Hallo, wertes Forum!
Ich war mir lange Zeit nicht sicher, ob ich über die aufwühlenden Vorkomnisse des 28.09.05 überhaupt berichten kann, denn es waren schlimme Momente zu überstehen. Ich glaube aber, dass ich mittlerweile in der Lage bin, offen über diese Dinge zu schreiben, nicht zuletzt durch die verständnisvolle Mithilfe meines Therapeuten in Sachen 8000er-Trauma. Danke, Reinhold!
(Könnte allerdings auch sein, dass ich bisher einfach zu faul war. Version 1 klingt aber besser, gell?)
Wir schreiben, bzw. ich schreibe den 28.09.05 – nach dem Gipfel und vor dem Anschiss...
Jedenfalls war die Nacht fast windstill und geschneit hat’s auch nicht. Bis kurz vor vier gepennt. Herrlich dicke Luft hier unten auf 6000m... Über mir der blankpolierte Sternenhimmel mit Mondsichel, Mars und Saturn – das hektische Basecamp mit all den Allüren, Eitelkeiten und Ambitionen ist ewig weit weg. Cho Oyu – ein Modeberg? Nicht an diesem Morgen... Ein ähnliches Gefühl, wie 2002, als ich am Montblanc nachts alleine von der Tete Rousse-Hütte aufgestiegen bin. Nachher rennen hier wieder die Heerscharen vorbei. 5 Uhr durch – die Dämmerung beginnt. Der Himalaya erwacht und ich auch. Eine Mischung aus Wiedergeburt und auftauender Eidechse... Ich würde ja gerne noch den Sonnenaufgang abwarten, aber das wäre wohl ziemlich unsozial gegenüber der Truppe im Basecamp. Vielleicht kann das BC ja noch erreichen, bevor sie einen Suchtrupp oder so was losschicken. Langsam packen. Erstes Licht auf dem Nangpai Gosum – toll! Was für eine Eiswand! Der Gipfel ist über 7300m hoch und vorgestern war der „irgendwo da unten“ – schriller Gedanke! Frühstück muss mangels Ressourcen leider ausfallen. Rein in die Schuhe – sehr erfrischend! Mit klammen Flossen den Schlafsack und die Exped zusammenquetschen.
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So, marschbereit! Um 6h40 geht’s ab auf die Zielgerade. Ganz langsam die Serpentinen runter. Zum fünften Mal diese Strecke – sie ist nicht kürzer geworden. Muss alle paar Schritte durchschnaufen. Ein Schlückchen Flüssigkeit wäre schon ganz nett jetzt. Die rechte Schulter zwiebelt tierisch. Runter zum Gletscher. Auf den spitzen Moränenkegel zu. Eigentlich ein traumhafter Morgen, aber meine Genussfähigkeit ist derzeit wohl geringfügig eingeschränkt...
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Langsam geht es den Gletscher entlang. Immer wieder der Blick zurück zum Nangpai Gosum:
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Um 7h42 der (zehnte und letzte) rituelle Stopp an der Gletscherlagune – alles gefroren, so früh am tag. Vielleicht schaffe ich es bis 9h00 zum Serac-Stopp. Habe das Gefühl, dass ich immer langsamer werde und meine Schulter gleich explodiert. O.K. neuer Plan: Das große Gepäck wird hinter einem Serac deponiert, ich latsche zügig zum Basecamp, hole mir meinen Anschiss ab und komme später (oder morgen) zurück und hole den Rucksack ab. Die Aussicht, gleich die gefühlten 100t loszuwerden, wirkt belebend. Nächste Frage: Welches Serac-Versteck ist geeignet? Anforderung 1: Nicht vom Weg einzusehen. Anforderung 2: Eindeutig wiederzufinden. Ich verlasse den Hauptweg und latsche etwas zwischen den Gletschertürmen umher.
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Ah, dort ist es gut. Runter mit dem Mühlstein! Und etwas Wasser gibt’s auch noch! Halb neun. Mit leichtem Gepäck und leichtem Gemüt geht’s weiter... MIST! Da kommt jemand! Hat er mich gesehen? Dann wird er sich fragen, was ich hinter dem Serac wollte. Verdammich! Schnell verstecken! Oh, no – er kommt auf mich zu! Ein Sherpa bzw. ein Tibeter. Ich gehe ihm möglichst entspannt entgegen und überlege mir derweil krampfhaft, was ich denn sagen will. Doch die Dinge nehmen mal wieder eine unerwartete Wendung: Er fragt, ob ich „Klaas“ heiße... Tja, nicht eben das, was ich als Gesprächsauftakt erwartet habe. Es stellt sich heraus, dass er Chiri heißt und im Auftrag meiner Gruppe nach mir suchen soll – und ob ich vielleicht Tee möchte...
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Tja, möchte ich? NAKLARMÖCHTEICHGIBHER! Schlagartig haben sich die Koordinaten dieses Tages verändert. Er fragt, wo ich denn mein Gepäck habe und ich gehe mit ihm zum Versteck. Er schmeißt sich den Rucksack über die Schulter und geht Richtung Hauptweg. Ich wollte doch alles schön selber ins Basecamp tragen. Nun trägt jemand anderes mein Gepäck und ich empfinde das durchaus nicht als unangenehm – na ja, verachten kann ich mich später noch... Jetzt geht’s erst mal nach Hause. Mit ziemlich gemischten Gefühlen latsche ich hinter Chiri her.
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Tja, ein Triumphmarsch sieht wohl etwas anders aus. Eine norwegische Expedition kommt uns entgegen. Nachdem ich ihnen meinen Gipfelgang geschildert und die entsprechenden Glückwünsche entgegen genommen habe, geht’s mir wieder etwas besser. Um kurz vor 11 stehe ich oberhalb des Basecamps:
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Hier bin ich vor fünf Tagen losgelaufen und habe mich gefragt, in welchem Zustand und welcher Stimmung ich hier zurückkehren würde. So, wie es jetzt ist, hatte ich jedenfalls vorher nicht auf dem Schirm. Chiri ist schon im Camp. Ein Blick zurück: Was für ein schöner Berg! Wie viele sich da wohl heute rauf- bzw. herunterquälen... Ich gehe noch mal mit den Augen die Spur nach. Tja, es ist viel passiert in diesen fünf Tagen. Und langsam kommt die Erkenntnis, dass sich das wohl nicht wiederholen lässt, unabhängig davon, ob ich das will oder nicht. Die erste Achttausender-Tour macht man eben nur einmal. „Da oben bist du vorgestern rumgelaufen!“ - „Quatsch, red’ doch keinen Blödsinn!“ Zwei Stimmen in mir, die sich nicht einigen können. 'Ambivalente Gefühle' heißt das wohl. Ob es anderen auch so geht? Jedenfalls ist der Kopf offenbar in besserer Verfassung als der schlappe Restkörper. Egal, jetzt heißt es fertig machen zum Big Anschiss! Also, runter zum Lager, an den Spaniern vorbei und zum Amical-Camp. Immerhin ist kein Galgen aufgebaut worden. Ich weiß nicht mehr genau, wie viele Glückwünsche ich von den Spaniern bekommen habe – von meiner Gruppe gab’s jedenfalls keine. Ein paar verziehen sich in ihre Zelte – wie man das bei Sturmwarnung eben macht... Die gefühlte Temperatur ist innerhalb von 10 Metern schlagartig gefallen. Wenn ich ein Gruppenmitglied in ein Gletscherspalte gestoßen hätte, wären die Blicke wahrscheinlich nicht wesentlich unfreundlicher. Ein gedämpfter alpenländischer Grantelmix ist zu vernehmen, aber es ist wohl vorher entschieden worden, dass nur der Gruppenführer das Recht zum Erstschlag hat. Der kommt dann auch ausführlich und heftig - aber insgesamt kann ich wohl froh sein, dass er von D. kommt und nicht von H.-J., E. oder H. . Aus seiner Sicht als Expeditionsleiter hat D. natürlich in allen Punkten recht. Es ist auch seine erste 8000er-Tour und ich kann mir denken, dass man da auch als Leiter besonders unter Strom steht. Ich erfahre, dass bereits gestern Abend ein Suchtrupp zum Depotlager hochgeschickt worden ist, den ich natürlich zu bezahlen habe, dass ich auf Gröbste gegen die vereinbarten Zeitregeln verstoßen habe und dass ich ab sofort bei Amical auf der roten Liste stehe. Das sieht nach einer entspannten Atmosphäre bei der Rückreise nach Kathmandu aus. Natürlich könnte ich jetzt sagen, dass der Suchtrupp offenbar gar nicht bis zum Depotlager aufgestiegen ist, weil sie sonst über mich hätten stolpern müssen, und dass mich gestern Verzögerungen an den Fixseilen alleine eine Stunde gekostet haben. Um die Situation richtig aufzupeppen, könnte ich natürlich auch die Gruppe zusammenrufen und dann verkünden: „Ihr wart ja nicht mal auf dem richtigen Gipfel!“ Mein Selbsterhaltungstrieb weiß jedoch zu verhindern, dass an den 8000ern ein weiteres Opfer zu beklagen ist. Ich schlucke erst mal brav alles runter und schleiche zu meinem Zelt, setze mich auf einen Stein und schaue mir ganz genau den Boden vor mir an. Man lässt mich in Ruhe, immerhin. Und bei aller Zerknirschtheit ist da doch auch eindeutig der Gedanke: „Shice drauf!“ Natürlich war es vollkommen richtig, auch nach der Umkehrzeit noch zum Gipfel zu gehen. Das Risiko eines Wettersturzes war nun wirklich nicht so groß. Lisa, die Spanierin, war gestern um 16h oben. Seit Tagen praktisch kein Wölkchen – auch heute nicht. Klar, dass ein kommerzieller Veranstalter da einen anderen Standpunkt haben muss. Aber wie würde ich jetzt hier sitzen , wenn ich tatsächlich gegen 12 umgekehrt wäre? Deprimiert und sauer! Und irgendwann wäre ich wohl wiedergekommen, hätte wieder Tausende Euros ausgegeben, hätte wieder vier Wochen im Geröll gehaust und mich wieder fünfmal den Killerhang rauf- und runtergequält. Und alles für die fehlenden 100 oder 200 Höhenmeter. Nein, nein, die Entscheidung war toprichtig! Hätte es vorgestern einen Wettersturz gegeben, wäre ich eventuell anderer Meinung... Natürlich war etwas Glück dabei, aber ohne geht's ja sowieso nicht. Irgendwann kommt Michi vorbei und raunt mir zu: „Egal, Hauptsache oben!“ wenigstens einer, der mich aufmuntert. Das gemeinsame Abendessen wird noch mal ein Spießrutenlauf. Auch jetzt keinerlei Glückwünsche. Ich mache einen Fehler und erwähne die Verzögerungen an den Fixseilen. Nach 0,1 Sekunden vernehme ich von H.-J. den Kommentar: „Na, klar, jetzt sind natürlich die anderen Schuld!“ Dass E., der mir vorher sehr explizit das Recht abgesprochen hat, bei dieser Expedition dabeizusein, es nur bis 7500m geschafft hat, macht die Situation auch nicht entspannter. Die anderen denken sich ihren Teil. Ich bin froh, als ich mich wieder in mein Zelt zurückziehen kann – war doch alles recht viel heute. Wenn sich ein „8000er-Sieg“ so anfühlt, brauche ich das jedenfalls nicht noch mal...
Anyway – oben ist oben! Das nimmt mir keiner mehr weg...
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Epilog: Zu erwähnen wäre noch ein schöner Tagesausflug zum Nangpa La, dem berühmt berüchtigten Pass zwischen Tibet und Nepal, die langsam voranschreitende Entspannung innerhalb der Gruppe (Ausnahmen H.-J. und H.), der Abmarsch vom Basecamp, bei dem ich mich ungefähr 1000x zum Berg, zu MEINEM Berg umgedreht habe, das eindrucksvolle Himalaya-Panorama von einem Hügel oberhalb Tingri, die angenehme Rückreise nach Kathmandu, ein nächtliches Rikscha-Rennen und das königliche Gefühl, durch die Stadt zu laufen und auf die Frage von anderen Rucksack-Touris, was man denn so in der letzten Zeit gemacht hat, eine passende Antwort zu haben...
Bedanke mich für die Lesegeduld!
LG
Klaas
PS: Am 21.11. werde ich in der Aula des Loekamp-Gymnasiums in Marl einen Bildervortrag zur Cho-Oyu-Besteigung halten. Wen’s also interessiert....
Ich war mir lange Zeit nicht sicher, ob ich über die aufwühlenden Vorkomnisse des 28.09.05 überhaupt berichten kann, denn es waren schlimme Momente zu überstehen. Ich glaube aber, dass ich mittlerweile in der Lage bin, offen über diese Dinge zu schreiben, nicht zuletzt durch die verständnisvolle Mithilfe meines Therapeuten in Sachen 8000er-Trauma. Danke, Reinhold!
(Könnte allerdings auch sein, dass ich bisher einfach zu faul war. Version 1 klingt aber besser, gell?)
Wir schreiben, bzw. ich schreibe den 28.09.05 – nach dem Gipfel und vor dem Anschiss...
Jedenfalls war die Nacht fast windstill und geschneit hat’s auch nicht. Bis kurz vor vier gepennt. Herrlich dicke Luft hier unten auf 6000m... Über mir der blankpolierte Sternenhimmel mit Mondsichel, Mars und Saturn – das hektische Basecamp mit all den Allüren, Eitelkeiten und Ambitionen ist ewig weit weg. Cho Oyu – ein Modeberg? Nicht an diesem Morgen... Ein ähnliches Gefühl, wie 2002, als ich am Montblanc nachts alleine von der Tete Rousse-Hütte aufgestiegen bin. Nachher rennen hier wieder die Heerscharen vorbei. 5 Uhr durch – die Dämmerung beginnt. Der Himalaya erwacht und ich auch. Eine Mischung aus Wiedergeburt und auftauender Eidechse... Ich würde ja gerne noch den Sonnenaufgang abwarten, aber das wäre wohl ziemlich unsozial gegenüber der Truppe im Basecamp. Vielleicht kann das BC ja noch erreichen, bevor sie einen Suchtrupp oder so was losschicken. Langsam packen. Erstes Licht auf dem Nangpai Gosum – toll! Was für eine Eiswand! Der Gipfel ist über 7300m hoch und vorgestern war der „irgendwo da unten“ – schriller Gedanke! Frühstück muss mangels Ressourcen leider ausfallen. Rein in die Schuhe – sehr erfrischend! Mit klammen Flossen den Schlafsack und die Exped zusammenquetschen.
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So, marschbereit! Um 6h40 geht’s ab auf die Zielgerade. Ganz langsam die Serpentinen runter. Zum fünften Mal diese Strecke – sie ist nicht kürzer geworden. Muss alle paar Schritte durchschnaufen. Ein Schlückchen Flüssigkeit wäre schon ganz nett jetzt. Die rechte Schulter zwiebelt tierisch. Runter zum Gletscher. Auf den spitzen Moränenkegel zu. Eigentlich ein traumhafter Morgen, aber meine Genussfähigkeit ist derzeit wohl geringfügig eingeschränkt...
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Langsam geht es den Gletscher entlang. Immer wieder der Blick zurück zum Nangpai Gosum:
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Um 7h42 der (zehnte und letzte) rituelle Stopp an der Gletscherlagune – alles gefroren, so früh am tag. Vielleicht schaffe ich es bis 9h00 zum Serac-Stopp. Habe das Gefühl, dass ich immer langsamer werde und meine Schulter gleich explodiert. O.K. neuer Plan: Das große Gepäck wird hinter einem Serac deponiert, ich latsche zügig zum Basecamp, hole mir meinen Anschiss ab und komme später (oder morgen) zurück und hole den Rucksack ab. Die Aussicht, gleich die gefühlten 100t loszuwerden, wirkt belebend. Nächste Frage: Welches Serac-Versteck ist geeignet? Anforderung 1: Nicht vom Weg einzusehen. Anforderung 2: Eindeutig wiederzufinden. Ich verlasse den Hauptweg und latsche etwas zwischen den Gletschertürmen umher.
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Ah, dort ist es gut. Runter mit dem Mühlstein! Und etwas Wasser gibt’s auch noch! Halb neun. Mit leichtem Gepäck und leichtem Gemüt geht’s weiter... MIST! Da kommt jemand! Hat er mich gesehen? Dann wird er sich fragen, was ich hinter dem Serac wollte. Verdammich! Schnell verstecken! Oh, no – er kommt auf mich zu! Ein Sherpa bzw. ein Tibeter. Ich gehe ihm möglichst entspannt entgegen und überlege mir derweil krampfhaft, was ich denn sagen will. Doch die Dinge nehmen mal wieder eine unerwartete Wendung: Er fragt, ob ich „Klaas“ heiße... Tja, nicht eben das, was ich als Gesprächsauftakt erwartet habe. Es stellt sich heraus, dass er Chiri heißt und im Auftrag meiner Gruppe nach mir suchen soll – und ob ich vielleicht Tee möchte...
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Tja, möchte ich? NAKLARMÖCHTEICHGIBHER! Schlagartig haben sich die Koordinaten dieses Tages verändert. Er fragt, wo ich denn mein Gepäck habe und ich gehe mit ihm zum Versteck. Er schmeißt sich den Rucksack über die Schulter und geht Richtung Hauptweg. Ich wollte doch alles schön selber ins Basecamp tragen. Nun trägt jemand anderes mein Gepäck und ich empfinde das durchaus nicht als unangenehm – na ja, verachten kann ich mich später noch... Jetzt geht’s erst mal nach Hause. Mit ziemlich gemischten Gefühlen latsche ich hinter Chiri her.
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Tja, ein Triumphmarsch sieht wohl etwas anders aus. Eine norwegische Expedition kommt uns entgegen. Nachdem ich ihnen meinen Gipfelgang geschildert und die entsprechenden Glückwünsche entgegen genommen habe, geht’s mir wieder etwas besser. Um kurz vor 11 stehe ich oberhalb des Basecamps:
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Hier bin ich vor fünf Tagen losgelaufen und habe mich gefragt, in welchem Zustand und welcher Stimmung ich hier zurückkehren würde. So, wie es jetzt ist, hatte ich jedenfalls vorher nicht auf dem Schirm. Chiri ist schon im Camp. Ein Blick zurück: Was für ein schöner Berg! Wie viele sich da wohl heute rauf- bzw. herunterquälen... Ich gehe noch mal mit den Augen die Spur nach. Tja, es ist viel passiert in diesen fünf Tagen. Und langsam kommt die Erkenntnis, dass sich das wohl nicht wiederholen lässt, unabhängig davon, ob ich das will oder nicht. Die erste Achttausender-Tour macht man eben nur einmal. „Da oben bist du vorgestern rumgelaufen!“ - „Quatsch, red’ doch keinen Blödsinn!“ Zwei Stimmen in mir, die sich nicht einigen können. 'Ambivalente Gefühle' heißt das wohl. Ob es anderen auch so geht? Jedenfalls ist der Kopf offenbar in besserer Verfassung als der schlappe Restkörper. Egal, jetzt heißt es fertig machen zum Big Anschiss! Also, runter zum Lager, an den Spaniern vorbei und zum Amical-Camp. Immerhin ist kein Galgen aufgebaut worden. Ich weiß nicht mehr genau, wie viele Glückwünsche ich von den Spaniern bekommen habe – von meiner Gruppe gab’s jedenfalls keine. Ein paar verziehen sich in ihre Zelte – wie man das bei Sturmwarnung eben macht... Die gefühlte Temperatur ist innerhalb von 10 Metern schlagartig gefallen. Wenn ich ein Gruppenmitglied in ein Gletscherspalte gestoßen hätte, wären die Blicke wahrscheinlich nicht wesentlich unfreundlicher. Ein gedämpfter alpenländischer Grantelmix ist zu vernehmen, aber es ist wohl vorher entschieden worden, dass nur der Gruppenführer das Recht zum Erstschlag hat. Der kommt dann auch ausführlich und heftig - aber insgesamt kann ich wohl froh sein, dass er von D. kommt und nicht von H.-J., E. oder H. . Aus seiner Sicht als Expeditionsleiter hat D. natürlich in allen Punkten recht. Es ist auch seine erste 8000er-Tour und ich kann mir denken, dass man da auch als Leiter besonders unter Strom steht. Ich erfahre, dass bereits gestern Abend ein Suchtrupp zum Depotlager hochgeschickt worden ist, den ich natürlich zu bezahlen habe, dass ich auf Gröbste gegen die vereinbarten Zeitregeln verstoßen habe und dass ich ab sofort bei Amical auf der roten Liste stehe. Das sieht nach einer entspannten Atmosphäre bei der Rückreise nach Kathmandu aus. Natürlich könnte ich jetzt sagen, dass der Suchtrupp offenbar gar nicht bis zum Depotlager aufgestiegen ist, weil sie sonst über mich hätten stolpern müssen, und dass mich gestern Verzögerungen an den Fixseilen alleine eine Stunde gekostet haben. Um die Situation richtig aufzupeppen, könnte ich natürlich auch die Gruppe zusammenrufen und dann verkünden: „Ihr wart ja nicht mal auf dem richtigen Gipfel!“ Mein Selbsterhaltungstrieb weiß jedoch zu verhindern, dass an den 8000ern ein weiteres Opfer zu beklagen ist. Ich schlucke erst mal brav alles runter und schleiche zu meinem Zelt, setze mich auf einen Stein und schaue mir ganz genau den Boden vor mir an. Man lässt mich in Ruhe, immerhin. Und bei aller Zerknirschtheit ist da doch auch eindeutig der Gedanke: „Shice drauf!“ Natürlich war es vollkommen richtig, auch nach der Umkehrzeit noch zum Gipfel zu gehen. Das Risiko eines Wettersturzes war nun wirklich nicht so groß. Lisa, die Spanierin, war gestern um 16h oben. Seit Tagen praktisch kein Wölkchen – auch heute nicht. Klar, dass ein kommerzieller Veranstalter da einen anderen Standpunkt haben muss. Aber wie würde ich jetzt hier sitzen , wenn ich tatsächlich gegen 12 umgekehrt wäre? Deprimiert und sauer! Und irgendwann wäre ich wohl wiedergekommen, hätte wieder Tausende Euros ausgegeben, hätte wieder vier Wochen im Geröll gehaust und mich wieder fünfmal den Killerhang rauf- und runtergequält. Und alles für die fehlenden 100 oder 200 Höhenmeter. Nein, nein, die Entscheidung war toprichtig! Hätte es vorgestern einen Wettersturz gegeben, wäre ich eventuell anderer Meinung... Natürlich war etwas Glück dabei, aber ohne geht's ja sowieso nicht. Irgendwann kommt Michi vorbei und raunt mir zu: „Egal, Hauptsache oben!“ wenigstens einer, der mich aufmuntert. Das gemeinsame Abendessen wird noch mal ein Spießrutenlauf. Auch jetzt keinerlei Glückwünsche. Ich mache einen Fehler und erwähne die Verzögerungen an den Fixseilen. Nach 0,1 Sekunden vernehme ich von H.-J. den Kommentar: „Na, klar, jetzt sind natürlich die anderen Schuld!“ Dass E., der mir vorher sehr explizit das Recht abgesprochen hat, bei dieser Expedition dabeizusein, es nur bis 7500m geschafft hat, macht die Situation auch nicht entspannter. Die anderen denken sich ihren Teil. Ich bin froh, als ich mich wieder in mein Zelt zurückziehen kann – war doch alles recht viel heute. Wenn sich ein „8000er-Sieg“ so anfühlt, brauche ich das jedenfalls nicht noch mal...
Anyway – oben ist oben! Das nimmt mir keiner mehr weg...
08-800-img346-02.jpg
Epilog: Zu erwähnen wäre noch ein schöner Tagesausflug zum Nangpa La, dem berühmt berüchtigten Pass zwischen Tibet und Nepal, die langsam voranschreitende Entspannung innerhalb der Gruppe (Ausnahmen H.-J. und H.), der Abmarsch vom Basecamp, bei dem ich mich ungefähr 1000x zum Berg, zu MEINEM Berg umgedreht habe, das eindrucksvolle Himalaya-Panorama von einem Hügel oberhalb Tingri, die angenehme Rückreise nach Kathmandu, ein nächtliches Rikscha-Rennen und das königliche Gefühl, durch die Stadt zu laufen und auf die Frage von anderen Rucksack-Touris, was man denn so in der letzten Zeit gemacht hat, eine passende Antwort zu haben...
Bedanke mich für die Lesegeduld!
LG
Klaas
PS: Am 21.11. werde ich in der Aula des Loekamp-Gymnasiums in Marl einen Bildervortrag zur Cho-Oyu-Besteigung halten. Wen’s also interessiert....
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