Offener Brief: Unseriöse Berichterstattung des Herrn Dr. Melchior - "Weltrekord" am Südpol
Habeler P., Höbenreich C., Koblmüller E., Koller P., Nairz W., Renzler R., Schauer R.
Sehr geehrte Damen und Herren!
Es ist sehr begrüßenswert, dass ein so renommiertes Haus wie die Bank-Austria Creditanstalt das Expeditionswesen unterstützt und die eindrucksvollen Attribute des Berg- und Expeditionssports auch für sein Marketing nützt. Weiters ist es erfreulich, dass zahlreiche Medien so interessiert über den polaren Expeditionssport berichten. Wir gratulieren Dr. Wolfgang Melchior aufrichtig zur Leistung, eine 838 Kilometer lange Luftlinie (bzw. eine wie von ihm angegeben "knapp 900 km" effektive Gehstrecke) bis zum Südpol in 33 Tagen mit Ski bewältigt zu haben. Die täglich zurückgelegten Distanzen zeugen von einer guten Führung und Leistungsfähigkeit der gesamten Gruppe, der er sich angeschlossen hat. Letztlich ist besonders die Kreativität der norwegischen Expeditionsleitung hoch einzuschätzen, eine neue Skiroute zum Südpol ausfindig gemacht zu haben.
Die öffentlichen Aussagen und Presseberichte des Dr. Melchior werfen jedoch bedauerlicherweise einen Schatten auf die Glaubwürdigkeit und die Seriösität des gesamten österreichischen Expeditionssports und entsprechen nicht dem anerkannten Ehrenkodex der "Tirol Deklaration"! Im Internationalen Jahr der Berge 2002 haben wir und die namhaftesten Alpinisten der Welt (Reinhold Messner, Chris Bonington, Kurt Diemberger, Doug Scott, Alex Huber, Stefan Glowacz, Heinz Zak, Sepp Friedhuber und viele mehr) sowie die wichtigsten Alpinmedien und Bergsportverbände in der "Tirol Deklaration" der UIAA einen Wertekatalog zu Fragen der Ethik im Bergsport festgelegt (s. www.mountainfuture.at). In Artikel 10 heißt es: "Bergsportler sollten peinlichst auf eine realistische Information zu ihren Aktivitäten achten. Ein genauer Bericht fördert nicht nur die Glaubwürdigkeit des Kletterers oder Bergsteigers, sondern auch das öffentliche Ansehen seines Sports. Es ist die Pflicht des Bergsportlers, sich gegenüber seinem Sponsor und den Medien ... im Sinne der Tirol Deklaration einzusetzen." Wir erlauben uns daher, Ihnen sachlich und fair aufzuzeigen, dass trotz oder gerade wegen der Kommerzialisierung des Expeditionswesens unbedingt auf die Werte unseres Sports in der öffentlichen Meinungsbildung geachtet werden muss; und dass insbesondere bei medial so in Szene gesetzten Unternehmungen wie der gegenständlichen Südpol-Expedition die Einhaltung dieser Grundsätze mit Nachdruck einzufordern und die veröffentlichten Halbwahrheiten scharf zu kritisieren sind.
Unsere Kritik betrifft in erster Linie die übertriebene Darstellung der Expedition als sportliche "Weltrekordleistung": Das Team mit Dr. Melchior flog mit dem Flugzeug näher an den Südpol heran als ähnliche Expeditionen vorher. Es startete auf dem weitläufigen Schelfeisübergangsbereich des Möllereisstroms (82°27’ südlicher Breite, 170m Seehöhe) und hatte dadurch eine effektiv mindestens ca. 227 Kilometer (also ca. 20%) kürzere Gehstrecke zum Pol zu bewältigen! Bisher wurde von anderen sportlich orientierten Südpol-Expeditionen üblicherweise die ca. 1.127 Kilometer lange Route vom Hercules Inlet gewählt. Auf dieser Route beträgt die Bestzeit einer "unsupported-Expedition" 41 Tage 8 Stunden 14 Minuten und wurde am 11. Jänner 2004 von der Britin Fiona Thornewill - übrigens sogar im Alleingang (!) - aufgestellt. Beide Expeditionen gingen damit im Tagesschnitt gleich weit/schnell, nämlich täglich ca. 27 Kilometer (1.127km/42Tage = ca. 900km/33 Tage = ca. 27km/1Tag). Oder anders ausgedrückt: Nur die mit dem Flugzeug (!) ermöglichte, um 20% kürzere Gehstrecke von ca. 900 Kilometern ergab letztlich auch die um 20% kürzere Gehzeit von 33 Tagen. Um aber wirklich einen sportlichen Rekord aufstellen zu können, muss dieser bezüglich der erbrachten sportlichen Leistung messbar und vor allem konkret vergleichbar sein! Möchte man einen Vergleich wagen, wäre Thornewills Expedition sportlich wohl eindeutig als wertvollere Leistung einzustufen, da sie nicht nur die längere Gehstrecke in der gleichen Geschwindigkeit zurücklegte, sondern dazu auch mehr Material schleppen musste und zudem noch solo ging. Ein seriöser Vergleich von Polarexpeditionen ist ohne objektive Kriterien und klare Regeln eben NICHT möglich.
Die mediale Selbstinszenierung des Dr. Melchior als Weltrekordler wirkt wie eine aufgeblasene Show nach dem Motto "mehr-scheinen-wollen-als-sein". Warum sonst verkündet er auf seiner Website: "Unser Ziel ist es, die schnellste Expedition zu sein, die jemals den Südpol erreicht hat", ohne herauszustreichen, dass die Gruppe mit dem Fluzgeug einfach an einen dem Südpol viel näher gelegenen Ausgangspunkt fliegt als die anderen Expeditionen vorher? Warum sonst titelt die Schlagzeile in der Presseaussendung der Bank-Austria Creditanstalt: "Als erster Mensch ging er ohne technische Hilfe in 33 Tagen zum Südpol", wenn Dr. Melchior doch als Teilnehmer in eine geführte Gruppe eingegliedert war? Warum sonst hat Dr. Melchior nie darauf hingewiesen, dass die Expedition von einem kommerziellen norwegischen Expeditionsreiseveranstalter organisiert wurde und er sich mit Sponsorgeldern einfach einkaufen konnte? Warum sonst hat er den erfahrenen Expeditionsleiter Rolf Bae nie als Leiter sondern - wenn überhaupt - lediglich als "Begleiter" erwähnt? Was sonst sollten die Übertreibungen der zu erwartenden Naturverhältnisse wie "-50°C" Lufttemperaturen oder "300 km/h" Stürme? Warum sonst hat er seine Teilnahme an einer der zahlreichen, touristischen Ski-Last-Degree Reisen am Nordpol Effekt haschend als "legendäre russische Nordpolexpedition, die den Pol in Rekordzeit überschritt" bezeichnet? Warum sonst hat er Bilder anderer Expeditionen als die seinen veröffentlicht? Und was sonst bezweckte Dr. Melchior mit seiner unseriösen Ankündigung, "als erster Mensch vom Mt.Vinson mit Ski abfahren zu wollen", was bekanntlich bereits mehrmals erfolgreich durchgeführt wurde?
Wir sind uns bewusst, dass es für die Öffentlichkeit, die allgemeinen Medien und Sponsoren oft nur schwer möglich ist, zwischen vorgegebenen und tatsächlichen Leistungen im Expeditionssport gerade in einem so entlegenen Grenzraum wie der Antarktis wirklich differenzieren zu können. Grundsätzlich muss man sich daher auf die Aussagen der jeweiligen Bergsportler verlassen können. Medien und Sponsoren wären aber gut beraten, die Expeditionen und die Aktiven kritisch zu hinterfragen und dazu bestenfalls auch Fachleute zu Rate zu ziehen. Andernfalls verliert möglicherweise nicht nur der Aktive selbst, sondern leider auch der Sponsorpartner an Glaubwürdigkeit in der Öffentlichkeit!
Die wahrheitsgemäße Berichterstattung ist im Expeditionssport deshalb von so enormer Bedeutung, da sie letztlich entscheidend ist für die Anerkennung einer erbrachten Leistung. Wenn nämlich Beliebigkeit die Qualität der Wahrheit ersetzt, dann geht die öffentliche Wahrnehmung der echten Leistung und jede Möglichkeit einer seriösen Leistungsbeurteilung im Berg- und Expeditionssport verloren. Da besonders Halbwahrheiten in der Berichterstattung die Glaubwürdigkeit und das öffentliche Ansehen des Expeditionssports schädigen, ist es NICHT egal, mit welchen Mitteln und welchen Aussagen gearbeitet wird. In der absolut korrekten Information und realistischen Darstellung lag und liegt somit eine große Verantwortung bei Dr. Melchior. Unbewusst Irrtümer zu begehen und Fehler zu machen, ist zwar nicht professionell; diese öffentlich einzugestehen wäre zumindest menschlich zu respektieren. Bewusst verbreitete Halbwahrheiten oder Falschinformationen sind im Expeditionssport hingegen nicht zu entschuldigen.
Wir hoffen, Sie mit unseren Ausführungen für die Werte des Bergsports und die fragwürdige Darstellung der Südpolexpedition durch Dr. Melchior sensibilisiert zu haben und verbleiben
mit sportlichen Grüßen
Peter Habeler, Mayrhofen
Christoph Höbenreich, Thaur
Edi Koblmüller, Linz
Paul Koller, Schwendt
Wolfgang Nairz, Innsbruck
Robert Renzler, Gries am Brenner
Robert Schauer, Graz
Habeler P., Höbenreich C., Koblmüller E., Koller P., Nairz W., Renzler R., Schauer R.
Sehr geehrte Damen und Herren!
Es ist sehr begrüßenswert, dass ein so renommiertes Haus wie die Bank-Austria Creditanstalt das Expeditionswesen unterstützt und die eindrucksvollen Attribute des Berg- und Expeditionssports auch für sein Marketing nützt. Weiters ist es erfreulich, dass zahlreiche Medien so interessiert über den polaren Expeditionssport berichten. Wir gratulieren Dr. Wolfgang Melchior aufrichtig zur Leistung, eine 838 Kilometer lange Luftlinie (bzw. eine wie von ihm angegeben "knapp 900 km" effektive Gehstrecke) bis zum Südpol in 33 Tagen mit Ski bewältigt zu haben. Die täglich zurückgelegten Distanzen zeugen von einer guten Führung und Leistungsfähigkeit der gesamten Gruppe, der er sich angeschlossen hat. Letztlich ist besonders die Kreativität der norwegischen Expeditionsleitung hoch einzuschätzen, eine neue Skiroute zum Südpol ausfindig gemacht zu haben.
Die öffentlichen Aussagen und Presseberichte des Dr. Melchior werfen jedoch bedauerlicherweise einen Schatten auf die Glaubwürdigkeit und die Seriösität des gesamten österreichischen Expeditionssports und entsprechen nicht dem anerkannten Ehrenkodex der "Tirol Deklaration"! Im Internationalen Jahr der Berge 2002 haben wir und die namhaftesten Alpinisten der Welt (Reinhold Messner, Chris Bonington, Kurt Diemberger, Doug Scott, Alex Huber, Stefan Glowacz, Heinz Zak, Sepp Friedhuber und viele mehr) sowie die wichtigsten Alpinmedien und Bergsportverbände in der "Tirol Deklaration" der UIAA einen Wertekatalog zu Fragen der Ethik im Bergsport festgelegt (s. www.mountainfuture.at). In Artikel 10 heißt es: "Bergsportler sollten peinlichst auf eine realistische Information zu ihren Aktivitäten achten. Ein genauer Bericht fördert nicht nur die Glaubwürdigkeit des Kletterers oder Bergsteigers, sondern auch das öffentliche Ansehen seines Sports. Es ist die Pflicht des Bergsportlers, sich gegenüber seinem Sponsor und den Medien ... im Sinne der Tirol Deklaration einzusetzen." Wir erlauben uns daher, Ihnen sachlich und fair aufzuzeigen, dass trotz oder gerade wegen der Kommerzialisierung des Expeditionswesens unbedingt auf die Werte unseres Sports in der öffentlichen Meinungsbildung geachtet werden muss; und dass insbesondere bei medial so in Szene gesetzten Unternehmungen wie der gegenständlichen Südpol-Expedition die Einhaltung dieser Grundsätze mit Nachdruck einzufordern und die veröffentlichten Halbwahrheiten scharf zu kritisieren sind.
Unsere Kritik betrifft in erster Linie die übertriebene Darstellung der Expedition als sportliche "Weltrekordleistung": Das Team mit Dr. Melchior flog mit dem Flugzeug näher an den Südpol heran als ähnliche Expeditionen vorher. Es startete auf dem weitläufigen Schelfeisübergangsbereich des Möllereisstroms (82°27’ südlicher Breite, 170m Seehöhe) und hatte dadurch eine effektiv mindestens ca. 227 Kilometer (also ca. 20%) kürzere Gehstrecke zum Pol zu bewältigen! Bisher wurde von anderen sportlich orientierten Südpol-Expeditionen üblicherweise die ca. 1.127 Kilometer lange Route vom Hercules Inlet gewählt. Auf dieser Route beträgt die Bestzeit einer "unsupported-Expedition" 41 Tage 8 Stunden 14 Minuten und wurde am 11. Jänner 2004 von der Britin Fiona Thornewill - übrigens sogar im Alleingang (!) - aufgestellt. Beide Expeditionen gingen damit im Tagesschnitt gleich weit/schnell, nämlich täglich ca. 27 Kilometer (1.127km/42Tage = ca. 900km/33 Tage = ca. 27km/1Tag). Oder anders ausgedrückt: Nur die mit dem Flugzeug (!) ermöglichte, um 20% kürzere Gehstrecke von ca. 900 Kilometern ergab letztlich auch die um 20% kürzere Gehzeit von 33 Tagen. Um aber wirklich einen sportlichen Rekord aufstellen zu können, muss dieser bezüglich der erbrachten sportlichen Leistung messbar und vor allem konkret vergleichbar sein! Möchte man einen Vergleich wagen, wäre Thornewills Expedition sportlich wohl eindeutig als wertvollere Leistung einzustufen, da sie nicht nur die längere Gehstrecke in der gleichen Geschwindigkeit zurücklegte, sondern dazu auch mehr Material schleppen musste und zudem noch solo ging. Ein seriöser Vergleich von Polarexpeditionen ist ohne objektive Kriterien und klare Regeln eben NICHT möglich.
Die mediale Selbstinszenierung des Dr. Melchior als Weltrekordler wirkt wie eine aufgeblasene Show nach dem Motto "mehr-scheinen-wollen-als-sein". Warum sonst verkündet er auf seiner Website: "Unser Ziel ist es, die schnellste Expedition zu sein, die jemals den Südpol erreicht hat", ohne herauszustreichen, dass die Gruppe mit dem Fluzgeug einfach an einen dem Südpol viel näher gelegenen Ausgangspunkt fliegt als die anderen Expeditionen vorher? Warum sonst titelt die Schlagzeile in der Presseaussendung der Bank-Austria Creditanstalt: "Als erster Mensch ging er ohne technische Hilfe in 33 Tagen zum Südpol", wenn Dr. Melchior doch als Teilnehmer in eine geführte Gruppe eingegliedert war? Warum sonst hat Dr. Melchior nie darauf hingewiesen, dass die Expedition von einem kommerziellen norwegischen Expeditionsreiseveranstalter organisiert wurde und er sich mit Sponsorgeldern einfach einkaufen konnte? Warum sonst hat er den erfahrenen Expeditionsleiter Rolf Bae nie als Leiter sondern - wenn überhaupt - lediglich als "Begleiter" erwähnt? Was sonst sollten die Übertreibungen der zu erwartenden Naturverhältnisse wie "-50°C" Lufttemperaturen oder "300 km/h" Stürme? Warum sonst hat er seine Teilnahme an einer der zahlreichen, touristischen Ski-Last-Degree Reisen am Nordpol Effekt haschend als "legendäre russische Nordpolexpedition, die den Pol in Rekordzeit überschritt" bezeichnet? Warum sonst hat er Bilder anderer Expeditionen als die seinen veröffentlicht? Und was sonst bezweckte Dr. Melchior mit seiner unseriösen Ankündigung, "als erster Mensch vom Mt.Vinson mit Ski abfahren zu wollen", was bekanntlich bereits mehrmals erfolgreich durchgeführt wurde?
Wir sind uns bewusst, dass es für die Öffentlichkeit, die allgemeinen Medien und Sponsoren oft nur schwer möglich ist, zwischen vorgegebenen und tatsächlichen Leistungen im Expeditionssport gerade in einem so entlegenen Grenzraum wie der Antarktis wirklich differenzieren zu können. Grundsätzlich muss man sich daher auf die Aussagen der jeweiligen Bergsportler verlassen können. Medien und Sponsoren wären aber gut beraten, die Expeditionen und die Aktiven kritisch zu hinterfragen und dazu bestenfalls auch Fachleute zu Rate zu ziehen. Andernfalls verliert möglicherweise nicht nur der Aktive selbst, sondern leider auch der Sponsorpartner an Glaubwürdigkeit in der Öffentlichkeit!
Die wahrheitsgemäße Berichterstattung ist im Expeditionssport deshalb von so enormer Bedeutung, da sie letztlich entscheidend ist für die Anerkennung einer erbrachten Leistung. Wenn nämlich Beliebigkeit die Qualität der Wahrheit ersetzt, dann geht die öffentliche Wahrnehmung der echten Leistung und jede Möglichkeit einer seriösen Leistungsbeurteilung im Berg- und Expeditionssport verloren. Da besonders Halbwahrheiten in der Berichterstattung die Glaubwürdigkeit und das öffentliche Ansehen des Expeditionssports schädigen, ist es NICHT egal, mit welchen Mitteln und welchen Aussagen gearbeitet wird. In der absolut korrekten Information und realistischen Darstellung lag und liegt somit eine große Verantwortung bei Dr. Melchior. Unbewusst Irrtümer zu begehen und Fehler zu machen, ist zwar nicht professionell; diese öffentlich einzugestehen wäre zumindest menschlich zu respektieren. Bewusst verbreitete Halbwahrheiten oder Falschinformationen sind im Expeditionssport hingegen nicht zu entschuldigen.
Wir hoffen, Sie mit unseren Ausführungen für die Werte des Bergsports und die fragwürdige Darstellung der Südpolexpedition durch Dr. Melchior sensibilisiert zu haben und verbleiben
mit sportlichen Grüßen
Peter Habeler, Mayrhofen
Christoph Höbenreich, Thaur
Edi Koblmüller, Linz
Paul Koller, Schwendt
Wolfgang Nairz, Innsbruck
Robert Renzler, Gries am Brenner
Robert Schauer, Graz
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