Linz → Graz auf die harte Tour
Samstag, 19. Juni 2010, St. Florian bei Linz, morgens um halb vier. Das Rad ist seit gestern Abend kurz vor Mitternacht gepackt. Mitternacht war ich dann auch endlich im Bett, drei Stunden Schlaf habe ich bekommen. Die geplante Startzeit auch gleich eine halbe Stunde nach hinten verschoben, damit sich wenigstens noch zwei volle Schlafphasen ausgehen. Jetzt ist es halb vier Uhr morgens, 13 Grad, stockdunkel, Sauwetter. Es regnet. Über der Goretexjacke trage ich noch eine reflektierende Weste, damit man mich auch nicht übersieht (sofern das hilft, um diese Uhrzeit haben Autofahrer doch oftmals die Augen halb geschlossen und mehr Sprit im Blut als im Tank. GPS ist eingeschaltet, der vorbereitete Track auf dem Display, Tacho und Pulsuhr laufen. Start.
Sieben Uhr, Kilometer 51, Seehöhe 370m. Über Hofkirchen ist es nach Steyr ins Ennstal gegangen, diesem folge ich seither. Durch Losenstein bin ich durch, Zeit für die erste Pause. Es regnet seit geraumer Zeit nicht mehr, die Straßen sind aber noch fast durchgängig nass. Aber kaum ein Gedanke daran verschwendet, das Regenzeug auszuziehen, fängt es wieder leicht an zu nieseln. Das Ennstal erinnert irgendwie an das „liebliche Taubertal“. Zum Einen geht es sowieso leicht bergauf, ich fahre schließlich flussaufwärts, und Staustufen mit entsprechendem Höhenunterschied gibt es reichlich hier. Eigentlich ein Stausee nach dem Anderen. Die Straße ist auch ziemlich wellig, wird nicht direkt am Ufer geführt. In den Wolken bin ich hier obendrein schon fast, rechts und links der Hänge hängen sie fast bis auf den Talgrund herunter.
Die ersten Kilometer sind gar nicht gut gegangen, dafür hab ich bis Steyr eindeutig mehr Wild als Autos auf der Straße gesehen. Jetzt geht es so einigermaßen. Der Zeitplan passt bisher, aber bis auf die Welligkeit, die doch ziemlich aufhält, war es mit den Bergen noch nicht weit her. Die Steigungen kommen erst noch. Erstaunlich aber, dass auf der B115 von Steyr bis Losenstein für die Urzeit an einem Samstag Morgen sehr viel PKW-Verkehr war. Anscheinend fahren hier auf dem Land doch viele Leute zur Arbeit. Frühstück, und weiter geht es!
Zehn Kilometer vor Altenmarkt, also direkt vor Kleinreifling. Sauwetter. Es ist zugezogen, richtig dunkelgrau, und es schifft, was runter kann im Alpennordstau. Regen, oder besser gesagt Schauer waren ja angesagt, aber dass das so „klasse“ wird habe ich mir nicht erwartet. Erhofft hatte ich mir eigentlich, vor dem großen Regen noch über den Präbichl drüber zu rutschen, aber das schaut jetzt nach ganz besch*** Fahren aus. Na danke! Bin also wieder im Regenzeug, welches ich zwischendurch doch für einige Kilometer ablegen konnte. Kalt wird es auch noch, die Temperatur sinkt.
Es ist wieder trocken, schaut aber nicht so aus, als ob das Regenzeug wieder ausgezogen werden könnte, auch wenn hier und da der blaue Himmel raus schaut. Steckenkilometer 86, Altenmarkt bei St. Gallen ist passiert. Befinde mich hier an einer Bushaltestelle, vor mir geht es schon wieder kräftig bergauf – die Straße kürzt mal wieder über eine Kuppe ab, anstatt dem Flusslauf zu folgen. Vorne ist schon wieder das 20er Kettenblättchen aufgelegt, aber zuerst einmal steht Nahrungsaufnahme auf dem Programm und eine Viertelstunde Ruhe. Die erste Flasche ist leer, eineinhalb Liter Elektrolytgetränk haben ihren Weg in meinen Körper gefunden – und auch wieder hinaus.
Von hier aus geht es jetzt weiter in Richtung Hieflau, bis dahin sind es noch 18 Kilometer – so steht es am Busfahrplan, der hier aushängt, angeschrieben. In Hieflau werde ich also schon dreistellig sein und damit die Hälfte der Streckenkilometer geschafft haben. Leoben liegt dann etwa bei Kilometer 150, davor kommt der erste „richtige“ Berg, es wird über den Präbichl gehen.
Nächste Pause, Kilometerstand 109, etwa 10 bis 12 Kilometer vor Eisenerz. Auch einmal mit zu Hause telefoniert, meine Frau hat sich ja auch ein paar Sorgen um mich gemacht, denn dieser Trip ist ja doch ein etwas anderes Kaliber als der übliche erweiterte Alltag. Sie liebt mich, hat sie gesagt – prima, find ich gut!
Seehöhe 550 Meter, und von nun an geht's bergauf! Bis Eisenerz noch gemäßigt, und dahinter wartet dann der Präbichl auf mich. Die ersten 1000 Höhenmeter sind schon durch, das wellige Auf und Ab im Ennstal bringt Einiges zuzsammen. Wer die kurzen Stiche meint hochdrücken zu müssen wird schnell eingehen. Hier wird wieder gegessen, auch wenn es die nächste Pause schon in Eisenerz geben wird. Für den Präbichl müssen Kohlehydrate bereit stehen! Im Prinzip steht der Zeitplan noch, aber viel Luft ist nicht drin. Es ist dreiviertel Zwölf, der Berg ruft, und in Leoben sollte es nicht später als 15 Uhr sein, denn sonst ist 17 Uhr Mautstatt gefährdet und es wird für die Auffahrt auf die Teichalm zu spät.
Ortsausgang Eisenerz, Kilometerstand 121, Seehöhe etwa 770m, müsste mal wieder genauer kalibriert werden. Ich bin ziemlich geschlaucht, obwohl es der Wind die letzte Zeit gut mit mir gemeint hat und nicht zu schwach von hinten kam. Jetzt geht es richtig bergauf, der Erzberg liegt rechter Hand verdeckt von Häusern und Bäumen. Vor mir, schön weit oben – es dürften um die 300 Meter Höhenunterschied sein bis dahin - sehe ich die Brücke, über die es nachher zu fahren gilt bei der Auffahrt auf den Präbichl. Links davon ist die Kehre, ab dort wird es wohl Gegenwind geben auf dieser 10%igen Steigung. Getrunkenes wurde schon am nächstbesten Baum entsorgt. Vor dem Anstieg jetzt also essen trinken, essen, essen, essen. Kohlehydrate, einige davon kurzkettig. Kekse und es ist Riegelzeit. Auch dieses Kohlehydratgelzeugs wird in meinen Magen umgefüllt – bäh, schmeckt das eklig! Wie können sich die Profis das nur ständig rein ziehen? Die Flasche aus dem mitgeführten Vorrat wieder nachfüllen. Drei Liter sind durch. Und dann geht es da rauf!
Kilometerstand 128, der Präbichl ist geschafft! Es ist 14.30 Uhr, bis jetzt 8 Stunden und 40 Minuten reine Fahrzeit, knapp 15er Durchschnitt. Die Auffahrt hier rauf war leichter als erwartet, zwischendurch auch ab und zu den Fotoapparat ausgepackt. Mit dem Rad kann man hier ja ab und zu anhalten, im Gegensatz zum Auto. Unter „schönem“ Fahren ist zwar was Anderes zu verstehen, da die Autos hier doch zahlreich und schnell unterwegs sind, aber über den Hügel muss man einfach drüber auf dieser Route. Bin ziemlich geschlaucht, aber die Belohnung kommt ja jetzt, ein schöner Downhill bis ins Murtal. Rollen lassen und ein wenig ausruhen :-).
Inzwischen ist es 18 Uhr, zurückgelegt bis jetzt 186 Kilometer. Pause gemacht auf etwa 600 Metern Seehöhe. Derzeitige Position: Drei oder vier Kilometer hinter Mautstatt, und es geht entlang eines Baches leicht bergauf. Das Murtal habe ich mitsamt seinen Ortschaften Leoben und Bruck hinter mir gelassen. Darüber gibt es auch keine Worte zu verlieren, besch*** zu fahren! An Trofaiach auf der Bundesstraße vorbei geblasen, bergab und schnell und mit einigen Regentropfen. Diese sollten dann auch nicht mehr aufhören. Das Murtal selbst dann ebenfalls auf den stark befahrenen Hauptstraßen hinter mich gebracht. Einen kurzen Abstecher kurz vor Bruck auf den beschilderten Radweg habe ich schnell bereut. Brückchen, Eckchen, Umwege, aber nichts, um Distanzen zurück zu legen. Schnell wieder auf die Hauptverkehrsstraße. Alles natürliuch im regen, und zum Abrunden auch ein kräftiger Gegenwind. Das kostet mich in der Zeitplanung locker eine Stunde! Ab Bruck geht der normale Autoverkehr dann zum größten Teil eh über die mautpflichtige S irgendwas, so dass die normale Landstraße wieder fast mir allein gehört. Zumindest gibt es keine anderen Radler, sind anscheinend nicht regentauglich oder nicht masochistisch genug.
Es hat sich seit geraumer Zeit so richtig schön eingeregnet, Bergregen mit reichlich vielen, „schönen“ dicken Tropfen. Noch etwa 15 Kilometer und gut 600 Höhenmeter trennen mich noch von der Teichalm. Bei der Pause verschwanden noch einige kurzkettige Kohlehydrate im Hals, Apfel, Elektrolytgetränk - sogar von diesem Carbogel hab ich mir noch zwei Packs runter gewürgt. Das Zeug wird einfach nicht besser... aber es bringt wieder etwas Power in die müden Beine. Der Jausensack ist jetzt auch weitgehend abgefressen. Im Hinblick auf Beinzustand, Distanz und vor allem Höhenmeter wird klar, dass es noch mindestens zwei Stunden dauern wird bis „oben“. Mit Wasserkühlung!
Die nächsten zehn Kilometer sind noch nahezu eben. Die Straße windet sich entlang des Baches und an den schgienen einer Schmalspureisenbahn entlang den tief hängenden Wolken entgegen. Ab und zu ein paar Häuser und eine kleine Ortschaft, deren Namen ich jetzt auf der Karte nachsehen müsste. Zumindest sehe ich zwei oder drei Pensionen – wenn die Auffahrt auf die Alm nicht klappt kann ich hier auf ein Bett zugreifen. Auch was wert. Dann kommt rechts der Abzweig auf die Russenstraße. Diese hat die ursprüngliche Tourplanung zwar vorgesehen, aber bei diesem Wetter versuche ich es erst gar nicht. Da ist Asfalt schon schwierig genug zu fahren, und auf ein paar Schiebekilometer habe ich beim besten Willen keine Lust. Bin ja auf Radtour und nicht auf Wanderschaft.
Die Straße zur Teichalm lässt auch nicht mehr lange auf sich warten. Rechts ab, kurze Pinkel- und Trinkpause, weiter. Da kommt das Schild: 11% Steigung auf 5,5 Kilometer Länge. Nun ist ja normalerweise so, dass der Prozentwert eher eine Maximalangabe ist und sich dazwischen ein paar flachere Stücke befinden. In Anbetracht der noch zurück zu legenden Höhenmeter ist das hier aber nicht der Fall, die 11% sind ein Durchschnittswert! Ich muss wirklich völlig bescheuert sein – warum bin ich nicht einfach das Murtal weiter gefahren nach Graz? Egal, ich WILL da rauf und ich FAHR da rauf! Die steilsten Stücke entpuppen sich als 17%er. Mit 20/36 und die Serpentinen in Serpentinen fahrend wird Höhenmeter um Höhenmeter vernichtet. Autoverkehr gibt es so gut wie gar keinen, und die paar Autofahrer, die doch unterwegs sind schauen mich durch ihre nassen Scheiben an, als wäre ich ein Alien oder so etwas ähnliches. Der Regen hat auch noch mal zugelegt, das Wasser rinnt Zentimeter hoch die Straße hinab. Mir ist es inzwischen egal. Das Ziel ist greifbar, und die Autos hört man an dem satten Schlabbern und Schmatzen der Reifen schon drei Kehren früher.
Oben! 20.30 Uhr, acht Grad, Regen und ein ziemlich kräftiger Wind. Aber ich habe die Teichalm erreicht! Nach 204 Kilometern und 3150 Höhenmetern, 17 Stunden war ich dafür unterwegs, davon etwa 13 Stunden reine Fahrzeit. Fahre einmal um den See herum auf der Suche nach einer Hütte, aber das gebe ich schnell auf. Mir ist kalt im völlig durchnässten Zeug, die Beine tun weh, und so gönne ich mir beim Teichwirt ein Hotelzimmer zu 68 Euro, Doppelzimmer zur Alleinnutzung. Eine lange heiße Dusche, Klamotten ausgewaschen und zum Trocknen auf diversen Lehnen, Bügeln und Heizkörpern verteilt. Nach Hause telefoniert. Dieses unglaubliche Glücksgefühl genossen und – ruck zuck eingeschlafen, eine traumlose Nacht in einem wunderbaren Bett im Tiefschlaf. Abendessen fällt aus.
Sonntag, 20. Juni 2010, Teichalm. Um 8 Uhr holt mich der Wecker aus dem Bett. Ich habe gut geschlafen, fühle mich ausgeruht und sogar fit! Ein Blick aus dem Fenster zeigt noch etwas erfreuliches: es regnet nicht mehr! Nach der Morgenwäsche stelle ich fest, dass alle meine Sachen wieder trocken sind, das ist prima. Also rein ins Zeug, Tasche wieder gepackt und zum Frühstück. Alles, was Herz und Magen begehren, sogar nach Wunsch gebratenes Ei wird serviert – noch ein großer Pluspunkt für dieses Hotel. Eine kleine Jausensemmel kann ich mir auch noch machen, und Obst vom Obstkorb nehmen. Kurz vor zehn Uhr hole ich mein Zeug aus dem Zimmer, begleiche mit einer Unterschrift die Rechnung.
Der Start ernüchtert. Es hat wieder angefangen zu regnen. Dafür ist es etwas wärmer als gestern Abend: neun Grad, brrrr! Warm fahren geht auch erst einmal nicht, denn es geht bergab in Richtung Schöckel, den ich an seiner Ostflanke via Schöckelkreuz passieren will. Das Wetter verhindert auch, dass es allzu flott bergab geht, mehr wie 70 km/h traue ich mich nicht mit dem Gepäck auf dieser doch kurvigen, teils recht steilen Straße nach Fladnitz hinunter. Unten lässt sich dann aber endlich einmal die Sonne blicken und es hört auf zu regnen – bis auf einige Tropfen, zu denen wir noch kommen, wird der Rest des Tages trocken bleiben.
Auf kleinen, welligen Sträßchen mit Schwerpunkt bergauf geht es dann weiter zum Schöckelkreuz, hier ist man ja schon wieder weit im vierstelligen Höhenmeterbereich, nachdem es vorher bis auf 600m hinunter gegangen war. Halb zwölf sagt die Uhr – fahre ich jetzt wie geplant weiter gibt das eine viel zu frühen Ankunft. Also kurze Pause und Meditation über die Streckenwahl, derweil wird die Hoteljause verdrückt. Dann die Entscheidung: der Schöckel gehört mir!
Nur welche Strecke? Ins GPS ist nichts eingespeichert, dieser Hügel steht ja nicht auf der Tourenplanung, da ich letztes Jahr ja schon einmal oben war auf der Graz-schöckel-Mixnitz-Biketour GSMB. WM-Strecke, das hört sich gut an, und war im Gipfeltreffen-Forum auch schon genannt! Fährt sich ab Schöckelkreuz dann auch erst einmal wie eine Forststraße, um dann schmaler und steiler zu werden. Bis auf Seehöhe 1300m komme ich, dann ist mit meinem Rad nun wirklich kein Durchkommen mehr. Das ist ein Steig mit dicken Brocken, hier müssen auch MTB-Profis ihr Rad schultern. Danke nein. Umdrehen und über eine Forststraße, die so ziemlich gleichbleibend in 1100 bis 1200 Metern Höhe auf der Ostseite den Schöckel umrundet, bis sie auf die reguläre Mautstrraße trifft, die den Berg hinauf führt. Die letzten Höhenmeter ziehen sich wieder, wie letztes Jahr.
Oben zieht es wieder zu und wird kalt-windig. Zeit für das Mittagessen, in diesem Fall einen Spinatstrudel im Stubenberghaus. Ein Päärchen in Wanderekleidung ist noch anwesend, ansonsten ist die Hütte (und der Gipfel) leer. Warum wird am Ende der Pause schnell klar: der Wind ist zum Sturm geworden, der Schöckel ist in Wolken gehüllt und – es ist saukalt und regnet mal wieder.
Die Abfahrt fordert am Anfang die Bremsen, und auf der unteren Hälfte befindet sich die Sdtraße in einem Zustand, dass ich Rennradfahrern den Schöckel derzeit auf keinen Fall empfehlen kann. Ab dem Schöckelkreuz, an dem auch diese Straße endet, gibt es dann auf der Landesstraße wieder besten Asfalt und das Paradies: bergab und schön kurvig geht es am Rehazentrum St. Radegund vorbei nach Rinnegg. Ab hier bestimmt mein Ziel, nämlich der Josefhof, den weiteren Weg, aber es sind nur noch wenige Kilometer. Nichts Besonderes, am Schluss geht es noch einmal einige Meter bergauf, aber unspektakulär. Inzwischen scheint wieder die Sonne, es ist warm geworden, die letzte halbe Stunde in Shirt und kurzer Hose.
Ankunft gegen 16 Uhr. Es waren nur etwa 60 Kilometer heute, die Höhenmeter habe ich nicht gemessen. Um die 100 bis 1200 dürften es gewesen sein. Damit ist die Tour zu Ende, und ich beziehe hier mein Zimmer für eine Woche Herz-Kreislauf-Training... das Rad wird in den nächsten Tagen nur für kleinere Ausflüge in die Umgebung genutzt werden, etwa zum Geocaching. Und die Rückfahrt am nächsten Wochenende – die findet mit dem Zug statt.
Fotos - ja, hab ich ein paar gemacht. Sind aber nichts Besonderes. Straßen im Regen kennt jede/r... vielleicht stelle ich sie später noch ein.
Bleibt die Frage, welche Form der Steigerung auf der nächstjährigen Tour-de-gib-alles möglich ist. Die Ligurische Grenzkammstraße täte reizen...
Samstag, 19. Juni 2010, St. Florian bei Linz, morgens um halb vier. Das Rad ist seit gestern Abend kurz vor Mitternacht gepackt. Mitternacht war ich dann auch endlich im Bett, drei Stunden Schlaf habe ich bekommen. Die geplante Startzeit auch gleich eine halbe Stunde nach hinten verschoben, damit sich wenigstens noch zwei volle Schlafphasen ausgehen. Jetzt ist es halb vier Uhr morgens, 13 Grad, stockdunkel, Sauwetter. Es regnet. Über der Goretexjacke trage ich noch eine reflektierende Weste, damit man mich auch nicht übersieht (sofern das hilft, um diese Uhrzeit haben Autofahrer doch oftmals die Augen halb geschlossen und mehr Sprit im Blut als im Tank. GPS ist eingeschaltet, der vorbereitete Track auf dem Display, Tacho und Pulsuhr laufen. Start.
Sieben Uhr, Kilometer 51, Seehöhe 370m. Über Hofkirchen ist es nach Steyr ins Ennstal gegangen, diesem folge ich seither. Durch Losenstein bin ich durch, Zeit für die erste Pause. Es regnet seit geraumer Zeit nicht mehr, die Straßen sind aber noch fast durchgängig nass. Aber kaum ein Gedanke daran verschwendet, das Regenzeug auszuziehen, fängt es wieder leicht an zu nieseln. Das Ennstal erinnert irgendwie an das „liebliche Taubertal“. Zum Einen geht es sowieso leicht bergauf, ich fahre schließlich flussaufwärts, und Staustufen mit entsprechendem Höhenunterschied gibt es reichlich hier. Eigentlich ein Stausee nach dem Anderen. Die Straße ist auch ziemlich wellig, wird nicht direkt am Ufer geführt. In den Wolken bin ich hier obendrein schon fast, rechts und links der Hänge hängen sie fast bis auf den Talgrund herunter.
Die ersten Kilometer sind gar nicht gut gegangen, dafür hab ich bis Steyr eindeutig mehr Wild als Autos auf der Straße gesehen. Jetzt geht es so einigermaßen. Der Zeitplan passt bisher, aber bis auf die Welligkeit, die doch ziemlich aufhält, war es mit den Bergen noch nicht weit her. Die Steigungen kommen erst noch. Erstaunlich aber, dass auf der B115 von Steyr bis Losenstein für die Urzeit an einem Samstag Morgen sehr viel PKW-Verkehr war. Anscheinend fahren hier auf dem Land doch viele Leute zur Arbeit. Frühstück, und weiter geht es!
Zehn Kilometer vor Altenmarkt, also direkt vor Kleinreifling. Sauwetter. Es ist zugezogen, richtig dunkelgrau, und es schifft, was runter kann im Alpennordstau. Regen, oder besser gesagt Schauer waren ja angesagt, aber dass das so „klasse“ wird habe ich mir nicht erwartet. Erhofft hatte ich mir eigentlich, vor dem großen Regen noch über den Präbichl drüber zu rutschen, aber das schaut jetzt nach ganz besch*** Fahren aus. Na danke! Bin also wieder im Regenzeug, welches ich zwischendurch doch für einige Kilometer ablegen konnte. Kalt wird es auch noch, die Temperatur sinkt.
Es ist wieder trocken, schaut aber nicht so aus, als ob das Regenzeug wieder ausgezogen werden könnte, auch wenn hier und da der blaue Himmel raus schaut. Steckenkilometer 86, Altenmarkt bei St. Gallen ist passiert. Befinde mich hier an einer Bushaltestelle, vor mir geht es schon wieder kräftig bergauf – die Straße kürzt mal wieder über eine Kuppe ab, anstatt dem Flusslauf zu folgen. Vorne ist schon wieder das 20er Kettenblättchen aufgelegt, aber zuerst einmal steht Nahrungsaufnahme auf dem Programm und eine Viertelstunde Ruhe. Die erste Flasche ist leer, eineinhalb Liter Elektrolytgetränk haben ihren Weg in meinen Körper gefunden – und auch wieder hinaus.
Von hier aus geht es jetzt weiter in Richtung Hieflau, bis dahin sind es noch 18 Kilometer – so steht es am Busfahrplan, der hier aushängt, angeschrieben. In Hieflau werde ich also schon dreistellig sein und damit die Hälfte der Streckenkilometer geschafft haben. Leoben liegt dann etwa bei Kilometer 150, davor kommt der erste „richtige“ Berg, es wird über den Präbichl gehen.
Nächste Pause, Kilometerstand 109, etwa 10 bis 12 Kilometer vor Eisenerz. Auch einmal mit zu Hause telefoniert, meine Frau hat sich ja auch ein paar Sorgen um mich gemacht, denn dieser Trip ist ja doch ein etwas anderes Kaliber als der übliche erweiterte Alltag. Sie liebt mich, hat sie gesagt – prima, find ich gut!
Seehöhe 550 Meter, und von nun an geht's bergauf! Bis Eisenerz noch gemäßigt, und dahinter wartet dann der Präbichl auf mich. Die ersten 1000 Höhenmeter sind schon durch, das wellige Auf und Ab im Ennstal bringt Einiges zuzsammen. Wer die kurzen Stiche meint hochdrücken zu müssen wird schnell eingehen. Hier wird wieder gegessen, auch wenn es die nächste Pause schon in Eisenerz geben wird. Für den Präbichl müssen Kohlehydrate bereit stehen! Im Prinzip steht der Zeitplan noch, aber viel Luft ist nicht drin. Es ist dreiviertel Zwölf, der Berg ruft, und in Leoben sollte es nicht später als 15 Uhr sein, denn sonst ist 17 Uhr Mautstatt gefährdet und es wird für die Auffahrt auf die Teichalm zu spät.
Ortsausgang Eisenerz, Kilometerstand 121, Seehöhe etwa 770m, müsste mal wieder genauer kalibriert werden. Ich bin ziemlich geschlaucht, obwohl es der Wind die letzte Zeit gut mit mir gemeint hat und nicht zu schwach von hinten kam. Jetzt geht es richtig bergauf, der Erzberg liegt rechter Hand verdeckt von Häusern und Bäumen. Vor mir, schön weit oben – es dürften um die 300 Meter Höhenunterschied sein bis dahin - sehe ich die Brücke, über die es nachher zu fahren gilt bei der Auffahrt auf den Präbichl. Links davon ist die Kehre, ab dort wird es wohl Gegenwind geben auf dieser 10%igen Steigung. Getrunkenes wurde schon am nächstbesten Baum entsorgt. Vor dem Anstieg jetzt also essen trinken, essen, essen, essen. Kohlehydrate, einige davon kurzkettig. Kekse und es ist Riegelzeit. Auch dieses Kohlehydratgelzeugs wird in meinen Magen umgefüllt – bäh, schmeckt das eklig! Wie können sich die Profis das nur ständig rein ziehen? Die Flasche aus dem mitgeführten Vorrat wieder nachfüllen. Drei Liter sind durch. Und dann geht es da rauf!
Kilometerstand 128, der Präbichl ist geschafft! Es ist 14.30 Uhr, bis jetzt 8 Stunden und 40 Minuten reine Fahrzeit, knapp 15er Durchschnitt. Die Auffahrt hier rauf war leichter als erwartet, zwischendurch auch ab und zu den Fotoapparat ausgepackt. Mit dem Rad kann man hier ja ab und zu anhalten, im Gegensatz zum Auto. Unter „schönem“ Fahren ist zwar was Anderes zu verstehen, da die Autos hier doch zahlreich und schnell unterwegs sind, aber über den Hügel muss man einfach drüber auf dieser Route. Bin ziemlich geschlaucht, aber die Belohnung kommt ja jetzt, ein schöner Downhill bis ins Murtal. Rollen lassen und ein wenig ausruhen :-).
Inzwischen ist es 18 Uhr, zurückgelegt bis jetzt 186 Kilometer. Pause gemacht auf etwa 600 Metern Seehöhe. Derzeitige Position: Drei oder vier Kilometer hinter Mautstatt, und es geht entlang eines Baches leicht bergauf. Das Murtal habe ich mitsamt seinen Ortschaften Leoben und Bruck hinter mir gelassen. Darüber gibt es auch keine Worte zu verlieren, besch*** zu fahren! An Trofaiach auf der Bundesstraße vorbei geblasen, bergab und schnell und mit einigen Regentropfen. Diese sollten dann auch nicht mehr aufhören. Das Murtal selbst dann ebenfalls auf den stark befahrenen Hauptstraßen hinter mich gebracht. Einen kurzen Abstecher kurz vor Bruck auf den beschilderten Radweg habe ich schnell bereut. Brückchen, Eckchen, Umwege, aber nichts, um Distanzen zurück zu legen. Schnell wieder auf die Hauptverkehrsstraße. Alles natürliuch im regen, und zum Abrunden auch ein kräftiger Gegenwind. Das kostet mich in der Zeitplanung locker eine Stunde! Ab Bruck geht der normale Autoverkehr dann zum größten Teil eh über die mautpflichtige S irgendwas, so dass die normale Landstraße wieder fast mir allein gehört. Zumindest gibt es keine anderen Radler, sind anscheinend nicht regentauglich oder nicht masochistisch genug.
Es hat sich seit geraumer Zeit so richtig schön eingeregnet, Bergregen mit reichlich vielen, „schönen“ dicken Tropfen. Noch etwa 15 Kilometer und gut 600 Höhenmeter trennen mich noch von der Teichalm. Bei der Pause verschwanden noch einige kurzkettige Kohlehydrate im Hals, Apfel, Elektrolytgetränk - sogar von diesem Carbogel hab ich mir noch zwei Packs runter gewürgt. Das Zeug wird einfach nicht besser... aber es bringt wieder etwas Power in die müden Beine. Der Jausensack ist jetzt auch weitgehend abgefressen. Im Hinblick auf Beinzustand, Distanz und vor allem Höhenmeter wird klar, dass es noch mindestens zwei Stunden dauern wird bis „oben“. Mit Wasserkühlung!
Die nächsten zehn Kilometer sind noch nahezu eben. Die Straße windet sich entlang des Baches und an den schgienen einer Schmalspureisenbahn entlang den tief hängenden Wolken entgegen. Ab und zu ein paar Häuser und eine kleine Ortschaft, deren Namen ich jetzt auf der Karte nachsehen müsste. Zumindest sehe ich zwei oder drei Pensionen – wenn die Auffahrt auf die Alm nicht klappt kann ich hier auf ein Bett zugreifen. Auch was wert. Dann kommt rechts der Abzweig auf die Russenstraße. Diese hat die ursprüngliche Tourplanung zwar vorgesehen, aber bei diesem Wetter versuche ich es erst gar nicht. Da ist Asfalt schon schwierig genug zu fahren, und auf ein paar Schiebekilometer habe ich beim besten Willen keine Lust. Bin ja auf Radtour und nicht auf Wanderschaft.
Die Straße zur Teichalm lässt auch nicht mehr lange auf sich warten. Rechts ab, kurze Pinkel- und Trinkpause, weiter. Da kommt das Schild: 11% Steigung auf 5,5 Kilometer Länge. Nun ist ja normalerweise so, dass der Prozentwert eher eine Maximalangabe ist und sich dazwischen ein paar flachere Stücke befinden. In Anbetracht der noch zurück zu legenden Höhenmeter ist das hier aber nicht der Fall, die 11% sind ein Durchschnittswert! Ich muss wirklich völlig bescheuert sein – warum bin ich nicht einfach das Murtal weiter gefahren nach Graz? Egal, ich WILL da rauf und ich FAHR da rauf! Die steilsten Stücke entpuppen sich als 17%er. Mit 20/36 und die Serpentinen in Serpentinen fahrend wird Höhenmeter um Höhenmeter vernichtet. Autoverkehr gibt es so gut wie gar keinen, und die paar Autofahrer, die doch unterwegs sind schauen mich durch ihre nassen Scheiben an, als wäre ich ein Alien oder so etwas ähnliches. Der Regen hat auch noch mal zugelegt, das Wasser rinnt Zentimeter hoch die Straße hinab. Mir ist es inzwischen egal. Das Ziel ist greifbar, und die Autos hört man an dem satten Schlabbern und Schmatzen der Reifen schon drei Kehren früher.
Oben! 20.30 Uhr, acht Grad, Regen und ein ziemlich kräftiger Wind. Aber ich habe die Teichalm erreicht! Nach 204 Kilometern und 3150 Höhenmetern, 17 Stunden war ich dafür unterwegs, davon etwa 13 Stunden reine Fahrzeit. Fahre einmal um den See herum auf der Suche nach einer Hütte, aber das gebe ich schnell auf. Mir ist kalt im völlig durchnässten Zeug, die Beine tun weh, und so gönne ich mir beim Teichwirt ein Hotelzimmer zu 68 Euro, Doppelzimmer zur Alleinnutzung. Eine lange heiße Dusche, Klamotten ausgewaschen und zum Trocknen auf diversen Lehnen, Bügeln und Heizkörpern verteilt. Nach Hause telefoniert. Dieses unglaubliche Glücksgefühl genossen und – ruck zuck eingeschlafen, eine traumlose Nacht in einem wunderbaren Bett im Tiefschlaf. Abendessen fällt aus.
Sonntag, 20. Juni 2010, Teichalm. Um 8 Uhr holt mich der Wecker aus dem Bett. Ich habe gut geschlafen, fühle mich ausgeruht und sogar fit! Ein Blick aus dem Fenster zeigt noch etwas erfreuliches: es regnet nicht mehr! Nach der Morgenwäsche stelle ich fest, dass alle meine Sachen wieder trocken sind, das ist prima. Also rein ins Zeug, Tasche wieder gepackt und zum Frühstück. Alles, was Herz und Magen begehren, sogar nach Wunsch gebratenes Ei wird serviert – noch ein großer Pluspunkt für dieses Hotel. Eine kleine Jausensemmel kann ich mir auch noch machen, und Obst vom Obstkorb nehmen. Kurz vor zehn Uhr hole ich mein Zeug aus dem Zimmer, begleiche mit einer Unterschrift die Rechnung.
Der Start ernüchtert. Es hat wieder angefangen zu regnen. Dafür ist es etwas wärmer als gestern Abend: neun Grad, brrrr! Warm fahren geht auch erst einmal nicht, denn es geht bergab in Richtung Schöckel, den ich an seiner Ostflanke via Schöckelkreuz passieren will. Das Wetter verhindert auch, dass es allzu flott bergab geht, mehr wie 70 km/h traue ich mich nicht mit dem Gepäck auf dieser doch kurvigen, teils recht steilen Straße nach Fladnitz hinunter. Unten lässt sich dann aber endlich einmal die Sonne blicken und es hört auf zu regnen – bis auf einige Tropfen, zu denen wir noch kommen, wird der Rest des Tages trocken bleiben.
Auf kleinen, welligen Sträßchen mit Schwerpunkt bergauf geht es dann weiter zum Schöckelkreuz, hier ist man ja schon wieder weit im vierstelligen Höhenmeterbereich, nachdem es vorher bis auf 600m hinunter gegangen war. Halb zwölf sagt die Uhr – fahre ich jetzt wie geplant weiter gibt das eine viel zu frühen Ankunft. Also kurze Pause und Meditation über die Streckenwahl, derweil wird die Hoteljause verdrückt. Dann die Entscheidung: der Schöckel gehört mir!
Nur welche Strecke? Ins GPS ist nichts eingespeichert, dieser Hügel steht ja nicht auf der Tourenplanung, da ich letztes Jahr ja schon einmal oben war auf der Graz-schöckel-Mixnitz-Biketour GSMB. WM-Strecke, das hört sich gut an, und war im Gipfeltreffen-Forum auch schon genannt! Fährt sich ab Schöckelkreuz dann auch erst einmal wie eine Forststraße, um dann schmaler und steiler zu werden. Bis auf Seehöhe 1300m komme ich, dann ist mit meinem Rad nun wirklich kein Durchkommen mehr. Das ist ein Steig mit dicken Brocken, hier müssen auch MTB-Profis ihr Rad schultern. Danke nein. Umdrehen und über eine Forststraße, die so ziemlich gleichbleibend in 1100 bis 1200 Metern Höhe auf der Ostseite den Schöckel umrundet, bis sie auf die reguläre Mautstrraße trifft, die den Berg hinauf führt. Die letzten Höhenmeter ziehen sich wieder, wie letztes Jahr.
Oben zieht es wieder zu und wird kalt-windig. Zeit für das Mittagessen, in diesem Fall einen Spinatstrudel im Stubenberghaus. Ein Päärchen in Wanderekleidung ist noch anwesend, ansonsten ist die Hütte (und der Gipfel) leer. Warum wird am Ende der Pause schnell klar: der Wind ist zum Sturm geworden, der Schöckel ist in Wolken gehüllt und – es ist saukalt und regnet mal wieder.
Die Abfahrt fordert am Anfang die Bremsen, und auf der unteren Hälfte befindet sich die Sdtraße in einem Zustand, dass ich Rennradfahrern den Schöckel derzeit auf keinen Fall empfehlen kann. Ab dem Schöckelkreuz, an dem auch diese Straße endet, gibt es dann auf der Landesstraße wieder besten Asfalt und das Paradies: bergab und schön kurvig geht es am Rehazentrum St. Radegund vorbei nach Rinnegg. Ab hier bestimmt mein Ziel, nämlich der Josefhof, den weiteren Weg, aber es sind nur noch wenige Kilometer. Nichts Besonderes, am Schluss geht es noch einmal einige Meter bergauf, aber unspektakulär. Inzwischen scheint wieder die Sonne, es ist warm geworden, die letzte halbe Stunde in Shirt und kurzer Hose.
Ankunft gegen 16 Uhr. Es waren nur etwa 60 Kilometer heute, die Höhenmeter habe ich nicht gemessen. Um die 100 bis 1200 dürften es gewesen sein. Damit ist die Tour zu Ende, und ich beziehe hier mein Zimmer für eine Woche Herz-Kreislauf-Training... das Rad wird in den nächsten Tagen nur für kleinere Ausflüge in die Umgebung genutzt werden, etwa zum Geocaching. Und die Rückfahrt am nächsten Wochenende – die findet mit dem Zug statt.
Fotos - ja, hab ich ein paar gemacht. Sind aber nichts Besonderes. Straßen im Regen kennt jede/r... vielleicht stelle ich sie später noch ein.
Bleibt die Frage, welche Form der Steigerung auf der nächstjährigen Tour-de-gib-alles möglich ist. Die Ligurische Grenzkammstraße täte reizen...
Kommentar