucht zu sein. Stellenweise war der Fels brüchig, aber fast überall lag jede Menge Schutt herum. Es war nicht möglich keinen Steinschlag auszulösen. Oft konnte nur einer abklettern, während der andere an einem steinschlagsicheren Ort wartete. Einmal seilten wir auch ab, aber das hätten wir uns besser gespart, weil es in dem gestuften Gelände natürlich zu Seilgewirr kam.
Endlich hatten wir den Grassporn erreicht, der den Übergang aus der Schlucht auf eine zum Teil sehr steile Grasrampe vermittelt. Wir wechselten die Schuhe und stiegen nun wesentlich zügiger zum Einstieg ab, an dem wir die Stöcke deponiert hatten. Beim Einbruch der Dunkelheit hatten wir die Alm erreicht. Wir hielten uns nicht länger auf, denn nach der Tour würde eine lange Heimfahrt warten und am nächsten Morgen mussten wir früh zur Arbeit gehen. Nach 12 ¾ Stunden waren wir dank Fahrstraße ohne Stirnlampenlicht zurück am Auto. Intensive Stunden lagen hinter uns.
Die Tour hätte einen guten Abschluss der Alpinklettersaison ergeben. Doch wir hatten noch nicht genug. Einige Tage später brachen wir wieder im Stirnlampenlicht auf. Die Route der Wahl hatte drei Seillängen weniger, dafür aber einen längeren Zustieg und einen ebenfalls komplizierten Abstieg. Wieder kamen wir Dank Fahrstraße nach 12 ¾ Stunden ohne Stirnlampe in Dunkelheit am Auto an. Aber das ist eine andere Geschichte... Danach war die Saison wirklich beendet. Die letzte Möglichkeit für eine lange Klettertour verpassten wir krankheitsbedingt.
Nun warten wir auf den Sommer und trainieren dafür. Das Buch „Longlines“ ist Stammgast auf dem Couchtisch.
Es ist schwer zu beschreiben, was den Unterschied ausmacht. Eine gute Kombination aus Prosa und Information ist wichtig, aber nicht ausreichend. Ich habe schon so viele Führer in der Hand gehabt. Wenn man alles summiert, habe ich mit einzelnen von ihnen viele Stunden zu Hause auf der Couch verbracht und noch viel mehr Zeit in den Touren, die in ihnen beschrieben sind. Dennoch sind sie normale Führer geblieben.
Und dann hielt ich „Longlines“ in der Hand. Sofort war klar, dieses Buch gehört zur zweiten Kategorie. Allein beim Gedanken an den Begriff „Longline“ sehe ich Bilder vor mir, die die wichtigsten Emotionen des Alpinismus wiederspiegeln – Vorfreude, Angst, Erschöpfung und Glück. Ich las die Texte in Longlines, viele mehrfach, schaute mir die Topos an, dachte darüber nach, für welche Touren wir das Niveau haben sie zu klettern, welche in den nächsten Jahren vielleicht erreichbar sind und welche jenseits der Vorstellungsgrenze liegen. Oder wie es Malte Roeper so schön ausgedrückt hat: „Der Wissende aber kann über einem Topo Stunden verbringen. Er wägt Schwierigkeiten und Gefahren ab, fürchtet und besteht sie im Geiste, schätzt das benötigte Material ab. In einem Topo kann man stundenlang lesen, ohne etwas herauszufinden, was nicht schon nach einer Minute völlig klar ist. Im Grunde starrt man einfach drauf wie ein Autofreak auf die Felge eines Ferrari.“
Franzi und ich sind schon Routen geklettert, die ins Buch gepasst hätten, aber noch keine, die tatsächlich darin enthalten war. Das galt es zu ändern. Stabiles und relativ warmes Oktoberwetter sollte noch einmal die Möglichkeit geben etwas langes zu klettern. Die reichlichen Schneefälle bis weit hinab, passten nicht ganz dazu, aber südseitig müsste etwas gehen.
Nachdem wir am Samstag bis zum frühen Nachmittag in den Kitzbüheler Alpen gewandert waren, dabei die Herbstfarben genossen und die Südwand des Birnhorns mit den 45 Seillängen des Pinzgawurms bestaunt hatten, fuhren wir weiter Richtung Osten, vorbei an den im oberen Teil noch schneebedeckten Südwänden des Hochkönigs. Die Südseiten der Mannlwände sind zum Glück niedriger und waren daher aper. Am späten Nachmittag nahmen wir den kurzen Weg zur Mitterfeldalm unter die Füße. Später erkundete ich noch den ersten Teil des Zustiegs. Außer uns gab es nur zwei andere Gäste – Kletterer, die am nächsten Tag die Opera Vertical an der Torsäule klettern wollten. Ich glaube, sie waren genauso beeindruckt davon, was wir für eine lange Tour klettern wollten, wie wir davon, was sie für Schwierigkeiten überwinden würden.
Am nächsten Morgen brachen wir im Stirnlampenlicht auf. Als wir am Einstieg ankamen, begannen gerade die Nachbargipfel im ersten Morgenlicht zu leuchten. Die ersten acht Seillängen der „Wild und Köstlich“ sind die schwierigsten. Danach gibt es eine Abbruchmöglichkeit bevor es über 13 leichtere Seillängen zum Gipfel geht. Danach folgt ein langer und eher schwieriger Abstieg. Unser Plan sah vor im unteren Teil nicht zu viel Zeit liegen zu lassen, um oben dann Geschwindigkeit aufzunehmen. Oktober-Tage sind nicht mehr allzu lang und die Abstiegsbeschreibung klang nicht danach, dass es eine gute Idee sei dort ohne Ortskenntnisse im Dunkeln absteigen zu müssen.
Gleich in der ersten Länge wurde klar, dass man eine V+ hier nicht geschenkt bekommt. Obwohl es unsere erste Precht-Tour war, hatten wir damit gerechnet. Der Ruf seiner harten Bewertungen war schon lange zu uns vorgedrungen.
Die Kletterei war schön, wenn auch stellenweise etwas gesucht. Es gab ein paar leicht brüchige Abschnitte, aber bei einer langen Tour, die grob einem Grat folgt, war damit zu rechnen. Noch ganz gut in der Zeit kam ich auf dem zweiten Turm am Ende der siebten Seillänge an. Von hier aus muss man in eine Schlucht abseilen. Es gab zwei Abseilstellen, eine rechts an einer alten Schlinge und eine links an einem neuen Stand. Im Topo war der neue Stand nicht eingezeichnet. Ich vermutete, dass er die alte Schlinge ersetzen soll und sicherte Franzi von dort nach und begann danach mit dem Abseilen. Als ich weiter nach unten kam, sah ich, dass wir von dieser Abseilstelle nicht mehr zum nächsten Stand gelangen konnten. Ich wägte die Möglichkeiten ab und kletterte dann über ein Band in Richtung des Stands, aber konnte ihn weder sehen noch de facto ungesichert erreichen. Ich war so weit aus der Falllinie geklettert, dass ich bei einem Sturz ziemlich sicher trotz des Seils auf den Schluchtgrund gefallen wäre. Ich sicherte mich an einem alten Normalhaken und rief Franzi zu, dass sie die Seile wieder hochziehen müsse und von der anderen Abseilstelle abseilen solle. Sie begann mit dieser undankbaren und anstrengenden Arbeit, während ich hilflos, auf dem breiten, aber leicht abschüssigen und feuchten Grasband stand. Die Zeit verrann, während Franzi arbeitete. Ich hatte Zeit nachzudenken, was nicht gut war. Mit jeder Minute schien der Haken weniger vertrauenserweckend und die Sorge über den Zeitverlust wuchs. Das einzige, was ich tun konnte, war einen mäßigen Friend zu legen, um diesen mit dem Normalhaken zu verbinden.
Irgendwann kam Franzi abgeseilt, war aber auch noch zu weit westlich um den Stand gut zu erreichen. Nachdem wir das Seil mit dem Friend umgelenkt hatten, kam sie endlich zum Stand. Ich entfernte den Friend und kam mit Seilzughilfe endlich auch zum Stand. Das hatte sehr, sehr viel Zeit gekostet. Wir würden den Zeitplan für den unteren Teil nicht einhalten können und die Schlüsselstelle würde erst noch kommen. Es sah nicht gut aus.
Doch dann kam Franzi. Sie rotpunktete die Schlüssellänge einfach zügig. Nun lag es an mir. Schnell kam ich zur Schlüsselstelle und hing bald im Seil. Ich schüttelte kurz aus und prüfte, ob ich etwas Wesentliches übersehen hatte. Das hatte ich nicht, so dass ich in die Schlinge griff und schnell bei Franzi war. Fürs Ausbouldern hatten wir leider keine Zeit.
Wir aßen schnell etwas und entschieden uns für den Weiterweg. Wir waren zwar hinter dem Zeitplan, aber noch eine Viertelstunde vor dem Zeitpunkt, den wir als zwingenden Grund für einen Abbruch definiert hatten. Es hätte sich auch vollkommen falsch angefühlt mittags bei bestem Wetter abzubrechen.
Die nächsten drei leichten Längen gingen wir am langen Seil, bevor wir die Seillänge auf den dritten Turm wieder sicherten. Von ihm mussten wir abseilen, aber dieses Mal sollte es keine Probleme geben. Gerade hinunter in einer breite Scharte – da konnte nichts schiefgehen. Als wir das Seil abgezogen hatten war klar, der Weg führt nur noch über den Gipfel. Nach ein paar Metern Gehgelände folgten zwei stark unterbewertete IV+-Längen. Danach passten Schwierigkeit und Topo gut zueinander. In der 18. Länge erlaubten wir uns den nächsten Fehler. Im Gegensatz zu den bisherigen Ständen, gab es an ihrem Ende nur einen Bohrhaken. Franzi hatte das im Topo übersehen und kletterte gerade den äußerst brüchigen Grat hinauf, statt Stand zu machen. Am Ende unserer Seile fand sie zum Glück die Möglichkeit einen Stand zu bauen. Von diesem schaffte ich es in einer ebenfalls sehr langen, aber relativ einfachen Seillänge mit vielen unproblematischen Schrofen auf den Gipfel.
Ziemlich genau acht Stunden nach dem Einstieg erreiche Franzi den Gipfel. Das war genau die Zeit, mit der wir gerechnet hatten. Unser Plan war aufgegangen. Wenn man unten mehr Zeit verliert, muss man oben einfach noch schneller sein. Daher leisteten wir uns die erste und einzige längere Pause der Tour. Der Respekt vor dem Abstieg sorgte dafür, dass sie nicht zu lange wurde. Nach einmaligem Abseilen auf die Nordseite stellten wir erleichtert fest, dass wir die Schneefelder umgehen bzw. umklettern konnten und dass das Band weniger schmal war als es in der Beschreibung geklungen hatte. Von der Südschluchtscharte kletterten wir entgegen der Beschreibung direkt in die Schlucht ab.
Wir waren froh, allein in der Schlucht zu sein. Stellenweise war der Fels brüchig, aber fast überall lag jede Menge Schutt herum. Es war nicht möglich keinen Steinschlag auszulösen. Oft konnte nur einer abklettern, während der andere an einem steinschlagsicheren Ort wartete. Einmal seilten wir auch ab, aber das hätten wir uns besser gespart, weil es in dem gestuften Gelände natürlich zu Seilgewirr kam.
Endlich hatten wir den Grassporn erreicht, der den Übergang aus der Schlucht auf eine zum Teil sehr steile Grasrampe vermittelt. Wir wechselten die Schuhe und stiegen nun wesentlich zügiger zum Einstieg ab, an dem wir die Stöcke deponiert hatten. Beim Einbruch der Dunkelheit hatten wir die Alm erreicht. Wir hielten uns nicht länger auf, denn nach der Tour würde eine lange Heimfahrt warten und am nächsten Morgen mussten wir früh zur Arbeit gehen. Nach 12 ¾ Stunden waren wir dank Fahrstraße ohne Stirnlampenlicht zurück am Auto. Intensive Stunden lagen hinter uns.
Die Tour hätte einen guten Abschluss der Alpinklettersaison ergeben. Doch wir hatten noch nicht genug. Einige Tage später brachen wir wieder im Stirnlampenlicht auf. Die Route der Wahl hatte drei Seillängen weniger, dafür aber einen längeren Zustieg und einen ebenfalls komplizierten Abstieg. Wieder kamen wir Dank Fahrstraße nach 12 ¾ Stunden ohne Stirnlampe in Dunkelheit am Auto an. Aber das ist eine andere Geschichte... Danach war die Saison wirklich beendet. Die letzte Möglichkeit für eine lange Klettertour verpassten wir krankheitsbedingt.
Nun warten wir auf den Sommer und trainieren dafür. Das Buch „Longlines“ ist Stammgast auf dem Couchtisch.
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