China ist ein Land voller Gegensätze, Vielfalt und Superlativen: Auf der einen Seite gibt es riesige Metropolregionen wie Shanghai, in der auf einer Fläche die in etwa der Hälfte des Bundeslandes Tirol entspricht, mehr als die dreifache Anzahl an Menschen wie in ganz Österreich leben, Zugtrassen, die über 1200 km von einander entfernte Städte in weniger als 5 h miteinander verbinden, Flughäfen die in einem Jahr mehr Passagiere abfertigen als es Einwohner in Deutschland gibt und über 90 unterschiedliche Ethnien die mit 5 verschiedenen Regionalküchen Gerichte auf den Tisch zaubern die man so schnell nicht vergisst.
Auf der anderen Seite ist da die großartige Landschaft die in weiten Teilen des Landes oft wenig oder schlecht erschlossen und teilweise nur mit größerem Aufwand zu erreichen ist. Es gibt riesige Sandwüsten, ausgedehnte Grassteppen, subtropischen Regenwald, Hochebenen und Gebirge, welche die Alpen um tausende von Metern übertrumpfen und eine alpine Spielwiese der Extraklasse darstellen.
Unser gemeinsames Kletterevent fand zwar nicht im Himalaya statt, dafür aber in einem Hochtal namens Shuangqiao Gou (双桥沟) das im Qionglai Shan (邛崃山) liegt, welches in der Provinz Sichuan im Osten einen Teil des Tibetischen Hochplateaus bildet und mit dem Yaomei Feng (幺妹峰, 6250 m) im Siguniangshan Massiv (四姑娘山) den zweithöchsten Berg Sichuans beheimatet.
Das Shuangqiao Gou, was etwa so viel bedeutet wie Doppelbrückental, ist mit einer Länge von etwa 35 km auf einer Höhe von 3100 bis 3800 m das längste von drei benachbarten Tälern die zusammen den UNESCO Siguniangshan Nationalpark bilden der überwiegend von Tibetern bewohnt wird und durch deren Kultur geprägt ist. Kern des Nationalparks ist das Dorf Rilong, von dem aus die drei Täler erreichbar sind, wobei das Shuangqiao Gou das einzige mit einer befestigten Straße und grundlegender Tourismusinfrastruktur wie ein paar Hostels, Restaurants und einem regelmäßig fahrendem Touristenbus ist. Die anderen beiden Täler, das Changping Gou (长坪沟) und das Haizi Gou (海子沟) sind nur zu Fuß oder mit dem Pferd begehbar.
Die Anreise ins Shuangqiao Gou erfolgt von Chengdu mit dem öffentlichen Bus oder einem privat über eine lokale Reiseagentur angemieteten Fahrer. Ohne Chinesischkenntnisse kann der öffentliche Bus etwas umständlich sein, allerdings ist er auch mit einem größeren Erlebnisfaktor verbunden. Die Fahrt nach Rilong (~220 km) dauert je nach Wetterbedingungen zwischen 5 bis 7 h und führt über einen 4580 m hohen Gebirgspass. - Man sollte sich bewusst sein, dass der Höhenunterschied zwischen Chengdu und Rilong knapp 3000 Hm, bzw. zwischen Chengdu und dem höchsten Punkt am Pass 4000 Hm, beträgt und durch den schnellen Aufstieg Symptome der Höhenkrankheit nach 4-6 h oft unvermeidbar sind. Beim Überqueren des Passes unbedingt auf eine bewusst gesteigerte Atemfrequenz achten. Eine Person fiel aufgrund akuten Sauerstoffmangels im Gehirn in Ohnmacht. Für den medizinischen Notfall gibt es in größeren Hostels in Rilong Sauerstoffflaschen, der nächste Ort unter 2000 m ist in etwa 1-2 h Autofahrt Richtung Süden erreichbar -
Als wir in Rilong ankamen waren wir nach den knapp sechs Stunden im Bus und gefühlt 200 Spitzkehren etwas geplättet und wurde mit reichlich Verspätung von einem Guide, der ebenfalls in unserem Hostel auf knapp 3300m einquartiert war, abgeholt. Neben uns waren noch etwa 12 weitere Gäste im Hostel die an einem Eiskletterkurs teilnahmen. Nach dem Abendessen verzogen wir uns mit schwerem Kopf auf unser Zimmer und schliefen mit einer ordentlichen Dosis Ibuprofen irgendwann ein.
Der nächste Morgen begann mit schönstem Bergwetter: Die Luft war kristallklar (kein Vergleich zu dem was man aus den Großstädten gewohnt ist) und es war fast keine Wolke am Himmel zu sehen. Vom Fenster unseres Zimmers sah ich zum ersten mal im Leben einen 5000er und war sofort davon fasziniert. Nach dem Mittagessen machten wir einen ausgedehnten Spaziergang und bekamen knapp ein halbes Duzend 5000er zu Gesicht. Ich freute mich wie ein kleiner Bub über diesen Anblick und fabrizierte schon wild mögliche Besteigungsrouten. Viele der umstehenden Berge werden nur äußerst selten bestiegen und es gibt massiv Potenzial für Neurouten aller Schwierigkeitsgarde. Auch gibt es noch ein paar unbestiegene Berge.
Dafür, dass noch so viel Neuland in dieser touristisch in der Hauptsaison doch frequentierten Region (= Tagestouristen) existiert, gibt es meiner Ansicht nach mehrere Gründe: Der Hauptgrund der ambitionierte Bergsteiger ohne Sponsoren zurückhält, dürften wohl die bürokratischen Hürden und die horrenden Kosten sein. Für Gipfelbesteigungen die über 3800 m gehen bedarf es grundsätzlich einer Genehmigung durch die Sichuan Mountaineering Association (SMA) für die man, besonders bei unbestiegenen Gipfeln, eine Gebühr von einigen tausend RMB entrichten muss. Darüber hinaus bedarf es eines Verbindungsoffiziers, der, zusammen mit seinem Koch und dem gesamten Basislager, etwa 1500 – 2000 RMB/Tag kostet. Diese Kosten sind ähnlich wie ein Pauschalbetrag zu verstehen und wurden mir von einem lokalen Expeditionsveranstalter genannt. Jede zusätzliche Person kostet nur geringfügig mehr, je mehr Personen also mitkommen umso bezahlbarer wird es.
Ein weiterer Grund dürfte die schiere Schwierigkeit der Berge selbst und das Fehlen jeglicher Bohrhaken, Standplätze etc. sein. Das Klima in dieser Region ist ein völlig anderes als in den Alpen und es gibt eher geringe Niederschläge. Damit einhergehend gibt es kaum Gletscher und auch äußerst wenig Steileis oder Firn für den Aufstieg, und wenn dann oft in fraglicher Konsistenz. Sucht man kombinierte Anstiege im Winter, so wird das schnell zu einer recht ernsten Angelegenheit. Man kommt zwar über die Straße schnell zum Berg und es wird einem eine gewisse Nähe zur Zivilisation suggeriert, allerdings gibt es in dieser Region keine wirklich organisierte Bergrettung oder gar Hubschrauber und eine schwere Verletzung im komplizierten Gelände kann schnell im Desaster enden.
Ein weiterer Punkt dürfte die Unbekanntheit und das Fehlen von Informationen sein. Wir haben 600 – 1000 m hohe, aalglatte Granitwände gesehen. Es ist mir ein Rätsel warum hier die „Huber Buam“ und co. noch nicht zugeschlagen haben. Ein großes Hindernis hierbei dürfte die Informationskultur bzw. allgemein die Art und Weiße sein, wie die Locals und auch die SMA mit der Veröffentlichung oder Weitergabe von Informationen umgehen. Von öffentlicher Seite bekommt man, wenn überhaupt, nur Informationen zu einem ausgesuchten Berg bzw. einer Route. Einen Überblick zu bekommen, welche Berge unbestiegen und welche Routen noch zu haben sind und welche nicht, ist ausgesprochen mühsam und selbst mit Chinesischkenntnissen über diverse Internetforen sehr umständlich. Ich habe z.B. mit einem Guide vor Ort über den Yaomei Feng gesprochen, habe es aber nicht mal geschafft ihm zu entlocken über welche Route er versucht hat den Berg zu besteigen. Man hat immer etwas das Gefühl nicht richtig willkommen zu sein oder man würde ihnen die Berge vor der Nase wegschnappen wollen. Auch wurde keinerlei Interesse daran gezeigt, was man denn so alles in den Alpen klettern könnte. Diese ganze Haltung, zusammen mit der Tatsache, dass ich selbst einige Schikanen akzeptieren musste um überhaupt im Shuangqiao Gou eisklettern zu dürfen (Permit, Gebühren etc.) stieß mir anfangs etwas sauer auf. Dieses Verhalten beschränkte sich allerdings nur auf das Thema „Berg“, und kam auch nur dann zum Ausdruck wenn man es mit richtigen Bergsteigern zu tun hatte, ansonsten muss man ganz deutlich sagen, dass diese Leute ausgesprochen nett und freundlich sind!
Allgemein hatte die Gastfreundschaft einen sehr hohen Stellenwert. Unser Hostel wurde von einem älteren tibetischen Ehepaar geführt das sich herzlich um uns und die anderen Gäste, welche ausschließlich Chinesen/Tibeter des Kletterkurses waren, kümmerten. Man traf sich immer abends im einzigen mit einem Ofen beheizten Raum, auf dem das warme Wasser für die Gäste gekocht wurde. Die Wasserleitungen waren diesen Winter fast alle zugefroren und man musste sich warmes Wasser in großen Isolierflaschen mit aufs Zimmer nehmen. Um sich zu waschen standen eine große Anzahl an Plastik- und Edelstahlschüsseln bereit. Im Großen und Ganzen war der Komfort ähnlich wie auf einer Berghütte in den Alpen, allerdings waren die Zimmer und die Betten sehr groß und es gab überall gratis WLAN.
Der zweite Tag begann wieder mit Kopfschmerzen und meine Freundin wurde schon etwas unruhig wegen der Höhenkrankheit. Allerdings beschränkten sich die Symptome nur auf leichte bis mittelstarke Kopfschmerzen, was bei den gegebenen Umständen fast schon den Normalzustand darstellt. Wir beschlossen an diesem Tag noch Pause zu machen und erst am nächsten Tag zum Klettern zu gehen. Was mir etwas Kopfzerbrechen bereitete, waren die recht hohen Temperaturen. Nachts hatte es ein paar Minusgrade, am Tag jedoch stieg das Thermometer auf +5 bis +10 °C. Am Abend sprachen wir mit einem Guide welche Wasserfälle denn noch machbar seien und er, oh welch Wunder, nannte uns quasi eine Liste was noch einigermaßen machbar ist und was nicht. Ich musste leider mit großer Ernüchterung feststellen, dass die meisten Wasserfälle im höheren Schwierigkeitgrad schon zu gefährlich und instabil waren um sie zu klettern. Ich hatte mich knapp vier Monate mit intensivem Klettertraining und Joggen hierauf vorbereitet und jetzt sah es ziemlich zapfenduster aus. Von den rund 40 bekanntesten Fällen waren etwa noch 8 ohne größere Lebensgefahr durch Stein- und Eisschlag kletterbar (erst vor kurzem hat es einen chinesischen Kollegen übel erwischt). Um nicht ganz leer auszugehen beschlossen wir am nächsten Tag einen Wasserfall auf 3600 m mit einer Höhe von 30 Metern zu klettern der als objektiv sehr sicher galt.
Am nächsten Morgen standen wir dann nach einem kleinen Irrlauf durch den Wald vor besagtem Fall, die erste Stufe mit etwa 20 - 25 m senkrechtem Eis. Schon fast zittrig vor Vorfreude bestückte ich den Gurt mit reichlich Material und begann den Aufstieg. Erste Schraube .... zweite Schraube .... Oh, das Eis hat hier oben aber eine komische Form, ähnlich einem schweizer Käse. Die obersten 20cm Eis waren wie ein dreidimensionales Labyrinth, total unterspült und brüchig. Diese Struktur hätte die Kletterei in gewisser Weiße sogar vereinfacht, allerdings wäre das Ganze ohne ein gewisses Risiko nicht absicherbar geweßen. Allein durch das Einschlagen der Eisgeräte brachen regelmäßig kopfgroße Stücke heraus und Schrauben sinnvoll zu setzen war quasi unmöglich. Also wieder runter. Ernüchterung machte sich breit, wahrscheinlich sehen die anderen Fälle nicht viel besser aus. Nach ausgiebigem Training der Klettertechnik, die unteren 5 Meter waren kletterbar, machten wir uns wieder auf den Weg zurück zur Straße, wo wir vom Hostelbesitzer eingesammelt wurden. Am Abend und in der Nacht gab es dann völlig unerwartet 20 – 30 cm Neuschnee bis ins Tal runter, was am nächsten Morgen für eine tolle „Zauberwaldatmosphäre“ sorgte und die umstehenden Berge noch alpiner aussehen ließ. Wegen meiner heute ungewöhnlich starken Kopfschmerzen und des Schnees beschlossen wir wieder einen Tag Pause zu machen, der chinesische Kletterkurs zog trotz des Schnees noch ein letztes mal los.
Im Tagesverlauf besserten sich meine Kopfschmerzen zusehends und so konnten wir am Abend an der Abschlussfeier der Kletterkursgruppe teilnehmen. Es wurden Hähnchen gegrillt, zu tibetischer Musik aus dem Subwoofer, welcher die halbe Nachbarschaft beschallte, in traditioneller Tracht getanzt und gesungen und es wurde reichlich Bier getrunken (die Ausrede man leide an der Höhenkrankheit zog irgendwann bei den Locals nicht mehr und so musste man das ein oder andere Bier mittrinken, alleine schon um sein Gesicht nicht komplett zu verlieren).
Um die Klettersucht zumindest ein bisschen zu stillen musste nun ein handfestes Klettererlebnis her. Am frühen morgen des nächsten Tages diskutierten wir mit dem „Wirt“ darüber wo man noch am ehesten möglichst viel kletterbares Eis findet. Er selbst geht nicht zum klettern, kennt die Gegend aber trotzdem wie seine Westentasche. Schließlich entschieden wir uns für einen Wasserfall recht weit oben im Tal auf knapp 3700 m. Der eigentliche Wasserfall war dann eine Katastrophe, völlig unterspült und gefährlich. Rechts daneben gab es aber gut 30 m steiles Eis, welches einen recht guten Eindruck machte. Durch die leichte Schneeauflage griffen die Eisen und Eisgeräte oft beim ersten Schlag/Tritt und es war ein wahrere Genuss diesen angenehm strukturierten 3er hoch zu klettern. Am höchsten Punkt hingen meterhohe, messerscharfe Zapfen über einem die es galt möglichst in Ruhe zu lassen, ansonsten gab es absolut nichts zu bemängeln, TOP! Oben ungeschickt zwei Abalakov Eissanduhren gebohrt, abseilen und gleich noch mal hoch! Es machte so viel Freude endlich wieder klettern zu können.
Um die Nerven meiner sichernden Freundin zu schonen und um zu verhindern dass sie irgendwann erfriert, packten wir nach der zweiten Runde zusammen und machten uns auf den Rückweg. Ab diesem Tag hatte keiner von uns mehr richtige Kopfschmerzen und wir fühlten uns zunehmend kräftiger und besser. Allerdings knallte die Sonne weiterhin gnadenlos herunter und bruzelte unbeirrt unser Eis ins Jenseits. Zusätzlich schneite es am Abend noch einmal kräftig, was uns wieder einen weiteren Tag Pause bescherte.
Eigentlich wollten wir insgesamt 11 Tage im Tal bleiben, sechs davon zum Klettern. Wir sahen aber irgendwann ein, dass es, besonders wegen der objektiven Gefahren, nach dem zweiten Klettertag keinen richtigen Sinn mehr machte. So kürzten wir unseren Aufenthalt auf neun Tage und ich beschloss zum Abschluss noch eine Bergtour zu unternehmen.
Wie bereits gesagt benötigt man für Gipfelbesteigungen >3800 m eine Genehmigung etc.. Da wir jetzt allerdings die einzigen Touristen im gesamten Tal waren und im abgelegenen hinteren Bereich sowieso kein Mensch unterwegs war, beschloss ich auf einen etwa 4700 – 4800 m hohen Pass aufzusteigen (Trekking ist erlaubt so lange man keinen Gipfel besteigt), um von dort eventuell einen über den Grat erreichbaren Gipfel „aus versehen“ mit zu nehmen (Anmerkung: illegale Bergsteigerei kann mit Geldstrafen, Ausweißung oder Gefängnis bestraft werden, theoretisch zumindest. Dass die Interpretation von Gesetzen und deren Umsetzung allerdings oft im Ermessen der jeweils zuständigen „Behörde“ liegt ist ebenfalls bekannt). Eigentlich rechnete ich sowieso nicht damit überhaupt den Pass zu erreichen, insofern machte ich mir diesbezüglich auch keine Sorgen Probleme bekommen zu können.
So machte ich mich morgens auf den Weg zu besagtem Pass, der vom hintersten Winkel des Tales Richtung Osten erreichbar ist. Meine Freundin lehnte dankend ab auf die Frage ob sie ein Stück mitkommen wolle und machte sich einen gemütlichen Tag auf der Hütte.
Zunächst lies ich mich vom Wirt bis zum Straßenende auf 3800 m bringen und machte mich von dort weglos auf Richtung Osten. Es gab weder einen markierten Weg, noch Kartenmaterial, alles was ich an Info hatte war ein Satellitenbild. Man musste sich seinen Weg durch das Gestrüpp und den Wald selbst suchen und ich fühlte mich dabei ein bisschen wie Bear Grylls auf einem seiner Adventure Trips. Der dichte, Gott sei Dank flache Wald war abschnittsweise fordernd und nervig. Wer schon mal versucht hat quer durch ein Latschenfeld zu laufen weiß was ich meine. Sobald sich der Wald etwas lichtete wurde auch der Schnee deutlich tiefer. Im flacheren Gelände gab es teilweise einen tragenden Harschdeckel, sobald es aber etwas steiler wurde begann die bodenlose Wühlerei. Was allerdings ein weitaus größeres Problem darstellte war der Untergrund, der aus großen Steinblöcken von 10 bis 200 cm Durchmesser bestand und in unterschiedlicher Mächtigkeit von Schnee bedeckt war. Mal waren es nur wenige Zentimeter, mal fast zwei Meter. Diese Kombination aus unberechenbarem und fußbrecherischem Untergrund ist recht mühsam und fordert in Kombination mit der immer dünner werdenden Luft Konzentration.
Mir war recht schnell klar, dass ich es nicht bis zum Pass schaffen werde, allerdings wollte ich zumindest meinen bisherigen persönlichen Höhenrekord von 4164 m (Breithorn) knacken. Also wühlte ich mich hoch, was in dieser Höhe leichter gesagt als getan ist. Aus irgend einem Grund hatte ich das Breithorn mit einer Höhe um 4300 m im Kopf, und so eierte ich mich bis auf eine Höhe von 4550 m nach oben. Die letzten 70 Höhenmeter waren dabei aus alpinistischer Sicht mit 50° steilem, schneebedecktem Schutt sogar noch einigermaßen entschädigend, zumindest für den Geist, die Steigeisen waren danach stumpf wie ein Stück Holz.
Ich war physisch total fertig, nach 5 h Aufstieg gerade mal 650 Höhenmeter geschafft. Trotzdem war es ein einmaliges Erlebnis! Es war so still, kein Fluss, keine Menschen, Straßen, Flugzeuge, Motorradfahrer (und auch keine Bergrettung) weit und breit. Nichts außer man selbst, der keuchende Atem und der raßende Herzschlag ...
Anmerkungen:
Das Shuangqiao Gou ist allemal eine Reise wert, egal ob zum Wandern oder Eisklettern, auch wenn man zunächst die vermeintlich hohen Kosten der Anreise und die Sprachprobleme im Kopf hat. Da meine Freundin fließend chinesisch spricht waren für uns viele Dinge einfacher als für manch anderen, wenn man aber weis welche Tickets man wo bekommt und was man vor Ort beachten muss, dann steht einer Reise dorthin absolut nichts im Wege! Für etwa 14-16 Tage Gesamtreisezeit kommt man mit 1500 € pro Person locker hin ohne allzu sehr aufs Geld achten zu müssen! (der Betrag versteht sich als All inclusive, also Flug etc. schon mit drin) Die beste und günstigste Reisezeit ist der späte Frühling, die besten Eisverhältnisse gibt es allerdings Mitte Januar (März ist eigentlich schon zu warm). Ich persönlich werde mit Sicherheit mit Verstärkung wieder kommen, dieses Tal ist ein Eiskletterparadies mit duzenden Routen die bis zu 500 m lang sind und für jeden Eisfreak etwas zu bieten haben. Alleine schon dafür lohnt sich die Reise um die halbe Welt, von der umgebenden Bergwelt mal ganz zu schweigen. Die Dimensionen dort sind einfach anders als in den Alpen ...
Ein Dank an Roland Zeidler von Western Sichuan Tours, der mir kostenlos das Kletterpermit bei der SMA in Chengdu besorgt hat.
PS: Mir fehlt, sowohl in den Alpen als auch in China, ein Seilpartner für allerlei Unternehmungen im Eis. Im Shuangqiao Gou finde ich mich jetzt auch ohne Übersetzer zurecht (eigene Chinesischkenntnisse vorhanden) und man könnte eigenständig Touren in dieser Region mit reichlich Potential (auch für Erstbegehungen) auf die Beine stellen. Der logistische Aufwand hält sich in Grenzen, da zumindest im Shuangqiao Gou selbst die Berge über die Straße schnell zu erreichen sind und man den Verbindungsoffizier vermutlich in irgend ein Hostel stecken kann und der somit "aus dem Weg" geräumt ist. Wie die Bürokraten in Chengdu drauf sind steht auf einem anderen Blatt. Am Yaomei Feng herrschen aufgrund der großen Temperaturschwankungen im Tagesverlauf oft schwierige und gefährliche Verhältnisse. Eine Begehung im Alpinstil ist möglich, steht und fällt allerdings sehr mit den Verhältnissen. Das selbe gilt im übrigen auch für die meisten 5000er die sonst noch in der Region rumstehen, wenn auch in abgeschwächter Form. Allgemein gibt es mehr Fels als Eis, kombinierte und einigermaßen sichere Steileisanstiege/Wände sind, mal abgesehen von den Wasserfällen, dünn gesäht. Bergsaison für alle mit Eisausrüstung ist von Herbst bis Frühling, Eisklettersaison von Ende Dezember bis Ende Februar.
Wem China zu weit weg ist: in den Alpen bin ich auch für allerlei Nordwanddurchsteigerei ala Courtes, Droites, Königspitze etc. zu haben! Im Fels haperts noch ein bisschen, im Eis/Firn werd ich aber mit deutlich mehr fertig..
Auf der anderen Seite ist da die großartige Landschaft die in weiten Teilen des Landes oft wenig oder schlecht erschlossen und teilweise nur mit größerem Aufwand zu erreichen ist. Es gibt riesige Sandwüsten, ausgedehnte Grassteppen, subtropischen Regenwald, Hochebenen und Gebirge, welche die Alpen um tausende von Metern übertrumpfen und eine alpine Spielwiese der Extraklasse darstellen.
Unser gemeinsames Kletterevent fand zwar nicht im Himalaya statt, dafür aber in einem Hochtal namens Shuangqiao Gou (双桥沟) das im Qionglai Shan (邛崃山) liegt, welches in der Provinz Sichuan im Osten einen Teil des Tibetischen Hochplateaus bildet und mit dem Yaomei Feng (幺妹峰, 6250 m) im Siguniangshan Massiv (四姑娘山) den zweithöchsten Berg Sichuans beheimatet.
Das Shuangqiao Gou, was etwa so viel bedeutet wie Doppelbrückental, ist mit einer Länge von etwa 35 km auf einer Höhe von 3100 bis 3800 m das längste von drei benachbarten Tälern die zusammen den UNESCO Siguniangshan Nationalpark bilden der überwiegend von Tibetern bewohnt wird und durch deren Kultur geprägt ist. Kern des Nationalparks ist das Dorf Rilong, von dem aus die drei Täler erreichbar sind, wobei das Shuangqiao Gou das einzige mit einer befestigten Straße und grundlegender Tourismusinfrastruktur wie ein paar Hostels, Restaurants und einem regelmäßig fahrendem Touristenbus ist. Die anderen beiden Täler, das Changping Gou (长坪沟) und das Haizi Gou (海子沟) sind nur zu Fuß oder mit dem Pferd begehbar.
Die Anreise ins Shuangqiao Gou erfolgt von Chengdu mit dem öffentlichen Bus oder einem privat über eine lokale Reiseagentur angemieteten Fahrer. Ohne Chinesischkenntnisse kann der öffentliche Bus etwas umständlich sein, allerdings ist er auch mit einem größeren Erlebnisfaktor verbunden. Die Fahrt nach Rilong (~220 km) dauert je nach Wetterbedingungen zwischen 5 bis 7 h und führt über einen 4580 m hohen Gebirgspass. - Man sollte sich bewusst sein, dass der Höhenunterschied zwischen Chengdu und Rilong knapp 3000 Hm, bzw. zwischen Chengdu und dem höchsten Punkt am Pass 4000 Hm, beträgt und durch den schnellen Aufstieg Symptome der Höhenkrankheit nach 4-6 h oft unvermeidbar sind. Beim Überqueren des Passes unbedingt auf eine bewusst gesteigerte Atemfrequenz achten. Eine Person fiel aufgrund akuten Sauerstoffmangels im Gehirn in Ohnmacht. Für den medizinischen Notfall gibt es in größeren Hostels in Rilong Sauerstoffflaschen, der nächste Ort unter 2000 m ist in etwa 1-2 h Autofahrt Richtung Süden erreichbar -
Als wir in Rilong ankamen waren wir nach den knapp sechs Stunden im Bus und gefühlt 200 Spitzkehren etwas geplättet und wurde mit reichlich Verspätung von einem Guide, der ebenfalls in unserem Hostel auf knapp 3300m einquartiert war, abgeholt. Neben uns waren noch etwa 12 weitere Gäste im Hostel die an einem Eiskletterkurs teilnahmen. Nach dem Abendessen verzogen wir uns mit schwerem Kopf auf unser Zimmer und schliefen mit einer ordentlichen Dosis Ibuprofen irgendwann ein.
Der nächste Morgen begann mit schönstem Bergwetter: Die Luft war kristallklar (kein Vergleich zu dem was man aus den Großstädten gewohnt ist) und es war fast keine Wolke am Himmel zu sehen. Vom Fenster unseres Zimmers sah ich zum ersten mal im Leben einen 5000er und war sofort davon fasziniert. Nach dem Mittagessen machten wir einen ausgedehnten Spaziergang und bekamen knapp ein halbes Duzend 5000er zu Gesicht. Ich freute mich wie ein kleiner Bub über diesen Anblick und fabrizierte schon wild mögliche Besteigungsrouten. Viele der umstehenden Berge werden nur äußerst selten bestiegen und es gibt massiv Potenzial für Neurouten aller Schwierigkeitsgarde. Auch gibt es noch ein paar unbestiegene Berge.
Dafür, dass noch so viel Neuland in dieser touristisch in der Hauptsaison doch frequentierten Region (= Tagestouristen) existiert, gibt es meiner Ansicht nach mehrere Gründe: Der Hauptgrund der ambitionierte Bergsteiger ohne Sponsoren zurückhält, dürften wohl die bürokratischen Hürden und die horrenden Kosten sein. Für Gipfelbesteigungen die über 3800 m gehen bedarf es grundsätzlich einer Genehmigung durch die Sichuan Mountaineering Association (SMA) für die man, besonders bei unbestiegenen Gipfeln, eine Gebühr von einigen tausend RMB entrichten muss. Darüber hinaus bedarf es eines Verbindungsoffiziers, der, zusammen mit seinem Koch und dem gesamten Basislager, etwa 1500 – 2000 RMB/Tag kostet. Diese Kosten sind ähnlich wie ein Pauschalbetrag zu verstehen und wurden mir von einem lokalen Expeditionsveranstalter genannt. Jede zusätzliche Person kostet nur geringfügig mehr, je mehr Personen also mitkommen umso bezahlbarer wird es.
Ein weiterer Grund dürfte die schiere Schwierigkeit der Berge selbst und das Fehlen jeglicher Bohrhaken, Standplätze etc. sein. Das Klima in dieser Region ist ein völlig anderes als in den Alpen und es gibt eher geringe Niederschläge. Damit einhergehend gibt es kaum Gletscher und auch äußerst wenig Steileis oder Firn für den Aufstieg, und wenn dann oft in fraglicher Konsistenz. Sucht man kombinierte Anstiege im Winter, so wird das schnell zu einer recht ernsten Angelegenheit. Man kommt zwar über die Straße schnell zum Berg und es wird einem eine gewisse Nähe zur Zivilisation suggeriert, allerdings gibt es in dieser Region keine wirklich organisierte Bergrettung oder gar Hubschrauber und eine schwere Verletzung im komplizierten Gelände kann schnell im Desaster enden.
Ein weiterer Punkt dürfte die Unbekanntheit und das Fehlen von Informationen sein. Wir haben 600 – 1000 m hohe, aalglatte Granitwände gesehen. Es ist mir ein Rätsel warum hier die „Huber Buam“ und co. noch nicht zugeschlagen haben. Ein großes Hindernis hierbei dürfte die Informationskultur bzw. allgemein die Art und Weiße sein, wie die Locals und auch die SMA mit der Veröffentlichung oder Weitergabe von Informationen umgehen. Von öffentlicher Seite bekommt man, wenn überhaupt, nur Informationen zu einem ausgesuchten Berg bzw. einer Route. Einen Überblick zu bekommen, welche Berge unbestiegen und welche Routen noch zu haben sind und welche nicht, ist ausgesprochen mühsam und selbst mit Chinesischkenntnissen über diverse Internetforen sehr umständlich. Ich habe z.B. mit einem Guide vor Ort über den Yaomei Feng gesprochen, habe es aber nicht mal geschafft ihm zu entlocken über welche Route er versucht hat den Berg zu besteigen. Man hat immer etwas das Gefühl nicht richtig willkommen zu sein oder man würde ihnen die Berge vor der Nase wegschnappen wollen. Auch wurde keinerlei Interesse daran gezeigt, was man denn so alles in den Alpen klettern könnte. Diese ganze Haltung, zusammen mit der Tatsache, dass ich selbst einige Schikanen akzeptieren musste um überhaupt im Shuangqiao Gou eisklettern zu dürfen (Permit, Gebühren etc.) stieß mir anfangs etwas sauer auf. Dieses Verhalten beschränkte sich allerdings nur auf das Thema „Berg“, und kam auch nur dann zum Ausdruck wenn man es mit richtigen Bergsteigern zu tun hatte, ansonsten muss man ganz deutlich sagen, dass diese Leute ausgesprochen nett und freundlich sind!
Allgemein hatte die Gastfreundschaft einen sehr hohen Stellenwert. Unser Hostel wurde von einem älteren tibetischen Ehepaar geführt das sich herzlich um uns und die anderen Gäste, welche ausschließlich Chinesen/Tibeter des Kletterkurses waren, kümmerten. Man traf sich immer abends im einzigen mit einem Ofen beheizten Raum, auf dem das warme Wasser für die Gäste gekocht wurde. Die Wasserleitungen waren diesen Winter fast alle zugefroren und man musste sich warmes Wasser in großen Isolierflaschen mit aufs Zimmer nehmen. Um sich zu waschen standen eine große Anzahl an Plastik- und Edelstahlschüsseln bereit. Im Großen und Ganzen war der Komfort ähnlich wie auf einer Berghütte in den Alpen, allerdings waren die Zimmer und die Betten sehr groß und es gab überall gratis WLAN.
Der zweite Tag begann wieder mit Kopfschmerzen und meine Freundin wurde schon etwas unruhig wegen der Höhenkrankheit. Allerdings beschränkten sich die Symptome nur auf leichte bis mittelstarke Kopfschmerzen, was bei den gegebenen Umständen fast schon den Normalzustand darstellt. Wir beschlossen an diesem Tag noch Pause zu machen und erst am nächsten Tag zum Klettern zu gehen. Was mir etwas Kopfzerbrechen bereitete, waren die recht hohen Temperaturen. Nachts hatte es ein paar Minusgrade, am Tag jedoch stieg das Thermometer auf +5 bis +10 °C. Am Abend sprachen wir mit einem Guide welche Wasserfälle denn noch machbar seien und er, oh welch Wunder, nannte uns quasi eine Liste was noch einigermaßen machbar ist und was nicht. Ich musste leider mit großer Ernüchterung feststellen, dass die meisten Wasserfälle im höheren Schwierigkeitgrad schon zu gefährlich und instabil waren um sie zu klettern. Ich hatte mich knapp vier Monate mit intensivem Klettertraining und Joggen hierauf vorbereitet und jetzt sah es ziemlich zapfenduster aus. Von den rund 40 bekanntesten Fällen waren etwa noch 8 ohne größere Lebensgefahr durch Stein- und Eisschlag kletterbar (erst vor kurzem hat es einen chinesischen Kollegen übel erwischt). Um nicht ganz leer auszugehen beschlossen wir am nächsten Tag einen Wasserfall auf 3600 m mit einer Höhe von 30 Metern zu klettern der als objektiv sehr sicher galt.
Am nächsten Morgen standen wir dann nach einem kleinen Irrlauf durch den Wald vor besagtem Fall, die erste Stufe mit etwa 20 - 25 m senkrechtem Eis. Schon fast zittrig vor Vorfreude bestückte ich den Gurt mit reichlich Material und begann den Aufstieg. Erste Schraube .... zweite Schraube .... Oh, das Eis hat hier oben aber eine komische Form, ähnlich einem schweizer Käse. Die obersten 20cm Eis waren wie ein dreidimensionales Labyrinth, total unterspült und brüchig. Diese Struktur hätte die Kletterei in gewisser Weiße sogar vereinfacht, allerdings wäre das Ganze ohne ein gewisses Risiko nicht absicherbar geweßen. Allein durch das Einschlagen der Eisgeräte brachen regelmäßig kopfgroße Stücke heraus und Schrauben sinnvoll zu setzen war quasi unmöglich. Also wieder runter. Ernüchterung machte sich breit, wahrscheinlich sehen die anderen Fälle nicht viel besser aus. Nach ausgiebigem Training der Klettertechnik, die unteren 5 Meter waren kletterbar, machten wir uns wieder auf den Weg zurück zur Straße, wo wir vom Hostelbesitzer eingesammelt wurden. Am Abend und in der Nacht gab es dann völlig unerwartet 20 – 30 cm Neuschnee bis ins Tal runter, was am nächsten Morgen für eine tolle „Zauberwaldatmosphäre“ sorgte und die umstehenden Berge noch alpiner aussehen ließ. Wegen meiner heute ungewöhnlich starken Kopfschmerzen und des Schnees beschlossen wir wieder einen Tag Pause zu machen, der chinesische Kletterkurs zog trotz des Schnees noch ein letztes mal los.
Im Tagesverlauf besserten sich meine Kopfschmerzen zusehends und so konnten wir am Abend an der Abschlussfeier der Kletterkursgruppe teilnehmen. Es wurden Hähnchen gegrillt, zu tibetischer Musik aus dem Subwoofer, welcher die halbe Nachbarschaft beschallte, in traditioneller Tracht getanzt und gesungen und es wurde reichlich Bier getrunken (die Ausrede man leide an der Höhenkrankheit zog irgendwann bei den Locals nicht mehr und so musste man das ein oder andere Bier mittrinken, alleine schon um sein Gesicht nicht komplett zu verlieren).
Um die Klettersucht zumindest ein bisschen zu stillen musste nun ein handfestes Klettererlebnis her. Am frühen morgen des nächsten Tages diskutierten wir mit dem „Wirt“ darüber wo man noch am ehesten möglichst viel kletterbares Eis findet. Er selbst geht nicht zum klettern, kennt die Gegend aber trotzdem wie seine Westentasche. Schließlich entschieden wir uns für einen Wasserfall recht weit oben im Tal auf knapp 3700 m. Der eigentliche Wasserfall war dann eine Katastrophe, völlig unterspült und gefährlich. Rechts daneben gab es aber gut 30 m steiles Eis, welches einen recht guten Eindruck machte. Durch die leichte Schneeauflage griffen die Eisen und Eisgeräte oft beim ersten Schlag/Tritt und es war ein wahrere Genuss diesen angenehm strukturierten 3er hoch zu klettern. Am höchsten Punkt hingen meterhohe, messerscharfe Zapfen über einem die es galt möglichst in Ruhe zu lassen, ansonsten gab es absolut nichts zu bemängeln, TOP! Oben ungeschickt zwei Abalakov Eissanduhren gebohrt, abseilen und gleich noch mal hoch! Es machte so viel Freude endlich wieder klettern zu können.
Um die Nerven meiner sichernden Freundin zu schonen und um zu verhindern dass sie irgendwann erfriert, packten wir nach der zweiten Runde zusammen und machten uns auf den Rückweg. Ab diesem Tag hatte keiner von uns mehr richtige Kopfschmerzen und wir fühlten uns zunehmend kräftiger und besser. Allerdings knallte die Sonne weiterhin gnadenlos herunter und bruzelte unbeirrt unser Eis ins Jenseits. Zusätzlich schneite es am Abend noch einmal kräftig, was uns wieder einen weiteren Tag Pause bescherte.
Eigentlich wollten wir insgesamt 11 Tage im Tal bleiben, sechs davon zum Klettern. Wir sahen aber irgendwann ein, dass es, besonders wegen der objektiven Gefahren, nach dem zweiten Klettertag keinen richtigen Sinn mehr machte. So kürzten wir unseren Aufenthalt auf neun Tage und ich beschloss zum Abschluss noch eine Bergtour zu unternehmen.
Wie bereits gesagt benötigt man für Gipfelbesteigungen >3800 m eine Genehmigung etc.. Da wir jetzt allerdings die einzigen Touristen im gesamten Tal waren und im abgelegenen hinteren Bereich sowieso kein Mensch unterwegs war, beschloss ich auf einen etwa 4700 – 4800 m hohen Pass aufzusteigen (Trekking ist erlaubt so lange man keinen Gipfel besteigt), um von dort eventuell einen über den Grat erreichbaren Gipfel „aus versehen“ mit zu nehmen (Anmerkung: illegale Bergsteigerei kann mit Geldstrafen, Ausweißung oder Gefängnis bestraft werden, theoretisch zumindest. Dass die Interpretation von Gesetzen und deren Umsetzung allerdings oft im Ermessen der jeweils zuständigen „Behörde“ liegt ist ebenfalls bekannt). Eigentlich rechnete ich sowieso nicht damit überhaupt den Pass zu erreichen, insofern machte ich mir diesbezüglich auch keine Sorgen Probleme bekommen zu können.
So machte ich mich morgens auf den Weg zu besagtem Pass, der vom hintersten Winkel des Tales Richtung Osten erreichbar ist. Meine Freundin lehnte dankend ab auf die Frage ob sie ein Stück mitkommen wolle und machte sich einen gemütlichen Tag auf der Hütte.
Zunächst lies ich mich vom Wirt bis zum Straßenende auf 3800 m bringen und machte mich von dort weglos auf Richtung Osten. Es gab weder einen markierten Weg, noch Kartenmaterial, alles was ich an Info hatte war ein Satellitenbild. Man musste sich seinen Weg durch das Gestrüpp und den Wald selbst suchen und ich fühlte mich dabei ein bisschen wie Bear Grylls auf einem seiner Adventure Trips. Der dichte, Gott sei Dank flache Wald war abschnittsweise fordernd und nervig. Wer schon mal versucht hat quer durch ein Latschenfeld zu laufen weiß was ich meine. Sobald sich der Wald etwas lichtete wurde auch der Schnee deutlich tiefer. Im flacheren Gelände gab es teilweise einen tragenden Harschdeckel, sobald es aber etwas steiler wurde begann die bodenlose Wühlerei. Was allerdings ein weitaus größeres Problem darstellte war der Untergrund, der aus großen Steinblöcken von 10 bis 200 cm Durchmesser bestand und in unterschiedlicher Mächtigkeit von Schnee bedeckt war. Mal waren es nur wenige Zentimeter, mal fast zwei Meter. Diese Kombination aus unberechenbarem und fußbrecherischem Untergrund ist recht mühsam und fordert in Kombination mit der immer dünner werdenden Luft Konzentration.
Mir war recht schnell klar, dass ich es nicht bis zum Pass schaffen werde, allerdings wollte ich zumindest meinen bisherigen persönlichen Höhenrekord von 4164 m (Breithorn) knacken. Also wühlte ich mich hoch, was in dieser Höhe leichter gesagt als getan ist. Aus irgend einem Grund hatte ich das Breithorn mit einer Höhe um 4300 m im Kopf, und so eierte ich mich bis auf eine Höhe von 4550 m nach oben. Die letzten 70 Höhenmeter waren dabei aus alpinistischer Sicht mit 50° steilem, schneebedecktem Schutt sogar noch einigermaßen entschädigend, zumindest für den Geist, die Steigeisen waren danach stumpf wie ein Stück Holz.
Ich war physisch total fertig, nach 5 h Aufstieg gerade mal 650 Höhenmeter geschafft. Trotzdem war es ein einmaliges Erlebnis! Es war so still, kein Fluss, keine Menschen, Straßen, Flugzeuge, Motorradfahrer (und auch keine Bergrettung) weit und breit. Nichts außer man selbst, der keuchende Atem und der raßende Herzschlag ...
Anmerkungen:
Das Shuangqiao Gou ist allemal eine Reise wert, egal ob zum Wandern oder Eisklettern, auch wenn man zunächst die vermeintlich hohen Kosten der Anreise und die Sprachprobleme im Kopf hat. Da meine Freundin fließend chinesisch spricht waren für uns viele Dinge einfacher als für manch anderen, wenn man aber weis welche Tickets man wo bekommt und was man vor Ort beachten muss, dann steht einer Reise dorthin absolut nichts im Wege! Für etwa 14-16 Tage Gesamtreisezeit kommt man mit 1500 € pro Person locker hin ohne allzu sehr aufs Geld achten zu müssen! (der Betrag versteht sich als All inclusive, also Flug etc. schon mit drin) Die beste und günstigste Reisezeit ist der späte Frühling, die besten Eisverhältnisse gibt es allerdings Mitte Januar (März ist eigentlich schon zu warm). Ich persönlich werde mit Sicherheit mit Verstärkung wieder kommen, dieses Tal ist ein Eiskletterparadies mit duzenden Routen die bis zu 500 m lang sind und für jeden Eisfreak etwas zu bieten haben. Alleine schon dafür lohnt sich die Reise um die halbe Welt, von der umgebenden Bergwelt mal ganz zu schweigen. Die Dimensionen dort sind einfach anders als in den Alpen ...
Ein Dank an Roland Zeidler von Western Sichuan Tours, der mir kostenlos das Kletterpermit bei der SMA in Chengdu besorgt hat.
PS: Mir fehlt, sowohl in den Alpen als auch in China, ein Seilpartner für allerlei Unternehmungen im Eis. Im Shuangqiao Gou finde ich mich jetzt auch ohne Übersetzer zurecht (eigene Chinesischkenntnisse vorhanden) und man könnte eigenständig Touren in dieser Region mit reichlich Potential (auch für Erstbegehungen) auf die Beine stellen. Der logistische Aufwand hält sich in Grenzen, da zumindest im Shuangqiao Gou selbst die Berge über die Straße schnell zu erreichen sind und man den Verbindungsoffizier vermutlich in irgend ein Hostel stecken kann und der somit "aus dem Weg" geräumt ist. Wie die Bürokraten in Chengdu drauf sind steht auf einem anderen Blatt. Am Yaomei Feng herrschen aufgrund der großen Temperaturschwankungen im Tagesverlauf oft schwierige und gefährliche Verhältnisse. Eine Begehung im Alpinstil ist möglich, steht und fällt allerdings sehr mit den Verhältnissen. Das selbe gilt im übrigen auch für die meisten 5000er die sonst noch in der Region rumstehen, wenn auch in abgeschwächter Form. Allgemein gibt es mehr Fels als Eis, kombinierte und einigermaßen sichere Steileisanstiege/Wände sind, mal abgesehen von den Wasserfällen, dünn gesäht. Bergsaison für alle mit Eisausrüstung ist von Herbst bis Frühling, Eisklettersaison von Ende Dezember bis Ende Februar.
Wem China zu weit weg ist: in den Alpen bin ich auch für allerlei Nordwanddurchsteigerei ala Courtes, Droites, Königspitze etc. zu haben! Im Fels haperts noch ein bisschen, im Eis/Firn werd ich aber mit deutlich mehr fertig..
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