An alle potentiellen Leserinnen und Leser: Ich muss mich schon vorab entschuldigen. Der Bericht wird lang, um nicht zu sagen, sehr lang. Ja, wahrscheinlich sogar zu lang. Sollte sich doch einer die vielen Zeilen antun, so hat er meinen höchsten Respekt für den Durchhaltewillen. Ich weiß nicht, ob ichs es geschafft hätte
Viertausendachthundertzehn Meter ist es hoch: das Dach der Alpen. Eine anziehende Zahl. Gleichsam erhaben klingt sein Name: „Mont Blanc“ - der weiße Berge. Ein Mal im Leben dort oben stehen und hinab schauen: auf das 4000m niedriger gelegene Chamonix, auf die grazilen 4000er der französischen Alpen, rüber ins Wallis, zu den Berner Alpen und noch weiter bis zu den Ostalpen. Kein Berg am Horizont, der höher ist. Die Sonne funkelnd im Gesicht - die Welt zu Füßen. Welch ambitionierter Bergsteiger kennt solche Gedanken nicht?
Doch der Reihe nach. Das erste Mal sah ich den „Monarchen“ im September 2012, als ich in den Semesterferien mit einem Freund spontan Richtung Chamonix aufbrach, um dort auf der „Tour du Mont Blanc“ den höchsten Berg der Alpen zu umrunden. Es waren überhaupt meine ersten Alpenerfahrungen und nach zwei düsteren Tagen mit Nebel, Regen und Schnee war es dann endlich soweit. Im Laufe des Vormittags rissen nach und nach die Wolken auf und als wir etwa auf Höhe des Brevent waren, erstrahlte der weiße Riese in seiner ganzen Pracht zu uns herüber. Diese gigantische Szenerie mit den Massen aus Eis und Schnee und dieser unnahbare Gipfel brannten sich mir auf ewig ein. Stundenlang schauten wir hinüber, ohne auch nur einen Funken an Faszination einzubüßen. Zaghaft begann ich währenddessen darüber nachzudenken, wie wohl die andere Perspektive - also der Blick vom Gipfel hinab in die Täler - aussähe. Ohne mir selbst darüber im Klaren zu sein, wuchs wahrscheinlich schon damals im tiefsten Inneren der Wunsch, irgendwann selbst einmal dort hinauf zu steigen.
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Ziemlich genau drei Jahre später sollte ich wiederkommen. Wir hatten die Umrundung beim ersten Anlauf nach gerade einmal einem Drittel abbrechen müssen - andere Verpflichtungen in der Heimat hatten uns einen Strich durch die Rechnung gemacht. Dieses Mal war ich mit meiner Freundin unterwegs und in der festen Absicht aufgebrochen, die Runde nun komplett zu machen. Was wir in den 14Tagen erleben durften, ist an anderer Stelle ausführlicher niedergeschrieben worden ( 2 Menschen, 2 Rucksäcke, 14Tage - Tour du Mont Blanc (Sept.2015)
.
Die Bewunderung für den Mont Blanc ist aber unterdessen nicht kleiner geworden. Ihn von seinen anderen, teils sehr schroffen und felsigen Seiten zu sehen, bei Sonne wie Schneefall, ließ die Begeisterung immer weiter ansteigen. Mittlerweile hatte ich meine Erfahrungen im Hochgebirge sukzessive ausgebaut, die ersten eigenen Hochtouren hinter mir und mit Weissmies und Alpubel zwei 4000er bestiegen. Die Ansprüche waren gestiegen - der Mont Blanc nicht mehr in unerreichbarer Ferne. Schon während unserer Tour schaute ich mir aus der Ferne die möglichen Anstiegswege an, wog ihre jeweiligen Vor- und Nachteile ab und bastelte so langsam an einem Plan, der mich irgendwann auf das Dach der Alpen bringen sollte.
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Über Wochen und Monate nahm der Entwurf immer mehr Form an. Ich holte Richard ins Boot, weihte ihn in meine Gedanken ein und bald tüftelten wir gemeinsam am Masterplan. Unserem Credo des möglichst fairen Bergsteigens folgend, schieden jegliche Seil- und Zahnradbahnen als Optionen aus. Auch den Normalweg über die Gouter- Hütte wollten wir vermeiden - zu abschreckend waren die Vorstellungen an eine in der Regel hoffnungslos überfüllte Unterkunft und an das Gedränge in Auf- und Abstieg. Nicht zuletzt sollte die Tour eine gewisse individuelle Note bekommen, ein gar nicht mal so leicht realisierbarer Wunsch an diesem Berg. An unseren alpinen Fähigkeiten orientiert entstand dann die folgende Konzeption: Ausgehend von Les Contamines im Montjoie- Tal würde es über die Domes de Miage und die Aiguille Bionnassay 4000hm hinauf auf den Mont Blanc gehen, wo uns der Weiterweg via Mont Maudit, den Mont Blanc du Tacul und das Mer de Glace zurück nach Chamonix führen sollte. Dafür wäre ein stabiles Wetterfenster von mindestens vier Tagen nötig, solide Verhältnisse am Berg, eine gute konditionelle Form und eine ausreichende Akklimatisierung, die vorab sicher eine Woche in Anspruch nähme.
Route_MontBlanc.jpg
Fürs erste verschwand dieser Plan dann direkt wieder in der Schreibtischschublade. Zu viel müsste zusammenpassen, zu viele Faktoren erfüllt sein, bis eine Umsetzung tatsächlich möglich wäre. Wann dieser Moment kommen würde? Ungewiss. Wir machten uns darauf gefasst, dass noch einige Jahre des Wartens ins Land gehen könnten. Das richtige Timing war entscheidet. Wir würden den Mont Blanc im Hinterkopf behalten, Geduld bewahren und im rechten Moment zur Stelle sein - so die Devise. Bis dahin gab es ja noch genügend andere Ziele und Träume…
ZEITSPRUNG
Nach einer kurzen und unruhigen Nacht wache ich auf, blinzle irritiert umher und brauche ein paar Sekunden, bis ich begreife, wo ich bin. Ich richte mich auf. Ein paar Sonnenstrahlen erhellen den grünen Laubwald und scheinen verstohlen durchs Fenster. An der Scheibe haben sich kleine Kondenstropfen gebildet. Ich mache die Autotür auf, lasse frische Luft herein und atme tief durch. Nur langsam vertreibt der Sauerstoff die müden Geister, an ein Aufstehen ist noch nicht zu denken. Ich bin leicht verkatert. Entgegen meiner Absichten waren es dann doch ein paar Bier - und zugegeben auch Schnäpse - zu viel auf der gestrigen Hochzeit meines Cousins. Entgegen meines aufrichtigen Vorhabens, den richtigen Absprungpunkt zu erwischen, kam ich viel zu spät in den Schlafsack. Unterdessen wacht neben mir auch Resi auf, die sich von den Feierlichkeiten schon früher zurückgezogen hatte. „War dann wohl doch etwas später gestern, hm?“ grinst sie, als sie mir in meine glasigen Augen blickt. „Da musst du jetzt durch. Und biste schon aufgeregt?“
Aufgeregt? Ach ja, da war ja noch was. Im kurzen Moment des Zögerns fällt mein Blick auf die zwei dicken Rucksäcke vorn auf dem Beifahrersitz. Ich schaue auf die Uhr. In einer Stunde kommt Richard. Er ist schon auf dem Weg hierher, um mich hier aus dem Herzen des Mühlhäuser Stadtwaldes am Landgasthof „Alter Bahnhof“ abzuholen. Gemeinsam soll es dann direkt weiter Richtung Alpen gehen - 2 Wochen Bergsteigen und Rennradeln stehen auf dem Programm. Im Nu ist die Vorfreude wieder da, alle Trägheit verflogen.
Nach einem ausgiebigen Frühstück und der Auswertung der zurückliegenden Feierlichkeiten fährt dann endlich ein dunkler Kombi mit zwei Rennrädern auf dem Dach auf dem Parkplatz vor. Wenig später steht Richard freudestrahlend in der Tür. Jetzt kann es losgehen! Keine halbe Stunde später passieren wir die thüringisch- hessischen Grenze - von nun an geht es nur noch Richtung Süden. Yeah!
Unser erstes Ziel ist der Ortler. Zwar haben die Westalpen mit ihren 4000ern Priorität, doch da Richard noch nicht akklimatisiert ist, wollen wir es zunächst gemächlicher angehen. Außerdem steht der Hintergrat schon seit langer Zeit auf unserer Liste - Modetour hin oder her. Nach einer windigen Nacht auf dem Stilfser Joch, erreichen wir am nächsten Morgen Sulden in Südtirol und brechen wenig später Richtung Hintergrathütte auf. Da zufälligerweise mein Geburtstag auf den heutigen Tag fällt, machen wir dort - entgegen unserer sonst eigentlich eher spartanischen Art - eine ausgiebige Rast und zelebrieren die fröhlichen Stunden mit einer Kanne Kaffee und Apfelstrudel. Unterdessen füllt sich die Terrasse immer mehr mit weiteren Hintergrataspiranten. Bevor es uns zu voll wird, schultern wir wieder die Rucksäcke und ziehen weiter. Für uns steht heute ein Biwak auf dem Plan.
Also steigen wir an der Ufermoräne des Suldenferners vorbei das Kar Richtung Hintergrat hinauf. An einer flacheren und steinschlagsicheren Stelle, etwa eine knappe Stunde hinter der Hütte, beziehen wir auf ca. 2850m Quartier.
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Der Untergrund erweist sich schnell als unbequemer als erwartet. Hätten wir doch eher die bequemere Hütte vorziehen sollen?
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Es folgt eine intensive Stunde des Steineschleppens und Tüftelns, in der wir uns eine möglichst ebene Liegefläche zusammenpuzzeln. So recht mag uns das nicht gelingen. Irgendwann geben wir auf. Erholsamen Schlaf werden wir heut eh nicht finden. Also nutzen wir die restliche Helligkeit des Tages zum Kochen und Trinken. Immer wieder streift dabei unser Blick hinüber zur Königspitze. Was war das doch für eine tolle Tour vor 2 Jahren Anfang Mai, als wir zum Sonnenaufgang dem Gipfel entgegen gestapft sind. Im Schatten der düsteren Nordwand schauen wir nun wieder demütig dort hinauf. Wer hätte sich damals träumen lassen, dass wir so schnell wiederkommen würden…
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Mit dem Sonnenuntergang verschwinden wir in die Schlafsäcke - im Mondschein kreisen die Gedanken weiter. Was der morgige Tag wohl bringen wird? Geht alles glatt? Keine Tour ist ein Selbstläufer, schiefgehen kann immer was. Irgendwann schlafe ich endlich ein.
Um 3Uhr klingelt der Wecker. Wortlos packen wir die feuchten Schlafsäcke zusammen, beleben uns mit heißem Kaffee und würgen schnell zwei Riegel herunter. Dann steigen wir auch schon in völliger Dunkelheit dem Gipfel entgegen.
Während wir weiter das steile Kar aufsteigen, leuchten bald in ausreichender Entfernung die ersten Stirnlampen zu uns herauf. Am Oberen Knott angelangt, beginnt es zu dämmern.
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Wenig später treffen die ersten Lichtstrahlen die Königspitze. Für wenige Minuten erscheint sie wie in rosa Kleid gehüllt und offenbart dabei ihre ganze majestätische Pracht. Ich komme nicht umhin, stehenzubleiben und minutenlang wie gebannt hinüber zu schauen. Auch wenn solche Betrachtungen immer sehr subjektiv sind: spätestens in diesem Moment ist für mich klar - die Königspitze ist der schönste Berg der Ostalpen.
DSCF4045.JPG
Erst als von hinten die erste nachfolgende Seilschaft zu uns aufschließt, kann ich mich von diesem Anblick losreißen. Die beiden Jungs sind schnell und werden an diesem Tag die ersten auf dem Ortler sein. Sie grüßen freundlich und ziehen dann am ersten Schneefeld an uns vorbei.
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Wir gehen in unserem Tempo weiter, schließlich liegen wir gut in der Zeit und nach uns kommt erstmal nichts. Also bleibt auch weiterhin Zeit für kleinere Fotopausen. Mittlerweile hat sich das rosa zu einem orange verwandelt. Eine traumhafte Kulisse!
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Drüben am kleinen Zebru thront das Cantu- Biwak auf einem Felsvorsprung. Bei der Aussicht werde ich da um eine Nacht sicher früher oder später auch nicht drumherum kommen…
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Bald darauf sind wir am Signalkopf angekommen. Wir umgehen ihn links in einer Rinne und kommen wenig später wieder auf den Grat zurück. Als wir uns nochmal umdrehen, sehen wir, wie sich die vorausgegangene Seilschaft vom Signalkopf abseilt. Sie haben sich verstiegen und verlieren nun unnötig Zeit. Zu allem Überfluss verheddert sich beim Abziehen ihr Seil, sodass es in einer wilden Aktion von 60 auf 30m gekürzt werden muss. Schade drum.
Als nächstes steht nun die Schlüsselstelle der Tour an. Wir schauen uns das erstmal bei den Jungs vor uns an.
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Sicherheitshalber packen wir nun das Seil aus und ich steige vor. Der nach links abdrängende Riss ist schwerer zu klettern als erwartet. Gute Tritte sind rar und die Griffe speckig. Ohne Handschuhe und mit ein bisschen Probieren geht es dann aber doch. Richard tut sich leichter und steht bald wieder neben mir. Nun geht’s am laufenden Seil weiter. Bald kommt der nächste Firnhang (bis 40°), dann folgen wir wieder dem Grat (II- III, eine Stelle IV- ). Die Abwechslung lässt keine Monotonie aufkommen. Die Ausgesetztheit nehmen wir gar nicht so wahr. Nur wenn wir hin und wieder mal zurückschauen, wird uns die Dimension dieses Grates bewusst.
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Viertausendachthundertzehn Meter ist es hoch: das Dach der Alpen. Eine anziehende Zahl. Gleichsam erhaben klingt sein Name: „Mont Blanc“ - der weiße Berge. Ein Mal im Leben dort oben stehen und hinab schauen: auf das 4000m niedriger gelegene Chamonix, auf die grazilen 4000er der französischen Alpen, rüber ins Wallis, zu den Berner Alpen und noch weiter bis zu den Ostalpen. Kein Berg am Horizont, der höher ist. Die Sonne funkelnd im Gesicht - die Welt zu Füßen. Welch ambitionierter Bergsteiger kennt solche Gedanken nicht?
Doch der Reihe nach. Das erste Mal sah ich den „Monarchen“ im September 2012, als ich in den Semesterferien mit einem Freund spontan Richtung Chamonix aufbrach, um dort auf der „Tour du Mont Blanc“ den höchsten Berg der Alpen zu umrunden. Es waren überhaupt meine ersten Alpenerfahrungen und nach zwei düsteren Tagen mit Nebel, Regen und Schnee war es dann endlich soweit. Im Laufe des Vormittags rissen nach und nach die Wolken auf und als wir etwa auf Höhe des Brevent waren, erstrahlte der weiße Riese in seiner ganzen Pracht zu uns herüber. Diese gigantische Szenerie mit den Massen aus Eis und Schnee und dieser unnahbare Gipfel brannten sich mir auf ewig ein. Stundenlang schauten wir hinüber, ohne auch nur einen Funken an Faszination einzubüßen. Zaghaft begann ich währenddessen darüber nachzudenken, wie wohl die andere Perspektive - also der Blick vom Gipfel hinab in die Täler - aussähe. Ohne mir selbst darüber im Klaren zu sein, wuchs wahrscheinlich schon damals im tiefsten Inneren der Wunsch, irgendwann selbst einmal dort hinauf zu steigen.
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Ziemlich genau drei Jahre später sollte ich wiederkommen. Wir hatten die Umrundung beim ersten Anlauf nach gerade einmal einem Drittel abbrechen müssen - andere Verpflichtungen in der Heimat hatten uns einen Strich durch die Rechnung gemacht. Dieses Mal war ich mit meiner Freundin unterwegs und in der festen Absicht aufgebrochen, die Runde nun komplett zu machen. Was wir in den 14Tagen erleben durften, ist an anderer Stelle ausführlicher niedergeschrieben worden ( 2 Menschen, 2 Rucksäcke, 14Tage - Tour du Mont Blanc (Sept.2015)
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Die Bewunderung für den Mont Blanc ist aber unterdessen nicht kleiner geworden. Ihn von seinen anderen, teils sehr schroffen und felsigen Seiten zu sehen, bei Sonne wie Schneefall, ließ die Begeisterung immer weiter ansteigen. Mittlerweile hatte ich meine Erfahrungen im Hochgebirge sukzessive ausgebaut, die ersten eigenen Hochtouren hinter mir und mit Weissmies und Alpubel zwei 4000er bestiegen. Die Ansprüche waren gestiegen - der Mont Blanc nicht mehr in unerreichbarer Ferne. Schon während unserer Tour schaute ich mir aus der Ferne die möglichen Anstiegswege an, wog ihre jeweiligen Vor- und Nachteile ab und bastelte so langsam an einem Plan, der mich irgendwann auf das Dach der Alpen bringen sollte.
DSCF9901.JPG
Über Wochen und Monate nahm der Entwurf immer mehr Form an. Ich holte Richard ins Boot, weihte ihn in meine Gedanken ein und bald tüftelten wir gemeinsam am Masterplan. Unserem Credo des möglichst fairen Bergsteigens folgend, schieden jegliche Seil- und Zahnradbahnen als Optionen aus. Auch den Normalweg über die Gouter- Hütte wollten wir vermeiden - zu abschreckend waren die Vorstellungen an eine in der Regel hoffnungslos überfüllte Unterkunft und an das Gedränge in Auf- und Abstieg. Nicht zuletzt sollte die Tour eine gewisse individuelle Note bekommen, ein gar nicht mal so leicht realisierbarer Wunsch an diesem Berg. An unseren alpinen Fähigkeiten orientiert entstand dann die folgende Konzeption: Ausgehend von Les Contamines im Montjoie- Tal würde es über die Domes de Miage und die Aiguille Bionnassay 4000hm hinauf auf den Mont Blanc gehen, wo uns der Weiterweg via Mont Maudit, den Mont Blanc du Tacul und das Mer de Glace zurück nach Chamonix führen sollte. Dafür wäre ein stabiles Wetterfenster von mindestens vier Tagen nötig, solide Verhältnisse am Berg, eine gute konditionelle Form und eine ausreichende Akklimatisierung, die vorab sicher eine Woche in Anspruch nähme.
Route_MontBlanc.jpg
Fürs erste verschwand dieser Plan dann direkt wieder in der Schreibtischschublade. Zu viel müsste zusammenpassen, zu viele Faktoren erfüllt sein, bis eine Umsetzung tatsächlich möglich wäre. Wann dieser Moment kommen würde? Ungewiss. Wir machten uns darauf gefasst, dass noch einige Jahre des Wartens ins Land gehen könnten. Das richtige Timing war entscheidet. Wir würden den Mont Blanc im Hinterkopf behalten, Geduld bewahren und im rechten Moment zur Stelle sein - so die Devise. Bis dahin gab es ja noch genügend andere Ziele und Träume…
ZEITSPRUNG
Nach einer kurzen und unruhigen Nacht wache ich auf, blinzle irritiert umher und brauche ein paar Sekunden, bis ich begreife, wo ich bin. Ich richte mich auf. Ein paar Sonnenstrahlen erhellen den grünen Laubwald und scheinen verstohlen durchs Fenster. An der Scheibe haben sich kleine Kondenstropfen gebildet. Ich mache die Autotür auf, lasse frische Luft herein und atme tief durch. Nur langsam vertreibt der Sauerstoff die müden Geister, an ein Aufstehen ist noch nicht zu denken. Ich bin leicht verkatert. Entgegen meiner Absichten waren es dann doch ein paar Bier - und zugegeben auch Schnäpse - zu viel auf der gestrigen Hochzeit meines Cousins. Entgegen meines aufrichtigen Vorhabens, den richtigen Absprungpunkt zu erwischen, kam ich viel zu spät in den Schlafsack. Unterdessen wacht neben mir auch Resi auf, die sich von den Feierlichkeiten schon früher zurückgezogen hatte. „War dann wohl doch etwas später gestern, hm?“ grinst sie, als sie mir in meine glasigen Augen blickt. „Da musst du jetzt durch. Und biste schon aufgeregt?“
Aufgeregt? Ach ja, da war ja noch was. Im kurzen Moment des Zögerns fällt mein Blick auf die zwei dicken Rucksäcke vorn auf dem Beifahrersitz. Ich schaue auf die Uhr. In einer Stunde kommt Richard. Er ist schon auf dem Weg hierher, um mich hier aus dem Herzen des Mühlhäuser Stadtwaldes am Landgasthof „Alter Bahnhof“ abzuholen. Gemeinsam soll es dann direkt weiter Richtung Alpen gehen - 2 Wochen Bergsteigen und Rennradeln stehen auf dem Programm. Im Nu ist die Vorfreude wieder da, alle Trägheit verflogen.
Nach einem ausgiebigen Frühstück und der Auswertung der zurückliegenden Feierlichkeiten fährt dann endlich ein dunkler Kombi mit zwei Rennrädern auf dem Dach auf dem Parkplatz vor. Wenig später steht Richard freudestrahlend in der Tür. Jetzt kann es losgehen! Keine halbe Stunde später passieren wir die thüringisch- hessischen Grenze - von nun an geht es nur noch Richtung Süden. Yeah!
Unser erstes Ziel ist der Ortler. Zwar haben die Westalpen mit ihren 4000ern Priorität, doch da Richard noch nicht akklimatisiert ist, wollen wir es zunächst gemächlicher angehen. Außerdem steht der Hintergrat schon seit langer Zeit auf unserer Liste - Modetour hin oder her. Nach einer windigen Nacht auf dem Stilfser Joch, erreichen wir am nächsten Morgen Sulden in Südtirol und brechen wenig später Richtung Hintergrathütte auf. Da zufälligerweise mein Geburtstag auf den heutigen Tag fällt, machen wir dort - entgegen unserer sonst eigentlich eher spartanischen Art - eine ausgiebige Rast und zelebrieren die fröhlichen Stunden mit einer Kanne Kaffee und Apfelstrudel. Unterdessen füllt sich die Terrasse immer mehr mit weiteren Hintergrataspiranten. Bevor es uns zu voll wird, schultern wir wieder die Rucksäcke und ziehen weiter. Für uns steht heute ein Biwak auf dem Plan.
Also steigen wir an der Ufermoräne des Suldenferners vorbei das Kar Richtung Hintergrat hinauf. An einer flacheren und steinschlagsicheren Stelle, etwa eine knappe Stunde hinter der Hütte, beziehen wir auf ca. 2850m Quartier.
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Der Untergrund erweist sich schnell als unbequemer als erwartet. Hätten wir doch eher die bequemere Hütte vorziehen sollen?
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Es folgt eine intensive Stunde des Steineschleppens und Tüftelns, in der wir uns eine möglichst ebene Liegefläche zusammenpuzzeln. So recht mag uns das nicht gelingen. Irgendwann geben wir auf. Erholsamen Schlaf werden wir heut eh nicht finden. Also nutzen wir die restliche Helligkeit des Tages zum Kochen und Trinken. Immer wieder streift dabei unser Blick hinüber zur Königspitze. Was war das doch für eine tolle Tour vor 2 Jahren Anfang Mai, als wir zum Sonnenaufgang dem Gipfel entgegen gestapft sind. Im Schatten der düsteren Nordwand schauen wir nun wieder demütig dort hinauf. Wer hätte sich damals träumen lassen, dass wir so schnell wiederkommen würden…
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Mit dem Sonnenuntergang verschwinden wir in die Schlafsäcke - im Mondschein kreisen die Gedanken weiter. Was der morgige Tag wohl bringen wird? Geht alles glatt? Keine Tour ist ein Selbstläufer, schiefgehen kann immer was. Irgendwann schlafe ich endlich ein.
Um 3Uhr klingelt der Wecker. Wortlos packen wir die feuchten Schlafsäcke zusammen, beleben uns mit heißem Kaffee und würgen schnell zwei Riegel herunter. Dann steigen wir auch schon in völliger Dunkelheit dem Gipfel entgegen.
Während wir weiter das steile Kar aufsteigen, leuchten bald in ausreichender Entfernung die ersten Stirnlampen zu uns herauf. Am Oberen Knott angelangt, beginnt es zu dämmern.
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Wenig später treffen die ersten Lichtstrahlen die Königspitze. Für wenige Minuten erscheint sie wie in rosa Kleid gehüllt und offenbart dabei ihre ganze majestätische Pracht. Ich komme nicht umhin, stehenzubleiben und minutenlang wie gebannt hinüber zu schauen. Auch wenn solche Betrachtungen immer sehr subjektiv sind: spätestens in diesem Moment ist für mich klar - die Königspitze ist der schönste Berg der Ostalpen.
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Erst als von hinten die erste nachfolgende Seilschaft zu uns aufschließt, kann ich mich von diesem Anblick losreißen. Die beiden Jungs sind schnell und werden an diesem Tag die ersten auf dem Ortler sein. Sie grüßen freundlich und ziehen dann am ersten Schneefeld an uns vorbei.
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Wir gehen in unserem Tempo weiter, schließlich liegen wir gut in der Zeit und nach uns kommt erstmal nichts. Also bleibt auch weiterhin Zeit für kleinere Fotopausen. Mittlerweile hat sich das rosa zu einem orange verwandelt. Eine traumhafte Kulisse!
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Drüben am kleinen Zebru thront das Cantu- Biwak auf einem Felsvorsprung. Bei der Aussicht werde ich da um eine Nacht sicher früher oder später auch nicht drumherum kommen…
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Bald darauf sind wir am Signalkopf angekommen. Wir umgehen ihn links in einer Rinne und kommen wenig später wieder auf den Grat zurück. Als wir uns nochmal umdrehen, sehen wir, wie sich die vorausgegangene Seilschaft vom Signalkopf abseilt. Sie haben sich verstiegen und verlieren nun unnötig Zeit. Zu allem Überfluss verheddert sich beim Abziehen ihr Seil, sodass es in einer wilden Aktion von 60 auf 30m gekürzt werden muss. Schade drum.
Als nächstes steht nun die Schlüsselstelle der Tour an. Wir schauen uns das erstmal bei den Jungs vor uns an.
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Sicherheitshalber packen wir nun das Seil aus und ich steige vor. Der nach links abdrängende Riss ist schwerer zu klettern als erwartet. Gute Tritte sind rar und die Griffe speckig. Ohne Handschuhe und mit ein bisschen Probieren geht es dann aber doch. Richard tut sich leichter und steht bald wieder neben mir. Nun geht’s am laufenden Seil weiter. Bald kommt der nächste Firnhang (bis 40°), dann folgen wir wieder dem Grat (II- III, eine Stelle IV- ). Die Abwechslung lässt keine Monotonie aufkommen. Die Ausgesetztheit nehmen wir gar nicht so wahr. Nur wenn wir hin und wieder mal zurückschauen, wird uns die Dimension dieses Grates bewusst.
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