Interessanter Zeitungsartikel aus der Schweiz
ist ja zum Teil auch ein Thema hier (Betretungsverbote o.ä.)
Wie gross ist die Freiheit in den Bergen?
Im Alpenraum gibt es immer mehr Gesetze, die den Zugang zu den Bergen und die Ausübung von Alpinsport regeln – oftmals im Namen der Sicherheit. Dagegen wehren sich Bergsportler und Alpenverbände.
Der Mann wollte an jenem Tag im Februar 2009 eigentlich nur in einem Berggasthaus in Piemont eine Polenta essen. Doch weil er beim Zustieg zum Restaurant über eine schneebedeckte Strasse kein Lawinenverschüttetensuchgerät (LVS) auf sich trug, brummte ihm die Polizei eine Strafe von mehreren hundert Euro auf – ein hoher Preis für ein Mittagsmenu. Der Grund: In Piemont galt seit kurzem ein Gesetz, wonach Berggänger, die bei Schnee ohne LVS abseits der Pisten unterwegs sind, mit einer Geldstrafe belangt werden.
Gesetzlicher Rundumschlag
Für eine Gruppe von italienischen Alpinisten um den legendären Himalaja-Erstbesteiger und Publizisten Alessandro Gogna ist dieser Fall symptomatisch für die schleichende Verrechtlichung des Bergsports in Italien und die in ihren Augen ausufernden Sicherheitsbestimmungen, welche die Bewegungsfreiheit in den Bergen einengen. Sie beschlossen deshalb, gegen diese Entwicklung vorzugehen. Mitte Oktober haben Gogna und seine Mitstreiter in Zusammenarbeit mit dem Italienischen Alpenklub (CAI) ein «Observatorium für die Freiheit in den Bergen» gegründet, und am «International Mountain Summit» von vergangener Woche in Brixen in Südtirol stellten sie ihre Initiative an einem Kongress zum Thema Freiheit erstmals vor.
Ihr Ziel sei, erklärt Gogna im Gespräch, die Rechtslage in Italien zu beobachten, um künftig rechtzeitig reagieren zu können, wenn irgendwo im Land ein neues Gesetz erlassen werde. Oftmals würden solch einschränkende Gesetze von Leuten geschrieben, die keine Ahnung von Bergsport hätten und deshalb im Namen der Sicherheit zu einem Rundumschlag ausholten. In Piemont etwa hätten die Behörden nicht einmal daran gedacht, dass in einem Gesetz über die Pflicht zum Tragen eines LVS zumindest angegeben werden muss, ab welcher Hangneigung LVS obligatorisch seien. In flachem Gelände könnten sich schliesslich gar keine Lawinen lösen.
Die italienischen Alpinisten sind nicht die Ersten, bei denen die Alarmglocken läuten. Im Mai 2011 haben zehn französische Verbände im Alpinbereich (darunter die Betreiber von Berghütten, der Bergführerverband und der französische Alpenverein) gemeinsam ein Manifest in die Welt gesetzt, in dem sie unter anderem den freien Zugang zu den Bergen als Prinzip festhalten, an dem sie sich orientieren wollen. Die Initiative der französischen Bergsportgemeinde steht im Zusammenhang mit den Entwicklungen am Montblanc, der immer mehr Alpinisten – wie auch solche, die gerne welche wären – anzieht. Durch den Massenansturm auf den höchsten Berg Westeuropas sind in den letzten Jahren vermehrt Rufe nach Zugangsbeschränkungen laut geworden, die in Frankreich kontrovers diskutiert werden.
Ein normatives Chaos
Ist es tatsächlich so, wie es die Reaktionen in Italien und Frankreich suggerieren, dass man sich heute in den Bergen weniger frei bewegen kann als früher? Und wenn ja, warum? Von König Ludwig von Bayern, der im 19. Jahrhundert lebte, stammt das geflügelte Diktum «Auf den Bergen wohnt die Freiheit». Und auch in der Literatur sowie in Interviews mit Profibergsteigern taucht das Begriffspaar Berge/Freiheit sehr oft auf. Ehrlicherweise umschreiben solche Äusserungen vor allem ein Gefühl und haben mit der Wirklichkeit wenig zu tun; seit es Rechtsstaaten gibt, waren Berge nie ein rechtsfreier Raum.
In der Tat lässt sich aber in den letzten Jahrzehnten eine Zunahme von Gesetzen und Verordnungen beobachten, die reglementierend in den Bergsport eingreifen. Der italienische Rechtsanwalt Carlo Bonardi hat seine Doktorarbeit über die Haftbarkeit im Alpinismus in Italien geschrieben und verfolgt die neuesten Entwicklungen auf rechtlicher Ebene genau. Sein Urteil über die letzten 20 Jahre: Die Zahl der Gesetze und Verordnungen im Alpinbereich habe in Italien massiv zugenommen – vor allem auf lokaler Ebene, was den Überblick erschwere. In einem im September 2010 erschienenen Artikel in der Zeitschrift des CAI mit dem Titel «Das Recht erobert die Berge» spricht Bonardi gar von einem normativen Chaos. Als Beispiel für die übertriebene Regulierungswut nennt er zum einen das Gesetz in Piemont, das indes in der Folge entschärft wurde. Tatsächlich besteht aber in ganz Italien seit 2003 die Pflicht zum Tragen eines LVS, allerdings nur bei bestimmten klimatischen Voraussetzungen. Zum andern verweist er auf einen Vorstoss aus dem Jahr 2010 des damaligen Direktors des italienischen Katastrophenschutzes, der das Skifahren abseits der Pisten landesweit verbieten wollte. Im Senat erlitt dieser Vorstoss Schiffbruch. Auf lokaler Ebene aber, auf dem Gebiet der Gemeinde Livigno an der Grenze zur Schweiz, ist ein Verbot des «fuori pista» kurz darauf in Kraft getreten. Für die Zunahme solcher Gesetze macht Bonardi das wachsende Bedürfnis nach Sicherheit sowie Umweltschutzmassnahmen verantwortlich.
Intervenieren lohnt sich
Sicherheit und Umweltschutz – auch in der Schweiz lassen sich die einschränkenden Gesetzesvorstösse der letzten Jahre im Bergsport unter diesen beiden Aspekten subsumieren. Seit Juli dieses Jahres ist die revidierte Jagdverordnung in Kraft, mittels deren die Kantone gesetzlich verpflichtet werden können, Wildruhezonen auszuscheiden, in denen zu bestimmten Zeiten (vor allem im Winter) zum Schutz der Wildtiere der Zugang für Bergsportler verboten oder eingeschränkt ist (NZZ 24. 2. 12). Völlig neu sind solche Bestimmungen nicht. Es gab bereits früher Jagdbannzonen, und der Schutz von Flora und Fauna ist seit Jahrzehnten in der Verfassung verankert. Neu ist, dass Alpinisten explizit im Visier des Gesetzgebers stehen. Noch nicht in Kraft gesetzt ist die zweite gesetzliche Massnahme, die in den letzten Monaten für Diskussionen gesorgt hat: die Risikoaktivitätenverordnung, kurz RiskV genannt. In einem ersten Entwurf stellte die neue Verordnung im Namen der Sicherheit kurzerhand sämtliche gewerbsmässig angebotenen potenziell gefährlichen Aktivitäten in gebirgigem oder felsigem Gelände sowie auf oder neben Gewässern unter Bewilligungspflicht. Auch Schneeschuhwanderungen oder Exkursionen entlang von Bächen galten plötzlich als Risikoaktivität.
Obwohl die RiskV vor allem die Tätigkeit kommerzieller Anbieter von Exkursionen in freier Natur regeln soll, sahen sich durch die schwammige Definition vieler Begriffe auch weitere Kreise wie Erlebnispädagogen oder der Schweizer Alpenclub in der Ausübung ihrer Tätigkeit bedroht (NZZ 31. 3. 12). Aufgrund der heftigen Reaktionen ging der Bund nochmals über die Bücher, und mit Spannung wird die revidierte Verordnung erwartet, die Ende November vom Bundesrat verabschiedet werden soll.
Auch in Italien können der CAI und die Gruppe um Alessandro Gogna erste Erfolge vorweisen. Die Sektion des CAI in der Lombardei erfuhr jüngst von einem neuen lokalen Gesetz in Vorbereitung, das es den Bürgern de facto verboten hätte, sich selbst in Gefahr zu bringen. Die Ausübung von Bergsport wäre damit zu einer Straftat geworden, wie Rechtsanwalt Bonardi erklärt. Vertreter des CAI intervenierten erfolgreich bei den Lokalbehörden, so dass die entsprechende Passage in dem Gesetz wieder gestrichen wurde.
Er plädiere nicht für Anarchismus in den Bergen, sagt Gogna zum Abschluss der Veranstaltung in Brixen. Aber der Gesetzgeber müsse die Verhältnismässigkeit wahren und bedenken: «Sicherheit ist nicht die Antwort auf alle Probleme.»
Andrea Kucera, Brixen
Quelle: http://www.nzz.ch/lebensart/reisen-f...gen-1.17746562
ist ja zum Teil auch ein Thema hier (Betretungsverbote o.ä.)
Wie gross ist die Freiheit in den Bergen?
Im Alpenraum gibt es immer mehr Gesetze, die den Zugang zu den Bergen und die Ausübung von Alpinsport regeln – oftmals im Namen der Sicherheit. Dagegen wehren sich Bergsportler und Alpenverbände.
Der Mann wollte an jenem Tag im Februar 2009 eigentlich nur in einem Berggasthaus in Piemont eine Polenta essen. Doch weil er beim Zustieg zum Restaurant über eine schneebedeckte Strasse kein Lawinenverschüttetensuchgerät (LVS) auf sich trug, brummte ihm die Polizei eine Strafe von mehreren hundert Euro auf – ein hoher Preis für ein Mittagsmenu. Der Grund: In Piemont galt seit kurzem ein Gesetz, wonach Berggänger, die bei Schnee ohne LVS abseits der Pisten unterwegs sind, mit einer Geldstrafe belangt werden.
Gesetzlicher Rundumschlag
Für eine Gruppe von italienischen Alpinisten um den legendären Himalaja-Erstbesteiger und Publizisten Alessandro Gogna ist dieser Fall symptomatisch für die schleichende Verrechtlichung des Bergsports in Italien und die in ihren Augen ausufernden Sicherheitsbestimmungen, welche die Bewegungsfreiheit in den Bergen einengen. Sie beschlossen deshalb, gegen diese Entwicklung vorzugehen. Mitte Oktober haben Gogna und seine Mitstreiter in Zusammenarbeit mit dem Italienischen Alpenklub (CAI) ein «Observatorium für die Freiheit in den Bergen» gegründet, und am «International Mountain Summit» von vergangener Woche in Brixen in Südtirol stellten sie ihre Initiative an einem Kongress zum Thema Freiheit erstmals vor.
Ihr Ziel sei, erklärt Gogna im Gespräch, die Rechtslage in Italien zu beobachten, um künftig rechtzeitig reagieren zu können, wenn irgendwo im Land ein neues Gesetz erlassen werde. Oftmals würden solch einschränkende Gesetze von Leuten geschrieben, die keine Ahnung von Bergsport hätten und deshalb im Namen der Sicherheit zu einem Rundumschlag ausholten. In Piemont etwa hätten die Behörden nicht einmal daran gedacht, dass in einem Gesetz über die Pflicht zum Tragen eines LVS zumindest angegeben werden muss, ab welcher Hangneigung LVS obligatorisch seien. In flachem Gelände könnten sich schliesslich gar keine Lawinen lösen.
Die italienischen Alpinisten sind nicht die Ersten, bei denen die Alarmglocken läuten. Im Mai 2011 haben zehn französische Verbände im Alpinbereich (darunter die Betreiber von Berghütten, der Bergführerverband und der französische Alpenverein) gemeinsam ein Manifest in die Welt gesetzt, in dem sie unter anderem den freien Zugang zu den Bergen als Prinzip festhalten, an dem sie sich orientieren wollen. Die Initiative der französischen Bergsportgemeinde steht im Zusammenhang mit den Entwicklungen am Montblanc, der immer mehr Alpinisten – wie auch solche, die gerne welche wären – anzieht. Durch den Massenansturm auf den höchsten Berg Westeuropas sind in den letzten Jahren vermehrt Rufe nach Zugangsbeschränkungen laut geworden, die in Frankreich kontrovers diskutiert werden.
Ein normatives Chaos
Ist es tatsächlich so, wie es die Reaktionen in Italien und Frankreich suggerieren, dass man sich heute in den Bergen weniger frei bewegen kann als früher? Und wenn ja, warum? Von König Ludwig von Bayern, der im 19. Jahrhundert lebte, stammt das geflügelte Diktum «Auf den Bergen wohnt die Freiheit». Und auch in der Literatur sowie in Interviews mit Profibergsteigern taucht das Begriffspaar Berge/Freiheit sehr oft auf. Ehrlicherweise umschreiben solche Äusserungen vor allem ein Gefühl und haben mit der Wirklichkeit wenig zu tun; seit es Rechtsstaaten gibt, waren Berge nie ein rechtsfreier Raum.
In der Tat lässt sich aber in den letzten Jahrzehnten eine Zunahme von Gesetzen und Verordnungen beobachten, die reglementierend in den Bergsport eingreifen. Der italienische Rechtsanwalt Carlo Bonardi hat seine Doktorarbeit über die Haftbarkeit im Alpinismus in Italien geschrieben und verfolgt die neuesten Entwicklungen auf rechtlicher Ebene genau. Sein Urteil über die letzten 20 Jahre: Die Zahl der Gesetze und Verordnungen im Alpinbereich habe in Italien massiv zugenommen – vor allem auf lokaler Ebene, was den Überblick erschwere. In einem im September 2010 erschienenen Artikel in der Zeitschrift des CAI mit dem Titel «Das Recht erobert die Berge» spricht Bonardi gar von einem normativen Chaos. Als Beispiel für die übertriebene Regulierungswut nennt er zum einen das Gesetz in Piemont, das indes in der Folge entschärft wurde. Tatsächlich besteht aber in ganz Italien seit 2003 die Pflicht zum Tragen eines LVS, allerdings nur bei bestimmten klimatischen Voraussetzungen. Zum andern verweist er auf einen Vorstoss aus dem Jahr 2010 des damaligen Direktors des italienischen Katastrophenschutzes, der das Skifahren abseits der Pisten landesweit verbieten wollte. Im Senat erlitt dieser Vorstoss Schiffbruch. Auf lokaler Ebene aber, auf dem Gebiet der Gemeinde Livigno an der Grenze zur Schweiz, ist ein Verbot des «fuori pista» kurz darauf in Kraft getreten. Für die Zunahme solcher Gesetze macht Bonardi das wachsende Bedürfnis nach Sicherheit sowie Umweltschutzmassnahmen verantwortlich.
Intervenieren lohnt sich
Sicherheit und Umweltschutz – auch in der Schweiz lassen sich die einschränkenden Gesetzesvorstösse der letzten Jahre im Bergsport unter diesen beiden Aspekten subsumieren. Seit Juli dieses Jahres ist die revidierte Jagdverordnung in Kraft, mittels deren die Kantone gesetzlich verpflichtet werden können, Wildruhezonen auszuscheiden, in denen zu bestimmten Zeiten (vor allem im Winter) zum Schutz der Wildtiere der Zugang für Bergsportler verboten oder eingeschränkt ist (NZZ 24. 2. 12). Völlig neu sind solche Bestimmungen nicht. Es gab bereits früher Jagdbannzonen, und der Schutz von Flora und Fauna ist seit Jahrzehnten in der Verfassung verankert. Neu ist, dass Alpinisten explizit im Visier des Gesetzgebers stehen. Noch nicht in Kraft gesetzt ist die zweite gesetzliche Massnahme, die in den letzten Monaten für Diskussionen gesorgt hat: die Risikoaktivitätenverordnung, kurz RiskV genannt. In einem ersten Entwurf stellte die neue Verordnung im Namen der Sicherheit kurzerhand sämtliche gewerbsmässig angebotenen potenziell gefährlichen Aktivitäten in gebirgigem oder felsigem Gelände sowie auf oder neben Gewässern unter Bewilligungspflicht. Auch Schneeschuhwanderungen oder Exkursionen entlang von Bächen galten plötzlich als Risikoaktivität.
Obwohl die RiskV vor allem die Tätigkeit kommerzieller Anbieter von Exkursionen in freier Natur regeln soll, sahen sich durch die schwammige Definition vieler Begriffe auch weitere Kreise wie Erlebnispädagogen oder der Schweizer Alpenclub in der Ausübung ihrer Tätigkeit bedroht (NZZ 31. 3. 12). Aufgrund der heftigen Reaktionen ging der Bund nochmals über die Bücher, und mit Spannung wird die revidierte Verordnung erwartet, die Ende November vom Bundesrat verabschiedet werden soll.
Auch in Italien können der CAI und die Gruppe um Alessandro Gogna erste Erfolge vorweisen. Die Sektion des CAI in der Lombardei erfuhr jüngst von einem neuen lokalen Gesetz in Vorbereitung, das es den Bürgern de facto verboten hätte, sich selbst in Gefahr zu bringen. Die Ausübung von Bergsport wäre damit zu einer Straftat geworden, wie Rechtsanwalt Bonardi erklärt. Vertreter des CAI intervenierten erfolgreich bei den Lokalbehörden, so dass die entsprechende Passage in dem Gesetz wieder gestrichen wurde.
Er plädiere nicht für Anarchismus in den Bergen, sagt Gogna zum Abschluss der Veranstaltung in Brixen. Aber der Gesetzgeber müsse die Verhältnismässigkeit wahren und bedenken: «Sicherheit ist nicht die Antwort auf alle Probleme.»
Andrea Kucera, Brixen
Quelle: http://www.nzz.ch/lebensart/reisen-f...gen-1.17746562
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