Es ist erstaunlich, wie viele Berge es am Simplonpass zwischen Brig und Gondo gibt. Jede Menge Gipfel für Bergwanderungen, Skitouren oder anspruchsvolle Hochtouren. Sehr viele davon habe ich bestiegen, aber eben nicht alle, und jetzt hatte ich ein Auge auf das einfache, bescheidene Wyssbodehorn (Weissbodenhorn) im NE-Grat des Böshorns (in der Fletschhorngruppe) geworfen. Streng genommen erfüllt es wohl knapp nicht die für anständige Berge notwendige Schartenhöhe von mindestens 30 Metern, die es vom südlich benachbarten Schilthorn trennt. Aber auf der Landeskarte hat es einen Namen, also muss ich da hoch.
Ich übernachte in einem der Hotels auf dem Simplonpass. Als ich am Morgen ins Freie trete, spricht mich auf dem Parkplatz eine Frau auf Französisch an: „Allez-vous à la montagne?“ Gehen Sie in die Berge? Als ich bejahe, holt sie aus ihrem Auto ein Grablicht und fragt mich, ob ich es „nach oben“ mitnehmen könnte. Aber ja, doch hätte ich nichts zum Anzünden dabei. Sie fischt Zigaretten und ein Feuerzeug aus der Handtasche und gibt mit letzteres. Offenbar macht sie keine Wanderungen, geschweige denn Bergtouren. Sie erklärt, sie habe überlegt, das Licht irgendwo neben dem Parkplatz zu platzieren, immerhin wäre das auch in der Bergwelt. Aber „pour lui“, für ihn, passe es besser oben auf einem Berg. Heute sei sein „anniversaire“, was Jahrestag bedeutet. Ich frage nicht, stelle mir aber vor, dass sich heute der Tag eines Bergunfalls jährt.
Ich packe Grablicht und Feuerzeug in die Deckeltasche des Rucksacks. Die Frau fährt davon, winkt noch, und ich warte auf das Postauto, das nach wenigen Minuten pünktlich erscheint. Bei der Station Engeloch steige ich aus und nehme den Aufstieg zum Wyssbodehorn unter die Füsse. Über Chlusmatte und Wysse Bode führt er zu einer Felswand mit schönem Wasserfall. An einer Stelle helfen Klammern und ein Drahtseil über eine Platte. Nach und nach werden der Weg rauer und die Blöcke häufiger. Man gelangt zu den stillen Sirwolteseen. Der Weg verzweigt sich; rechts geht es zum Sirwoltesattel und ins Nanztal, nach links zum Wyssbodehorn. Markierungen weisen die beste Route, da in den Blöcken nicht immer ein Weg erkennbar ist. Mein operiertes Knie ist zuweilen nicht besonders begeistert von den Anforderungen dieser Route, aber es tut trotzdem brav seinen Dienst. Es sind nur noch etwa 200 Höhenmeter bis zum Gipfel zu bewältigen. Schliesslich erreiche ich die oben erwähnte Scharte, von wo sich der Blick nach Osten zum Breithorn öffnet. Auch das Hübschhorn (siehe Bericht von Antares von Ende August 2018) präsentiert sich markant. Auf dem Gipfel steht ein kleiner Steinmann, sonst nichts. Kein Mensch weit und breit. Der Wind ist zeitweise ziemlich stark.
Rucksack abstellen und Grablicht auspacken. Luvseitig des Steinmanns geht gar nichts. Ich suche auf der Leeseite ein geschütztes Plätzchen. Aber Steinmänner sind winddurchlässig. Wieder und wieder versuche ich, das Feuerzeug anzuknipsen. Zuweilen kann ich ihm eine Flamme entlocken, noch seltener den Docht entzünden, aber sofort ist der Wind zur Stelle und bläst die Kerze aus. Nach unzähligen Versuchen, der Daumen schmerzt bereits, gebe ich es auf. Vielleicht finde ich weiter unten einen besseren Platz? Und wenn nicht, würde ich das Licht nach Hause nehmen und auf meinem Dachgarten anzünden. Das wäre zwar nicht in den Bergen, aber es wäre jemand da, die eine schwache Ahnung hat, warum es brennen muss.
Vom Gipfel sind es nur ein paar Schritte zur Scharte, dort biegt der Weg auf den Ostgrat und in die Südwand des Wyssbodehorns ein. Doch bereits nach wenigen Metern entdecke ich eine Platte, die aus einem Felswändchen ragt und das gewünschte Plätzchen beschützt. Da kann der Wind wenigstens nur von vorne in die kleine Höhle wehen und es gibt keinen Durchzug. Ich packe das Grablicht wieder aus, kämpfe erneut mit dem Feuerzeug, aber schliesslich brennt die Kerze, auch wenn die Flamme flackert. Doch Grablichter sind für die Verwendung im Freien konstruiert. Ich setze den gelochten Deckel auf und beobachte die Flamme eine Weile. So stimmt es wohl, das Licht steht fast am Gipfel und wird hoffentlich mit Ausdauer brennen, „pour lui“.
Nun geht es an den Abstieg. Dieser verläuft auf der sonnigen, grasigen Südseite des Berges. Bald kommt das imposante Fletschhorn mit seiner Nordwand ins Blickfeld (am Gipfel wird es vom Schilthorn verdeckt). Diese Nordwand ist auch nicht mehr was sie einmal war, siehe die Bilder von Antares. Sie ist 800 Meter hoch. Im Juli 1988 durchstieg ich sie mit einem SAC-Kollegen (Heinz Inäbnit), da war sie noch eine tolle Eiswand, bzw. damals mit Firn. Am Vortag waren wir von Simplon Dorf zum Biwakplatz auf 2900 m aufgestiegen; heute steht dort das Biwak Piero de Zen. Diese Wand wurde 1960 durch Erich Vanis und Kollegen erstbegangen. Die gefährliche Variante im linken Teil der Wand allerdings bereits 1928 durch Blanchet, Supersaxo und Mooser, klingende Namen der damaligen Zeit.
Durch trockene Matten wandere ich zur Alp Rossbodestafel hinunter. Hin und wieder pfeift ein Murmeltier. Bei der Alp finde ich glücklicherweise eine Mitfahrgelegenheit, so dass ich die letzten 350 Höhenmeter zur Simplonstrasse hinunter auf die faule Weise bewältigen kann. Ich hoffe, dass das Licht oben am Wyssbodehorn immer noch brennt.
Ich übernachte in einem der Hotels auf dem Simplonpass. Als ich am Morgen ins Freie trete, spricht mich auf dem Parkplatz eine Frau auf Französisch an: „Allez-vous à la montagne?“ Gehen Sie in die Berge? Als ich bejahe, holt sie aus ihrem Auto ein Grablicht und fragt mich, ob ich es „nach oben“ mitnehmen könnte. Aber ja, doch hätte ich nichts zum Anzünden dabei. Sie fischt Zigaretten und ein Feuerzeug aus der Handtasche und gibt mit letzteres. Offenbar macht sie keine Wanderungen, geschweige denn Bergtouren. Sie erklärt, sie habe überlegt, das Licht irgendwo neben dem Parkplatz zu platzieren, immerhin wäre das auch in der Bergwelt. Aber „pour lui“, für ihn, passe es besser oben auf einem Berg. Heute sei sein „anniversaire“, was Jahrestag bedeutet. Ich frage nicht, stelle mir aber vor, dass sich heute der Tag eines Bergunfalls jährt.
Ich packe Grablicht und Feuerzeug in die Deckeltasche des Rucksacks. Die Frau fährt davon, winkt noch, und ich warte auf das Postauto, das nach wenigen Minuten pünktlich erscheint. Bei der Station Engeloch steige ich aus und nehme den Aufstieg zum Wyssbodehorn unter die Füsse. Über Chlusmatte und Wysse Bode führt er zu einer Felswand mit schönem Wasserfall. An einer Stelle helfen Klammern und ein Drahtseil über eine Platte. Nach und nach werden der Weg rauer und die Blöcke häufiger. Man gelangt zu den stillen Sirwolteseen. Der Weg verzweigt sich; rechts geht es zum Sirwoltesattel und ins Nanztal, nach links zum Wyssbodehorn. Markierungen weisen die beste Route, da in den Blöcken nicht immer ein Weg erkennbar ist. Mein operiertes Knie ist zuweilen nicht besonders begeistert von den Anforderungen dieser Route, aber es tut trotzdem brav seinen Dienst. Es sind nur noch etwa 200 Höhenmeter bis zum Gipfel zu bewältigen. Schliesslich erreiche ich die oben erwähnte Scharte, von wo sich der Blick nach Osten zum Breithorn öffnet. Auch das Hübschhorn (siehe Bericht von Antares von Ende August 2018) präsentiert sich markant. Auf dem Gipfel steht ein kleiner Steinmann, sonst nichts. Kein Mensch weit und breit. Der Wind ist zeitweise ziemlich stark.
Rucksack abstellen und Grablicht auspacken. Luvseitig des Steinmanns geht gar nichts. Ich suche auf der Leeseite ein geschütztes Plätzchen. Aber Steinmänner sind winddurchlässig. Wieder und wieder versuche ich, das Feuerzeug anzuknipsen. Zuweilen kann ich ihm eine Flamme entlocken, noch seltener den Docht entzünden, aber sofort ist der Wind zur Stelle und bläst die Kerze aus. Nach unzähligen Versuchen, der Daumen schmerzt bereits, gebe ich es auf. Vielleicht finde ich weiter unten einen besseren Platz? Und wenn nicht, würde ich das Licht nach Hause nehmen und auf meinem Dachgarten anzünden. Das wäre zwar nicht in den Bergen, aber es wäre jemand da, die eine schwache Ahnung hat, warum es brennen muss.
Vom Gipfel sind es nur ein paar Schritte zur Scharte, dort biegt der Weg auf den Ostgrat und in die Südwand des Wyssbodehorns ein. Doch bereits nach wenigen Metern entdecke ich eine Platte, die aus einem Felswändchen ragt und das gewünschte Plätzchen beschützt. Da kann der Wind wenigstens nur von vorne in die kleine Höhle wehen und es gibt keinen Durchzug. Ich packe das Grablicht wieder aus, kämpfe erneut mit dem Feuerzeug, aber schliesslich brennt die Kerze, auch wenn die Flamme flackert. Doch Grablichter sind für die Verwendung im Freien konstruiert. Ich setze den gelochten Deckel auf und beobachte die Flamme eine Weile. So stimmt es wohl, das Licht steht fast am Gipfel und wird hoffentlich mit Ausdauer brennen, „pour lui“.
Nun geht es an den Abstieg. Dieser verläuft auf der sonnigen, grasigen Südseite des Berges. Bald kommt das imposante Fletschhorn mit seiner Nordwand ins Blickfeld (am Gipfel wird es vom Schilthorn verdeckt). Diese Nordwand ist auch nicht mehr was sie einmal war, siehe die Bilder von Antares. Sie ist 800 Meter hoch. Im Juli 1988 durchstieg ich sie mit einem SAC-Kollegen (Heinz Inäbnit), da war sie noch eine tolle Eiswand, bzw. damals mit Firn. Am Vortag waren wir von Simplon Dorf zum Biwakplatz auf 2900 m aufgestiegen; heute steht dort das Biwak Piero de Zen. Diese Wand wurde 1960 durch Erich Vanis und Kollegen erstbegangen. Die gefährliche Variante im linken Teil der Wand allerdings bereits 1928 durch Blanchet, Supersaxo und Mooser, klingende Namen der damaligen Zeit.
Durch trockene Matten wandere ich zur Alp Rossbodestafel hinunter. Hin und wieder pfeift ein Murmeltier. Bei der Alp finde ich glücklicherweise eine Mitfahrgelegenheit, so dass ich die letzten 350 Höhenmeter zur Simplonstrasse hinunter auf die faule Weise bewältigen kann. Ich hoffe, dass das Licht oben am Wyssbodehorn immer noch brennt.
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