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Piz Bernina "Biancograt" - Aufarbeitung einer Niederlage (08.-09.07.2016)

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  • Piz Bernina "Biancograt" - Aufarbeitung einer Niederlage (08.-09.07.2016)

    Ja, es sollte ein schöner, spannender Bericht werden. Unser Aufstieg über den Biancograt hinauf zum Piz Bernina. Umrahmt mit vielen eindrücklichen Bildern und dem mitschwingenden Gefühl, eine aufregende und zugleich nicht ganz so leichte Tour mit Erfolg gemeistert zu haben.

    Leider kam es anders! Aus dem Gipfel wurde nichts - der Biancograt bleibt auch weiterhin auf unserer Liste. Doch manchmal müssen nicht nur die Geschichten der großen Siege erzählt werden, sondern auch die der Niederlagen. Daher folgt nun eine kritische Aufarbeitung unserer Tour, eine Darstellung, in der es mehr um den inneren Lernprozess geht, als um imposante Bilder oder dramatische Ereignisschilderungen. Bilder werden daher an dieser Stelle auch kaum eine Rolle spielen. Eigentlich gibt es nur eins. Und zwar jenes von diesem klassischen Blick hinuf zum Biancograt,von dem man einfach nicht mehr loskommt, wenn man nur ein Mal zur Tschiervahütte aufgestiegen ist...

    Bianco2.jpg


    Sonntag, 16.44Uhr – Als ich aus dem Zug steige und meine Füße auf den Erfurter Bahnsteig setze, empfängt mich sofort die heiße, trockene Luft. Da bin ich also wieder – daheim – kaum 60h nach meinem Aufbruch Richtung Pontresina. Ich bahne mir zwischen den vielen emsigen Menschen einen Weg hinaus zum Ausgang, schwinge mich auf mein dort abgestelltes Rad und mache mich auf die letzten paar hundert Meter zur Wohnung. Wenig später sitz ich in der Küche, den Blick auf meinen abgestellten Rucksack in der Ecke gerichtet und atme tief durch. Da ist sie schon wieder vorbei, die große Fahrt in die Berge. Doch etwas fehlt in diesem Moment. Klar, der Gipfel, aber noch viel mehr die Freude über eine gelungene Tour. Gleichzeitig will mich das deprimierende Gefühl der Unzufriedenheit nicht loslassen. Und wieder drängen sich die Bilder von der scharfen Firnschneide des Biancogrates auf – dieser eindrückliche und zweifellos majestätische Blick auf den Piz Bernina, der sich von der Tschiervahütte bietet und dem man sich einfach nicht entziehen kann. Auch wir haben uns danach gesehnt, dort oben zu stehen und sind stattdessen mit einer Niederlage wieder heim gefahren. Einer Niederlage, die unnötig und damit umso bitterer war und ist…

    Die negativen Vorzeichen gab es, zumindest für mich, bereits vor dem Aufbruch gen Süden. Ich hatte zwei Wochen zuvor mit einer Erkältung zu kämpfen gehabt, von der noch der Reizhusten und ein unangenehmes Kratzen im Hals geblieben waren. Ich wusste, dass ich nicht ganz bei 100% war und das machte mir auch am Abend vor der Abfahrt noch zu schaffen. Doch nach den vielen Trainingshöhemetern und der traumhaften Wettervorhersage absagen? Das war für mich keine wirkliche Option. Das Motto lautete: Wird schon gehen.
    Am Freitagmorgen um 5.40Uhr begann für mich nach einer kurzen Nacht dann die stressige Anreise. Mit Bahn und Mitfahrgelegenheit ging es zunächst nach Speyer und von dort mit beiden Bergpartnern weiter nach Pontresina. Es war schon nach 19Uhr, als wir endlich den örtlichen Parkplatz erreichten. Nun mussten wir uns ranhalten und so ging es im schnellen Schritt hinauf zur Tschiervahütte. Bei dem eingeschlagenen Tempo merkte ich bereits, dass das Gehen anstrengender war als sonst, doch versuchte ich dies vorerst zu verdrängen. Mit Einbruch der Dunkelheit gegen 22Uhr erreichten wir pünktlich zum Zapfenstreich die Hütte. Mit Wein und Nudelsuppe machten wir es uns anschließend im Trockenraum bequem und besprachen den finalen Plan für morgen. Ursprünglich hatten wir die Absicht gehegt, bereits um 2.30Uhr in der Früh und damit vor der Masse aufzubrechen, doch unsere verspätete Ankunft machte uns einen Strich durch die Rechnung. Also das Gegenteil: Eine Stunde länger schlafen und erst nach allen anderen aufbrechen. In unserer naiven Vorfreude ließen wir dabei die Tatsache außer Acht, dass die Nacht für uns so oder so viel zu kurz werden würde und von einer guten Akklimatisation nicht einmal ansatzweise die Rede sein konnte. Und so ging es dann um 23.30Uhr mit der nicht unbekannten Hoffnung ins Bett, dass schon alles irgendwie gut gehen würde…
    Knapp vier Stunden später war die Nachtruhe dann auch schon wieder vorbei. Den Wecker hätte es gar nicht bedurft, war das Lager doch seit etwa 2.30Uhr in Aufbruchsstimmung. Gegen 4.20Uhr verließen wir als letzte Seilschaft die Hütte. Schon nach ein paar Metern merkte ich, dass mir der Elan und die Spritzigkeit fehlten, die ich sonst immer zu Beginn jeder Tour verspürte. Und so setze ich mich erst einmal an den Schluss unserer 3er Gruppe und versuchte Schritt zu halten, was gar nicht so leicht war. Während meine Augen im kargen Licht der Stirnlampe auf die Füße meines Vordermanns gerichtet waren, fiel mir nicht auf, dass wir den falschen Aufstiegsweg wählten. Alle drei übersahen wir die Eisensprossen des kleinen Klettersteigs nicht weit hinter der Hütte und folgten stattdessen einer alten, nur schwer erkennbaren Spur, die uns bald an die Abbruchkante eines ehemaligen Bergrutsches führte. Wir stiegen nun etwas ab, begannen, die breite Geröllflanke zu queren und standen bald vor dem nächsten Abbruch. 20 Meter weiter drüben leuchteten Katzaugen, also mühten wir uns durch das lose und brüchige Gestein, nur um festzustellen, dass uns der Weg dort wieder hinab zum Gletscher leitete. Wir hielten uns dennoch an diese einzigen Hinweise eines Pfades und folgten von nun an dem aperen Gletscherrand. Der Erfolg hielt sich in Grenzen, da wir uns bald vor dem wenig einladend aussehenden Gletscherbruch wiederfanden. Links davon stellte sich uns zudem ein breiter Felsriegel in den Weg, an dem wir uns nur kurz versuchten, da die einzig kletterbare Linie mit einem doch zu großen Absturzrisiko verbunden war. Also ging es wieder ein paar hundert Meter zurück und nun direkt die Geröllflanke hinauf, wo wir Ansätze eines Weges erahnten. Nun hatten wir Glück – es war tatsächlich die richtige Spur. Die Freude darüber hielt sich allerdings in Grenzen. Dieser Umweg hatte uns weit über eine Stunde und knapp 200hm gekostet. Derweil hatte sich auch meine physische Verfassung nicht gebessert, sodass in mir erstmals ernste Zweifel an einem Gipfelerfolg aufkamen. Als wir die Firnflanke erreichten, die noch in sehr gutem Zustand war, musste ich mir immer häufiger kleine Pausen nehmen, doch noch wollte ich nicht aufgeben. Unterdessen diskutierten meine beiden Mitstreiter, die mir ein Stückchen voraus gegangen waren, ganz andere Probleme. Am Horizont war eine dicke Wolkenfront aufgezogen, die sich uns kontinuierlich näherte und sich nach und nach in den umliegenden Gipfeln festsetzte. Bald schon war die Schneekuppe des Piz Roseg nicht mehr zu sehen und auch über den Piz Morteratsch schob sich eine fette, dunkle Wolke. Als wir dann gemeinsam mit kritischem Blick zum eingenebelten Biancograt aufblickten, kam uns eine österreichische Seilschaft entgegen. Nach eigener Aussage empfanden sie ihr Tempo schlichtweg als zu langsam, sodass sie den weiteren Aufstieg als fahrlässig ansahen und lieber umdrehten. In diesem Moment begannen auch wir zu zweifeln. In unserer Unsicherheit einigten wir uns darauf, noch bis zur Fuorcla Prievlusa (3430m) aufzusteigen und dann zu entscheiden. Dort angekommen, war die Entscheidung, so schwer sie uns auch fiel, schnell getroffen. Wir waren zu diesem Zeitpunkt bereits vier Stunden unterwegs, hatten durch unseren Umweg um die 1100hm in den Beinen und der schwerste sowie längste Teil stand uns noch bevor. Die mangelnde Akklimatisierung und mein Unwohlsein taten ihr Übriges. Der Hauptgrund war jedoch das Wetter, welches sich, entgegen aller Vorhersagen, zunehmend verschlechterte. Die Vorstellung eines Gewitters hoch oben auf dem Biancograt war wenig verlockend. Die Entscheidung stand also fest. Umkehr!
    Eine halbe Stunde später waren wir wieder 300m tiefer auf dem flachen Gletscher angekommen und siehe da, urplötzlich riss der graue Himmel auf und blaue Flecken machten sich breit. Verdutzt betrachteten wir das Schauspiel. Binnen weniger Minuten begannen sich die Wolken aufzulösen und bald kam auch die markante Firnschneide wieder zum Vorschein. Das angekündigte Kaiserwetter war zurück und uns blieb nichts anderes übrig, als dieser Entwicklung kopfschüttelnd beizuwohnen. Wir hatten uns falsch entschieden, waren zu schnell wieder abgestiegen und hatten nun die Möglichkeit verpasst, uns eine der schönsten Gipfelanstiege der Ostalpen ins Tourenbuch eintragen zu können… Doch hatten wir uns wirklich falsch entschieden?
    Der Abstieg zur Tschiervahütte und anschließend zurück nach Pontresina war lang und zäh. So hatten wir viel Zeit, uns diese Frage immer wieder zu stellen. Jeder für sich – offen und ehrlich. Nach und nach wichen die üblichen Phrasen wie „Der Berg läuft nicht weg“ und „Wir kommen wieder– nur noch stärker“ einer reflektierteren Betrachtung. Inmitten der Enttäuschung versuchte ich bereits etwas Positives daraus zu ziehen. Ich hatte bisher nicht oft umkehren müssen. Die meisten meiner Touren verliefen (wenn auch manchmal mit etwas Glück) erfolgreich. Ich konnte mich nicht beschweren und vielleicht war genau diese Erfahrung eine, die ich mal nötig hatte. Ich versuchte mich an ein paar schlaue Sätze zu erinnern, die ich schon mehrfach gehört hatte: Umkehren heißt nicht scheitern. Aus einem nicht erreichten Gipfel kann man oft mehr lernen, als aus einer noch so erfolgreichen Tour. Da musste doch was Wahres dran sein. In Gedanken ging ich noch einmal alles durch. Ich war aufgebrochen, obwohl ich noch nicht wieder richtig fit war, allen Warnungen zum Trotz. Die Erkältung war noch nicht wieder richtig abgeklungen, da hatte ich mich schon wieder aufs Rad geschwungen und Höhenmeter abgespult. In gewisser Weise musste ich ja damit auf die Nase fallen. Während mich just in diesem Moment eine Hustenattacke heimsuchte, fragte ich mich ernsthaft, wie ich so blind in diese Situation rennen konnte. Dabei liest und hört man doch so viel von verschleppten Erkältungen und deren Folgen. Das sollte mir nun eine Lehre sein – wirklich! Und dann noch der späte Hüttenaufstieg. Wir hatten darüber lachen müssen, dass wir allein im Trockenraum saßen und unser Abendbrot aßen, während alle anderen bereits in ihre Betten verschwunden waren. Dass die Nacht kurz werden würde – geschenkt – aber die Ignoranz gegenüber der notwendigen Akklimatisation war schon selten dämlich. Klar, es hatte schon oft geklappt, auch an einem 4000er, ähnlich verlief doch die Weismiessüberschreitung vor zwei Jahren ab, aber war gegenüber dem Biancograt nicht ein bisschen mehr Respekt vonnöten? Dachten wir Flachländer wirklich, wir rennen da Freitagabend mal eben zur Hütte hoch, ich dazu noch gesundheitlich angeschlagen, und hauen ein paar Stunden später den Piz Bernina im Vorbeigehen weg?! Zugegeben, ganz so war es nicht. Wir sind nicht überheblich an die Sache gegangen, doch ein wenig naiv schon. Ist ja bisher auch immer alles gut gegangen. Unsere größte Sorge war vorab nicht unser eigenes Verhalten, sondern wie wir dem (durch andere hervorgerufenen) Stau am Grat umgehen könnten. Da ist es nur folgerichtig, dass wir es waren, die den falschen Weg einschlugen und dadurch sinnlos Höhenmeter machen mussten. Jene hätten uns womöglich das Genick gebrochen, wären nicht dicke Wolken aufgezogen. Tja, Karma is a bitch! Und da sind wir wieder bei dem Wetter, das uns einen so gemeinen Streich gespielt hat. Wären wir nicht binnen einer Stunde von einer trüben Suppe eingehüllt worden, hätte eine Umkehr vermutlich gar nicht zur Disposition gestanden. Ist also das verflixte Wetter schuld?! Wohl eher nicht. Man könnte eher sagen, das Wetter hat uns vor einer großen Dummheit bewahrt. Wir waren bis zur Scharte viel zu langsam, schlecht akklimatisiert und regeneriert, hatten zu viel sinnlose Energie verbraucht und waren obendrein nicht im vollen Besitz unserer Kräfte fit (ich zumindest), als dass unsere Chancen auf eine erfolgreiche Tour je gut gestanden hätten. Vielleicht ist Karma doch keine so große Bitch wie man gern vorschnell sagt…
    Der Rückweg zum Auto war kein leichter. Immer wieder mussten wir anhalten, uns umdrehen und zu diesem einmaligen Grat aufschauen, an dem kleine Punkte dem Himmel entgegen stapften. Wir waren nicht dabei. Zum Glück – wer weiß, wie die Sache sonst ausgegangen wäre. Bitter war es trotzdem – musste es auch sein – um beim nächsten Mal ein bisschen schlauer zu sein.


    Nun sitze ich hier…einige Stunden und 900km später und immer noch mit der Enttäuschung und dem schlechten Gefühl wie nach einem wichtigen verlorenen Fußballspiel. Heimgekommen mit einer Niederlage, die ihre Spuren hinterlassen wird. Vielleicht ist es aber eine Niederlage, die später einmal einen wichtigen Beitrag zum Erfolg leisten kann. Hoffentlich!
    "Meine Spur ziehe ich am liebsten, wohin keine andere führt. Ich kann zurückblicken und sie beurteilen, was ich sonst nicht könnte, weil sie sich durch die vielen anderen verlieren würde.
    Auch mein Leben will ich unter Kontrolle haben. Darum gehe ich einen eigenen Weg, dem nicht jeder folgt." (Heini Holzer)

  • #2
    AW: Piz Bernina "Biancograt" - Aufarbeitung einer Niederlage (08.-09.07.2016)

    danke für den bericht.

    da jagt ja ein klassiker den nächsten. vieles ist bekannt, vieles selbst schon genau so oder ähnlich erfahren. super, dass alles gut ausgegangen ist.
    zu spät bei der hütte/biwak eintreffen habe ich mir asap abgestellt, jedesmal wenn es vor einer grösseren tour nicht genug rast gibt, passieren vermeidbare unkonzentrierte unachtsamkeiten. noch vermeintlich frisch am tourstart unkonzentriert beim richtigen abzweiger vorbei und die fehlerkette läuft los. ihr habt euch schmerzlich richtig entschiede.
    no gods - no masters - no signature

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    • #3
      AW: Piz Bernina "Biancograt" - Aufarbeitung einer Niederlage (08.-09.07.2016)

      Falschen Weg einschlagen, sich unfit fühlen, alles Dinge, die passieren und die an einem nagen. Aber in Anbetracht der gesamten Tour und ihrer Länge: ich denke das war schon richtig so mit dem umdrehen.
      Ein falscher Schritt, ausgelöst durch Müdigkeit oder Unkonzentriertheit und eine ganze Seilschaft ist dahin. Und das wäre nicht nur völlig unnötig und tragisch, wir müssten zudem auf deine tollen Berichte verzichten.
      Manchmal muss man auf den Körper und auf sich hören, auch wenn der Kopf mit dem Ergeizteufelchen sagt: "Ich will aber da rauf!"
      Over every mountain there is a path, although it may not be seen from the valley.

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      • #4
        AW: Piz Bernina "Biancograt" - Aufarbeitung einer Niederlage (08.-09.07.2016)

        Respekt für das Schreiben des Berichts. Die Motivation Berichte von schönen Touren mit herrlichen Bildern zu schreiben ist natürlich viel größer. Berichte vom Scheitern sind, bei entsprechender Aufarbeitung, oftmals sogar interessanter zu lesen.

        Ich muss sehr selten bei Touren umkehren, kenne aber das nagende Gefühl des Zweifels und der Enttäuschung natürlich auch. Vor einigen Jahren haben wir versucht das Finsteraarhorn zu besteigen. Wir sind kurz vor dem Gipfel umgekehrt. Noch heute habe ich daran zu knabbern. Eigentlich gab es keinen richtigen Grund umzukehren, aber wir haben es dennoch gemacht. Das Wetter war bestens, wir waren vernünftig in der Zeit. Die Verhältnisse waren nicht toll, aber auch nicht wirklich schlecht. Wir hatten ein schlechtes Gefühl weiterzugehen und sind daher umgedreht. Beim Finsteraarhorn kommt noch dazu, dass du am nächsten Tag beim Hatsch über die Gletscher ewig Zeit hast über die Entscheidung nachzudenken und über den Aufwand, den du investiert hast. Noch heute ärgere ich mich darüber, dass wir umgekehrt sind. Es klingt paradox, aber ich würde es dennoch wieder so machen.

        Mit dem Wetter hätte es auch anders laufen können. Bei unserer Tour in den Lechtalern (Bericht kommt wahrscheinlich heute Abend) hat es bis zum späten Vormittag noch geregnet, obwohl zu dem Zeitpunkt laut Prognose schon die Sonne hätte scheinen sollen. Bis in die Nacht blieb es durchgehend stark bewölkt.

        Zum Thema Erkältung hast du selbst schon etwas geschrieben. Am Wochenende stand ich selbst vor einer ähnlichen Entscheidung. Sollte ich trotz beginnender Erkältung eine Tour machen? Ich habe es gemacht und nicht bereut. Hätten wir eine Tour geplant gehabt, die man schlecht abbrechen kann, wäre ich nicht gegangen. Ansonsten bin ich bei Erkältungen sehr konservativ. Ich bewege mich erkältet nicht mehr als es im Alltag unbedingt notwendig ist. Nur bei beginnenden Erkältungen bin ich manchmal inkonsequent.

        Jetzt habe ich schon zu viel geschrieben - vor allem zu viel über mich. Daran sieht man, dass dein Bericht zum Nachdenken und zum Reflektieren auch über sein eigenes Verhalten anregt.
        "Glück, das kann schon sein: man hat es fast hinter sich und einen Schluck Wasser noch dazu." (Malte Roeper)

        https://www.instagram.com/grandcapucin38/

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        • #5
          AW: Piz Bernina "Biancograt" - Aufarbeitung einer Niederlage (08.-09.07.2016)

          Müde, krank, unakklimatisiert, als nächstes wär gekommen zeitlich unter Druck und gestresst, starke Erschöpfung und eine logische Fortführung kann sein: Fehleinschätzung/zu nachlässig für sicheres Vorgehen, trittunsicher.

          Oft geht's irgendwie noch. Manches Bergsteigerleben endet auch nach dem großen Biancograt hinter der Spalla http://www.bergundsteigen.at/file.ph...ehrlich%29.pdf (S. 3-4).

          Meiner Meinung nach seid ihr aus einer beginnenden Fehlerkette zu einem noch vernünftigen Zeitpunkt ausgestiegen. Ihr habt krasse Risiken gut gekappt! Glückwunsch.

          Ist s*****e, dass ihr so alpenfern wohnt. Macht es nicht leichter.
          Zuletzt geändert von ftw; 13.07.2016, 13:25.

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          • #6
            AW: Piz Bernina "Biancograt" - Aufarbeitung einer Niederlage (08.-09.07.2016)

            hätte auch schlechter laufen können:
            http://www.gipfeltreffen.at/showthre...rzt-10-07-2016
            Kaklakariada

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            • #7
              AW: Piz Bernina "Biancograt" - Aufarbeitung einer Niederlage (08.-09.07.2016)

              Umzukehren ist selten die falsche Entscheidung,
              man muss auf sein Bauchgefühl hören.
              Lieber einmal "umsonst" rauf als nicht gesund runter zu kommen.

              Danke für den Bericht!
              liebe Grüße,
              Patrick

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              • #8
                AW: Piz Bernina "Biancograt" - Aufarbeitung einer Niederlage (08.-09.07.2016)

                Sehr interessanter Bericht. Jeder wird sich seine Gedanken drüber machen. Vielen Dank dafür das alles zu schreiben und auch sich vernünftige Gedanken darüber zu machen und diese zu teilen.

                Was mich nachdenklich macht ist wie fixiert ihr auf genau diese Tour gewesen seid. Genau diese Zielfixiertheit ist beim Menschen ein Problem die Situation nicht mehr klar zu beurteilen. Ein typischer Tunnelblick. Du hast es ja selber schon geschrieben dass ihr in der Vergangenheit auch schon Risiken eingegangen seid, auch da war die Zielfixiertheit wohl sehr groß. Meistens geht es ja gut. Und je häufiger sowas gut gegangen ist desto lockerer sieht man dass...

                Sinnvoll ist es hierbei sich von vornherein schon Alternativen zu überlegen falls man sich vor Ort nicht fit fühlt oder das Wetter unklar ist. Man kann ja auch auf den Piz Morteratsch oder wenn's ganz schlecht läuft den Piz Tschierva rauf, die Gegend ist so oder so wunderschön. Klar ärgerlich wenn man den Biancograt erleben will, aber der wird schon noch einige Jahre existieren bevor auch der wegschmilzt.

                Ich kenne diese Problematik recht gut aus einem völlig anderen Bereicht aus meiner Arbeit vor ein paar Jahren an der Uni. Da ging es um Flugzeugunglücke. Und die Ursachen sind häufig menschliches Versagen bei dem wiederum recht häufig solch eine Zielfixiertheit zu völlig idiotischen Reaktionen geführt hat. Über diese Parallelen zwischen Luftfahrtunglücken und Bergunglücken habe ich auch einmal mit einer Bergführerin auf einer Tour gesprochen die sich viel mit Bergunglücke beschäftigt hat. War ein sehr interessantes Gespräch.

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                • #9
                  AW: Piz Bernina "Biancograt" - Aufarbeitung einer Niederlage (08.-09.07.2016)

                  Wenn es dich tröstet (geteiltes Leid ist ja, manchen zufolge, halbes Leid): ich musste letztes Wochenende, zum ersten mal überhaupt, ebenfalls eine Bergtour abbrechen. Am Samstag wollte ich über den NO Grat auf die Reichenspitze. Das, völlig entgegen dem Wetterbericht, schlechte (und schlechter werdende) Wetter zwang uns auch zur Umkehr. Ich weiß also in etwa, wie du dich fühlst. Ist kein besonders gutes Gefühl
                  "Gegen Vernunft habe ich nichts, ebenso wenig wie gegen Schweinebraten! Aber ich möchte nicht ein Leben leben, in dem es tagaus tagein nichts anderes gibt als Schweinebraten" - Paul Feyerabend

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                  • #10
                    AW: Piz Bernina "Biancograt" - Aufarbeitung einer Niederlage (08.-09.07.2016)

                    Muss wegen ausgiebiger Planung und niedrigem technischen Niveau auch nur selten umdrehen. Aber wenn, dann fällt einfach die Klappe und ich weiß ganz genau warum.

                    An einem Ereignis reibe ich mich bis heute wo mein Partner wegen im nachhinein nicht ganz so schlüssigen Gründen umdrehen wollte, ich hab das dann mitgetragen und man muss feststellen das wir wieder heil runterkamen, das ist auch was wert. Aber in einer sehr vergleichbaren Situation heute würde ich versuchen ihn dort noch zu motivieren, allerdings auch nicht mit besonders hohem Einsatz, weil das einfach grundfalsch ist.

                    Trotzdem zum Bianco: Alleine sich bis oben auf den Bianco draufzuwuchten ist kein Zuckerschlecken wenn man nicht fit ist, genau genommen unverantwortlich, weil danach kommen nach Stunden im teils sehr ausgesetzten Grat erst mehrere Schlüsselstellen, Vorturm, Steilflanke Bernina, und danach noch das abklettern von der Spalla.

                    Abgesehen davon: So eine Tour "überstanden" zuhaben ist ja schön, aber man macht das ja auch wegen dem Genuss, so sieht's doch aus. Aus dem letzten Loch pfeifend, fluchend, zitternd und jammernd hat man sich auch eine lohnende Tour verbrannt. So was gehört dann irgendwo eh venünftig wiederholt find ich.
                    Zuletzt geändert von ftw; 14.07.2016, 13:26.

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                    • #11
                      AW: Piz Bernina "Biancograt" - Aufarbeitung einer Niederlage (08.-09.07.2016)

                      Zitat von Fritz_Phantom Beitrag anzeigen
                      Das, völlig entgegen dem Wetterbericht, schlechte (und schlechter werdende) Wetter zwang uns auch zur Umkehr.
                      der Wetterbericht vom letzten WE war wohl überall gewürfelt. Man konnte am Jubiläumsgrat (alpsp. in richtung zugsp.) mit nahezu wolkenlos rechnen, geworden ist es ein Dauerregen im dichten Nebel. Da waren die Schwierigkeiten aber nicht so gross, also durchgezogen.
                      no gods - no masters - no signature

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                      • #12
                        AW: Piz Bernina "Biancograt" - Aufarbeitung einer Niederlage (08.-09.07.2016)

                        Danke für das zahlreiche Feedback. Freut mich wirklich, dass so viel konstruktive Meinungen zusammengekommen sind. Ist wirklich spannend zu sehen, dass jeder schon solche oder ähnliche Erfahrungen gemacht hat und im Nachhinein (trotz der gewissen Bitterkeit) die Entscheidung immer wieder so treffen würde. Hat mir nicht zuletzt dabei geholfen, die Entscheidung endgültig als die richtige zu bewerten und darüber hinaus, mich mit der erlittenen "Niederlage" zu arrangieren. Ich würde sogar so weit gehen, dass ich tatsächlich etwas daraus gelernt habe. Mal schaun, ob ich das nach der nächsten Tour immer noch sagen kann


                        Zitat von placeboi Beitrag anzeigen
                        Vor einigen Jahren haben wir versucht das Finsteraarhorn zu besteigen. Wir sind kurz vor dem Gipfel umgekehrt. Noch heute habe ich daran zu knabbern.
                        Dann wird es ja eigentlich Zeit, mit diesem Trauma aufzuräumen. Noch ist der Sommer lang


                        Zitat von ftw Beitrag anzeigen
                        Ist s*****e, dass ihr so alpenfern wohnt. Macht es nicht leichter.
                        Ja, da wird sich leider auch erstmal nichts dran ändern. Ich hoffe, dass Anfang/Mitte August wieder ein verlängertes WE drin ist und für Anfang September steht nochmal eine ganze Woche auf dem Plan. Mehr lassen meine Freundin und die persönliche CO2-Bilanz dann wohl auch nicht zu


                        Zitat von kare Beitrag anzeigen
                        hätte auch schlechter laufen können:
                        http://www.gipfeltreffen.at/showthre...rzt-10-07-2016
                        Ja, ich hatte auch schon überlegt, ob ich auf das Ereignis Bezug nehme, aber da ich keinerlei Hintergrundinfos habe, wollt ich gar nicht erst irgendwelche Vergleiche anstellen. In jedem Fall: Sehr tragische Geschichte! Macht einem deutlich, wie schnell es manchmal gehen kann...


                        Zitat von Fritz_Phantom Beitrag anzeigen
                        Wenn es dich tröstet (geteiltes Leid ist ja, manchen zufolge, halbes Leid): ich musste letztes Wochenende, zum ersten mal überhaupt, ebenfalls eine Bergtour abbrechen. [...] Ich weiß also in etwa, wie du dich fühlst. Ist kein besonders gutes Gefühl
                        Tja, dann sind wir wohl Brüder im Geiste

                        Ich wünsche dir, dass es beim nächsten Mal wieder klappt! Mir übrigens auch :P


                        Zitat von ftw Beitrag anzeigen
                        Abgesehen davon: So eine Tour "überstanden" zuhaben ist ja schön, aber man macht das ja auch wegen dem Genuss, so sieht's doch aus. Aus dem letzten Loch pfeifend, fluchend, zitternd und jammernd hat man sich auch eine lohnende Tour verbrannt. So was gehört dann irgendwo eh venünftig wiederholt find ich.
                        Das trifft wohl den Nagel auf den Kopf. Genau so seh ich es heute auch!
                        "Meine Spur ziehe ich am liebsten, wohin keine andere führt. Ich kann zurückblicken und sie beurteilen, was ich sonst nicht könnte, weil sie sich durch die vielen anderen verlieren würde.
                        Auch mein Leben will ich unter Kontrolle haben. Darum gehe ich einen eigenen Weg, dem nicht jeder folgt." (Heini Holzer)

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                        • #13
                          AW: Piz Bernina "Biancograt" - Aufarbeitung einer Niederlage (08.-09.07.2016)

                          hmmm.
                          niederlage. aufarbeiten...
                          das klingt alles so verkrampft, so furchtbar ehrgeizig, so nach "muss".

                          ich weiss gar nimmer, wie oft ich umgedreht hab. sicher zu oft. oder doch nicht? beim einstieg von einer schweren kletterei, weil einfach das gefühl nicht gepasst hat. auf der schitour, weil ich mir nicht sicher war, obs noch passt. umdisponiert, und trotzdem einen schönen tag gehabt. aber auch auf hohen bergen, 100m unter einem hohen 6000er in armseliger zweierpartie mit einem mädel wegen lawinengefahr nach stundenlanger spurarbeit das handtuch geworfen.
                          muss-situationen hasse ich eigentlich. einzig beim soloklettern habe ich diese zugelassen, da gehts nicht anders. do or.. drum mach ich das nimmer.

                          bergsport ist mehr als sieg oder niederlage. ist gefühl, schon aufopferung aber auch verstehen des ganzen. und sich kennen/lernen.

                          natürlich ists bitter, nach langer anreise an einem der wenigen wochenenden im jahr, wo es zeitlich/partnermäßig/wettertechnisch passt, noch dazu als alpenferner bergfreund, umzudrehen.
                          wie sagt ein mir bekannter, guter bergsteiger gern: ein berg ist kein frosch, der hüpft nicht weg.

                          aber niederlage ist das keine. verloren hat man erst, wenn man für immer am berg bleibt. und der berg hat nicht gewonnen, weil dem haufen steine ists wurscht.
                          Zuletzt geändert von pivo; 14.07.2016, 13:14.
                          mei bier is net deppat! (e. sackbauer)

                          bürstelt wird nur flüssiges

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                          • #14
                            AW: Piz Bernina "Biancograt" - Aufarbeitung einer Niederlage (08.-09.07.2016)

                            Niederlage, Versagen - Sieg, Triumph, Bezwingung... Ich mein bei solchern verbalen Geschützen soll ein Augenzwinkern nicht fehlen.

                            Früher sprach man bisweilen sogar von der endgültigen 'Demütigung eines widerspenstigen Berges' und ähnliches. Oha, hoffentlich auch mit Humor!

                            Zitat von pivo Beitrag anzeigen
                            verloren hat man erst, wenn man für immer am berg bleibt.
                            Oder wenn man einen Seilpartner auf einer Tour verliert und es waren Fehleinschätzungen und suboptimales Vorgehen im Spiel.

                            Das darf man nicht vergessen - der Biancograt und das eigene Tourenbuch in allen Ehren, Scheiß auf den Biancograt und das Tourenbuch.
                            Zuletzt geändert von ftw; 14.07.2016, 13:39.

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                            • #15
                              AW: Piz Bernina "Biancograt" - Aufarbeitung einer Niederlage (08.-09.07.2016)

                              Zitat von pivo Beitrag anzeigen
                              hmmm.
                              niederlage. aufarbeiten...
                              das klingt alles so verkrampft, so furchtbar ehrgeizig, so nach "muss".
                              Da gebe ich Dir natürlich recht Pivo. In den Begriffen steckt etwas viel Pathos, aber wie "ftw" schon sagt, die sind in jedem Fall mit einem gewissen Augenzwinkern zu verstehen bzw. dem rhetorischen Anspruch geschuldet

                              Deine allgemeine Einstellung lob ich mir. Frei nach dem Motto: Verbring eine schöne Zeit in den Bergen. Genieß es, freu dich, mach, was dir Spaß macht, ungezwungen und frei, quäl dich vlt auch ein Mal, geh an deine Grenzen, aber kehr um, wenn es nicht passt oder etwas nicht sein soll.

                              Ich geh da auch absolut mit. Aber das klingt für mich zu pragmatisch und abgeklärt. Grade im Moment des (emotionalen) Erlebens sind so sachliche Urteile doch kaum möglich. Man will auf diesen Gipfel, der Ehrgeiz hat einen schließlich erst auf die Idee gebracht. Und dann kann man den auch nicht so von jetzt auf gleich wieder ausschalten. Schließlich hat man sich schon lang drauf vorbereitet und gefreut. Man denkt an die lange Anfahrt, den langen Abstieg, sieht die anderen kleinen Punkte hoch oben auf dem weißen Grat. Und man will nicht umdrehen - auch weil Umdrehen (vermeintlich) mit Scheitern gleichzusetzen ist. Zumindest hat man in dem Moment dieses Gefühl.

                              Gerade um den Gedanken, dass Bergsport nicht nur Sieg oder Niederlage, sondern, wie du selbst treffend formulierst, "sich kennenlernen" bzw. "lernen" ist, sollte sich ja dann auch meine "Aufarbeitung" drehen. Dass eine vermeintliche Niederlage vielleicht doch keine ist. Dass man aus seinen Fehlern etwas lernt (auch über sich selbst und andere) und die ganze Sache vielleicht auch nicht so verbissen sieht.

                              Aber wie gesagt: So rational kann man meist erst im Nachhinein sein, mit ein wenig Abstand und wenn man schon die eine oder andere ähnliche Erfahrung gemacht hat. Und der Bericht dreht sich ja eigentlich um die Gedanken unmittelbar nach der Umkehr bzw. auf dem Heimweg. Heute seh ich vieles auch nicht mehr so verbissen, wie noch vor ein paar Tagen. Ich habe gewisse Lehren draus gezogen (wie gesagt hoffentlich) und freu mich jetzt schon auf eine mögliche Rückkehr. Dann bloß nach Möglichkeit unter anderen Vorzeichen und mit einem noch besseren Ausgang

                              Beste Grüße,
                              Wette
                              "Meine Spur ziehe ich am liebsten, wohin keine andere führt. Ich kann zurückblicken und sie beurteilen, was ich sonst nicht könnte, weil sie sich durch die vielen anderen verlieren würde.
                              Auch mein Leben will ich unter Kontrolle haben. Darum gehe ich einen eigenen Weg, dem nicht jeder folgt." (Heini Holzer)

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