Piz Scersen, 3971 m über Eisnase, Übergang zum Piz Bernina, 4049 m, III-IV, Abstieg Biancograt, 4.8.1981
Passend zur Gegenwart wieder einmal ein Ausflug in die Vergangenheit, so mancher wird sich wundern darüber, was vor dreißig Jahren noch an Gletscher vorhanden war und wie sich die Ausrüstung gewandelt hat.
Jeder Bergsteiger träumt vom Biancograt, deswegen ist man dort auch nie allein.
Will man es dennoch sein, so muss man gegen den Strom schwimmen, viel Phantasie entwickeln und auch eine gute Portion Glück haben, dass alles zusammenpasst.
Bei dieser Unternehmung musste einfach alles stimmen, Wetter, Verhältnisse, körperliche Verfassung und – nicht zuletzt – der richtige Partner.
An diesem Tag war alles perfekt, doch nun zum Bericht:
Bei traumhaftem Wetter machen wir uns auf den Weg zur Tschiervahütte
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Der Piz Roseg taucht auf, eines unserer Ziele für die nächsten Tage
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Dann sehen wir sie, unsere Bergziele:
Piz Bernina (mit Biancograt) und nach rechts ziehend der Verbindungsgrat zum
Piz Scerscen mit dem vorgelagerten Piz Umur, von wo aus wir morgen unsere Tour starten werden.
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Hier von der Hütte aus, der Piz Roseg mit seiner Eiswand, links davon der klotzige
Piz Umur, um den herumzukommen unsere erste morgige, zudem nächtliche Aufgabe sein wird.
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4.8.1981, 2 Uhr morgens. Schlaftrunken stolpern zwei Bergsteiger aus der Tschiervahütte, hinaus eine klare Nacht. Im Stirnlampenlicht drohen tückische Spalten, längst haben wir uns angeseilt. Wir umgehen die Felsen des Piz Umur, weicher Schnee liegt auf klaffenden Spaltenmäulern, Vorsicht ist hier oberstes Gebot…Hie und da ein Donnern, kein Gewitter, nur ein paar Eistrümmer aus den Flanken des Piz Scerscen und Roseg. Die letzten Nächte waren leider nicht allzu kalt…Als wir den Sattel hinter dem Piz Umur erreichen, weichen die ersten Schatten der Nacht. Drüben am Biancograt blitzt eine Lichtergirlande.
Jedoch hier sind wir völlig allein, niemand, außer uns strebt heute zum Gipfel des Scerscen.
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Allmählich bricht der Tag an, als Gerhard und ich die paar Felsen empor klettern, hin zur sogenannten „Eisnase“. Das erste Sonnenlicht streift da und dort über die zerrissenen Gletscher, ein unvergessliches Spektakel an Farben und bizarren Formen.
Die Eisnase zeigt sich so gemütlich, dass wir sie gleich ungesichert emporsteigen.
Dass sie doch nicht so ganz zu unterschätzen ist, merke ich dann in der Mitte, wo das Eis plötzlich spröde und unsicher wird. Also rasch Stand gebaut und doch ordentlich nachgesichert. Doch bereits nach einer weiteren Seillänge betreten wir das Gletscherplateau und der felsige Gipfel scheint zum Greifen nah.
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Doch erstens täuscht die Entfernung, zweitens auch die Hangneigung. Erst nach eineinhalb Stunden erreichen wir die Gipfelfelsen. Inzwischen dürfen wir aber immerhin den phantastischen Blick zum Piz Roseg genießen
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Nun die letzten Meter also, Steigeisen weg, etwas brüchiges Dreiergelände, schneedurchsetzt, na und? Rasch rauf und am breiten Gipfel rasten – denken wir uns. Wieder eine Täuschung! Die Gipfelschneide ist so schmal, dass zwei Bergsteiger nur höchst unzureichend darauf sitzen können.
Rasten ist gestrichen und zumal wir beim Abseilen gleich auf einen Eisgrat müssen, erfolgt nun eine gefinkelte Akrobatik um die Steigeisen anzulegen.
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Der Firngrat lässt in Puncto Schärfe auch keine Wünsche offen und es findet sich später am Biancograt keine einzige so schmale Stelle mehr.
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Doch es sollten noch viel wüstere Gratstellen kommen. Wir klettern, so gut es geht am laufenden Seil, gesichert werden nur die schwierigsten Passagen. Unmöglich sonst, diesen Grat an einem Tag zu bewältigen. Immer wieder wechseln leichtere Blockstrecken mit kurzen Firngraten, teils brüchiger Fels, dann kurz etwas angenehmere Stellen.
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Doch die Schwierigkeiten steigern sich, je weiter wir vordringen.
Von abenteuerlich ausgesetzten Scharten fallen haltlose Eisflanken zu beiden Seiten ab, darunter die wild zerhackten Gletscher. Zum Greifen nahe blitzen die Eisflanken des Piz Roseg und gegenüber die schwungvolle Schneide des Biancogrates.
Ein Blick zurück:
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Doch unser Grat gewährt nicht allzu viele beschauliche Augenblicke. Er verlangt einfach vollste Konzentration und hohen Einsatz. Die Schneeverhältnisse werden immer mieser, pappiger Neuschnee klebt an den unsicheren Felsen. Auch bieten sich kaum Sicherungsmöglichkeiten.
Eine Eisschneide folgt, die an Kühnheit ihres gleichen sucht:
Gerade gehbreit, gut 8 Meter lang, doch zu beiden Seiten zunächst 3 Meter senkrecht abfallend. Ein Wunder, dass das filigrane Gebilde überhaupt steht. Doch wir müssen direkt darüber! Erst dann verbreitert sich der Firnkamm und die Flanken fallen nur noch etwa 50° steil ab. Seiltänzer müsste man sein… Doch mit vollster Konzentration schaffen wir auch das.
Dann schon die nächste Schikane: Die steilen Felsen zwingen uns in die brüchige, verschneite Südflanke auszuweichen. Halbmetertiefer bis zum Grund aufgeweichter Schnee liegt hier und dennoch müssen wir in diesem Schrofengelände herum queren. Abseilen, Steinschlaggefahr, kaum Sicherungsmöglichkeiten. Endlich finden wir über heikleste Schrofenpassagen zurück zum Grat und – es wird leichter.
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Nur noch ein paar kleine Felstürmchen, dann ein breiter Firngrat und relativ einfache Felsen leiten uns zum Spallagipfel.
Vier Stunden heikler Kletterei liegen hinter uns.
Doch was nun folgt, ist nur noch Genuss! Der Firngrat, der Gipfel des Piz Bernina, ein wolkenloser Tag – herrlich!
Entspannte Gipfelrast, wir genießen das erleichternde Gefühl, einen anspruchsvollen Grat hinter uns gebracht zu haben.
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Passend zur Gegenwart wieder einmal ein Ausflug in die Vergangenheit, so mancher wird sich wundern darüber, was vor dreißig Jahren noch an Gletscher vorhanden war und wie sich die Ausrüstung gewandelt hat.
Jeder Bergsteiger träumt vom Biancograt, deswegen ist man dort auch nie allein.
Will man es dennoch sein, so muss man gegen den Strom schwimmen, viel Phantasie entwickeln und auch eine gute Portion Glück haben, dass alles zusammenpasst.
Bei dieser Unternehmung musste einfach alles stimmen, Wetter, Verhältnisse, körperliche Verfassung und – nicht zuletzt – der richtige Partner.
An diesem Tag war alles perfekt, doch nun zum Bericht:
Bei traumhaftem Wetter machen wir uns auf den Weg zur Tschiervahütte
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Der Piz Roseg taucht auf, eines unserer Ziele für die nächsten Tage
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Dann sehen wir sie, unsere Bergziele:
Piz Bernina (mit Biancograt) und nach rechts ziehend der Verbindungsgrat zum
Piz Scerscen mit dem vorgelagerten Piz Umur, von wo aus wir morgen unsere Tour starten werden.
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Hier von der Hütte aus, der Piz Roseg mit seiner Eiswand, links davon der klotzige
Piz Umur, um den herumzukommen unsere erste morgige, zudem nächtliche Aufgabe sein wird.
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4.8.1981, 2 Uhr morgens. Schlaftrunken stolpern zwei Bergsteiger aus der Tschiervahütte, hinaus eine klare Nacht. Im Stirnlampenlicht drohen tückische Spalten, längst haben wir uns angeseilt. Wir umgehen die Felsen des Piz Umur, weicher Schnee liegt auf klaffenden Spaltenmäulern, Vorsicht ist hier oberstes Gebot…Hie und da ein Donnern, kein Gewitter, nur ein paar Eistrümmer aus den Flanken des Piz Scerscen und Roseg. Die letzten Nächte waren leider nicht allzu kalt…Als wir den Sattel hinter dem Piz Umur erreichen, weichen die ersten Schatten der Nacht. Drüben am Biancograt blitzt eine Lichtergirlande.
Jedoch hier sind wir völlig allein, niemand, außer uns strebt heute zum Gipfel des Scerscen.
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Allmählich bricht der Tag an, als Gerhard und ich die paar Felsen empor klettern, hin zur sogenannten „Eisnase“. Das erste Sonnenlicht streift da und dort über die zerrissenen Gletscher, ein unvergessliches Spektakel an Farben und bizarren Formen.
Die Eisnase zeigt sich so gemütlich, dass wir sie gleich ungesichert emporsteigen.
Dass sie doch nicht so ganz zu unterschätzen ist, merke ich dann in der Mitte, wo das Eis plötzlich spröde und unsicher wird. Also rasch Stand gebaut und doch ordentlich nachgesichert. Doch bereits nach einer weiteren Seillänge betreten wir das Gletscherplateau und der felsige Gipfel scheint zum Greifen nah.
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Doch erstens täuscht die Entfernung, zweitens auch die Hangneigung. Erst nach eineinhalb Stunden erreichen wir die Gipfelfelsen. Inzwischen dürfen wir aber immerhin den phantastischen Blick zum Piz Roseg genießen
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Nun die letzten Meter also, Steigeisen weg, etwas brüchiges Dreiergelände, schneedurchsetzt, na und? Rasch rauf und am breiten Gipfel rasten – denken wir uns. Wieder eine Täuschung! Die Gipfelschneide ist so schmal, dass zwei Bergsteiger nur höchst unzureichend darauf sitzen können.
Rasten ist gestrichen und zumal wir beim Abseilen gleich auf einen Eisgrat müssen, erfolgt nun eine gefinkelte Akrobatik um die Steigeisen anzulegen.
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Der Firngrat lässt in Puncto Schärfe auch keine Wünsche offen und es findet sich später am Biancograt keine einzige so schmale Stelle mehr.
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Doch es sollten noch viel wüstere Gratstellen kommen. Wir klettern, so gut es geht am laufenden Seil, gesichert werden nur die schwierigsten Passagen. Unmöglich sonst, diesen Grat an einem Tag zu bewältigen. Immer wieder wechseln leichtere Blockstrecken mit kurzen Firngraten, teils brüchiger Fels, dann kurz etwas angenehmere Stellen.
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Doch die Schwierigkeiten steigern sich, je weiter wir vordringen.
Von abenteuerlich ausgesetzten Scharten fallen haltlose Eisflanken zu beiden Seiten ab, darunter die wild zerhackten Gletscher. Zum Greifen nahe blitzen die Eisflanken des Piz Roseg und gegenüber die schwungvolle Schneide des Biancogrates.
Ein Blick zurück:
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Doch unser Grat gewährt nicht allzu viele beschauliche Augenblicke. Er verlangt einfach vollste Konzentration und hohen Einsatz. Die Schneeverhältnisse werden immer mieser, pappiger Neuschnee klebt an den unsicheren Felsen. Auch bieten sich kaum Sicherungsmöglichkeiten.
Eine Eisschneide folgt, die an Kühnheit ihres gleichen sucht:
Gerade gehbreit, gut 8 Meter lang, doch zu beiden Seiten zunächst 3 Meter senkrecht abfallend. Ein Wunder, dass das filigrane Gebilde überhaupt steht. Doch wir müssen direkt darüber! Erst dann verbreitert sich der Firnkamm und die Flanken fallen nur noch etwa 50° steil ab. Seiltänzer müsste man sein… Doch mit vollster Konzentration schaffen wir auch das.
Dann schon die nächste Schikane: Die steilen Felsen zwingen uns in die brüchige, verschneite Südflanke auszuweichen. Halbmetertiefer bis zum Grund aufgeweichter Schnee liegt hier und dennoch müssen wir in diesem Schrofengelände herum queren. Abseilen, Steinschlaggefahr, kaum Sicherungsmöglichkeiten. Endlich finden wir über heikleste Schrofenpassagen zurück zum Grat und – es wird leichter.
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Nur noch ein paar kleine Felstürmchen, dann ein breiter Firngrat und relativ einfache Felsen leiten uns zum Spallagipfel.
Vier Stunden heikler Kletterei liegen hinter uns.
Doch was nun folgt, ist nur noch Genuss! Der Firngrat, der Gipfel des Piz Bernina, ein wolkenloser Tag – herrlich!
Entspannte Gipfelrast, wir genießen das erleichternde Gefühl, einen anspruchsvollen Grat hinter uns gebracht zu haben.
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