Ein Lob auf das Fahrrad
Das Fahrrad ist wahrlich eine tolle Erfindung, erleichtert es doch unseren Alltag ungemein, verkürzt tägliche Wege, dient zur sportlichen Betätigung und das nebenbei ganz umweltfreundlich. Leider wird es jedoch nur selten entsprechend ästimiert, fristet sein Dasein häufiger als unbeachteter Drahtesel, wie als persönliches Herzstück. Der jährliche Putz scheint schon die größte Liebesbekundung zu sein (so er denn überhaupt stattfindet). Nicht so bei mir, jedenfalls nicht mehr!
Doch spulen wir erst einmal in der Zeit zurück:
Es ist Ende Juni, langsam geben wir die Hoffnung auf. Vielleicht sollte man es auch irgendwann bleiben lassen, ein Einsehen finden.
Schon über einen Monat fantasieren wir jetzt schon von einer letzten Skitour - in der Schweiz würd es ja noch gehen. Doch Fortuna scheint uns wahrlich nicht hold zu sein. Einmal ist es das Auto, das wir nicht bekommen. Dann wieder das Wetter, das einfach ganz und gar nicht nach unserer Pfeife tanzen will. Das nächste Mal scheitert es an den Arbeits- und Studienzeiten oder aber am langen Anfahrtsweg, der uns zur Räson kommen lässt.
Die ersten richtigen Hitzetage Anfang Juli halten uns endgültig den Spiegel vor's Gesicht - der Dummheit wurde scheinbar doch noch einmal die Grenze gesetzt.
Irgendwie muss man sich ja schlussendlich damit abfinden. Zumindest gestaltet sich mein Ferialpraktikum sehr bergverbunden. Und außerdem kommt ja die Cousine schon im Juli für eine Woche Hüttenwanderung. Und sowieso ist die kommende Saison ja nicht weit. Im Oktober dann wieder. Oder zumindest im November. Sei's wie's sei, stirbt d'Kuah, bleibt's Hei; stirbt's Koiwei a, is da Stoi glei laa.
Doch dann das: Kaltwettereinbruch in der dritten Juliwoche. Montag noch am Berg, abends beginnt schon der Regen. Dienstag gleichbleibend nass und ungemütlich. Raus muss ich trotzdem, der Arbeit wegen. Mittwoch weiterhin unangenehm. Langsam dürfte das aufhören, es ist schließlich Juli! In der Nacht auf Donnerstag schließlich Temperatursturz im Tal bis in den einstelligen Bereich. Schneefall bis 1.600 m. So geht es weiter bis Freitag. Rund 30cm Neuschnee in der Höhe. Freitag abends wird es langsam besser. Samstags wieder wunderschön.
In solchen Momenten beginnt das Hirn des Besessenen zu arbeiten - irgendwas muss doch noch drinnen sein. Der letzte Funke Widerstand beginnt wieder zu flackern. Um ihm Einhalt zu gebieten geht es zunächst nach vormittäglichem Termin noch in die Höhe, neue Wege erkunden.
Doch auch als ich zurück bin, rumort es weiter. Nicht im Bauch, sondern im Hirn. Logisch folgender nächster Schritt ist damit das Auskundschaften der tatsächlichen aktuellen Lage. Wie sich bald herausstellt, würde es am Sustenpass noch gehen. Zweieinhalb Stunden Anfahrt vorausgesetzt. Aus der Silvretta finden sich letzte Berichte vom 01. Juli. Langsam aber sicher formen sich zwei Möglichkeiten, zwei Ideen, zwei Brandbeschleuniger.
Wie sooft lässt der erste Rückschlag jedoch nicht lange auf sich warten: Simon kann nicht, im Kaiser lässt's sich besser klettern.
Der Zweite setzt gleich hinterher: mit dem Auto wird es wohl auch nix.
Die letzte Hoffnung liegt somit in Josua, doch auch hier gibt's ein Problem - beendete Maturareisen sind nicht unbedingt die besten Voraussetzungen, um am nächsten Tag auf Skitour zu gehen - oder etwa doch? Ein Telefonat um 22:00 Uhr überzeugt. Zum Besessenen gesellt sich ein Zweiter dazu. Und auch Justitia scheint uns hold, wiegt auf, was uns Fortuna über einen Monat lang vorenthielt. Zwar kriegt auch Josua sein Auto nicht, doch plötzlich ich das unsrige. Dem Packen steht nichts mehr im Weg. Dem Gang ins Bett auch nicht mehr viel. Nur mehr die Ski vom Elbrusstaub befreien, etwas Proviant herrichten und das Fahrrad auf's Auto. Um 03:30 Uhr soll es schließlich losgehen, Richtung Bielerhöhe, Richtung Schneeglocke.
Vier Stunden Schlaf und eineinhalb Stunden Fahrt später stehen wir pünktlich um 05:15 Uhr auf der Passhöhe. Ein Schneemann begrüßt uns. Einsam steht er da zwischen Grashalmen, umringt von angezuckerten Bergen. Die Fahrräder werden abgeladen, die Skier auf die Rucksäcke geschnallt, das Seil einvernehmlich dagelassen. Nach einem letzten Bissen von der Banane schwingen wir uns auf unsere treuen Gefährte(n), ohne die unsere Unternehmung wohl eher als Torto(u)r geendet hätte.
Im Dämmerlicht strampeln wir dem Silvrettastausee entlang, vorbei an einer Gruppe staunender Bergsteiger, die am Weg Richtung Wiesbadener Hütte sind. Die Kilometer zerfließen wie die Butter in der Julihitze. Wärme macht sich in den Waden und den Oberschenkeln bemerkbar. Mit jedem Höhenmeter den wir hinter uns lassen steigt die Freude. Nach einer Autofahrt voller Gesprächen genießen wir andächtig die morgendliche Idylle des Klostertals, einzig und alleine begleitet von unserem Schnaufen.
Angekommen auf der Klostertaler Umwelthütte werden wir von einer Gruppe deutscher Bergsteiger begrüßt, die sich eben auf Richtung Fuorcla dal Cunfin macht. Kurz nach ihnen setzen auch wir unseren Weg fort und bereits nach 20 weiteren Minuten zu Fuß dürfen wir unsere Felle auspacken, in die Bindungen steigen, genießen. Nach eineinhalb Monaten Spinnerei haben wir es doch noch geschafft. Mitte Juli. Der Schnee trägt. Perfekt sogar. Die samstägliche Erwärmung mit nächtlicher Abstrahlung und Temperaturen unter dem Gefrierpunkt scheinen die optimalen Voraussetzungen gewesen zu sein.
Auf dem Klostertalergletscher angekommen, lässt sich schon erahnen, worauf wir uns freuen dürfen. Die Abdeckung ist perfekt, der Neuschnee hat sein Übriges dazu beigetragen. Das Essen ist angerichtet.
Dreieinhalb Stunden nach Aufbruch stehen wir am Skidepot auf 3.100 m. Wie bestellt beginnen sich die Wolken zu verziehen, die Sonne bricht durch. Um 09:30 Uhr stehen wir am Gipfel - vielleicht am Gipfel der Besessenheit, definitiv jedoch am Gipfel der Genüsse. Vor uns breitet sich ein Panorama aus, wie man es sich wünscht. Das Wetter ist perfekt, am Gletscher beginnt es langsam aufzufirnen. Wir genießen unser z'Nüni und Josua überrascht mit einer Erdbeertorte. Langsam wird es zu viel. Was ist zu viel? Um 10 Uhr sagen wir leise Servus und steigen zurück zum Skidepot - einen Abstecher zum Piz Grambola (3.190 m) am Verbindungsgrat zum Silvrettahorn inklusive.
Zurück bei den Skiern ist der Schnee in der Sonne am Auffirnen - es ist angerichtet. Mehr als genießen geht nicht, es ist ein wahres Freudenfest. So etwas hätten wir uns nicht zu träumen gewagt. Auf 2.750 m schwingen wir ab, fellen nochmals auf. Einmal geht noch. Bei der zweiten Abfahrt präsentiert sich nun auch der untere Gletscherteil als Firn vom Feinsten. Mit dem Gedanken eines dritten Aufstiegs spielend, beschließen wir, es bleiben zu lassen. Man soll ja bekanntlich aufhören, wenn es am Schönsten ist. Diese Entscheidung stellt sich auch als die Richtige heraus, werden doch dadurch die Schwünge hinab auf 2.450 m ebenfalls noch ein Genuß - auch hier trägt der Schnee noch. Am 17. Juli. Um 11:30 Uhr.
Bis auf 2.400 m schlängeln wir uns auf Altschneefeldern, dann ist es endgültig aus - ein Lob dem Hausherrn.
Zurück bei der Klostertaler genießen wir noch die Julisonne, ehe wir uns gegen 13:00 Uhr auf unsere Räder schwingen. Vorbei an zahllosen Touris, dem ein oder anderen Bergsteiger und vielen offenen Mündern, tragen sie uns sicher zurück - ohne unsere wunderbaren Biciclette wäre der Marsch hinaus wohl eher einem Schaulauf gleichgekommen.
Fertig und glücklich ging so eine Tour zu Ende, die wir uns eigentlich nicht mehr haben vorstellen können - doch scheinbar sollte es doch nochmals so sein.
Und damit lass ich die Bilder sprechen - auch trotz den 140kb hoffentlich das eine oder andere Hirn in der Sommerhitze abkühlend und Vorfreude auf die neue Saison erweckend,
Alva
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