Arturo Andreoletti (* 8.3.1884; + 24.1.1977)
Nach seinem Technikstudium in seiner Geburtsstadt Mailand leistet er seinen Militärdienst bei den italienischen Gebirgstruppen (Alpini). Er widmet sich mit Leidenschaft dem Alpinismus, vor allem in den Dolomiten. Dabei ist er zumeist mit seinem Freund Francesco Jori (in italienischen Texten auch: "Iori") unterwegs. Für die Redaktion der Führer "Guida di Monti d'Italia", eine Führeredition, die vom Club Alpino Italiano und dem Touring Club Italiano herausgegeben wird, erkundet er vor allem die damaligen Grenzregionen der italienischen Alpen. Dieses Vorhaben wird dabei auch vom Militär unterstützt.
Er wiederholt zumeist als erster Italiener die großen Routen der Dolomiten (z. B. die Marmolada S-Wand an der Punta Penia 1908). 1913 gelingt ihm gemeinsam mit Jori die Erstbesteigung der Gusela del Vescovà. (Ein Besteigungsversuch mit technischen Hilfsmitteln und militärischer Unterstützung blieb 1909 noch ohne Erfolg.)
Im ersten Weltkrieg wird er Kommandant der 206. Kompanie, die im Bereich der Marmolada, häufig komplett auf sich alleine gestellt, intensive und erfolgreiche Operationen durchführt. Der starke und unnachgiebige Charakter Andreolettis bringt ihm den Spitznamen "Gottvater" ("padre eterno") ein. (Seine Abteilung bekommt folgerichtig den Namen "Compagnia Padreterna"). Ebenso hartnäckig ist er beim Einfordern zusätzlicher Essens- und Bekleidungsrationen für seine Mannschaft. Er toleriert keine Einmischungen in seine Angelegenheiten, was zwangsläufig zu einem Konflikt mit den Vorgesetzten führt. 1917 verlässt er den Sektor und ist in weiterer Folge am Monte Grappa und Col Moschin eingesetzt.
Nach dem Krieg gehört er zu den Gründern der "Associazione Nazionale Alpini", deren Präsident er in weiterer Folge auch wird. 1929 legt er die Präsidentschaft wegen Meinungsverschiedenheiten mit dem faschistischen Regime zurück.
Sein größter alpinistischer Erfolg ist die Erstbesteigung der gewaltigen Agnèr NO-Wand gemeinsam mit Francesco Jori und Renato Zanutti im September 1921. (Als Material hatten sie lediglich 4 Haken mit, die sie allerdings nicht verwendeten…)
Seinen Lebensabend verbringt er in Como.
Quellen:
http://www.fassafront.com/andreoletti.html
http://www.angeloelli.it/alpinisti/f...4-1977%29.html
http://altitudini.it/100-anni-della-gusela-del-vescova/
Im historischen Archiv der Alpenvereine gibt es einen umfangreichen Bestand zu Francesco Jori. Darin findet sich auch eine Beschreibung der Erstbegehung der Agnèr NO-Wand durch Francesco Jori, die im "Bollettino della Società degli Alpinisti Tridentini" (Ausgabe September/Oktober 1921) erschienen ist. Die Übersetzung stammt von Joris Sohn Mario.
14./15.9.1921
Die Nordwand des Agnèr
Die Nordwand des Agnèr
Als ich 1913 das erste Mal in Agordo war, wies mich mein Freund Andreoletti darauf hin, dass der Berg von dieser Seite aus noch unbestiegen sei. Wunderbar! Das sollten wir angehen! Der Krieg kam; das Unternehmen musste aufgeschoben werden.
Während unserer alpinen Unternehmungen in den Jahren 1919/1920 erinnerten wir uns immer noch daran, ohne jedoch diesen seit langem gehegten Wunsch realisieren zu können.
Ein Jahr vorher lernte ich einen ausgezeichneten Kletterer kennen, der seine Kräfte mit dem Agnèr messen wollte. Und ich antwortete ihm: "Wenn Du nicht schnell machst, werden wir die ersten sein!".
Nachdem wir in diesem Jahr mehrere schwierige Klettertouren in der Langkofelgruppe unternommen hatten, beschlossen Andreoletti und ich, diese zu krönen, indem wir versuchten, dieses vor uns hergeschobene Unterfangen anzugehen.
Anlässlich einer Versammlung aller Alpini im Contrin-Tal weihten wir Zanutti in unsere Pläne ein und konnten ihn als dritten Seilgefährten gewinnen.
Am 12.9. trafen wir uns alle drei in Agordo. Am Tag darauf rüsteten Zanutti und ich uns mit Ferngläsern, gingen bis in den Talschluss des Valle S. Lucano, um uns alles bestens betrachten zu können.
Andreoletti schickte uns beide, da er durch sein Amt als Präsident des Nationalen Alpini-Verbandes und die Versammlung der letzten Tage sehr überanstrengt war. Er gab uns noch den Hinweis, dass die Problemlösung an der NNW-Kante zu suchen sei.
Nach dreistündiger Beobachtung kehrten wir nach Agordo zurück, überzeugt, dass entweder Kante oder Wand gelingen müsste.
Zwischenzeitlich hatte Andreoletti darüber sinniert, durch Träger unsere Nagelschuhe über den Normalweg zum Gipfel bringen zu lassen, vorausgesetzt, das Unternehmen würde gelingen.
Wir vereinbarten die Weckzeit und gingen zu Bett.
Morgens zwischen 4 und 5 Uhr durchquerten wir das Dorf Taibon und stiegen das Tal von S. Lucano hinauf, mit hoffnungsschwerem Herzen und gut ausgestatteten Rucksäcken. Gegen 9 Uhr waren wir am Fuße der Agnèr N-Wand.
Bemerkt werden muss, dass wir uns nach nochmaliger Analyse für die Wand entschieden.
Am Fuße der Wand sättigten wir uns noch kräftig, wechselten Schuhe und schickten den Träger mit unseren Genagelten und dem größten Teil des Proviants auf den Weg, um uns dann alles im Laufe des Tages auf der anderen Seite zu übergeben.
Wir selbst behielten nur einen Rucksack mit dem Allernötigsten für diesen Tag, den wir Zanutti, als ältesten und vernünftigsten von uns allen anvertrauten.
Planmäßig stiegen wir in die ineinander übergehenden Kamine ein, die uns schon durch unsere Beobachtungen von der talseitigen Beobachtung vertraut waren.
Am Anfang ging alles gut: guter Felsen, vielleicht ein bisschen glatt, aber sonst… Jedoch bald wurden wir eines anderen belehrt. Eine Serie Überhänge, die jedoch mal rechts mal links umgangen werden konnten, lehrte uns, nicht zu früh auf Sieg zu setzen.
Mit zunehmendem Aufstieg nahmen auch die Schwierigkeiten zu.
Die Kamine, mittlerweile zur Wasserrinne geworden, wurden immer glatter; außerhalb war der Fels nur mehr bröselig und unsicher. Irgendwann fragten wir uns nach der Uhrzeit: es war bereits 4 Uhr nachmittags.
Wir schauten hinauf, und fast war uns, als würde der Gipfel sich immer mehr entfernen. Wir sahen ihn senkrecht über uns, es war jedoch unmöglich, die Entfernung zu bestimmen.
Andreoletti trieb uns an, um noch bei Tageslicht den Gipfel zu erreichen (so sagte er wenigstens). Ich jedoch meinte nach jedem Überhang mit anschließender Standfläche: "Das wäre doch ein idealer Platz zum Übernachten". Auch um uns zu motivieren.
Zanutti – als alter Philosoph – schwieg; erst später, schon alle einbiwakiert, meinte er: "Es ist wirklich unglaublich; bei allen großen Klettereien scheint ein Biwak unvermeidlich zu sein".
Es war jedoch ein Biwak, das dieser Wand würdig war! Wir sicherten uns und… schliefen, d. h. wir verbrachten dort die Nacht: zusammengekauert, sitzend bzw. stehend. Je später die Nacht, umso fröhlicher wurden wir: Dann als wir uns an unsere Vorräte machen wollten, mussten wir feststellen, dass durch das ganze Hin und Her dieser Rucksack leer geblieben war.
Der Sternenhimmel strahlte über das Gebirge und es kam uns so vor, als würde er auch über uns lachen.
Selten wird wahrscheinlich der Morgen so sehnsüchtig erwartet wie in einem nächtlichen Biwak, welches – der Not gehorchend – in einer Dolomitenwand errichtet wurde. Endlich tagte es und wir konnten mit dem weiteren Aufstieg beginnen.
Ganz abgesehen von unserer physischen Kondition war der heutige Tag noch anstrengender und brachte auch mehr technische Schwierigkeiten als der gestrige.
Um 5 Uhr nachmittags gelangten wir in einen Kamin, der Gletscherwasser mit sich führte, an dem wir unseren Durst stillen konnten. Und damit waren auch die ernsten Schwierigkeiten des Aufstiegs beendet.
Um 7 Uhr abends erreichten wir den Gipfel, auf dem wir uns allerdings nur wenige Minuten aufhielten; wir stiegen auf der anderen Seite ab, zweifelnd, ob wir auch den Träger antreffen würden und unsicher darüber, ob wir uns auf dem richtigen Weg befanden, was uns unter Umständen einen zweite Biwak-Nacht bescheren könnte.
Zanuttis Kletter-Patschen waren total zerfetzt; mit blutenden Füßen ging er auf dem Felsen. Trotzdem beklagte sich der Alpin-Philosoph nicht. Gegen 9 Uhr abends erreichten wir die Scharte von Pizzon; unvorstellbaren Pfaden folgend erreichten wir gegen 5 Uhr früh eine Alm, wo man uns sehr fürsorglich behandelte und uns zu essen gab.
Um 8 Uhr morgens trafen wir dann in Agordo ein.
Quelle:
http://www.historisches-alpenarchiv....oldergroup=irc
Kommentar