Ignazio Piussi (* 22.4.1935; + 11.6.2008)
"Wie auch immer, ich liebe es die Dinge zu teilen,
ich behalte sie nicht für mich:
Auch gefällt es mir, die Erfahrung auf dem Berg zu teilen,
mitzuteilen"
Ignazio Piussi wurde am 22 April 1935 als letzter von 10 Söhnen in Pezzeit geboren (im Val Raccolana, dem tiefen Einschnitt, der von Sella Nevea nach Chiusaforte führt). Pezzeit ist/war ein Teil der ehemaligen Gemeinde Raccolana, heute innerhalb der Gemeinde Chiusaforte (Udine). Piussi übersiedelte bald nach Piani, einem anderen Ortsteil im Val Raccolana und verbrachte dort seine Jugend. Sein Urgroßvater Giuseppe Piussi, genannt der Pucich, war der erste Berführer im Val Raccolana, so wie auch sein Großvater Ignazio, sein Großonkel Osvaldo Pesamosca (Führer von Kugy) und dessen Sohn Davide Pesamosca. 1943 übersiedelt Piussi mit der Familie nach S. Antonio bei Tarvisio. Seine Familie beginnt als Bergbauern zu arbeiten und bewirtschaftet während der Sommer einige Alm(hütt)en auf den (Alm)flächen des Montasio. 1949 beginnt er als Schi(renn)läufer und später mit dem Schispringen. 1952 macht er seine ersten alpinistischen Erfahrungen mit den Brüdern Arnaldo und Berto Perissutti und Lorenzo Bulfon. 1954 gewinnt er ein internationales Schispringen in Feldkirchen. Am 18. und 19. August dieses Jahres gelingt ihm gemeinsam mit A. Perissutti und L. Bulfon die Erstbegehung der N-Wand des kleinen Mangart di Coritenza (im 6. Grad). Er beginnt im Bergwerk in Cave del Predil zu arbeiten (bis 1956). Nach Gründung der Bergrettung in Friaul – Julisch Venetien ist Piussi ab 1954 immer Mitglied der Einsatzmannschaft und als solcher bei vielen Einsätzen dabei. Viele dieser Einsätze gelten Flüchtlingen aus Jugoslawien, die sich in die Wände des Mangart abseilen und so durch den Abstieg versuchen, Italien zu erreichen. (Anmerkung: offensichtlich ein Tippfehler im ital. Text; die Textierung ist meine Interpretation aus dem Zusammenhang). 1955 gewinnt Piussi die italienischen Meisterschaften in der nordischen Kombination in Bardonecchia. Weiters gelingt ihm im August der erste Durchstieg der N-Wand (Ostpfeiler) der Veunza (Mangartmassiv) gemeinsam mit den Brüdern Perissutti. Und dann noch die erste Wiederholung der Via Lacedelli an der Cima Scotoni (Dolomiten) am 8. & 9. September (6. Grad, damals die schwerste Kletterei in den Alpen). Mit dieser Tat wird er in Bergsteigerkreisen bekannt. Weitere Unternehmungen in dieser Zeit: erste Winterbegehung der Traverse der Mangartkette (22.-24.1.1956 mit L. Bulfon, A. Perissutti und B. Giacomuzzi); erste Begehung der N-Wand (Westpfeiler) der Veunza (26.-27.8. mit A. Perissutti; 6. Grad). Im November 1956 tritt er in den Wehrdienst ein (in das Sportzentrum der Julia) (Anmerkung: müsste noch überprüft werden, was das genau war). 1958 rüstet er ab und beginnt als Forstarbeiter zu arbeiten. Er führt seine erste Alleinbegehung (im 6. Grad) durch: Deye-Peters-Kante am Torre della Madre dei Camosci (Jof Fuart). 1959 das Unternehmen, das ihn in die internationale Elite des Alpinismus bringt: die erste Begehung der S-Wand des Torre Trieste (Civetta) vom 6. bis 10. September gemeinsam mit Giorgio Redaelli (oberer 6. Grad – als die großartigste technische Kletterei in den Alpen bezeichnet). Unter den folgenden Unternehmungen bleiben die Erstbegehung des zentralen Freney-Pfeilers (Mont Blanc; 28.-29.8.1961), die Erstbegehung des N-Pfeilers am kleinen Mangart di Coritenza mit S. Bellini und U. Perissutti (13.8.1962; 6. Grad) in Erinnerung. Von 28.2. bis 7.3.1963 führt er gemeinsam mit G. Redaelli und T. Hiebeler die erste Winterbegehung der Solleder-Lettenbauer in der NO-Wand der Civetta durch, möglicherweise die größte Leistung im Winteralpinismus. 29.7. bis 2.8.1965: Erstbegehung an der Punta Tissi (Civetta) mit R. Sorgato und P. Mazeaud (oberer 6. Grad). 15. bis 18.8.1967 Erstbegehung der NO-Kante an der Cima su Alto (Civetta) mit Alziro Molin, Aldo Anghileri, Ernesto Panzeri etc. (oberer 6. Grad; grandiose technische Kletterei). 1968 nimmt er an einer Antarktis-Expedition teil (organisiert vom C.A.I und dem nationalen Forschungszentrum). Während eines 21-tägigen Erkundungsmarsches führt er Erstbesteigungen an 8 Gipfeln durch. Sie sind die ersten Italiener, die sich auf die Antarktis begeben.
Piussi nahm auch an der Cassin-Expedition (unterstützt vom C.A.I. und der italienischen Regierung) im März 1975 teil, die als Ziel die undurchstiegene S-Wand des Lhotse (8.516 m) hatte. Der Durchstiegsversuch scheiterte nach unzähligen Niederschlägen in einer Höhe von 7.500 Metern. An dieser Expedition nahmen neben Cassin (66-jährig!) und Piussi, Reinhold Messner, Alessandro Gogna, Sereno Barbacetto, Mario Conti, Gigi Alippi, Fausto Lorenzi, Gianni Arcari, Aldo Leviti, Franco Gugiatti, Mario Curnis und Aldo Anghileri teil.
1975 hörte Piussi mit dem Klettern auf. Zur Zeit lebt er in Piani im Haus seiner Kindheit und bewirtschaftet die Almhütte Malga Cregnedul, eine Hütte in der Nähe von Sella Nevea.
Als vielseitiger Athlet mit außerordentlichen Kräften, Gleichgewicht und Unternehmungslust (außerhalb des Alpinismus hat er sich auch an Bobrennen und im Schießsport beteiligt) kann Ignazio Piussi als einer der größten italienischen Alpinisten aller Zeiten angesehen werden. Auch wenn er in seiner aktiven Zeit nicht die gleich große Anzahl an Erstbegehungen, ersten Winterbegehungen und ersten Wiederholungen durchführte wie andere Alpinisten zu seiner Zeit (Bonatti, Messner etc.), sind seine Unternehmungen außerordentlich hinsichtlich ihrer Qualität der Höchstleistung. Diese sind zahlreich auch im Vergleich zu jenen der anderen Größen des Alpinismus.
Quelle: http://www.paretiverticali.it/IGNAZIO%20PIUSSI.htm
Weitere Informationen zu Ignazio Piussi (in Italienisch):
http://it.wikipedia.org/wiki/Ignazio_Piussi
http://messaggeroveneto.gelocal.it/c...ggenda-1.28815
Offensichtlich gibt es auch ein Museum in Cregnedul di Sotto, das dem Leben von Ignazio Piussi gewidmet ist. (Quelle: http://messaggeroveneto.gelocal.it/c...ussi-1.8343399)
Zur ersten Winterbegehung der Solleder-Lettenbauer an der Civetta gibt es einen wunderschönen Bericht, der auf den Aufzeichnungen von Roberto Sorgato (* 1937) aufbaut:
"Vor 50 Jahren, die erste Winterbegehung der Solleder-Lettenbauer"
"Einer der schönsten Tage des Alpinismus ist heute in begeisterndster Art an der Civetta zu Ende gegangen. Die Wand mit einer Höhe von 1.200 Metern, die bisher niemand im Winter zu begehen wagte, wurde im Abstand von wenigen Stunden von 2 Seilschaften furchtloser Jungalpinisten besiegt..."
Mit diesen Worten beginnt ein Artikel des "Il Gazzettino" vom 7. März 1963, der dem Triumph der Alpinisten an der Civetta gewidmet ist.
Die Zeitung berichtete über diese Durchsteigung in verschiedenen Artikeln und war sich dabei sicher, das Interesse der Leser geweckt zu haben (heute findet der Alpinismus nur dann Eingang in die journalistische Chronik, wenn es Todesopfer oder schwere Unfälle gibt). Darüberhinaus verdiente es die Unternehmung der furchtlosen Jungen, so wie sie geplant war und sich dann entwickelte, Stunde für Stunde erzählt zu werden: so fesselnd, episch und reich an Spannung wie sie war. Ihr Alpinismus, ohne technische Unterstützung und im Unbekannten eines eisigen und immensen Berges war ein großes und authentisches Abenteuer, das es nach 50 Jahren verdient, in Erinnerung zu bleiben und gefeiert zu werden. Und mit ihm auch die Geschichte dieser Route, die von den Bergsteigern "die Solleder" genannt wird.
Die Erstdurchsteigung – 9. August 1925
[…] (Anmerkung: Hierzu gibt es umfangreiches Material auf Deutsch. Ich erspare mir die Übersetzung)
Erste Winterbegehung – 4. bis 7. März 1963
Am 7. März 1963 erreichen 6 Männer, aufgeteilt auf 2 Seilschaften mit wenigen Stunden Abstand den Gipfel der Civetta über die Nordwand auf der Route Solleder-Lettenbauer. Erstmalig im Winter. Für einen der sechs Männer hatte dieser Erfolg indes eine Bedeutung, die weit über das rein alpinistische Wagnis hinausging.
Am 15. August 1959 wurde Roberto Sorgato von einem heftigsten Gewitter erwischt, das ihn zu einem fürchterlichen Biwak im oberen Teil der Wand zwang. Der Regen zuerst und dann das Eis hatten seinen erfahrenen Kollegen Gianfranco "Gech" De Biasi erledigt. Sorgato war es gelungen, ihn bis zum Gipfel zu bringen. In den letzten Abschnitten stemmte er ihn hinauf. Mitten im Gewitter. Aber am Gipfel hörte das Herz von Gech zu schlagen auf. Von da an hatte Sorgato an diese Winterbesteigung gedacht, die er und sein glückloser Kamerad als erste geplant hatten. Für Sorgato war das gewissermaßen eine Pflicht, deren Erfüllung ihm alleine die Verletzungen dieser tragischen Erfahrung lindern könnte. Dieser Gedanke hatte ihn auf die Cima Ovest, die Cima Su Alto bei all seinen mehr oder weniger erfolgreichen, aber immer gewagten Unternehmungen begleitet. Und nun beim Aufbruch war es wieder das Pech, das ihm den so heftig erträumten Sieg zu versperren schien. Es ist notwendig, diese Vorgeschichte zu kennen, um seine Gefühle und die außerordentliche Willenskraft zu verstehen, die es ihm erlaubten, sich gegen jede Prognose zu erholen und es auch ihm erlaubten, "seine" epische Durchsteigung dieser unermesslichen "Wand der Wände" durchzuführen.
"Im Winter ist das ein undurchführbares Unternehmen, sagten sie. Und auch ich hatte diese Meinung. Aber für mich war diese immense Felswand bereits etwas wie eine schmerzvolle Barriere zwischen der Realität und dem Traum. Die Qual einer erlittenen Realität und dem Enthusiasmus eines Traums, der plötzlich zu einem Drama geworden war… Und über all dem ein Name, ein geliebter Name…
Ich hatte an alles gedacht, alles vorhergesehen, alles organisiert mit kühl kalkulierten Entscheidungen und Toni Hiebeler mit seiner unvergleichlichen Erfahrung hatte meine störrische Fixierung abgerundet (wörtlich: gereift). Er hatte begeistert den Vorschlag aufgegriffen, eine einzelne Seilschaft mit Ignazio Piussi und Giorgio Redaelli zu bilden. Jetzt hatten wir alle zusammen vom Rifugio Tissi aus den ersten Teil des Anstiegs vorbereitet und die Ausrüstung bis zur 'Angriffshöhle' transportiert. Wir waren bereit. Alles schien mir allzu schön und allzu leicht, dass es so weitergehen könnte.
Als ich bei der Rückkehr von einer der Vorbereitungsaktionen meine Beine auf den Schiern zittern spürte und der Körper schwach, matt und schwer wurde, verstand ich, dass mein Wille vor dem Kampf mit der Wand, noch mit meinem eigenen Körper kämpfen musste. Eine banale Mandelentzündung und ein dummes Fieber. Das reicht aus, um mit einem Schlag einen großartigen Traum zu zerstören!
Ich bat die Freunde, ohne mich zu gehen und vom Wetter zu profitierten, das seit einigen Tagen günstig gestaltete. Und als es mir gelang, den Widerstand von Toni und den anderen zu überwinden, sodass sie mich zurückließen, fühlte ich, dass die alte Wunde in mir stärker brannte und dass die Nordwand der Civetta selbst das Symbol des Berges war.
Am folgenden Tag, dem 1. März 1963, befolgte ich den Rat des Arztes und stieg ins Tal ab mit der (Material?)Seilbahn, die das Rifugio Tissi mit Alleghe verbindet und begab mich nach Belluno, nach Hause, ins Bett. Es war für mich wie ein endgültiger Abschied. Ich fühlte mich verletzt und desillusioniert, verraten von diesem Berg, von dieser Wand die mir nun als wahrlich unüberwindbare Barriere erschien.
Seltsamerweise verging nach zwei Tagen das Fieber und ich fühlte in mir den alten Lockruf wachsen. Anmaßend, dumpf und wütend. Ich entschied, es wieder zu versuchen. Aber mit wem? Im Alleingang wäre dies eine Verrücktheit gewesen. Andererseits schien es mit nicht viel weniger als unmöglich, in der kurzen Zeit gute Kameraden zu finden. Aber zumindest für dieses eine Mal schien mir das Schicksal wohlgesonnen. Ich hatte auf der Tissi zwei junge Männer aus San Vito di Cadore kennengelernt, die jetzt eventuell ihr Projekt eine Neutour auf die Cima Su Alto zu eröffnen aufgegeben hatten. Es genügte ein Telefonat und Natalino Menegus und Marcello Bonafede kamen zu mir nach Belluno am folgenden Tag.
Am 4. März 1963 um 4 Uhr in der Früh erreichten wir mit unserer eher bescheidenen (wörtlich: oberflächlichen) Ausrüstung die Höhe des ersten Sockels, wo die richtige Kletterei mit dem Schrägriss beginnt. Am Ende des ersten Tages errichteten wir unser Biwak unter dem Blockkamin. Das selbe Biwak der Seilschaft Piussi und Kameraden, die uns seit 4 Tagen voranging. Die stechende Morgenbrise weckte uns. Der Himmel ist hell und transparent, die Luft rein und stimulierend. Mit diesen Bedingungen klettern wir bis Mitternacht. Der Weg ist gekennzeichnet, die Griffe sind von Piussi und den Gefährten geputzt. Es besteht keine Gefahr sich zu verlaufen. Und im Inneren, immer dieses verrückte Verlangen, sie einzuholen und zu überholen. Dann, Hand in Hand mit dem Aufstieg, verlor dieser Rest von menschlicher Schwäche immer mehr an Bedeutung und dieses Gefühl von Wettbewerb, das mich beim Abmarsch gefangen genommen hatte, verlor jegliche Kraft.
Beim bleichen Schein des Mondes setzten wir unseren Aufstieg über steilste Schneerutsche fort, die vom Eis herunterrinnen. Alles war jetzt märchenhaft, irreal, magisch geworden. Es scheint dass der Schnee dieses diffuse, phosphoreszierende Licht ausstrahlt, das die Kontraste der Schatten dämpft und den Berg seltsam lebend erscheinen lässt. Diesen so einzigartigen Berg, den ich so gut kenne, den ich aber jetzt, durch einen Kunstgriff der Stunde, als neu, jungfräulich, unverletzt empfinde.
Es war so, dass wir zu Mitternacht das letzte Biwak in einer Höhle erreichten, wo die Freunde, die zu dieser Zeit nur wenig über uns schliefen, ihr 6. Biwak gemacht hatten. Es genügt also früh aufzubrechen und wir erreichen sie noch vor dem Gipfel."
Aber genau als er sie schon erreicht hat, ändert sich plötzlich etwas in der Seele von Roberto. Er erkennt, dass diese Verfolgung absolut keinen Sinn hat, und, anstatt bei Morgengrauen aufzubrechen, wartet er bis 11 Uhr, bevor er die Höhle verlässt.
"Geweckt vom Lärm eines Hubschraubers und zweier Kleinflugzeuge, die Flugmanöver rund um den Gipfel vollführten, schlossen wir, dass Piussi, Hiebeler und Redaelli den Gipfel erreicht haben mussten. Wir folgten dem Anstieg ohne Unterbrechungen und Pausen, überzeugt, dass das die letzte Anstrengung war. Der Gipfel ist nicht mehr viel mehr als 100 Meter entfernt, doch die Finsternis überrascht uns recht schnell. Es wird noch einmal das bleiche Licht des Mondes sein, das uns gütig zum höchsten Punkt führt, den wir am 7. März 1963 um 20 Uhr erreichen.
Die schönste Erinnerung an dieses Unternehmen hatte ich während des Abstiegs. Kurz vor der Ankunft in Listolade sah ich, wie uns eine Gestalt entgegenkam, die ich endlich erkannte: es war Ignazio Piussi. Ohne Worte umarmte er mich. Irgendjemand machte ein Foto, das ich aufhebe, weil man in diesem unscharfen und verwackelten Foto die Spontanität dieser Umarmung erkennt. Wir sprachen kein Wort."
Von diesem Moment an wird die Freundschaft zwischen Ignazio und Roberto etwas Großes und Tiefes. Ein Gefühl, das sie ihr ganzes Leben begleiten wird. Sie unternehmen gemeinsam viele Touren und versuchen mehrmals, die Eiger Nordwand zu besteigen. Obwohl sie sehr weit kommen, werden sie dabei jedoch immer von Schlechtwetter zurückgeschlagen.
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Roberto Sorgato (li) und Ignazio Piussi (re)
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Roberto Sorgato (li) und Ignazio Piussi (re)
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Quelle: http://altitudini.it/50-anni-fa-la-p...r-lattenbauer/
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