Hallo,
bin vorgestern aus dem Wallis ins flache Münsterland zurückgekehrt und bereite gerade meinen Bericht zu den oben genannten Gipfeln vor. Der Westalpenfreak hat ja schon beeindruckende Sachen zum Finsteraarhorn gepostet. Vor dem eigentlichen Tourenbericht würde ich aber gerne noch meine Gedanken zum Jungfrau-Unglück loswerden, das mich (vor allem am Finsteraarhorn) doch ziemlich beschäftigt hat.
Also:
Der Ünglückstag an der Jungfrau war genau der ursprünglich geplante Gipfeltag unserer Dreiergruppe. Wegen des schlechtern Wetters in den Berner Alpen haben wir uns (nicht zuletzt durch Einflussnahme von rene6768) für die Britanniahütte und das Strahlhorn entschieden. Ich kann mich noch gut an den Unglücksmorgen des 12.7. erinnern. Ursprünglich wollten wir noch den Hohlaubgrat am Allalinhorn angehen, ich war aber nach 12 Stunden "Strahlhorn im Nebel" ziemlich kaputt und die beiden anderen sind schließlich auch nicht gegangen. Der Morgen war kristallklar, ich habe Dutzende Fotos von der Allalin- und Mischabelgruppe geschossen und die vielen Seilschaften beneidet, die zum Strahlhorn unterwegs waren, weil sie das Gipfelpanorama haben würden, das wir am Vortag nicht hatten.
Später im Tal hörten wir dann die Nachricht vom Jungfrau-Unglück. Es war schon beklemmend, zu wissen, dass man selber mit nicht geringer Wahrscheinlichkeit auch am Unfallort gewesen wäre (als Opfer oder Zeuge), wenn wir die Tour wie geplant durchgezogen hätten...
Einen Tag später bin ich mit sehr gemischten Gefühlen vom Fieschertal Richtung Konkordiahütten gestartet um mich mit Andreas (aka Westalpenfreak) und seinem Bekannten fürs Finsteraarhorn zu treffen. Überall Werbetafeln, Flaggen und Postkarten mit dem Wort "Jungfrau". Ein (nicht ganz kleiner) Teil von mir dachte: "Bist du eigentlich total bescheuert, diese liebliche Welt mit duftenden Wiesen, bunten Blumen, zwitschernden Vögeln und rauschenden Bächen zu verlassen, nur um dich zu Fuß über 3000 Höhenmeter in eine Welt zu wuchten, die nicht nur kalt, karg und windig ist, sondern ganz offensichtlich auch lebensgefährlich? Lohnt der Satz 'Hey, Leute, ich war auf dem Finsteraarhorn!' diesen Aufwand und vor allem dieses Risiko?" Und doch bin ich aufgestiegen. Von den Konkordiahütten konnte man wunderschön die Jungfrau sehen - aber für mich war diese Schönheit in diesem Monment nur die Tarnung eines Killers. Als Naturwissenschaftler war/ist mir die Irrationalität dieser Gedanken schon klar - sie kamen einfach. Am nächsten Tag sah ich dann das Finsteraarhorn von der Grünhornlücke aus und dachte: "Mann, gewaltig! Ist der nicht doch zu heftig? Kann ich den Gipfelgrat schaffen? Stehe ich übermorgen in den Zeitungen? Was ist, wenn die beiden anderen durch mein Unvermögen zu Schaden kommen? Sollte ich nicht lieber bei den Blumen sein?" Mein 8000er-Erfolg vor zwei Jahren kam mir gar nicht in den Sinn, das war auch eine andere Sportart...
Am Gipfelgrat konnte bei mir von "Genusskletterei" jedenfalls keine Rede sein, auch wenn das Gelände natürlich nicht wirklich schwierig war. Das Gefühl, dass hier für Fehler die Todesstrafe verhängt würde, wirkte nicht gerade entspannend, sorgte aber auf der anderen Seite natürlich für die nötige Konzentration. Gedanken wie "Wenn dich hier deine Freunde/Kollegen/Schüler sehen könnten...", "Mach keinen Scheiß im Gneis!" und "Das musst du auch alles wieder zurückklettern..." begleiteten mich. Am Gipfel war keinerlei Euphorie (trotz des genialen Panoramas) und auch nach dem Abstieg überwog eher das Gefühl "Gut, dass ich da wieder heile herunter gekommen bin!" Der Westalpenfreak und manch andere Forumsteilnehmer sehen das sicher viel entspannter aber für mich war die Aktion doch schon recht nahe an der persönlichen "Heftigkeitsgrenze", weil ich ja sonst eher die Schneelatschberge a la Strahlhorn angehe. Das Jungfrau-Unglück hat bei meiner Gemütsverfassung sicher auch eine Rolle gespielt. Wir hätten danach natürlich auch noch zur Jungfrau gehen können. Im Nachhinein kann man sich fragen, warum wir eigentlich nicht von der Finsteraarhornhütte zur Mönchsjochhütte gegangen sind um am nächsten Tag die Jungfrau zu versuchen. Die äußeren Verhältnisse waren nahezu optimal. Für mich kann ich aber sagen, dass die "inneren Verhältnisse" nicht gepasst haben. Vor der Unfallstelle hatte ich vorher schon großen Respekt und ich war gerade heilfroh, dass am Finsteraarhorn alles gut gegangen war. Es wäre wohl keine Genussbesteigung geworden...
Vorgestern abend habe ich auf der Rückfahrt in der Nähe von Interlaken noch kurz die Jungfrau gesehen. Wäre schon ein schönes Gefühl gewesen, diesen Berg bestiegen zu haben, aber seit diesem Sommer ist die Jungfrau in meinem Kopf der Berg, der die wiedersprüchlichsten Gedanken hervorruft, womit sie das Matterhorn verdrängt hat. Ich weiß nicht, ob sich ein derartiger "Knoten im Kopf" durch eine Besteigung lösen lässt. In diesem Zusammenhang würde mich die Meinung anderer Jungfrau-Aspiranten bzw. -Besteiger interessieren, auch wie sie mit der Unglücksnachricht umgegangen sind.
So, der Beitrag war zugegebenermaßen teilweise off-topic, musste aber irgendwie raus aus meiner Birne - ein "richtiger" Tourenbericht folgt...
LG
Klaas
PS: Wäre ich z.B. vom Finsteraarhorn abgestürzt und man hätte mir dann im Himmel (bzw. in der Hölle) gesagt "Selber schuld!", dann würde ich das akzeptieren. Schließlich habe ich mir bewusst ein Hobby mit relativ hohem Restrisiko gewählt, ich hätte ja auch Schachspieler werden können. Gegenüber den Hinterbliebenen finde ich "Selber schuld!" aber höchst unpassend - es gibt Wahrheiten, die besser nicht ausgesprochen werden. Man sagt den Angehörigen von Selbstmördern ja auch nicht "Selber schuld, wenn er sich vor den Zug wirft!".
In diesem Zusammenhang (Bergtod und Angehörige) empfehle ich das Buch "Extrem" von Maria Coffey und zwei Zitate: "Besser ein lebender Esel als ein toter Tiger" (Ernest Shackleton) und "Es gehört verdammt viel Mut dazu ein Feigling zu sein" (Harry Gregg).
bin vorgestern aus dem Wallis ins flache Münsterland zurückgekehrt und bereite gerade meinen Bericht zu den oben genannten Gipfeln vor. Der Westalpenfreak hat ja schon beeindruckende Sachen zum Finsteraarhorn gepostet. Vor dem eigentlichen Tourenbericht würde ich aber gerne noch meine Gedanken zum Jungfrau-Unglück loswerden, das mich (vor allem am Finsteraarhorn) doch ziemlich beschäftigt hat.
Also:
Der Ünglückstag an der Jungfrau war genau der ursprünglich geplante Gipfeltag unserer Dreiergruppe. Wegen des schlechtern Wetters in den Berner Alpen haben wir uns (nicht zuletzt durch Einflussnahme von rene6768) für die Britanniahütte und das Strahlhorn entschieden. Ich kann mich noch gut an den Unglücksmorgen des 12.7. erinnern. Ursprünglich wollten wir noch den Hohlaubgrat am Allalinhorn angehen, ich war aber nach 12 Stunden "Strahlhorn im Nebel" ziemlich kaputt und die beiden anderen sind schließlich auch nicht gegangen. Der Morgen war kristallklar, ich habe Dutzende Fotos von der Allalin- und Mischabelgruppe geschossen und die vielen Seilschaften beneidet, die zum Strahlhorn unterwegs waren, weil sie das Gipfelpanorama haben würden, das wir am Vortag nicht hatten.
Später im Tal hörten wir dann die Nachricht vom Jungfrau-Unglück. Es war schon beklemmend, zu wissen, dass man selber mit nicht geringer Wahrscheinlichkeit auch am Unfallort gewesen wäre (als Opfer oder Zeuge), wenn wir die Tour wie geplant durchgezogen hätten...
Einen Tag später bin ich mit sehr gemischten Gefühlen vom Fieschertal Richtung Konkordiahütten gestartet um mich mit Andreas (aka Westalpenfreak) und seinem Bekannten fürs Finsteraarhorn zu treffen. Überall Werbetafeln, Flaggen und Postkarten mit dem Wort "Jungfrau". Ein (nicht ganz kleiner) Teil von mir dachte: "Bist du eigentlich total bescheuert, diese liebliche Welt mit duftenden Wiesen, bunten Blumen, zwitschernden Vögeln und rauschenden Bächen zu verlassen, nur um dich zu Fuß über 3000 Höhenmeter in eine Welt zu wuchten, die nicht nur kalt, karg und windig ist, sondern ganz offensichtlich auch lebensgefährlich? Lohnt der Satz 'Hey, Leute, ich war auf dem Finsteraarhorn!' diesen Aufwand und vor allem dieses Risiko?" Und doch bin ich aufgestiegen. Von den Konkordiahütten konnte man wunderschön die Jungfrau sehen - aber für mich war diese Schönheit in diesem Monment nur die Tarnung eines Killers. Als Naturwissenschaftler war/ist mir die Irrationalität dieser Gedanken schon klar - sie kamen einfach. Am nächsten Tag sah ich dann das Finsteraarhorn von der Grünhornlücke aus und dachte: "Mann, gewaltig! Ist der nicht doch zu heftig? Kann ich den Gipfelgrat schaffen? Stehe ich übermorgen in den Zeitungen? Was ist, wenn die beiden anderen durch mein Unvermögen zu Schaden kommen? Sollte ich nicht lieber bei den Blumen sein?" Mein 8000er-Erfolg vor zwei Jahren kam mir gar nicht in den Sinn, das war auch eine andere Sportart...
Am Gipfelgrat konnte bei mir von "Genusskletterei" jedenfalls keine Rede sein, auch wenn das Gelände natürlich nicht wirklich schwierig war. Das Gefühl, dass hier für Fehler die Todesstrafe verhängt würde, wirkte nicht gerade entspannend, sorgte aber auf der anderen Seite natürlich für die nötige Konzentration. Gedanken wie "Wenn dich hier deine Freunde/Kollegen/Schüler sehen könnten...", "Mach keinen Scheiß im Gneis!" und "Das musst du auch alles wieder zurückklettern..." begleiteten mich. Am Gipfel war keinerlei Euphorie (trotz des genialen Panoramas) und auch nach dem Abstieg überwog eher das Gefühl "Gut, dass ich da wieder heile herunter gekommen bin!" Der Westalpenfreak und manch andere Forumsteilnehmer sehen das sicher viel entspannter aber für mich war die Aktion doch schon recht nahe an der persönlichen "Heftigkeitsgrenze", weil ich ja sonst eher die Schneelatschberge a la Strahlhorn angehe. Das Jungfrau-Unglück hat bei meiner Gemütsverfassung sicher auch eine Rolle gespielt. Wir hätten danach natürlich auch noch zur Jungfrau gehen können. Im Nachhinein kann man sich fragen, warum wir eigentlich nicht von der Finsteraarhornhütte zur Mönchsjochhütte gegangen sind um am nächsten Tag die Jungfrau zu versuchen. Die äußeren Verhältnisse waren nahezu optimal. Für mich kann ich aber sagen, dass die "inneren Verhältnisse" nicht gepasst haben. Vor der Unfallstelle hatte ich vorher schon großen Respekt und ich war gerade heilfroh, dass am Finsteraarhorn alles gut gegangen war. Es wäre wohl keine Genussbesteigung geworden...
Vorgestern abend habe ich auf der Rückfahrt in der Nähe von Interlaken noch kurz die Jungfrau gesehen. Wäre schon ein schönes Gefühl gewesen, diesen Berg bestiegen zu haben, aber seit diesem Sommer ist die Jungfrau in meinem Kopf der Berg, der die wiedersprüchlichsten Gedanken hervorruft, womit sie das Matterhorn verdrängt hat. Ich weiß nicht, ob sich ein derartiger "Knoten im Kopf" durch eine Besteigung lösen lässt. In diesem Zusammenhang würde mich die Meinung anderer Jungfrau-Aspiranten bzw. -Besteiger interessieren, auch wie sie mit der Unglücksnachricht umgegangen sind.
So, der Beitrag war zugegebenermaßen teilweise off-topic, musste aber irgendwie raus aus meiner Birne - ein "richtiger" Tourenbericht folgt...
LG
Klaas
PS: Wäre ich z.B. vom Finsteraarhorn abgestürzt und man hätte mir dann im Himmel (bzw. in der Hölle) gesagt "Selber schuld!", dann würde ich das akzeptieren. Schließlich habe ich mir bewusst ein Hobby mit relativ hohem Restrisiko gewählt, ich hätte ja auch Schachspieler werden können. Gegenüber den Hinterbliebenen finde ich "Selber schuld!" aber höchst unpassend - es gibt Wahrheiten, die besser nicht ausgesprochen werden. Man sagt den Angehörigen von Selbstmördern ja auch nicht "Selber schuld, wenn er sich vor den Zug wirft!".
In diesem Zusammenhang (Bergtod und Angehörige) empfehle ich das Buch "Extrem" von Maria Coffey und zwei Zitate: "Besser ein lebender Esel als ein toter Tiger" (Ernest Shackleton) und "Es gehört verdammt viel Mut dazu ein Feigling zu sein" (Harry Gregg).
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